Ene mene muh und raus bist du!

Der freie Hochschulzugang ist nur noch eine Farce. Internationale Experten zeigen Auswege

Es ist Zeit für ein bisschen Ehrlichkeit. Das österreichische Hochschulsystem ist nicht mehr tragbar. Semester für Semester dürfen junge Menschen auf die Universität, obwohl jeder weiß, dass sie sich dort gegenseitig auf die Zehen treten und Seminarplätze wegschnappen werden. In den Massenfächern ist ein Teil der Studierenden zum Scheitern verurteilt, sie werden reingelassen, um gleich wieder weggeprüft und rausgeekelt zu werden.

Wissenschaftsministerin Beatrix Karl (ÖVP) ist nun ein Jahr im Amt. Vergangene Woche stellte sie mit Unterrichtsministerin Claudia Schmied (SPÖ) eine neue Zugangsregelung vor – zynisch könnte man es die Lizenz zum Knockout nennen. Ab kommendem Wintersemester werden in allen Fächern einsemestrige Studieneingangsphasen eingeführt, wer eine Prüfung zweimal verhaut, fliegt raus. “Wenn du die Zulassung packst, ist der Abschluss ein Klacks“, scherzte der Standard daraufhin.

Der freie Hochschulzugang ist längst eine Farce, die Universitäten wollen die Studierenden möglichst schnell wieder loswerden. Auch die große Koalition bezeichnet ihr neues Konzept bloß als “Übergangslösung“ und kündigt eine Studienplatzfinanzierung an. Dabei bekommen die Unis für jeden Studenten eine fixe Summe vom Staat. Ob sich Rot-Schwarz dies tatsächlich umzusetzen traut, muss sich erst zeigen. Dabei gäbe es genug Ideen von Bildungsforschern und Beispiele anderer Länder für eine Zukunft ohne freien Hochschulzugang.

1. Für jeden Studenten Geld

Der Unibetrieb ist wie eine große Party, bei der niemand weiß, wie viele Gäste kommen und wie viel Weißwein, Bier und Cola sie trinken werden. Nur eines zeichnet sich ab: Es ist nicht genug für alle da. Laut Gesetz müssen die Universitäten alle Maturanten aufnehmen, allerdings gibt ihnen der Staat nicht zusätzliches Geld für mehr Studierende. “Das Problem der österreichischen Hochschulpolitik ist, dass man sich in den Sack lügt“, sagt etwa Georg Winckler, Rektor der Uni Wien. Die Unis tun so, als könnten sie unendlich viele Studierende aufnehmen – doch die Zahl der Vorlesenden und Hörsäle ist beschränkt.

Die meisten europäischen Länder machen das anders. In England ist die Zahl der Studienplätze festgeschrieben. Die Hochschulen bekommen für jeden Studierenden einen fixen Betrag pro Jahr, für Wirtschaftsstudenten gibt es 2650 Pfund, für Medizinstudenten 14.500 Pfund, da Fachrichtungen mit viel Labortätigkeiten und Kleingruppen teurer sind als die sogenannten “Bücherstudien“. Mit diesen Summen können die Institute genau kalkulieren und heben zusätzlich Studiengebühren ein.

Ein ähnliches System gibt es an den österreichischen Fachhochschulen. Hier zahlt der Bund durchschnittlich 5800 Euro pro Student. Die Finanzierung pro Kopf hätte einen großen Vorteil: Die Politik muss sich dazu bekennen, wie viele Studenten sie haben will – und deren Ausbildung dann auch finanzieren. Kostenwahrheit nennen die Betriebswirte das.

2. Mehr Studienplätze schaffen

Wie viele Akademiker will der Staat überhaupt? Wie viele Studienplätze soll es in den einzelnen Fächern geben? Der Hochschulforscher Hans Pechar sagt, was die Regierung nicht so deutlich ausspricht: “In Fächern wie Publizistik oder Psychologie wird man darüber nachdenken müssen, die Studienplätze zu reduzieren oder die Zahl der Fakultätsmitglieder massiv zu erhöhen.“

Die Massenfächer brauchen mehr Geld oder eine Beschränkung der Studienplätze. Dabei hat Österreich keinesfalls zu viele, sondern viel zu wenige Akademiker (nur 18 Prozent). Restriktive Beschränkungen können zu einem Mangel an Arbeitsplätzen führen, wie man am Lehrer- und Ärztemangel in einigen europäischen Ländern sieht.

Es gibt keine Zauberformel, wie viele Studienplätze ein Staat braucht. Viele Länder orientieren sich an den bestehenden Zahlen und justieren dann immer wieder nach. “Das Ministerium versucht, die Bedürfnisse des Markts abzuschätzen, aber es gibt keine fixen Kriterien dafür“, sagt Osmo Kivinen, Bildungswissenschaftler der Universität Turku. Das finnische Modell ist für Österreich lehrreich: Dort entscheiden strenge Zugangsregeln, Schulnoten und Aufnahmetests über die Verteilung der Studienplätze – und trotzdem gibt es doppelt so viele Akademiker wie bei uns. Auch ein Land mit Zugangsbeschränkungen kann viele Akademiker haben.

3. Die richtigen Köpfe finden

In Österreich herrscht eine riesige Angst vor Auswahlverfahren. Ist das jetzige System so viel fairer? Am Papier dürfen sich alle Maturanten zum Studium inskribieren. In den Massenfächern nimmt man allerdings in Kauf, dass viele junge Menschen dann an Knockout-Prüfungen scheitern oder im Unistau aufgeben – und oft sehr viel Lebenszeit verlieren.

In den meisten europäischen Staaten gibt es Zugangsbeschränkungen, in Österreich wird die Zahl der Medizin-, Veterinärmedizin-, Psychologie- und Publizistikplätze bereits begrenzt. Wenn die Studienplatzfinanzierung kommt, kann sich Bildungspsychologin Christiane Spiel einen österreichweiten Test vorstellen: “Alle Universitäten, Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen könnten sich zusammentun und ein Testpaket entwickeln“, sagt sie. Dann müsste nicht jede Universität ihr eigenes Auswahlverfahren kreieren. In Schweden findet man ein solches System bereits, den Swedish Scholastic Aptitude Test (SweSAT). Schwedische Bewerber können entweder über diesen Leistungstest oder über Schulnoten einen Hochschulplatz ergattern.

Die Schattenseite: Jedes Auswahlverfahren hat seinen blinden Fleck, im schlimmsten Fall wird eine sehr homogene Gruppe zum Studium zugelassen. Beim heimischen Eignungstest zum Medizinstudium schneiden österreichische Frauen etwa deutlich schlechter als ihre männlichen Mitbewerber ab. Wollen wir in Zukunft weniger weibliche Ärzte?

Psychologin Spiel plädiert für Zusatzkriterien. “Man sollte über Quoten nachdenken“, sagt sie, “ein Prozentsatz der Studierenden könnte über andere Kriterien ausgewählt werden.“ So könnten Medizinbewerber bevorzugt werden, die zuvor als Pfleger gearbeitet oder eine lange Wartezeit in Kauf genommen haben. Diese Bewerber tun sich vielleicht bei den Prüfungen schwerer, aber sie haben bewiesen, dass ihnen das Fach am Herzen liegt. Das ist übrigens ein positiver Nebeneffekt der Selektion: “Auswahlverfahren prüfen auch, welchen Einsatz jemand für ein Studium aufbringen will“, sagt Spiel. Ein gutes Beispiel stammt von der Wiener Publizistik. Das Institut kündigte eine Aufnahmeprüfung an, woraufhin sich viel weniger Bewerber als erwartet meldeten. Aufgrund der fehlenden Aspiranten wurde der Test sogar abgesagt.

4. Raus aus den Schützengräben!

Der rote Reformer Bruno Kreisky führte den freien Hochschulzugang ein – die Hoffnung, dass dadurch die Arbeiterkinder an die Unis strömen, wurde aber nicht erfüllt. In den Hörsälen sitzen vorrangig die Akademikersprösslinge, wir Österreicher vererben unseren Bildungsstand an unseren Nachwuchs. Das Schulsystem siebt die Kinder mit zehn Jahren aus: Die einen dürfen ins Gymnasium, den direkten Weg zur Universität, die anderen landen in der Hauptschule, oft eine Bildungssackgasse.

Hochschulpolitik ist nur ein Teil des Bildungspuzzles. Es ist zu spät, Maturanten ein Chemiestudium einreden zu wollen, wenn sie niemals eine Begeisterung fürs Fach entwickelt haben. Ebenso absurd ist es, die Kinder mit zehn Jahren zu trennen und bei den 18-Jährigen von Bildungschancen zu reden. Hier müssten beide Parteien die ideologischen Schützengräben verlassen. Andere Länder zeigen, welche ambitionierten Ziele man sich setzen kann: Sowohl die Briten als auch die Finnen wollen, dass jeder Zweite inskribiert. Beide Länder haben eine Gesamtschule.

5. Mehr FHs gründen

Es reicht nicht, Zugangsbeschränkungen einzuführen. Die Frage ist, wo in Zukunft all die jungen Leute unterkommen sollen? Eine mögliche Antwort lautet: an der Fachhochschule. So haben es die Finnen gemacht, mehr als die Hälfte ihrer Maturanten studieren an der Ammattikorkeakoulu, der finnischen FH.

Das deckt ein reales Bedürfnis der Studierenden ab: Viele wollen keine wissenschaftliche Laufbahn einschlagen, sondern eine solide Ausbildung für den Arbeitsmarkt erhalten. Der Fachhochschulsektor könnte wesentlich ausgebaut werden. Viele Maturanten würden lieber an einer FH studieren, bekommen aber keinen Platz und gehen zwangsweise an die Uni, die bereits überfüllt ist. Es ist ein weiteres Beispiel, wie man den Stau an den heimischen Universitäten stückweise abbauen kann. Freilich gibt der nordische Staat dafür auch mehr aus: Finnland investiert 1,6 Prozent des BIP in den Hochschulsektor, bei uns sind es noch immer 1,3. Eines soll der Staat nämlich nicht glauben, dass Zugangsbeschränkungen da sind, um Geld zu sparen.

 

Folgende Personen standen als Gesprächspartner zur Verfügung. Wir danken für ihre Auskunftsbereitschaft:

Thomas Estermann, Fachbereichsleiter der European University Association
Osmo Kivinen, Soziologe der Universität Turku
Heinrich Mayr, Rektor der Uni Klagenfurt Hans Pechar, Hochschulforscher der Uni Klagenfurt
Christiane Spiel, Psychologin der Uni Wien
Ulrich Teichler, Soziologe der Uni Kassel
Martin Unger, Soziologe des Instituts für Höhere Studien
Philip Walker, Sprecher des Higher Education Funding Council for England
Georg Winckler, Rektor der Uni Wien

Dieser Artikel erschien im Falter (Ausgabe 4/11). Bild: Wordle

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