„Der Journalismus ist nicht kaputt“

Dass Google den Zeitungshäusern Geld geben soll, hält er für falsch: Richard Gutjahr ist Journalist und Blogger. Er glaubt fest daran, dass die Leser im Netz für einzelne Artikel eigentlich zahlen wollen

Deutsche Verleger wollen Geld von Suchmaschinen, damit diese zu ihren Artikeln verlinken dürfen. Österreichische Zeitungsverleger rufen nach einer höheren Presseförderung, weil Anzeigenerlöse zurückgehen. Eines ist klar: Das herkömmliche Geschäftsmodell des Journalismus funktioniert online nicht mehr und ein neues Konzept fehlt. Richard Gutjahr ist Blogger und Journalist. Er hat kein Verständnis für die Klagen der Verleger, sondern eigene Ideen: Die Branche soll sich zusammenschließen und Centbeträge pro Artikel einheben. So kämen Millionenbeträge zusammen. Gutjahr ist diese Woche zu Gast in Wien und hält einen Vortrag. Vorab sprach der Falter mit ihm über den angeschlagenen Journalismus und die Verblendung der Branche.

Falter: Herr Gutjahr, in Deutschland wird über das sogenannte Leistungsschutzrecht gesprochen. Was halten Sie von der Idee, dass Google die Verlage dafür bezahlt, damit es zu ihren Artikeln verlinken darf?

Richard Gutjahr: Das ist doch der größte Treppenwitz der Geschichte! Jemand bringt einem Kunden, und dann verlangt man Geld dafür. Eigentlich müsste es umgekehrt sein: Google verlangt Geld von den Verlagen, weil der Suchdienst ihnen User herbeischafft. Ohne Leser sind auch die Onlineseiten der Zeitungen nichts wert.

Ihre Idee wird den Verlegern sicher nicht gefallen. Die klagen darüber, dass Google unglaublich viel Geld verdient, dabei tut es doch nichts anderes, als auf ihren Content zu verlinken. Ist das nicht ungerecht?

Die Verlage leisten sich online eine Themenverfehlung. Mit noch mehr Information macht man kein Geld
Gutjahr: Nein, die Verlage leisten sich online eine Themenverfehlung. Im Netz ist Information im Überfluss vorhanden. Mit noch mehr Information macht man kein Geld, sondern indem man dem Kunden eine Übersicht verschafft. Es geht um die bessere Aufbereitung der unendlichen Fülle von Information. Das haben die Verleger bisher nicht verstanden, Google, Facebook und die üblichen Verdächtigen im Silicon Valley allerdings schon.

Und was halten Sie vom Argument, dass Google nicht nur auf fremde Texte verlinkt, sondern auch die ersten paar Sätze dieser Artikel kopiert? Gerade dafür wird ja das sogenannte Leistungsschutzrecht verlangt.

Gutjahr: Nein, niemand kauft gerne die Katze im Sack. Die Verlage verlangen doch auch kein Geld vom Bahnhofskiosk, wenn die Menschen dort am Regal stehen und gratis in den Zeitschriften blättern.

Google hat nun eine Kampagne gegen das Leistungsschutzrecht gestartet und alarmiert die User: “Verteidige dein Netz. Finde weiterhin, was du suchst“. Das wirkt fast schon so, als wäre Google gleichzusetzen mit dem ganzen Internet.

Gutjahr: Stimmt, diese Kampagne ist entsetzlich. Das ist eine billige und unsachgemäße Antwort auf die Verleger. Beide Seiten arbeiten derzeit mit Lobbyismus, mit wahnsinnig viel Geld und Studien. Das finde ich furchtbar, für mich als Konsument zählt am Ende: Wer bietet mir das bessere Produkt? Für welche Dienste habe ich in Zukunft mehr Bedarf? Derzeit steht es für Google 1:0, denn die Google-Dienste bringen mir mehr als die hundertste Kopie irgendeines Nachrichtenagenturtextes.

Verstehen Sie den Unmut der Medienverlage gar nicht? Die verfassen die Inhalte, aber statt ihrer verdient Google in erster Linie daran.

Gutjahr: Soll ich etwa auch Mitleid mit einem Pferdekutscher haben, der bis in alle Zukunft die Kutsche lenken möchte, obwohl gerade das Auto erfunden wurde? Nein. Wir leben in einer Zeit, in der von jedem gefordert wird: Du musst flexibel sein, dich anpassen, lebenslang lernen. Da ist es nicht zu viel verlangt, dass sich auch diese Branche etwas Neues überlegt. Nur weil ihr Geschäftsmodell lange sehr gut funktioniert hat, heißt das nicht, dass es auf alle Ewigkeit so sein muss.

Nur ist der Journalismus kein klassisches Geschäft, sondern erfüllt auch eine demokratische Aufgabe. In Österreich rufen Verleger jetzt nach einer höheren Presseförderung. Soll der Staat notfalls einspringen?

Gutjahr: Nein, das erinnert an die Banken, die sich verzockt haben und sich dann vom Steuerzahler aus der Patsche helfen lassen wollen. Die Verlage haben jahrzehntelang wie die Made im Speck gelebt. In Zeiten des Umbruchs ist es wohl nicht zu viel verlangt, wenn man jetzt einen Teil dieses Geldes investiert, um neue Plattformen für guten Journalismus aufzubauen.

Das Kernproblem ist doch: Für Hardware und Infrastruktur geben User online sehr viel Geld aus. Für Inhalte wie Artikel jedoch nicht. Befinden wir uns nicht in einer Krise des Content?

Gutjahr: Nein, es ist eine Krise der Darreichung dieses Content. Seit zehn Jahren habe ich kein Zeitungsabo mehr, obwohl ich selbst Journalist bin. Gleichzeitig lese ich mindestens dreimal so viel Nachrichten wie früher, weil ich viele Zeitungen durchforste. Ich will mir den Inhalt selbst zusammensuchen dürfen, der für mich relevant ist, und ich würde gerne dafür zahlen. Nur bieten mir die Zeitungen kein schnelles, simples und fair dotiertes Bezahlmodell an. Das haben sie komplett verabsäumt.

Was schlagen Sie denn vor?

Die Zeitungen zwingen einen noch immer, ein ganzes Heft zu kaufen, wenn man einen einzelnen Text lesen möchte
Gutjahr: Schauen Sie, die Welt hat sich gewandelt. Heute gibt es keine starke Parteien- oder Vereinsbindung mehr, ebenso wenig gibt es die Bindung an eine einzelne Zeitung. Man möchte sich flexibel und ungebunden durch diese fragmentierte Welt bewegen. Die Zeitungen zwingen einen aber noch immer dazu, ein ganzes Heft zu kaufen oder gar ein Monatsabo abzuschließen, wenn man einen einzelnen Text lesen möchte. Da sag ich: Nein, danke.

Ihre Lösung wäre also, man zahlt ein paar Cent für einzelne Artikel?

Gutjahr: Genau. Der Verleger Hubert Burda meinte einmal, im Internet könne man nur “lousy pennies“ verdienen. Da liegen die Verleger total falsch! Das sind keine lausigen Pennies, diese kleinen Beträge summieren sich und machen dann riesige Summen aus. Schauen Sie sich nur an, wie viele Milliarden die Mobilfunkbetreiber mit einzelnen SMS-Botschaften eingenommen haben oder wie viel Apple mit iTunes verdient. Wer früher einen einzelnen Song hören wollte, musste im Plattenladen das ganze Album kaufen. Heute reichen zwei Klicks und man kauft das Lied um 99 Cent auf iTunes.

Wollen die Leute wirklich Geld für Nachrichten ausgeben?

Gutjahr: Na klar! Das Geld liegt auf der Straße, Sie müssen es dem Kunden nur leichtmachen, es auch auszugeben. Das zeigt nicht zuletzt das riesige Geschäft mit den Apps. Eines wird jedoch ganz sicher nicht funktionieren: wenn Sie Ihre Hausaufgaben nicht machen und stattdessen die eigenen Kunden beschimpfen. Von wegen, die Menschen wollen alles gratis haben, es herrsche eine Schmarotzermentalität. Das kann nicht gutgehen.

Zahlen die Leute dann wirklich? Die taz hat ein freiwilliges Spendenmodell namens Flattr ausprobiert und damit sagenhaft wenig Geld eingenommen. Zum Schluss waren es nur noch 680 Euro im Monat.

Gutjahr: Flattr ist ein Jungunternehmen aus Skandinavien, das bestenfalls in der Bloggerszene bekannt ist. Damit kann man keine großen Summen einnehmen. Ganz anders wäre das, wenn sich sämtliche Verlage im deutschsprachigen Raum zusammenschlössen. Die müssten sagen: Passt auf, wir gründen ein gemeinsames Micropayment-System, das schnell und einfach zu bedienen ist und mit fairen Preisen arbeitet. Damit könnte man auch amerikanischen Anbietern wie Google oder Facebook etwas entgegensetzen.

Ist die Zeitung für Sie schon ein Ding der Vergangenheit ähnlich der Pferdekutsche?

Gutjahr: Im hochpreisigen Segment sehe ich durchaus eine Renaissance der Printmedien. Im Kaffeehaus, in der Bibliothek oder im Golfclub können Printmagazine durchaus noch lange aufliegen, weil sie ein Luxusprodukt sind. Ihre Funktion als reiner Nachrichtenüberbringer hat die Zeitung aber längst verloren. Derzeit findet ein Wandel von der reinen Nachricht hin zur zeitlosen, tiefgründigen Berichterstattung statt. Der Economist aus London feiert zum Beispiel Auflagenrekorde, weil man das Magazin auch noch drei Monate später lesen kann und es nichts von seiner Relevanz verloren hat. Probieren Sie das einmal mit der Tageszeitung – na, gute Nacht!

Läuft die Debatte falsch? Wir reden sehr viel darüber, wie man die Zeitung vor ihrem Tod bewahren kann. Sollte es stattdessen darum gehen, wie man gute Redaktionen ins digitale Zeitalter rettet?

Gutjahr: Absolut, aber das hängt damit zusammen, ob die Inhalte wertvoll sind. Ich höre derzeit den Ruf: Der Qualitätsjournalismus muss erhalten bleiben! Allein, ich sehe diesen Qualitätsjournalismus kaum noch. Das wahre Problem ist, dass immer mehr Journalisten in die PR abwandern. Und die wenigen verbliebenen Journalisten übernehmen deren PR-Material per Copy-Paste. Manch ein Kollege googelt etwas und glaubt sogar, das sei Recherche. Natürlich wollen die Leute für so etwas nicht zahlen.

Halten sich viele Journalisten für besser, als sie sind?

Es passiert eine große Verblendung in der Branche
Gutjahr: Es passiert zumindest eine große Verblendung in der Branche. Erst als Blogger lernte ich: Wenn ich eine Behauptung aufstelle, muss ich die auch zu 100 Prozent belegen können. Sonst kommt irgendein Schlaumeier daher und weist mir einen Fehler nach. Einer der ersten Sätze, den ich als Rundfunkjournalist eines Qualitätsmediums lernte, war: Macht nix, das versendet sich. Dieser Satz, den jeder Rundfunkjournalist kennt, verdeutlicht das ganze Problem. In Zeiten des Internets versendet sich nichts mehr, die Menschen verlangen zu Recht eine saubere Recherche.

Sie haben vergangene Woche auch Julian Assange, den Gründer von Wikileaks, interviewt. Er ist eine umstrittene Figur, können wir Journalisten trotzdem etwas von ihm lernen?

Gutjahr: Natürlich, eine ganze Menge sogar. Zum Beispiel soll man seine Quellen transparent machen. Als Journalist können Sie sich heute nicht mehr darauf ausreden, dass im Artikel kein Platz war, die Originalstudie anzuführen. Sie setzen einfach einen Link dorthin und jeder kann nachlesen. Julian Assange mag da überkonsequent sein, was bis zur Gefährdung seiner eigenen Quellen führt. Aber ein Tick mehr Transparenz, wie wir und mit welchen Quellen wir arbeiten, würde uns sicher nicht schaden. Oft verschleiern wir unsere Quellen ja nicht deswegen, um jemanden zu schützen, sondern weil wir faul waren. Wir schreiben zum Beispiel, dass immer mehr Deutsche Migräne haben, und denken: Wird schon stimmen. Aber es ist wesentlich mehr Arbeit, eine aussagekräftige Studie zu finden, die das belegt und die nicht von der Pharmaindustrie bezahlt wurde, und diese dann auch noch zu lesen.

Nach den Enthüllungen von Wikileaks kam auch die Frage auf: Wenn diese Seite geheime Informationen zugespielt bekommt, wofür brauchen wir dann noch den Journalismus?

Gutjahr: Die Antwort liefert doch Wikileaks selbst. Was tat Julian Assange, als ihm 250.000 geheime Akten zugespielt wurden? Er suchte Partnermedien, die mit ihm diese Akten Seite für Seite durchgingen, um sie auszuwerten, für das Publikum aufzubereiten und ausschließen zu können, dass Unschuldige mit ihrem Namen bloßgestellt werden. Es wird immer den Bedarf nach einer Institution geben, die aus purer Information brauchbare Berichte macht. Deswegen habe ich als Journalist keine Angst um die Zukunft meines Jobs. Nicht der Journalismus ist kaputt, sondern die Geschäftsmodelle. Und der Bruch wird nicht zwischen neuen oder alten Medien verlaufen, sondern viel simpler: zwischen gutem und schlechtem Journalismus.

 

Zur Person:

Richard Gutjahr, geboren 1974, arbeitet für den Bayrischen Rundfunk als freier Journalist, schreibt für Tageszeitungen und bloggt unter Gutjahr.biz. Die Zeit bezeichnete ihn als Netzjournalist des Jahres 2011. Er war auf Einladung des Forum Journalismus und Medien zu Gast in Wien. derStandard.at führte übrigens auch ein Video-Interview mit ihm.

Dieses Interview erschien im Falter 49/12. Fotos von den Flickr-Usern Anton Porsche, NS Newsflashmeedanphotos. Screenshot von Google News. Portraitfoto von Richard Gutjahr:  Mathias Vietmeier

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