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Wie das Web zerbricht

Max Schrems, Werbeblocker, Google. Die vergangenen Tage zeigten: Das Internet, wie wir es kennen, ist eine fragile Sache.

Wer das Internet für eine gute Erfindung hält, konnte sich vergangene Woche freuen. Es gab gleich zwei exzellente Nachrichten. Erstens (eh klar!): Max Schrems. Der junge Österreicher brachte das “Safe Harbor”-Abkommen vor dem Europäischen Gerichtshof zu Fall. Es war ein Persilschein zum Datensammeln, den die EU-Kommission US-Unternehmen ausgestellt hatte und der europäische Datenschutzbehörden an der Arbeit hinderte. Die zweite Nachricht fand weniger Aufmerksamkeit – ist aber ebenfalls wegweisend: Google testet eine neue Technologie, mit der Websites am Handy schneller laden.

Warum das so relevant ist? Einigen mag das noch nicht aufgefallen sein, aber das Web ist in einer Krise. Schuld ist die Onlinewerbung, die alles lähmt. Speziell am Smartphone laden viele Websites nur langsam, man starrt sekundenlang aufs Handy, ohne dass etwas passiert. Das ist ärgerlich – wir leben ja nicht mehr in 1995, als es normal war, gähnend auf einen ladenden Bildschirm zu starren.

Für die Internetbevölkerung wirft das eine Frage auf: Gefällt uns das, wenn sich Facebook das Netz einverleibt?
Einige Unternehmen sehen diese Krise nun als Chance. Facebook will zur dominanten Plattform des Smartphone- Zeitalters werden, vielfach nicht auf fremde Websites verlinken, sondern Inhalte lieber gleich im eigenen Reich ansiedeln. Schon jetzt speichert Facebook viele Daten auf den eigenen Servern: Nicht nur Babyvideos, Statusmeldungen und Katzenbilder – auch immer mehr Zeitungsartikel schlummern direkt auf den Servern des Netzwerks, sogenannte “Instant Articles”. Medien wie die “New York Times” oder “Der Spiegel” vertrauen Facebook ihre Inhalte an – weil sie dort ohne Wartezeiten angezeigt werden und weil sich diese Medien neue Leser erhoffen. Für die Internetbevölkerung wirft das aber eine Frage auf: Gefällt uns das, wenn sich Facebook das Netz einverleibt?

Im Grunde widerspricht dies dem Internet, wie wir es kennen. Als der Informatiker Tim Berners-Lee vor einem Vierteljahrhundert das “World Wide Web” erfand, schaffte er eine offene Infrastruktur, die jeder kostenlos nutzen und ausbauen konnte. Auch gab Tim Berners-Lee keine engen Regeln vor, wie dieses Web genau aussehen sollte, wofür es genutzt werden durfte und wer letztlich das Sagen hatte.

Die idealistischen Internetpioniere wollten bewusst keine abgeriegelten Plattformen. Mit einem hatten sie aber nicht gerechnet: Dass selbst im Jahr 2015 rentable Geschäftsmodelle für das Web fehlen und dass viele Medien aufdringliche Werbekästchen zulassen, um Kleingeld mit ihren Usern zu verdienen. Die Folge sind Sites mit datenintensiver Werbung. Eine Recherche der “New York Times” ergab, dass auf den 50 wichtigsten Nachrichtenseiten der USA mehr als die Hälfte des Datenvolumens nicht von aufgerufenen Artikeln kommt, sondern von Anzeigen.

Da reiben sich die Manager bei Facebook und Apple die Hände. Ihnen bietet das die historische Gelegenheit, die Marktmacht Googles zu brechen. Facebook will mit “Instant Articels” und eingebetteten Videos User länger auf der eigenen Plattform behalten. Apple bietet eine neue “News”-App an, ein abgeschlossenes Ökosystem für Nachrichtentexte . Seit Kurzem können iPhone-Nutzer auch Werbung ausblenden, die ihnen beispielsweise Google im Browser anzeigt – dank sogenannter “Content Blocker”.

Klingt toll, dass man am iPhone Werbung blockieren kann. Doch Apple und Facebook handeln nicht aus altruistischen Motiven. Sie wollen Googles Geldquelle versickern lassen und lieber selbst – via eigener Infrastruktur – Anzeigen verkaufen. Denn wo kann man keine Werbung blockieren? Auf Facebook und auf Apples “News”-App.

Das Onlinemedium “The Verge” warnt bereits vor einem “langsamen Tod des Web”. Auch Google hat diese Gefahr erkannt -und vergangene Woche AMP vorgestellt, die “Accelerated Mobile Pages”. Mit dieser Technik laden Websites im Eiltempo am Handy. “Jede ausreichend weitentwickelte Technologie ist ununterscheidbar von Magie”, schrieb der Science-Fiction-Autor Arthur C. Clarke. Tatsächlich ist es verblüffend, wie schnell diese Technologie ist.

Bisher befindet sich AMP im Teststadium. Diese Phase wird zeigen, ob das Projekt wirklich so revolutionär ist. Der Suchmaschinenriese sagt, dass Onlinemedien die Technik kostenlos nutzen können und dass ihre Werbungwie bisher angezeigt wird – auch wenn die Werbung gar nicht von Google geliefert wird. “Wir können das Web wieder großartig machen”, verspricht das Unternehmen und verfolgt dabei auch sein Eigeninteresse: Google ist die zentrale Marke im Web. Es hat kein Interesse daran, dass neben dem offenen Web allerlei abgegrenzte Plattformen entstehen.

Wir User wollen dies wohl auch nicht. Das illustriert der Fall Max Schrems. Der Doktoratsstudent kämpft bereits jetzt dagegen an, dass Facebook so viele Daten über seine Mitglieder sammelt und dabei nicht transparent genug vorgeht. Man stelle sich nur vor, wie viele Daten Facebook erst einmal sammeln würde, wenn die Plattform noch unverzichtbarer ist. Genau das macht das Internet so spannend:

Wir wissen alle nicht, wie es in zehn Jahren aussehen wird – ob es weiterhin ein offenes Web gibt oder ein Sammelsurium aus Plattformen, die noch mehr Macht haben. Die Neuigkeiten der vergangenen Woche zeigen zumindest: Wir können das noch mitbestimmen.

 

Dieser Kommentar erschien in profil (Ausgabe 42/15). Foto: pixabay.

Categories: Digitales
Ingrid Brodnig:
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