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“It’s the democracy, stupid!”

Die Politik muss den amerikanischen Überwachern klare Grenzen setzen – sie kann das auch

Plötzlich ist der Albtraum wahr: Das Internet ist ein noch unsicherer, noch überwachterer Ort, als uns bisher bewusst war. Der Guardian, die New York Times und die Rechercheplattform ProPublica berichteten vom bisher extremsten Eingriff in die bürgerlichen Freiheiten im Netz: Laut Dokumenten, die Whistleblower Edward Snowden den Medien zugespielt hat, kann der amerikanische Geheimdienst NSA verschlüsselte Kommunikation vielfach aushorchen.

Das ist das Worst-Case-Szenario: Wir können uns also nicht wirklich vor den Blicken der Geheimdienste verstecken. Selbst Dienste wie Internetbanking oder sogenannte VPN-Verbindungen, die wie Tunnel funktionieren und von vielen Unternehmen zum Schutz ihrer Firmengeheimnisse eingesetzt werden, sind mitunter durchsichtig.

Die klarsten Worte fand IT-Sicherheits-Guru Bruce Schneier: “Die US-Regierung hat das Internet betrogen“, schrieb er im Guardian, dieNSA hätten demnach einen “fundamentalen, gesellschaftlichen Vertrag“ gebrochen. Der Geheimdienst agierte dabei womöglich äußerst illegal. Experten vermuten, dass sich die NSA in fremde Firmennetze hackte und sogenannte “Keys“ stahl, mit denen man die Verschlüsselungsprogramme aufsperren kann. Firmen sollen überdies rechtlich dazu gezwungen worden sein, Hintertüren in ihre eigenen Geräte und Programme einzubauen – sofern sie nicht ohnehin bereitwillig mitmachten.

Natürlich ist nun nicht jede Technologie unbrauchbar, manche Verschlüsselungsformen bieten vermutlich weiterhin Schutz. Doch gerade die gängigsten Methoden, etwa das Sicherheitsprotokoll SSL, mit dem Millionen von Webseiten geschützt werden, sind geknackt.

Sicherheitsexperte Schneier ruft nun seine Programmiererfreunde auf, Standards und Tools, sogar das gesamte Internet “neu zu entwerfen“. Eine guter Ansatz, aber Technik allein kann nicht die Lösung sein. Es geht um bessere Gesetze und um Rechtsstaatlichkeit.

Heute müsste es heißen: “It’s the democracy, stupid“, da die Vereinigten Staaten offensichtlich schwere demokratische Defizite aufweisen.
“It’s the economy, stupid!“ Mit diesem Wahlkampfslogan gewann Bill Clinton 1992 die US-Präsidentschaftswahlen, als das Land in einer wirtschaftlichen Flaute steckte. Heute müsste es heißen: “It’s the democracy, stupid“, da die Vereinigten Staaten offensichtlich schwere demokratische Defizite aufweisen. Die NSA macht weitaus mehr, als es der Gesetzgeber vorgesehen hat, bricht nicht nur europäische Gesetze, sondern womöglich auch amerikanische.

Ohnmächtig ist die Politik jedoch keineswegs, auch Europa könnte einiges tun – zunehmend merken das die Politiker sogar. Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) hat am Freitag einen “nationalen Aktionsplan zum Schutz der Privatsphäre“ angeregt. Ihr Papier enthält einige interessante Ansätze, etwa soll das sogenannte Safe Harbor Agreement hinterfragt werden, die EU prüft dieses Abkommen bereits. Auf dem Papier verspricht es den europäischen Bürgern einen “safe harbor“, also einen sicheren Hafen, in dem ihre Daten gelagert und von den Internetfirmen nicht einfach weitergereicht werden. Doch diese Abmachung sieht keinerlei Sanktionsmechanismen oder Kontrollinstanzen vor. Wie massiv dagegen verstoßen wird, zeigen die jüngsten Enthüllungen. Safe Harbor gehört aufgekündigt – bis auf die ÖVP sind übrigens alle österreichischen Parlamentsparteien dafür, vielleicht kann Justizministerin Karl hier noch etwas Überzeugungsarbeit leisten.

Die Aufkündigung von Safe Harbor ist erst der Anfang: Im Europäischen Parlament wird gerade über die sogenannte Datenschutzverordnung verhandelt. Im Oktober soll der Entwurf den Grundrechtsausschuss passieren – inklusive einer wichtigen Passage. Der sogenannte “Artikel 42“ soll wieder eingefügt werden, obwohl die USA dagegen Druck gemacht haben.

Was bringt diese Passage? Demnach dürfte kein Gericht und keine Behörde außerhalb der EU die Herausgabe von persönlichen Daten europäischer Bürger erzwingen, ohne dass es eine klare Rechtsgrundlage dafür und die Zustimmung der Datenschutzbehörden in Europa gibt. Klingt kompliziert, heißt aber: Die USA dürfen sich nicht einfach europäische Daten krallen, ohne vorher in Europa nachgefragt zu haben. Verstößt ein IT-Konzern dagegen, drohen ihm hohe Strafzahlungen von bis zu zwei Prozent des weltweiten Jahresumsatzes.

Die Grünen und Sozialdemokraten kämpfen im Europäischen Parlament für eine effektive Datenschutzverordnung, doch selbst ihre Einführung sowie die Aufkündigung des Safe-Harbor-Abkommens sind noch nicht genug. Vor allem müssen die USA reagieren. Mittlerweile räumt sogar Präsident Barack Obama potenzielle Fehler ein und spricht von “berechtigten Fragen, ob unsere derzeitigen Gesetze womöglich nicht genug Schutz vor den Gefahren bieten, die entstehen, weil wir so viel aufzeichnen können“.

Die NSA gehört unter stärkere demokratische Kontrolle. Im Kongress fordern das immer mehr Abgeordnete, die nach den jüngsten Enthüllungen noch lauter werden. Dies ist eines der wichtigsten politischen Gefechte des 21. Jahrhunderts: So wie im 19. Jahrhundert um das Briefgeheimnis und die Meinungsfreiheit gekämpft wurde, müssen Bürger und Politiker nun das Recht auf digitale Heimeligkeit und Selbstbestimmung einfordern. Von E-Banking bis zur journalistischen Recherche ist unsere Freiheit im Netz tatsächlich gefährdet. Das Internet muss und es kann auch wieder zu jenem Ort werden, der es sein sollte: ein Ort, an dem Grundrechte gelten.

 

Dieser Kommentar ist im Falter (Ausgabe 37/13) erschienen. Illustration: PM Hoffmann

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  • liebe ingrid, schön, dass es dich gibt! jede woche lese ich genussvoll deine kolumne und diesmal- ja es passt jedes wort- die nicht liker sind dieselben leute, die auch am gang nicht grüßen! klar- ja, denen fehlt es am emphatie und dass der like -knopft ist wie das lächelen des internets------ das kling wie eine wunderbare musik in den ohren- würde ich so gerne dir ein paar likes schenken! bleibe dir treu und stark wie du bist und macht deinen weg! ganz lg grüße irena

  • Vielen Dank für die ausführliche Behandlung des Themas. Damit sollten nun wirklich alle Fragen beantwortet sein.

    Ich weiß den Aufwand zu schätzen!

    Gottfried

  • 1.) Das ist natürliche eine Auslegungsmöglichkeit, eine Einzelmeinung, die von StA od. vom Ministerium völlig anders ausgelegt werden kann und durch einen "Erlass" völlig anders regeln kann.

    2.) was in Ö nicht gespeichert wird, wird oftmals im Ausland gespeichert (anderswo gibts auch die #dvs) sodass man sich halt von anderen Ländern wie D mittels Verfahrenshilfe (oder CD-Ankauf) die Infos holt.

    3.) auch bei nicht-schweren Straftaten oder Nicht-Straftaten stellt man einfach einen fingierten oder übertriebenen "Verdacht" in den Raum, sodass man die Daten auch Unschuldiger (oftmals Dissidenten bzw. Andersdenkender) auswertet. Das ist ein ur-, ur-alter Schmäh in der Juristerei.

  • Hast mein volles Mitgefühl.
    So war es für mich als man (Verbrecher) mein Rad klauten

  • ich finde es sehr schön den herrn piraten mit seinem eigenen businessmodell zu konfrontieren. das will er dann auch nicht: wie ein künstler bezahlt werden.
    ich kann ihm auch nur raten, einmal flattr auszuprobieren. wenn er sich davon ein bier im halbjahr leisten kann, hat er glück.
    so sehr ich gegen panikmache und kriminalisierungen bin, die lösungen der piraten sind nicht im geringsten tauglich.

  • Der Pirat ist völlig vernebelt mit seinem "huuuuuh, Interneeeet! Und Flattr-Cents & CC retten uns alle" und Clara Luzia pocht (mir) zu sehr auf "Wenn du Musik hören willst, zahl dafür".

    Erst einmal, was ist das für ein Ansatz "wovon sollen professionelle Musiker leben?".
    Ist man nicht dann erst professionell, WENN man davon lebt?
    Was soll dieses Berufsmusikertumdingens-ho​chgehalte? Wenn man davon leben kann, ist es großartig, aber wenn nicht, muss man sich halt tatsächlich andere Wege suchen, "an das Geld der Fans zu kommen"; sei es Merchandise oder besondere nichtdigitale Extras beim Album oder besondere Livequalitäten/"eine gute Show" oder sich reicherem, (älterem?) Publikum anbiedern oder oder.
    Oder man ist halt nicht "Berufsmusiker" und muss sich wie viele andere Künstler aus anderen Bereichen mit Nebenerwerben oder Auftragsarbeiten durchschlagen.
    Das kann einfach nicht mehr Rückgängig gemacht werden.
    Es "wird" doch heutzutage nicht ernsthaft jemand MusikerIn, im Glauben, vom Verkauf von Alben leben zu können..?

    Es ist schade, dass Musik oft nicht gewertschätzt wird, DAS sollte sich tatsächlich ändern. Aber in einer Zeit, wo jede_r, der Musik machen will und ein paar hundert Euro in einen PC/Instrumente investieren kann, auch Musik machen kann, ist jammern auch das falsche. Der Kuchen ist ja gleich groß, bzw. kleiner - er wird aber in viiiiiel mehr kleine Stücke geteilt.

    (Und einer der erfolgreichsten Acts des Landes zu sein, reicht heutzutage natürlich nicht aus, wenn dieses Land die Größe von Österreich hat man und außerhalb des FM4-Universums wenig Aufmerksakeit bekommt...ich weiß ja nicht mehr genau, wie es "vor dem Internet" war, aber ich behaupte mal, dass es vor 20 Jahren nicht so viele österreichische Acts gab, die außerhalb der Landesgrenzen Beachtung bekamen..?)

    • stimmt, doch das mit den paar hundert euro stimmt überhaupt nicht, klar kannst Du musik machen mit billigsdorfer ausrüstung, doch das klingt dann eben jämmerlich, noch ist es nicht möglich nur annähernd den sound zu schaffen, der in millionenteuren studios produziert wird. eine akustische gitarre die wirklich gut klingt kostet minimum 3000 euro. eine komplette adäquat klingende CD mit 11 songs kostet an die 40 000 Euro. marketing ist da noch keines dabei und don't forget wer bezahlt die musiker, techniker und co., als einzelindividuum kannst Du vieles selber erreichen, doch es ist ein unterschied ob Du dich auskennst mit soundtechnik oder dies als beruf ausübst, ergo wird die qualität der musik vorerst rapide zurückgehen. wirklich begabte musiker werden zu beginn das handtuch werfen, denn wer will sich das ganze noch geben, es wurde durch die gratismentalität noch schwieriger sich gegen konzerne und gaballiers als auch ötzis durchzusetzen, denn nur wer das geld hat kann sich qualität leisten, der rest kann bleiben wo der pfeffer wächst und wer wirklich eine ahnung hat von der materie wird sich nicht die blösse geben ein home recording konstrukt anzubieten, geschweige denn dass man sich das selber anhören will, klingt eben shei....e, und die , die das gegenteil behaupten, kennen sich eben nicht aus, es gibt ja auch bei castingshows leute, die denken superstars zu sein und verstehen die welt nicht mehr wenn sie zur sau gemacht werden. dennoch hast Du gute ansätze in Deinem posting, lg

      • mein hobby kostet bisher auch leicht 20.000,- ich nenne mich deshalb aber nicht profesioneller radrennfahrer und jammere über die geringen preisgelder bzw mangelnde sponsoringverträge...

        • nicht alles was hinkt....
          Dass dein Hobby dich eine gewisse Menge Geld gekostet hat, ist zwar schön, hat aber nicht das geringste mit dem Thema zu tun. Die Begriffe "Professionalisierung" und "erfolgreich" sind im Gegensatz zu dir als Rennradfahrer von aussen zugeschriebene und hinsichtilch Marktdurchdringung und kultureller Identität legitime Begriffe. Wenn du Rennrad fährst, interessiert das abgesehen von deinen Angehörigen wahrscheinlich niemanden, wenn CL´s Album ins Netz gestellt wir, werden 10.000 Downloads getätigt. You see??

  • Interessantes Interview der liebe Herr Kopaczynski argumentiert mMn sehr schwach - kann auch sein dass da Argumentationslücken der Piraten widergespiegelt werden.

    Was mir fehlt ist allerdings die Diskussion über Vertriebswege/modelle von Musik per se z.B. Frage an C.L. "Wieviel Geld bekommst Du raus beim Albumverkauf um €10?"

  • Als Urheber meine ich mittlerweile: Jeder Generation das Recht auf Utopie. Unverständlich ist allerdings, dass die Piraten bislang nicht in der Lage sind, den §42 des Urheberrechts sinnerfassend zu lesen. Das Recht auf Privatkopie existiert seit den sechziger Jahren!

    Eindeutig NICHT privat ist natürlich, wenn man ein geschütztes Werk (dessen Veröffentlichungsrecht man nicht hat) ins web stellt und so einen schwarzen Gratis-Vertriebskanal zu geschätzten 2 Milliarden potenzieller Konsumenten eröffnet. Das sollte auch jedem Teenager einleuchten. Und wenn nicht, sind die Erziehungsberechtigten gefordert. Man lässt Kinder ja auch nicht die Autobahn überqueren.

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