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Wir sitzen in der Amazon-Falle

Leiharbeiter werden aus Spanien und Polen herbeigekarrt, von einem Sicherheitsdienst überwacht und eingeschüchtert und mit einem Hungerlohn bezahlt. Ein erschütterndes Bild zeichnet die ARD-Reportage “Ausgeliefert! Leiharbeiter bei Amazon” und sorgt für heftige Debatten. Als Kunde bekommt man den Eindruck: Wenn etwas saugünstig ist, hat das seinen Preis – den im Fall Amazon die armen Leiharbeiter bezahlen müssen.

Jetzt regen sich die Konsumenten auf. Heben wütend die Faust, drohen auf Facebook und Twitter mit dem Löschen ihres Kundenprofils. Ein echter Shitstorm ist ausgebrochen. Aber wie mächtig sind die Konsumenten wirklich? Und wie konsequent ist ihr Protest? Die Futurezone berichtet zum Beispiel, dass viele User eher eine “Bestell-Pause” machen als ihr Amazon-Konto tatsächlich zu löschen. Das ist wenig überraschend: Natürlich gibt es Alternativen zu Amazon, aber keinen vergleichbaren riesigen Online-Einkaufsladen, der alles Mögliche von Technik bis Haushaltswaren führt, und überdies glaubwürdig ethisch korrekt handelt. Falls es ihn doch gibt: Ich bitte um Empfehlungen!

Die Situation ist nun besonders perfide: Viele Kunden schimpfen zwar, sitzen aber in der Falle – so wie ich selbst. Sie haben sich um 79 bis 189 Euro einen Kindle gekauft, einen der eBook-Reader von Amazon. Jetzt stellen sie entsetzt fest: Wer einen Kindle besitzt, kann nur Bücher aus dem Amazon-Shop lesen. Alle anderen Formate unterstützt das Gerät nicht automatisch – man kann diese Dateien bestenfalls umwandeln lassen. Das Kalkül ist offensichtlich: Die Kindle-Benutzer sollen gar nicht die Möglichkeit haben, auf andere Händler auszuweichen.

Gefangen: Die Kindle-User

Das ist die Gefahr sogenannter proprietärer, also geschlossener Systeme. Viele Technik-Firmen sperren ihre Kunden bewusst ein. Auch Apple macht am iPhone und iPad strikte Vorgaben, welche Formate und welche Programme darauf laufen dürfen. Da werden weder Webseiten mit Flash unterstützt, noch Apps mit zu politischem Inhalt zugelassen.

Freiere Software? Die gäbe es natürlich. Etwa Handys oder Lesegeräte mit dem Google-Betriebssystem Android, das mehr Spielereien und Freiheiten zulässt. Auch die Kobo Reader des gleichnamigen Herstellers sind eine Alternative, auch sie können Bücher im ePub-Format lesen, die etliche Shops anbieten.

Doch viele Kunden liefern sich – wie ich selbst – Amazon oder Apple aus, weil deren Geräte so praktisch sind. Ein Klick und die App oder das eBook ist am Gerät! Der Fall Amazon zeigt nun: Auch dieses Service hat seinen Preis. Für mehr Bequemlichkeit zahlen wir mit unserer Freiheit. Das mag angenehm sein, solange Amazon einen guten Ruf genießt. Doch jetzt, wenn der Shitstorm tobt, merken wir: Wir sitzen mittendrin.

 

In ähnlicher Form kommentierte ich dieses Thema übrigens auch im Falter 8/13, dessen Cover-Story Amazon behandelt. Illu: Oliver Hofmann

 

 

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  • Liebe Ingrid Brodnig!
    So ein Glück, dass ich wieder am Radio gepickt bin https://oe1.orf.at/artikel/437477

    Diesmal wollte ich Ihr Buch "Hass im Netz" zuerst lesen, bevor ich mich öffentlich für Sie freue. Was mich beim Interview gleich hellhörig gemacht hat, war der starke Einstieg: Das persönliche Gegenüber, der Augenkontakt erleichtern einen respektvollen Austausch! Und im Buch habe ich super brauchbare Tipps bekommen, von der Weiterbildung in der Online-Welt ganz abgesehen.

    Im Kepler Salon in Linz werden Sie sicher viele Freunde gewinnen http://www.kepler-salon.at/de/Veranstaltungen/Hass-im-Netz.-Was-wir-gegen-Hetze-Mobbing-und-Luegen-tun-koennen

    Ich werde inzwischen Ihr Buch lebhaft verschenken und weiterempfehlen.
    Herzlich, Heidemarie

    PS: hab' übrigens bei meinem Buchhändler auch ein witziges Vorlesebuch mit einem sympathischen Troll eingepackt http://www.lunamag.de/2016/03/07/neue-kinderbuecher/#!

  • Auch "Profil" entlohnt seine freien Mitarbeiter sehr schlecht!

  • Und WAS, wenn UNSER SYSTHEM durch die "Belohnungen" der Lügner LÜGNER produziert ?
    Jedes Kindergartenkind
    wird es Ihnen sagen:
    "Das Fernseh'n lügt ".

  • ich denke mir, da fehlt was, dieser Artikel behandelt meiner Meinung nach nur oberflächlich eine Seite, also die Lügen. was aber überhaupt nicht angesprochen wird ist die Wahrheit, die immer die Basis bildet und lediglich weitergestrickt, übertrieben usw ... wird. der Misstrauen, die Unzufriedenheit etc. ist extrem groß in unseren "westlichen" Gesellschaften, diese kommt nicht von Ungefähr und ist auch nicht unbegründet. wer sich diesem einfach nur über die Lügengeschichten nähert, wird dem Thema nicht gerecht. die Wahrheit ist nämlich furchterregend genug, wie manche einbilden ihre eigenen Interessen der Welt aufzubomben. die Lügengeschichten und Propaganda nur irgendwelchen Untergrundseiten zuzuordnen ist mMn schon ein großer Fehler!

  • Sehr geehrte Frau Brodnig,

    vielen Dank für Ihren Vortrag bei uns am Gymnasium. Ihr Vortrag ist Teil der Medienkompetenzentwicklung bei uns an der Schule und unterstützt unsere Schülerinnen und Schüler kritisch mit Medien umzugehen.

    Ich habe Ihnen eine E-Mail geschrieben und hoffe sie hat sie erreicht.

    Viele Grüße
    Uwe Kranz

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