Strategisch diskutieren – mein Vortrag von der re:publica
Nun online: Wie kann man auf Falschmeldungen rund um Klimakrise, Coronavirus und Migration geschickt reagieren? (Transkript & Video)
Egal um welche Streitthemen es geht, um die Coronakrise, um die Klimakrise, um Migration. Wenn Debatten erhitzt sind, dann lassen sich oft ähnliche rhetorische Tricks beobachten: Die Art, wie Diskussionen in eine Richtung gelenkt werden oder auch wie Fakten beiseitegeschoben, kleingeredet werden, die ist universell. Und das heißt aber auch, wenn man die rhetorischen Mechanismen in einem Themengebiet analysiert, dann kann man das gewonnene Wissen auf andere Bereiche umlegen. Darüber werde ich heute sprechen: Erstens, welche rhetorischen Mechanismen lassen sich identifizieren? Dann: Wie antworte ich auf so etwas? Und drittens: Was ist strategisches Diskutieren, was sind zum Beispiel Gradmesser, wann es sich lohnt meine Zeit in eine Debatte zu investieren?
Gehen wir gleich auf den ersten Mechanismus ein: In vielen Debatten geht es nicht um die Statistik, um den größeren gesellschaftlichen Überblick, sondern es geht um persönliche Erfahrungen um Momentanaufnahmen. Das nennt man anekdotische Beweisführung. Vielleicht erinnern sich manche an dieser Ausgabe der Sendung „Die letzte Instanz“, wo fünf Weiße über diskriminierende Sprache diskutieren, über rassistische Worte. Und sie kommen zum Ergebnis: Die kann man weiterhin verwenden, das ist kein Problem. Die Schauspielerin Janine Kunze sagt in der Sendung zum Beispiel: „(…) ich find’s nervig, ich habe sehr viele, was dürfen jetzt sagen, farbige, afroamerikanische Freunde, die haben noch nie in ihrem Leben darüber nachgedacht, ob sie sich beleidigt fühlen, wenn…“ Und dann sagt sie so ein Wort.
Das ist anekdotische Beweisführung: Kunze bringt keine repräsentative Umfrage, sondern sie behauptet in ihrem Freund*innenkreis sei das so oder so. Das lässt sich jetzt schwer überprüfen, und außerdem, es hat null Aussagekraft. Aber Anekdoten sind anschaulich. Politiker*innen lernen in Rhetorikseminaren: Der Fall schlägt die Fälle. Das heißt, wenn die eine Person mit einer Statistik kommt und die andere Person kommt mit einer persönlichen Geschichte, dann ist oft die persönliche Geschichte anschaulicher.
Besonders deutlich wird das Problem der anekdotischen Beweisführung, wenn es zwar wissenschaftliche Fakten gibt – aber dieser größere Trend, diese Erkenntnisse kleingeredet werden basierend auf dem, was jemand im Umfeld erlebt hat. Vielleicht erinnern sich manche: Zu Beginn der Coronavirus-Pandemie sagten Leute: „In meinem Umfeld ist niemand an Corona erkrankt.“ Und so wurde suggeriert, das Virus ist vielleicht kein großes Thema.
Martin Rutter auf Facebook
Ein Beispiel von Facebook: Das ist ein Posting von Martin Rutter, einem der führenden Köpfe der österreichischen Corona-Demos. Am 14. Juni 2020 schreibt er: „Ich kenne NIEMANDEN PERSÖNLICH der Corona hatte. Ich kenne NIEMANDEN DER JEMANDEN ANDEREN KENNT der Corona hatte! #P(L)ANDEMIE“
Die Argumentation lautet sinngemäß: Vielleicht gibt es die Pandemie gar nicht, weil ich kenne niemandem mit dem Virus. Und was dann passiert ist: Ab dem Sommer und nach dem Sommer stieg die Zahl der Infektionen rasant und es wurde statistisch durchaus wahrscheinlich, dass Leute auch wen kennen, der oder die an Corona erkrankte. Und jetzt postete Martin Rutter am 17. November 2020: „Die ‚schlimmste PLANdemie‘ der Welt und ich kenne NOCH immer KEINEN der daran erkrankt oder gestorben sein soll persönlich… DU?“
Ich finde das interessant: Jetzt wurde nicht nur gefragt, ob man wen Infizierten kennt, sondern auch nach Todesfällen. Und als Leute dann sehr wohl sagten, sie kennen Infizierte oder gar wen, der oder die gestorben ist, dann hat Martin Rutter allen Ernstes geantwortet: „Ich denke manche Leute die Dinge erzählen wollten sich auch nur ‚wichtig‘ machen“. Das ist eigentlich furchtbar ¬– ich finde das sehr zynisch, weil in dieser Pandemie sterben tatsächlich Menschen. Wie kann man auf solche anekdotische Beweisführung reagieren?
Mein erster Tipp ist: Oft helfen Alltagsvergleiche, die veranschaulichen, wie unlogisch ein Argument ist. Zum Beispiel: Ich kenne niemanden persönlich, der oder die am Coronavirus gestorben ist. Aber ich kenne auch niemanden, der oder die bei einem Autounfall ums Leben kam – und trotzdem ist ziemlich klar, Autounfälle können gefährlich sein. Das nennt man ein „parallel argument“, eine spiegelgleiche Argumentation, bei der man die Logik aus einem Themenbereich noch mal in einem anderen Themenbereich wiederholt und zeigt, wie unschlüssig das ist.
Der zweite Tipp: Manchmal hilft es auch, auf Anekdoten mit Anekdoten zu reagieren, weil die Anekdote greifbar ist. Und der Einsatz von Anekdoten ist durchaus fair, wenn die Anekdote die Gesamtstatistik widerspiegelt, wenn sie diese untermauert.
Ein Problem in dieser Debatte ist ja auch, dass in vielen Debatten die Grenze zwischen Meinung und Tatsachen verwischt wird. Das bringt mich zu Alexander Gauland. Er redet immer wieder den Stand der Klimaforschung klein, zum Beispiel hat am 18. September 2019 beim Wahlkampfauftakt der AfD in Thüringen gesagt: „Auch wenn Sie aus den Medien ständig etwas anderes hören: Es gibt keine gesicherten Erkenntnisse über eine durch den Menschen verursachte Erderwärmung, was es gibt, ist eine politisch motivierte Panikmache“.
Das ist falsch – genauer gesagt, das IPCC, die Fachgruppe von Klimaforschenden unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen, ist schon vor Jahren zum Ergebnis gekommen, dass die Erde heißer wird und dass mit 95 prozentiger Wahrscheinlichkeit der Mensch die Ursache davon ist. Gauland gibt hier den Stand der Forschung falsch wieder. Aber achten Sie darauf, was er genau sagt: Er sagt, es gibt keine „gesicherten“ Erkenntnisse. Das sind „impossible expectations“, also ziemlich schwer erfüllbare Erwartungen, die er da äußert: Weil die Wissenschaft, die gibt keine 100-prozentige Gewissheit, die gibt keine Wahrheit, sondern in der Regel beziffert sie Wahrscheinlichkeiten – und wenn die Klimaforschung von einer 95-prozentigen Wahrscheinlichkeit spricht, dann ist das für Forschung schon extrem viel. Mit dem Trick „mir persönlich sind noch nicht genug Daten da“ kann man jede Warnung aus der Forschung kleinreden. Das ist so wie wenn man aus dem Fenster fällt und Forschende warnen: „Achtung in zwölf bis 15 Sekunden prallen Sie auf dem Boden auf – und man antwortet: ‚Bitte melden Sie sich erst wieder, wenn Sie es genau wissen.“
Zeichnung von John Cook, siehe crankyuncle.com
Das ist aber nicht sonderlich lustig, weil in dieser Metapher sind wir, also wir uns unser Planet, diejenigen, die nach unten fallen. Weil es ein Sinnbild für die Erderhitzung ist. Diese Zeichnung stammt von John Cook, der ist Kognitionswissenschaftler, und viele dieser Begriffe „impossible expectations“, „anekdotische Beweisführung“, habe ich von ihm. Er ist nämlich spezialisiert auf die Frage, wie Wissenschaftsleugnung und auch unsinnige Argumente genau funktionieren. John Cook und andere Forschende vertreten den Ansatz, man soll rhetorische Tricks und auch wiederkehrende logische Fehlschlüsse Menschen erklären. Denn wenn man das bei einer Sache verstanden hat, kann man diese Fehlschlüsse auch in anderen Themengebieten erkennen. Diese Methode nennt sich „inocculation“, Inokkulation auf Deutsch. Die Idee ist, indem man solche rhetorischen Kniffe erklärt, baut man gewissermaßen Abwehrkräfte gegen unsinnige Argumente auf. Es ist wie eine rhetorische Schutzimpfung. Und ich empfehle wirklich sehr, die Webseiten und Online-Videos von John Cook anzusehen, weil er wirklich viele dieser rhetorischen Methoden sehr anschaulich macht. Ich habe ihn auch für mein Buch „Einspruch“ befragt, welches Tipps gibt für das Diskutieren in schwierigen Situationen. Er hat mir etwas Interessantes erzählt: „Es ist kognitiv harte Arbeit, solche Irrtümer zu dekonstruieren und zu identifizieren. Man muss gedanklich innehalten und intensiv über die Argumentation nachdenken. Das ist eine Fertigkeit. Es ist ähnlich, wie wenn man Akkorde auf der Gitarre lernt, man kann das wahrscheinlich in ein, zwei Stunden bewerkstelligen. Aber das Gitarrenspiel wirklich zu meistern, das kann Jahre dauern.“
Das Zitat zeigt, wie mühsam es ist zu diskutieren. Wie schwer es oft ist, die fehlende Logik eines Argumentes zu erkennen und dann anderen zu erklären. Aber mir gefällt besonders gut der Teil mit der Gitarre, weil es bedeutet auch: Diskutieren ist Übungssache. Die meisten von uns sind keine Naturtalente, auch ich nicht, aber man kann dazulernen. Das ist das Schöne. Wenn ich also merke, jemand bringt falsche oder umstrittene Behauptungen ein, wie kann ich reagieren? Was sind Möglichkeiten beim Antworten? Dazu ein Beispiel: Ich bin Journalistin und ich recherchiere immer wieder auf Coronademos.
Ich war zum Beispiel auf einer dieser großen Coronademos im August 2020 in Berlin und ich habe dort mit Menschen gesprochen, die für mich eher wie Durchschnittsbürger*innen wirkten. Warum sind die hier? Wie denken die über das Virus? Mir erzählte eine Frau, Mitte 50, Lehrerin aus Baden-Württemberg, einige Falschmeldungen. Und sie sagte dann auch, sie hat Sorge vor den PCR-Tests – also diese Tests, wo man häufig ein Stäbchen in die Nase geschoben bekommt, um zu schauen, ob man mit dem Virus infiziert ist. Und sie meinte, sie beunruhige diese Tests auch, weil „die dann meine DNA haben – was machen die damit“? Ich war ganz erstaunt und fragte nach: „Was glauben Sie denn, was mit ihrer DNA passiert?“ Und sie sagte wirklich ganz besorgt: „Ich weiß es nicht!“ Das finde ich so beeindruckend, dass die Frau nicht einmal einen konkreten Vorwurf formulierte, aber mal mit einer Frage den Vorwurf in den Raum stelltem es könnte etwas Böses sein.
Da sieht man, dass Fragen auch wie ein trojanisches Pferd sein können, in denen innen drinnen ein Vorwurf steckt. Im Englischen nennt man das eine „loaded question“, eine Frage, die eine kontroverse Behauptung in sich birgt. In der „Zeit“ hat die Journalistin Maja Beckers das mal in einem erstklassigen Essay beschrieben: Seine Unterstellungen (…) in eine Fragen zu gießen, heißt, sie weniger angreifbar zu machen. Wer fragt, kann kaum der Lüge überführt werden. Man fragt ja nur, und die Frage liegt jenseits von Kategorien wie wahr oder falsch“. Wichtig erscheint mir auch: Wer fragt, der oder die lenkt oft ein Gespräch.
Die Frage ähnelt einem Scheinwerfer, der dorthin leuchtet, worüber wir diskutieren wollen. Das ist auch eine Schwierigkeit, die ich mit vielen Talkshow-Themen habe, weil hier mit loaded questions kokettiert wird. Zum Beispiel fand am 5. Oktober 2020 die „Hart aber fair“-Sendung mit dem Titel „Streit um die Sprache: Was darf man noch sagen und was besser nicht?“ statt. Und im Untertitel hieß es dann noch: „Man darf nicht mehr alles sagen, warnen die einen und wittern Zensur! Die anderen meinen: Von wegen (…)! Wer hat Recht? Und wer zensiert da wen, grenzt aus, schafft Tabus und Verbote?“
„Wer zensiert da wen“, das ist eine loaded question, die gedanklich bereits die Idee aufnimmt, es gäbe eine Zensur, es gäbe Verbote. Man kann natürlich so etwas fragen, aber damit lenkt man die Debatte in eine gewisse Richtung. Und irgendein armer Mensch muss dann in dieser Talkshow zum x-ten Mal erklären, dass Kritik keine Zensur ist, dass Widerspruch nicht bedeutet, dass von jemandem die Meinung eingeschränkt wurde. Ganz im Gegenteil: Meinungsfreiheit bedeutet, dass andere einem auch widersprechen können.
Fragen sind rhetorische Instrumente, die den Scheinwerfer der öffentlichen Debatte wohin lenken. Wenn man die Macht des Fragestellens verstanden hat, fängt man mehr und mehr an, darüber nachzudenken: In unserer öffentlichen Debatte, welche Fragen diskutieren wir und welche sollten wir mehr diskutieren?
Fragen können zum Nachdenken bringen – Illustration von Marie-Pascale Gafinen
Aber nicht nur in der öffentlichen Debatte ist dieses Achten auf Fragen wichtig, auch im persönlichen Gespräch ist Fragenstellen ein wertvolles Instrument. Es ist manchmal effizienter als das Dagegenhalten. Ein Beispiel: Der Vater einer Bekannten von mir glaubt an ziemlich viele Verschwörungserzählungen. Er schickt seinen erwachsenen Kindern Artikel von Webseiten, die behaupten, die Klimakrise gäbe es gar nicht oder Donald Trump sei ein Held, der gegen irgendeine dunkle Elite kämpft. Eigentlich ist der Vater meiner Bekannten Sozialdemokrat, aber was er seit ein paar Jahren erzählt, das ist mehr von einer rechten Drohkulisse geprägt. Auch der Wissenschaft misstraut er regelrecht. Und meine Bekannte merkte in der Coronakrise, dass ihr Vater begonnen hatte, Chlordioxid verdünnt mit Wasser zu trinken. Das ist ein Bleich- und Desinfektionsmittel. Ihr Vater meint, das schütze vor dem Coronavirus. Achtung: das ist eine Falschmeldung. Es ist zutiefst gefährlich, Bleich- oder Desinfektionsmittel zu trinken, damit kann man den Körper von ihnen verätzen. Es gibt ein super Video von maiLab, das das erklärt: Auf jeden Fall ist es schwer, dem Vater zu kontern, weil er sehr eloquent ist und auch sehr überzeugt. Meine Bekannte erzählte: Das einzige Mal, wo er nur ansatzweise ins Zweifeln gekommen ist, war der Moment, als ihre Schwägerin ganz einfach nachfragte. Sie stellte Fragen wie: Wie kommst du zu diesem Schluss? Warum glaubst du, machen die das? Und durch das respektvolle Nachfragen kann er mit seiner eigenen Argumentation regelrecht ins Stottern. Das heißt nicht, dass er daraufhin seine Weltsicht überdacht hat, nein, aber es war ein interessanter Moment, weil er doch kurz stutzig wurde. Ich erzähle das in meinem Buch genauer, aber ich denke:
Die Frage ist kein Wundermittel. Nur wenn ich merke, in einer Diskussion stoße ich an, Fakten prallen ab, kann ich überlegen, mit Fragen die Dynamik zu ändern. Zu fragen: Woher hast du das? Warum glaubst du gerade dieser Person? Womöglich ist es für Menschen manchmal leichter, sich solchen Fragen zu stellen als Argumenten, die ihnen widersprechen. Das funktioniert natürlich nicht immer. Es braucht dafür ein Gegenüber, das noch ansatzweise bereit ist, sich solchen Fragen zu stellen, aber manchmal ist die Frage ein gutes Instrument, um gemeinsam mit Gegenüber über auch die Unschlüssigkeit einer Erzählung näher zu beleuchten. Das ist übrigens die Methode des sokratischen Dialogs, wo Fragen auf ein Erkenntnisgewinn zu steuern.
Strategisches Diskutieren bedeutet für mich, dass man sehr stark überlegt, welche Debatten sind meine Zeit wert?
Side-step: Die Nachfrage ist generell ein super rhetorisches Instrument, wenn man zum Beispiel erzählt bekommt, alle Coronatests seien eine Fälschung, und fragt: „Woher haben Sie diese Information?“ Dann ist es interessant zu hören, welche Quellen eine Person konsumiert – das ist oft eine relevante Information. Aber wenn man nachfragt und das Gegenüber dann antwortet, gewinnt man auch ein paar Sekunden Zeit, um die eigenen Gedanken zu sortieren und zu überlegen: „Moment, was wollte ich eigentlich gerade sagen?“
Strategisches diskutieren bedeutet für mich, dass man beim Diskutieren nicht auf jede Äußerung aufspringt, bloß weil sie einen aufregt. Strategisches Diskutieren bedeutet für mich, dass man sehr stark überlegt, welche Debatten sind meine Zeit wert? Und das muss jeder und jede für sich selbst entscheiden, aber in meinen Augen gibt es zwei Felder, da wird Diskutieren Menschen oft wichtig. Erstens, wenn es um Personen geht, die ich liebe, die mir wichtig sind, die ich argumentativ erreichen möchte. Und zweitens, wenn es vielleicht Themen gibt, die ich gesellschaftlich relevant finde. Das können Wissenschaftsthemen sein, wo ich Fakten verständlich machen möchte – Klimathematik, Impfungen. Das können auch politische Fragen sein, bei denen ich beispielsweise Zivilcourage zeigen möchte – zu Rassismus, Sexismus, Klassismus.
Es gibt viele gute Gründe zu diskutieren. Ich halte es nur wichtig, für sich selbst zu definieren, was sind diese Gründe. Und dann auch näher anzusehen, wenn das mein Anliegen ist, wo kann ich am meisten dafür in der Diskussion bewirken? Denn die Gefahr ist mitunter, dass man dort diskutiert, wo man sich am meisten aufregt, und nicht unbedingt dort, wo man eine Chance auf Gehör hat. Mich hat zum Beispiel ein Journalist mal gefragt, ob man auf Coronademos gehen soll, um dort zu diskutieren. Ich habe gemeint, ich würde das eher nicht empfehlen, weil man dort wenig Chancen hat, dass man etwas bewirkt – weil man ist dort ein Fremdkörper, man hat wahrscheinlich keine persönliche Basis, zu den Leuten, die man dort trifft. Da erscheint es mir sinnvoller, zu überlegen, habe ich in meinem Bekanntenkreis jemanden, der oder die auch für solche Narrative empfänglich ist? Dort, wo ich eine persönliche Beziehung habe, kann ich manchmal etwas leichter ins Gespräch kommen – nicht immer, aber es lohnt sich zu überlegen, wo ist meine Zeit besonders gut investiert.
Auch für das konkrete Gespräch ist es sinnvoll, sich Ziele zu setzen. Das Problem ist, dass wir häufig uns das schwierigste Ziel setzen: Wir wollen überzeugen. Aber überzeugen klappt manchmal gar nicht, oder es klappt, kann aber eine längere Zeit brauchen. Da ist es sinnvoll, sich erreichbare Ziele zu setzen: Zum Beispiel mit Fragen Zweifel beim Gegenüber zu nähren oder sich zum Ziel setzen, ein Thema mal gründlich auszudiskutieren und darauf zu achten, dass nicht ständig vom Thema zu Thema gehüpft wird. Auch das kann schon wertvoll sein. Indem man sich erreichbare Ziele setzt, ist Diskutieren weniger frustrierend. Und man hat auch Etappenerfolge.
Ein abschließender Tipp: Wenn ich weiß, mir steht eine schwierige Debatte bevor, weil ich auf einem kontrovers besetzten Podium über Migration sprechen muss, oder weil ich am Wochenende den Onkel treffe, der immer Impfmythen von sich gibt, dann ist eine Sache auch sinnvoll. Überlegen Sie sich, was sind Ihre zwei oder drei stärksten Argumente? Weil gerade in erhitzten Debatten ist die Gefahr groß, dass man sich verzettelt, dass man ständig provokante Meinungen zurechtrückt oder dass man falsche Aussagen kontert. Dass man sagt: „Nein, Impfungen dienen nicht dazu…“ Und dann ist eine halbe Stunde vorbei, man hat recht viel Zeit investiert, aber das Gefühl, man hat sich nicht verständlich gemacht. Gerade in erhitzten Debatten besteht die Gefahr, dass man auf Provokationen reagiert und dann thematisch sehr fremdbestimmt diskutiert.
Deshalb ist mein letzter Tipp – wenn ich ich kommen sehe, dass eine Debatte aufwühlend sein wird, dann ist die Frage, was will ich auf jeden Fall gesagt haben? Ein Beispiel von mir: Mir ist das Thema Impfungen wichtig. Das hat mehrere Gründe, einer davon ist: Ich bin als Kind in der Nacht aufgewacht und habe keine Luft mehr bekommen. Ich hatte eine Epiglottitis, eine sogenannte Kehldeckelentzündung. Ich habe meine Eltern wachgerüttelt, weil ich konnte auch nicht mehr schreien, ich bekam keine Luft. Zum Glück ist mein Vater Arzt, hat sofort gecheckt, was los ist. Er hat mich eingepackt, rasch ins Krankenhaus geführt, ich wurde intubiert und ich habe das überstanden. Damals war Epiglottitis eine häufige Kinderkrankheit, weil als ich ein Baby war, da gab es noch keine Impfung dagegen. Sie wurde dann ein paar Jahre später erfunden, die sogenannte HIB-Impfung. Und ich finde das sehr beeindruckend, dass es mittlerweile die Chance gibt, Kinder besser davor zu schützen, dass sie nicht in der Nacht aufwachen und keine Luft bekommen. Das ist für mich der Wert von Impfungen. Ich habe das so ausführlich erzählt, weil es mir erstens ein Anliegen ist, aber zweitens, auch um zu zeigen, es lohnt sich manchmal etwas auszuführen. Es ist eine Anekdote, aber sie spiegelt auch die Gesamtstatistik wieder. Es gibt Studien, die aufzeigen, dass nach Einführung der HIB-Impfung diese Kinderkrankheit maßgeblich zurückgedrängt wurde. Hier spiegelt die Anekdote die größere Statistik wider. Das war jetzt eine längere Ausführung, aber ich halte es für wichtig, sich beim Diskutieren diesen Raum auch zu nehmen ¬– auf eine Sache eingehen und die erklärt man wirklich. Das ist ein Teil des strategischen Diskutierens für mich – in erhitzten Debatten darauf zu achten, dass man die eigene Position mindestens einmal genügend erklärt. Denn die Gefahr besteht, dass man am Ende viel diskutiert und sich wenig verständlich gemacht hat. Wenn eine Debatte stark von Provokationen geprägt, von Nebelgranaten übersät ist, dann ist es manchmal sogar ein Erfolg, wenn man eine Sache – diese eine Sache dafür aber richtig – erklärt hat.
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Dieser Vortrag war Teil der re:publica 21, die dieses Jahr digital stattfand. Hier findet man das YouTube-Video. Die Zeichnung stammt von Marie-Pascale Gafinen, die für mein Buch “Einspruch” schöne und auch unterhaltsame Illustration beisteuerte!
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Die Gründe X zu verlassen kann ich nachvollziehen, ich selbst habe X vor über einem Jahr verlassen.
Jedoch bin ich mit meiner Hauptkommunikation (außerhalb meines Blogs) ins Fediverse gewandert. Ich wollte nicht wieder in ein monolithisches System, bei dem unklar (Bluesky) oder klar (Threads) ist, was es mich an Geld und persönlichen Daten kosten wird.
Das Fediverse ist nicht perfekt, aber ein offenes System. Es ist föderal und es gehört im Ganzen niemanden. Das ist für mich auch netzpolitisch interessant.
War das nie eine Überlegung, den eXit ins Fediverse zu vollziehen? Es wäre auch spannend gewesen, eine eigene Instanz der Medienmacher:innen aufzuziehen. Wobei: Was nicht ist, kann ja jederzeit werden. ☺️
Können wir nicht einfach Bots starten, die Plattformen wie X mit Liebesposts voll spammen?
Gibt es postivie Lügen die wir verbreiten können?
Sollten wir dafür sorgen, dass wieder mehr Diskussionen im physischen Raum stattfinden? Meiner Erfahrung nach ist der Versuch online eine sachliche Diskussion zu führen, meist verschwendete Energie und das gilt nicht nur für X.
In einer Zeit in der die Lüge wohl leichter als Fakt zu verkaufen ist, als der Fakt selbst, scheinen mir diese Fragn doch valide zu sein.
Sehr geehrte Frau Brodnig!
Ich habe eben auf ORF 3 die Diskussion über die Aufarbeitung der Corona Pandemie angesehen und möchte ihnen ganz herzlich danken für ihre klaren Aussagen und im speziellen für die Erwiderung den Aussagen des FPÖ Vertreter gegenüber.
Ich finde sie leisten generell einen großen Beitrag für Klarheit im Erkennen von Falschmeldungen und wie man gut mit Mensche umgehen kann, die sich in " Verschwurbeleien" verirrt haben, bzw. ihnen aufsitzen. Im Umgang mit zwei persönlichen Freundinnen hat mir ihre Betrachtungsweise schon sehr geholfen. Ich finde es sehr gut, dass sie mittlerweile in vielen Diskussionsrunden eingeladen werden und immer prägnant und sachlich ihre Ansicht vertreten.
Vielen Dank für Ihre Beiträge!
Dr. Barbara Dollenz
Jeder Unternehmer oder Chef oder sonstiges denkt wenn er sagt wir müssen Sachen evaluieren ein Wort aus dem französischen 16 Jahrhundert ist er modern können wir nicht mehr zu beurteilen und bewerten sagen ? Oder dieses Fake ist Fälschung nicht mehr gut genug oder Sale versteht keiner Ausverkauf ? Wir leben in Mitteleuropa und zerstören unsere Sprache und übernehmen jeden Müll aus Amerika wieso ? Ich bin 43 und bin weder bei Facebook oder X oder sonstigen Müll weil kein Schwein 500 Freunde hat und wenn sie 27 000 Verfolger hätten im wahren Leben wäre die Polizei jeden Tag bei ihnen weil sie einen nach dem andren anzeigen würden ! Und verschiedene Länder brauchen und haben immer einen Anführer gebraucht weil sie ohne nicht fähig sind ein Leben zu führen ! Und Tiktok verdummt nur Menschen es haltet Menschen nur vom Leben fern da jeder der es benutzt nur wischt und Video für Video schaut ! Und leider haben wir einen Jugendschutz bei Filmen aber in der Welt kein Alter ab wann du nicht mehr das Auto benutzen darfst oder ab wann du kein Amt mehr ausüben solltest ! Ich wünsche noch eine schöne Weihnachtszeit und verfallen sie nicht zu sehr in die SMM Sozialer Medien Müll !
Liebe Frau Brodnig,
vielen Dank für ihren wundervollen Text, der bei mir zu einer deutlichen Erhöhung
meines KamaMuta-Levels geführt hat.
Die Zeiten sind beängstigend. In vielerlei Hinsicht!
Das erstarken der (internationalen) Rechten, dass ein Maß erreicht hat welches mehr als beunruhigend ist.
Der Klimawandel, der auch hier in Deutschland und in Österreich sicht-und fühlbar geworden ist
und wenig Grund zu Hoffnung gibt…
Die Verzweiflung ist inzwischen so groß daß ich mir Hilfe geholt habe um nicht durchzudrehen.
Ich bewundere sie und Ihre Arbeit sehr (ich bin ein absoluter Fanboy 😆) und ich frage mich immer wieder
wie sie es schaffen die Contenance zu bewahren, angesichts des ganzen Irrsinns den sie tagtäglich
erfahren und recherchieren und in Talkrunden entlarven!!!
Ich selbst bin Musiker und meine Verzweiflung, Wut und Trauer sind so groß geworden dass ich alles anzweifle, meine eigene Identität als Kulturschaffender inbegriffen. Da ist auch eine Menge Schuldbewusstsein, selbst nicht genug getan zu haben.
Ihr Text hat mir ein wenig geholfen wieder in die Spur zu kommen…
Ich hoffe sehr sie einmal „live“ erleben zu können und halte Ausschau wann sie mal in Deutschland sprechen.
Grüsse aus Rhein/Main
Wolf Morgenstern
(Wolf Schubert-K.)
Danke, tut gut.
6.1.25, 13:40. der richtige Zeitpunkt.
Jetzt geh ich zu einen Konzert mit meiner 11 jährigen Querflötenspielerin.
Da kommt wohl sicher der blaue Himmel. 👋👋
Was passiert, wenn man sich durchgearbeitet hat und die Meldung anerkannt wird? Wird der gemeldete Kommentar einfach gelöscht und das wars? Oder gibt es Konsequenzen für den Hasskommentator?
Wenn nicht - dann ist das reichlich viel Aufwand für wenig Ergebnis, leider.
Sehr geehrte Frau Mag. Brodnig!
Der TItel Ihrer Veranstaltung in der "Kulisse" hat sich ja zu unser aller Freude inzwischen überholt, aber obwohl Sie hier "Neuland" betraten, war es trotz Überlänge eine sehr kurzweilige und informative Veranstaltung mit interessanten Gästen. Faszinierend der professionelle Auftritt der "Omas gegen Rechts", denen meine Frau und ich bisher nur bei div. Demos begegnet sind.
Da die Rechten und Rechtsextremen inkl. aller ihrer Fake News und Spaltungsversuche ja weiterhin auch international im Vormarsch sind, hoffen wir, Sie auch weiterhin öfters in TV-Auftritten zu sehen, denn die Warnungen vor Manipulation durch Social Media und vielleicht auch KI können nicht laut genug sein.
Mit besten Grüßen
Mag. Ingrid und DI Peter Steckler
Sehr geehrte Frau Brodnik,
ich habe Ihren Newsletter zum Thema Respektlosigkeit von KI-Unternehmen gelesen. Außerdem habe ich im Freitag (Ausgabe 14, 3. April 2025) den lesenswerten Artikel von Thomas Montasser, „Der größte Raubzug der Geschichte“, zu diesem Thema gelesen. Als Künstler frage ich mich, welche Strategien es gibt, um sich dagegen zu wehren? Was unternehmen Sie als Autorin dagegen, dass man ungefragt Ihre Bücher verwendet?
Ich bedanke mich für Ihre journalistische Arbeit, und wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg!
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Safer
Liebe Frau Brodnig,
Ihr Appell" genau hinzusehen" ist gut gemeint, aber leider ist hier die Post längst abgefahren! Aufgrund der exponentiellen Dynamik wird es bald nahezu unmöglich sein, gefakte Bild und gefeaturete Messages von wahren zu unterscheiden. Es bleibt das menschliche Bedürfnis nach Information (v.a. der Älteren) und Beschäftigung bzw. Bekämpfung der Langeweile. Dem gegenüber steht das gezielte Bestreben mancher nach Desinformation, Manipulation und Nutzung der zuvor genannten für kommerzielle Zwecke. Früher hat man sich über Fernseh Werbung generell und unterschwellige ( unter der Wahrnehmungsgrenze) beschwert. Heute ist das in allen online Medien Alltag. D.h. nur Abstinenz davon bzw. jenen , die uns offensichtlich manipulieren und desinformieren wollen - viele wechselten von WhatsApp zu Signal, einige von x zu bluesky - hilft! DAS sollte man vermitteln. Ich fahre täglich U-Bahn und sehe dass nahezu Jeder/jede diese schnelle, sinnlos " Information" und Langweiligkeitsbekämpfung nutzt. Und selbst seriöse online Medien sind mittlerweile auf unseriöse online Werbung angewiesen. Deshalb bin ich für generelle ORF Beiträge um zumindest einen gewissen Grad an Unabhängigkeit und Seriosität zu bewahren. Der Informationsgewinn fast aller Social Media Plattformen ist so gering geworden, dass es sich auszahlt tiktok, x, Instagram, Facebook etc. zu boykottieren und einfach wieder mehr miteinander zu reden! Bitte vermitteln Sie DAS auf Ihren Vorträgen - v a. den Jüngeren. Besten Dank mfg Harald Auer