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Facebooks größter Feind

Medienmensch des Jahres: Max Schrems hat sich mit Facebook angelegt und dabei mehr erreicht als manch ein Politiker

Ein junger Österreicher, Igelfrisur, brillantes Englisch, gibt CNN ein Interview. Er sitzt in seinem Wohnzimmer in Wien-Mariahilf, mittels Skype wird er dem amerikanischen Fernsehen zugeschaltet. Zwei Wochen später diskutiert er live auf Al-Jazeera. Es geht um den Datenkraken Facebook, um seine undurchschaubaren Geschäfte und sein Rechtsverständnis.

Nicht nur CNN hat Max Schrems befragt. Die New York Times, der Guardian und die Zeit stellten sich bei ihm an, die Bild widmete ihm die Titelzeile, mit Le Monde saß er im Café Ritter. “L’important, c’est que Facebook respecte la loi“, diktiert er den Franzosen. Es ist wichtig, dass Facebook das Gesetz respektiert

Max Schrems ist 24, stammt aus Salzburg und studiert Jus an der Uni Wien. Auf den ersten Blick unterscheidet sich der Student aus bürgerlichem Haus nicht von seinen Kollegen vom Juridicum: Er besucht unter der Woche Vorlesungen, am Wochenende Partys. Doch eines lenkt die Aufmerksamkeit der Weltpresse auf ihn: Schrems hat sich mit einem der einflussreichsten Unternehmen der Welt angelegt, er hat die Initiative “Europe vs. Facebook” gegründet und Facebook angezeigt, 22-mal.

Die kalifornische Firma missachtet den europäischen Datenschutz, sie täuscht ihre User, hat unfaire Geschäftsbedingungen, meint Schrems. “Wenn Facebook in Europa Geschäfte machen will“, sagt er, “dann muss es sich an europäisches Recht halten.“

Schrems tat etwas Kluges, ehe er seine 22 Anzeigen verfasste. Er begehrte Auskunft, welche Daten Facebook über ihn eigentlich so abspeichert. Dieses Recht steht jedem europäischen Konsumenten zu, weiß der Jusstudent. Schrems staunte, als ihm Facebook eine CD mit einem 1222 Seiten langen PDF-Dokument übersandte. 1222 Seiten nur über Max Schrems, seine Pinnwandeinträge, seine Facebook-Freunde, seine Ex-Facebook-Freunde und viele andere Informationen, die Schrems längst gelöscht geglaubt hatte.

Wer seine Daten auf Facebook löscht, erkannte Schrems, macht sie oft nur unsichtbar. Sogar private Nachrichten verblieben in den Archiven des Internetriesen, auch wenn Schrems sie vernichten hatte wollen. “Ein klarer Verstoß gegen europäische Datenschutzbestimmungen“, sagt er. Ohne die Zustimmung des Users dürfen Firmen in Europa Daten nicht unendlich lange aufbewahren.

Der Student artikulierte das Unbehagen vieler User und brachte die Anzeigen vor der irischen Datenschutzkommission ein. Denn in Irland hält Facebook eine Tochterfirma, die für alle europäischen Kunden zuständig ist und für die europäisches Recht gilt. Die irischen Datenschützer durchleuchten nun die Webseite, haben zwei Unternehmensprüfungen bei der irischen Tochterfirma durchgeführt. Voraussichtlich werden sie noch diese Woche einen ersten Bericht vorlegen – das Dokument wird zeigen, ob sich die Behörde tatsächlich traut, dem kalifornischen Internetgiganten auf die Füße zu treten. (Update: Der Bericht der Datenschutzkommission ist erschienen und fordert mehr Rechte für die User und mehr Transparenz von Facebook. Hier die Presseaussendung von Max Schrems)

Facebook beschäftigt eine Armada von Juristen. Sie weisen die Vorwürfe zurück. Ein weiteres Team wurde eigens für Anfragen tausender Kunden eingerichtet, die ebenfalls Auskunft verlangten. Schrems hat User dazu aufgerufen, selbst bei Facebook nachzufragen, welche intimen Details das Unternehmen über sie speichert. Wie viele solcher Anfragen bisher eintrafen, gibt Facebook nicht bekannt. Rund 50.000 sollen es laut Schätzungen sein. (Update: Laut dem Bericht der irischen Datenschützer trafen bei Facebook 40.000 solcher Anfragen ein)

Der angriffslustige Jusstudent wurde zum David, der kleine Steinchen auf den Goliath Facebook mit seinen Millionen Usern warf. Kommendes Jahr will das Unternehmen an die Börse, laut privaten Investoren ist die Plattform 80 Milliarden Dollar wert. Die Firma hat bestimmt kein Interesse, sich in Europa ihr Geschäft mit den Daten vermiesen zu lassen.

Schrems gegen Facebook: Dieser exemplarische Fall zeigt auch, wie im Web Konsumentenrechte systematisch ignoriert werden und wie die Politik tatenlos zuschaut. Kein einziger österreichischer Politiker hat sich bisher zu Schrems’ Anzeigen geäußert oder ihm gar zu seinem Kampfesmut gratuliert.

So stellt sich die Frage: Wieso braucht es eigentlich einen 24-jährigen Studenten, um Facebook an bestehende Gesetze zu erinnern? Wo bleibt der Staat?

Die Medien lieben dieses Spektakel eines modernen David gegen Goliath

Während die heimische Politik zu Facebook schweigt oder die Plattform bestenfalls zur Selbstdarstellung nutzt, wachen wenigstens einzelne Europapolitiker auf. EU-Justizkommissarin Viviane Reding fordert etwa ein “Recht auf Vergessen“ im Netz. Sie arbeitet an einer europäischen Datenschutzverordnung, die dies festschreiben soll. Ihre wichtigsten Verbündeten sind die Deutschen.

Die Deutschen. Wahrscheinlich wird keine Nation von den US-Internetkonzernen so sehr gehasst wie Germany. Nirgendwo wird so ergriffen und grundsätzlich über den Schutz der Privatsphäre diskutiert. Der Fall Google zeigte es bereits. Der Suchmaschinenriese stieß auf gewaltigen Widerstand, als er mit Kameras bestückte Autos ausschickte, um Fotos von öffentlichen Straßen zu machen und diese auf Google Street View hochzuladen. Da fühlten sich viele Deutsche beobachtet.

“Beim Datenschutz gibt es in Europa eine andere Kultur“, weiß auch Max Schrems. In Amerika ist das Konzept der Privatsphäre historisch anders gewachsen. In Amerika herrschten keine Gestapo und keine Stasi. Amerika hat keine eigene totalitäre Geschichte. Schrems kennt die amerikanische Sichtweise. Er hat Anfang des Jahres ein Semester an der Privatuni Santa Clara im Silicon Valley studiert und dort etliche Datenschutzbeauftragte führender Webfirmen gehört, darunter auch der Privacy-Verantwortliche von Facebook. “Der hatte keine Ahnung vom europäischen Recht“, sagt Schrems, “stattdessen forderte er Verständnis für Facebook, schließlich sei es noch ein Start-up-Unternehmen.“

Noch in den USA begann Schrems, an den Anzeigen zu feilen. “Etliche wissenschaftliche Papers waren bereits zu dem Schluss gekommen, dass Facebook europäisches Recht verletzt. Aber niemand tat etwas dagegen“, sagt der Student. Er ist jemand, der nicht nur redet, sondern handelt. Er ist jemand, der Projekte tatsächlich umsetzt: Schon als 23-Jähriger schrieb er ein Buch über private Videoüberwachung.

Der Datenschutz ist ihm ein besonderes Anliegen, er nennt ihn die “neue Front des Bürgerrechts“. An dieser wird gerade umkämpft, wie viele Rechte die Konzerne und wie viele die Konsumenten haben.

Mit Technologiefeindlichkeit oder gar Facebook-Hass hat Schrems Vorgehen nichts zu tun. “Social Networking ist cool“, sagt er, “das Problem ist nur, dass Facebook ein Monopol auf Online-Freundschaft hat.“

“Reg dich nicht auf! Wenn dir Facebook nicht gefällt, dann meld dich ab.“ Solche Einwände hört Schrems oft. Es stimmt, dass niemand gezwungen wird, dem Freundschaftsportal beizutreten. Doch keine andere Social-Networking-Seite hat 800 Millionen User, es gibt keine wirkliche Alternative zu der kalifornischen Firma. Dazu bringt der gebürtige Salzburger einen Vergleich: “Stell dir vor, es gäbe nur einen E-Mail-Anbieter auf dieser Erde. Dann müssten sich alle Menschen den Regeln dieses einen E-Mail-Anbieters unterwerfen oder darauf verzichten und Postkarten schreiben.“ Schrems will im Jahr 2011 aber keine Postkarten schreiben. Er will soziale Medien nutzen und seine Rechte gewahrt sehen.

Nach dem ersten Bericht wird die irische Datenschutzbehörde auch einen Vergleich vorschlagen. Sollten sich Facebook und Schrems nicht einigen können, stellt die Behörde einen Bescheid aus, danach kann es ein Gerichtsverfahren geben. Im schlimmsten Fall droht Facebook eine Geldstrafe von 100.000 Euro, ein lächerlicher Betrag für ein milliardenschweres Unternehmen. Mehr Angst muss der Marktführer allerdings vor den politischen Reaktionen und vor dem Imageverlust haben.

Max Schrems nimmt den Wirbel, den er verursacht hat, gelassen. Er weiß: Sowohl ein Sieg als auch eine Niederlage nützen ihm. Wenn er gewinnt, wird Facebook handeln müssen. Wenn er verliert, wäre der Beweis erbracht, dass der europäische Datenschutz zahnlos ist. “Dann“, sagt Schrems, “wäre ein Präzedenzfall geschaffen. Politiker könnten sich auf mich berufen, wenn sie die Gesetze verschärfen wollen.“

Schrems sagt solche Sätze nicht wütend, sondern sympathisch amüsiert. Die Fehde mit Facebook ist für ihn kein verbissenes Duell, sondern ein sportlicher Zweikampf. Was er unternehmen wird, wenn der Rummel vorüber ist und die Weltpresse nicht mehr an seinem Handy hängt? Max Schrems zuckt mit den Schultern. “Ich bin froh, wenn ich meine Ruhe habe.“ Kommendes Jahr möchte er sein Studium beenden, danach dissertieren, vielleicht lockt später die Politik, vielleicht der Einsatz für Bürgerrechte.

Ideen hat Schrems genug. Er träumt von einem europäischen Konsumentenschutzverein, der sich mit den Konzernen vor Gericht anlegt. “Genauso wie Facebook könnte man auch Google oder Apple überprüfen“, sagt er, “doch der Staat ist untätig.“ Und weil der Staat nichts macht, muss ein anderer einschreiten: Der Student aus Wien-Mariahilf.

 

Dieses Porträt ist in Falter 51-52/11 erschienen. Foto von Max Schrems: Heribert Corn

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  • liebe ingrid, schön, dass es dich gibt! jede woche lese ich genussvoll deine kolumne und diesmal- ja es passt jedes wort- die nicht liker sind dieselben leute, die auch am gang nicht grüßen! klar- ja, denen fehlt es am emphatie und dass der like -knopft ist wie das lächelen des internets------ das kling wie eine wunderbare musik in den ohren- würde ich so gerne dir ein paar likes schenken! bleibe dir treu und stark wie du bist und macht deinen weg! ganz lg grüße irena

  • Vielen Dank für die ausführliche Behandlung des Themas. Damit sollten nun wirklich alle Fragen beantwortet sein.

    Ich weiß den Aufwand zu schätzen!

    Gottfried

  • 1.) Das ist natürliche eine Auslegungsmöglichkeit, eine Einzelmeinung, die von StA od. vom Ministerium völlig anders ausgelegt werden kann und durch einen "Erlass" völlig anders regeln kann.

    2.) was in Ö nicht gespeichert wird, wird oftmals im Ausland gespeichert (anderswo gibts auch die #dvs) sodass man sich halt von anderen Ländern wie D mittels Verfahrenshilfe (oder CD-Ankauf) die Infos holt.

    3.) auch bei nicht-schweren Straftaten oder Nicht-Straftaten stellt man einfach einen fingierten oder übertriebenen "Verdacht" in den Raum, sodass man die Daten auch Unschuldiger (oftmals Dissidenten bzw. Andersdenkender) auswertet. Das ist ein ur-, ur-alter Schmäh in der Juristerei.

  • Hast mein volles Mitgefühl.
    So war es für mich als man (Verbrecher) mein Rad klauten

  • ich finde es sehr schön den herrn piraten mit seinem eigenen businessmodell zu konfrontieren. das will er dann auch nicht: wie ein künstler bezahlt werden.
    ich kann ihm auch nur raten, einmal flattr auszuprobieren. wenn er sich davon ein bier im halbjahr leisten kann, hat er glück.
    so sehr ich gegen panikmache und kriminalisierungen bin, die lösungen der piraten sind nicht im geringsten tauglich.

  • Der Pirat ist völlig vernebelt mit seinem "huuuuuh, Interneeeet! Und Flattr-Cents & CC retten uns alle" und Clara Luzia pocht (mir) zu sehr auf "Wenn du Musik hören willst, zahl dafür".

    Erst einmal, was ist das für ein Ansatz "wovon sollen professionelle Musiker leben?".
    Ist man nicht dann erst professionell, WENN man davon lebt?
    Was soll dieses Berufsmusikertumdingens-ho​chgehalte? Wenn man davon leben kann, ist es großartig, aber wenn nicht, muss man sich halt tatsächlich andere Wege suchen, "an das Geld der Fans zu kommen"; sei es Merchandise oder besondere nichtdigitale Extras beim Album oder besondere Livequalitäten/"eine gute Show" oder sich reicherem, (älterem?) Publikum anbiedern oder oder.
    Oder man ist halt nicht "Berufsmusiker" und muss sich wie viele andere Künstler aus anderen Bereichen mit Nebenerwerben oder Auftragsarbeiten durchschlagen.
    Das kann einfach nicht mehr Rückgängig gemacht werden.
    Es "wird" doch heutzutage nicht ernsthaft jemand MusikerIn, im Glauben, vom Verkauf von Alben leben zu können..?

    Es ist schade, dass Musik oft nicht gewertschätzt wird, DAS sollte sich tatsächlich ändern. Aber in einer Zeit, wo jede_r, der Musik machen will und ein paar hundert Euro in einen PC/Instrumente investieren kann, auch Musik machen kann, ist jammern auch das falsche. Der Kuchen ist ja gleich groß, bzw. kleiner - er wird aber in viiiiiel mehr kleine Stücke geteilt.

    (Und einer der erfolgreichsten Acts des Landes zu sein, reicht heutzutage natürlich nicht aus, wenn dieses Land die Größe von Österreich hat man und außerhalb des FM4-Universums wenig Aufmerksakeit bekommt...ich weiß ja nicht mehr genau, wie es "vor dem Internet" war, aber ich behaupte mal, dass es vor 20 Jahren nicht so viele österreichische Acts gab, die außerhalb der Landesgrenzen Beachtung bekamen..?)

    • stimmt, doch das mit den paar hundert euro stimmt überhaupt nicht, klar kannst Du musik machen mit billigsdorfer ausrüstung, doch das klingt dann eben jämmerlich, noch ist es nicht möglich nur annähernd den sound zu schaffen, der in millionenteuren studios produziert wird. eine akustische gitarre die wirklich gut klingt kostet minimum 3000 euro. eine komplette adäquat klingende CD mit 11 songs kostet an die 40 000 Euro. marketing ist da noch keines dabei und don't forget wer bezahlt die musiker, techniker und co., als einzelindividuum kannst Du vieles selber erreichen, doch es ist ein unterschied ob Du dich auskennst mit soundtechnik oder dies als beruf ausübst, ergo wird die qualität der musik vorerst rapide zurückgehen. wirklich begabte musiker werden zu beginn das handtuch werfen, denn wer will sich das ganze noch geben, es wurde durch die gratismentalität noch schwieriger sich gegen konzerne und gaballiers als auch ötzis durchzusetzen, denn nur wer das geld hat kann sich qualität leisten, der rest kann bleiben wo der pfeffer wächst und wer wirklich eine ahnung hat von der materie wird sich nicht die blösse geben ein home recording konstrukt anzubieten, geschweige denn dass man sich das selber anhören will, klingt eben shei....e, und die , die das gegenteil behaupten, kennen sich eben nicht aus, es gibt ja auch bei castingshows leute, die denken superstars zu sein und verstehen die welt nicht mehr wenn sie zur sau gemacht werden. dennoch hast Du gute ansätze in Deinem posting, lg

      • mein hobby kostet bisher auch leicht 20.000,- ich nenne mich deshalb aber nicht profesioneller radrennfahrer und jammere über die geringen preisgelder bzw mangelnde sponsoringverträge...

        • nicht alles was hinkt....
          Dass dein Hobby dich eine gewisse Menge Geld gekostet hat, ist zwar schön, hat aber nicht das geringste mit dem Thema zu tun. Die Begriffe "Professionalisierung" und "erfolgreich" sind im Gegensatz zu dir als Rennradfahrer von aussen zugeschriebene und hinsichtilch Marktdurchdringung und kultureller Identität legitime Begriffe. Wenn du Rennrad fährst, interessiert das abgesehen von deinen Angehörigen wahrscheinlich niemanden, wenn CL´s Album ins Netz gestellt wir, werden 10.000 Downloads getätigt. You see??

  • Interessantes Interview der liebe Herr Kopaczynski argumentiert mMn sehr schwach - kann auch sein dass da Argumentationslücken der Piraten widergespiegelt werden.

    Was mir fehlt ist allerdings die Diskussion über Vertriebswege/modelle von Musik per se z.B. Frage an C.L. "Wieviel Geld bekommst Du raus beim Albumverkauf um €10?"

  • Als Urheber meine ich mittlerweile: Jeder Generation das Recht auf Utopie. Unverständlich ist allerdings, dass die Piraten bislang nicht in der Lage sind, den §42 des Urheberrechts sinnerfassend zu lesen. Das Recht auf Privatkopie existiert seit den sechziger Jahren!

    Eindeutig NICHT privat ist natürlich, wenn man ein geschütztes Werk (dessen Veröffentlichungsrecht man nicht hat) ins web stellt und so einen schwarzen Gratis-Vertriebskanal zu geschätzten 2 Milliarden potenzieller Konsumenten eröffnet. Das sollte auch jedem Teenager einleuchten. Und wenn nicht, sind die Erziehungsberechtigten gefordert. Man lässt Kinder ja auch nicht die Autobahn überqueren.

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