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Werner, hör die Signale, auf ins Internetz!

Kanzler Werner Faymann startet dieser Tage auf Facebook. Hat unsere Politik überhaupt einen Plan im Netz?

 

 

“Werner Faymann isst gerade einen steirischen Apfel. Mmmmhhh“, “Werner Faymann sitzt neben Angela Merkel im Ausschuss. Mein Gott, die redet schon wieder so lang“, “Werner Faymann macht eine wichtige Durchsage: ‚Skisportlerinnen und Skisportler sind Vorbilder für die Jugend.‘ Hier der Link zur Pressemeldung“.

All das sind Statusmeldungen, die der Kanzler hoffentlich niemals verfassen wird. Kommende Woche legt Werner Faymann auf Facebook los. Am Nationalfeiertag starten sein Facebook-Auftritt, die dazugehörige Smartphone-App und die neue Webseite. 200.000 Euro kostet die Weboffensive des roten Regierungschefs angeblich. Das Bundeskanzleramt hält sich bedeckt, wie der Auftritt genau aussehen wird. Nur so viel sei verraten: Faymann wird nicht als Einziger auf seiner Fanseite Nachrichten verfassen. “Wir haben derzeit ein Team von sieben Leuten“, sagt Claus Hörr vom Bundespressedienst, “das Wichtigste ist Transparenz. Wenn der Kanzler selbst kommuniziert, tut er das in der Ich-Form. Wenn wer anders schreibt, dann schreibt er über Faymann in der dritten Person und mit eigenem Kürzel.“ So soll für Facebook-Fans jederzeit erkennbar sein, wer da wirklich hinter dem Computer sitzt.

Die Politik und das Web, eine schwierige Geschichte. Vor Wahlen lassen die Parteien noch schnell ein paar Webseiten und Blogs erstellen, nach der Abstimmung ist alles beim Alten: Funkstille. So war das in den letzten Jahren. Jetzt gibt es – vorsichtig formuliert – zumindest Indizien, dass sie das Web als politisches Schlachtfeld erkennen. Einerseits bietet es eine Bühne für Selbstdarstellung, andererseits lässt sich mit Netzthemen auch Politik machen.

Die SPÖ hat erst neulich ein Positionspapier herausgebracht, es ist zumindest der Start einer Diskussion im Parlamentsklub, bei der eine “Garantie der Netzfreiheit“, “Open Government Data“ und “den öffentlichen Rundfunk im Internet stärken“ angedacht wird. Gut klingende Schlagworte, die in der Praxis mit dem Koalitionspartner erst umgesetzt werden müssen. Oft sind es nur Einzelkämpfer, die sich für Netzpolitik einsetzen. Etwa Sonja Ablinger, die Kultursprecherin der SPÖ hat das Positionspapier mitentwickelt: “Auch wir sind ganz am Beginn, uns ganzheitlich zu positionieren.“

Wenn man bei den Parlamentsklubs anruft und nach jenem Abgeordneten verlangt, der sich für Netzpolitik einsetzt, hört man immer wieder: “Äh, keine Ahnung, wer das ist.“ Das liegt nicht nur daran, dass die digitale Agenda eine Querschnittsmaterie ist, bei der Sicherheitspolitik (Überwachung), Wirtschaftsinteressen (Urheberrecht), Infrastrukturfragen (Netzausbau) und Datenschutz (Web 2.0) hineinspielen. Das hat auch damit zu tun, dass viele Politiker noch gar nicht begreifen, wie massentauglich das Netz bereits ist.

Beispiel Facebook. Warum redet kein einziger österreichischer Politiker über das bedeutendste Netzwerk unserer Zeit? Immerhin sind dort mehr als 2,6 Millionen Österreicher angemeldet, sagt Facebook.

Die österreichische Technologiedebatte wird von der Sicherheitsdebatte überlagert. Da machen Law-and-Order-Politiker Überwachungsvorschläge, die Opposition schreit prompt auf und ortet Orwell’sche Machtgelüste. In dieser einseitigen Diskussion werden ganze Themenkomplexe übersehen, etwa der Konsumentenschutz.

Dabei könnte man mit Facebook gut Politik machen. Es ist massenwirksam, das zeigen die Userzahlen. Es gilt europäisches Recht, denn Facebook hat eine Tochterfirma in Irland und muss EU-Datenschutzbestimmungen einhalten. Bisher gelingt das nicht so recht. Der Kanzler will jetzt also facebooken. Noch besser wäre es, er würde auf die Rechte seiner Bürger auf Facebook pochen. In Deutschland gibt es solche Politiker: Die Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) hat aus Protest ihr Facebook-Profil gelöscht. Ein öffentlichkeitstauglicher Stunt, der auch die Debatte anregte.

Die Politik kann sehr wohl das Web formen. Sie gibt die Rahmenbedingungen vor, wie die Internetanbieter mit ihren Kunden umgehen dürfen. Eine der wichtigsten Forderungen ist jene der Netzneutralität. Netzneutralität schreibt Telekomfirmen vor, dass diese keine Daten und keine Internetdienste diskriminieren dürfen, damit kein Zweiklasseninternet entsteht. Wer viel zahlt, würde in einem solchen über den Informationshighway rasen und alle Onlinedienste konsumieren. Wer weniger Geld hat, müsste hingegen warten und dürfte nicht alle Services nutzen. Zum Beispiel würden viele Telefonieanbieter Skype gerne sperren oder Zusatzgebühren einheben, weil Skype hohe Datenmengen frisst und die Handyrechnung der Kunden verkleinert. Auch Telekom-Austria-Chef Hannes Ametsreiter sagte einmal zum Wall Street Journal: “Wenn jemand unsere Infrastruktur nutzt, um unsere Umsätze zu kannibalisieren, ergreifen wir natürlich Maßnahmen.“ Später relativierte die Telekom diese Aussage.

Die Politik könnte gesetzlich festschreiben, dass ein Zweiklassennetz gar nicht entstehen darf. Die Grünen haben einen entsprechenden Antrag im Frühjahr eingebracht, die SPÖ plädiert für dieses Konzept in ihrem Positionspapier, ÖVP-Technologiesprecherin Karin Hakl betont: “Ich bin für eine Gleichbehandlung von Webdiensten und Datenpaketen. Internetservice-Provider dürfen keine Inhaltskontrollen ausüben.“ Das BZÖ hängt der Idee grundsätzlich auch an. Nur die FPÖ ist etwas zurückhaltender und findet den derzeitigen Gesetzesentwurf ausreichend (siehe Rundruf bei den Parlamentariern, rechts).

Wenn SPÖ, ÖVP, Grüne und BZÖ für die Netzneutralität sind, warum ist die dann nicht längst Gesetz? Die schwarze Abgeordnete Hakl nennt zum Beispiel als Grund, dass man sich noch auf eine Definition von Netzneutralität einigen müsse.

Bitte warten, bitte weiterdiskutieren! Andere Länder sind schneller beim Fixieren von Userrechten: Das holländische Parlament führte heuer die Netzneutralität im Mobilfunk ein. Dort dürfen Telekomfirmen keine Zusatzgebühren einheben, wenn Kunden am Handy Skype benutzen. In Finnland gibt es seit 2010 ein Grundrecht auf Breitband. Jeder Bürger hat Anspruch auf einen Netzanschluss mit einem Megabit pro Sekunde. In Estland ist der Zugang zum Netz schon länger ein Bürgerrecht.

Mit digitalen Visionen spricht man nur eine Minderheit an, die technikaffinen Geeks. Dieses Kalkül schwingt natürlich mit. Dabei kann Netzpolitik ein Vekihel sein, um große gesellschaftspolitische Themen anzusprechen: Bürgerrechte, Transparenz, Mitbestimmung. Das zeigt die Piratenpartei. In Österreich sind die Piraten unauffällig, anderswo feiern sie Erfolge und sitzen schon im Europaparlament. Die schwedische Piratpartiet erzielte bei der Europawahl 2009 rund sieben Prozent und zog in Straßburg ein. Vergangenen September erreichten die Berliner Piraten 8,9 Prozent und landeten im Abgeordnetenhaus. Ein Aha-Erlebnis für die Politik. SPÖ-Abgeordnete Ablinger erzählt: “Der Erfolg der Piraten hat uns auch intern geholfen.“

Im Parlament, genauso wie in der Gesellschaft, herrscht eine digitale Kluft. “Ich kenne Parlamentarier, die nicht einmal wissen, wie man einen Computer einschaltet“, sagt Stefan Petzner, Mediensprecher des BZÖ.

In Österreich zeigt sich, dass gerade die Populisten im Netz die Masse ansprechen. Kein Politiker hat so viele Fans auf Facebook wie FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, 105.304 User drückten bisher auf “gefällt mir“. Daraufhin wurde eine Gegenseite gestartet, die heißt: “Kann dieser seelenlose Ziegelstein mehr Freunde haben als H.C. Strache?“ Derzeitige Fanzahl: 203.277. Im Netz gäbe es also auch Potenzial für Politiker, die der FPÖ widersprechen.

Ob Faymann Strache auf Facebook überholen wird? Das ist fraglich, auch der Bundespressedienst traut sich keine Prognose zu. “Das Entscheidende ist: Der Webauftritt muss einen Mehrwert gegenüber der normalen Medienberichterstattung darstellen“, sagt Politologe und Twitter-User Hubert Sickinger. Für Volksrepräsentanten ist es ein schwieriger Balanceakt, menschlich, aber nicht zu verblödelt zu wirken. Die Populisten mit ihrer Bierzeltrhetorik tun sich da leichter, Strache kann auf Facebook große Töne spucken, das ist man ohnehin gewohnt. Stefan Petzner postet online Fotos aus der Disco oder vom Haustier.

Anderen graut vor diesem Gedanken, zum Beispiel dem Grünen Albert Steinhauser. Der twittert und bloggt, bleibt aber ernst. “Mich haben schon Leute angesprochen, warum ich nicht mehr Privates schreibe“, sagt er, “aber viele Politiker sind aus guten Gründen nicht im Kabarett gelandet. Je lustiger man wird, desto peinlicher kann es auch werden.“

Weil es noch wenig Erfahrungswerte gibt, ist gute Webkommunikation eine Kunst. Jede Community hat ihre Regeln. Facebook ist größer und gesellschaftlich breiter als andere Netzwerke. Twitter ist eine Nische, in der sich hochinformierte politik- und mediennahe User finden. “Facebook und Twitter haben ein völlig unterschiedliches Publikum“, sagt Stefan Petzner, “Facebook ist die Kronen Zeitung des Internets, Twitter ist der Falter.“ Zu dieser Logik passt die Webstrategie des Kanzlers: Der wird sich auf Facebook konzentrieren, Twitter ist nur ein Begleitmedium, um Geschichten anzukündigen. Krone vor Falter, Facebook vor Twitter, manche Dinge bleiben auch im Netz gleich.


Dieser Artikel ist im Falter (Ausgabe 42/11) erschienen. Illustration: Jochen Schievink

View Comments

  • Ich glaube, dem ORF fehlt der Mut, wirklich zu diesen komplexeren Serien zu stehen und auch in Kauf zu nehmen, dass sie nicht ad hoc ein Massenpublikum anziehen. Für den Artikel habe ich mit mehreren Fernsehmachern oder -experten gesprochen und ein spannender Aspekt an dem Ganzen ist auch die Frage der Programmierung: Zu welcher Uhrzeit läuft was und weiß das Publikum das überhaupt?

    Beispiel Serienmontag im ORF. Den gibt's mittlerweile seit ein paar Jahren und die Zuseher können sich darauf verlassen: Am Montag laufen abends unterhaltsame Serien wie Grey's Anatomy oder CSI NY. Das funktioniert sehr gut, weil der Serienmontag zu einer Art Marke des ORF wurde.

    Wenn hingegen neue und komplexere Serien gar keine Chance gegeben wird und sie nach mittelmäßigen Quoten sofort in die späte Nacht verbannt werden, kann sich das Publikum gar nicht daran gewöhnen, dass es zu einer gewissen Uhrzeit einschalten und hochqualitatives Programm sehen kann.

    Ich fände es zum Beispiel spannend, wenn der ORF sagen würde: Mittwoch ist unser Abend für anspruchsvolle, aber sehenswerte Serien. Egal, ob diese dann Californication, Dexter oder Damages heißen, kann man sich als Zuseher merken: Wenn ich am Mittwoch einschalte, erwartet mich kein Blödsinn, sondern gutes Programm. Natürlich ist die ganze Thematik noch komplexer als das. Aber eine verlässliche Programmierung ist wahrscheinlich ein wichtiger Aspekt beim Erfolg einer Serie.

  • Sowas wurde doch auch mit der Donnerstag Nacht versucht. Die war mal wirklich gut! Serie - (Grey's) - Serie (House) - Die 4 da - Sendung ohne Namen - Serie (My name ist Earl) oder so. Hat sich auch nicht so recht durchgesetzt. Die 4 da war dem ORF wohl zu systemkritisch.

    Es ist ja nicht so, dass komplexere Serien nicht dem Zuseher Angeboten wurde. Auf alle Fälle gab es die erste Staffel Rom zu sehen und falls ich mich nicht komplett irre auch Band of Brothers. Für Rome wurde einiges an Werbeaufwand betrieben und soweit ich mich erinnern kann waren die Folgen mit 21:05 auch zu einer brauchbaren Uhrzeit.

    Was zusätzlich noch zur ganzen Thematik aber auch die Frage aufwirft, warum sich die Masse des Fernsehpublikums lieber den 27sten Aufguss einer Castingshow ansieht als eine komplexe, spannende Fernsehserie und ist es wirklich so, oder ist es die Auffassung der ORF Programmgestalter?
    Ist es echt nur, weil man dann ja keine Folge verpassen darf und der ORF mit Wiederholungen zu unflexibel ist, oder ist es weil sich Großteil des Publikums nur stumpfsinnig berieseln lassen will? Und wer hat den Konsument so werden lassen, wurde man durch immer mehr werdenden Stumpfsinn ausgehöhlt oder fordert das Publikum Stumpfsinn einfach ein?

  • Eines der Hauptprobleme ist jedoch nicht das vervollständigen von Daten, sondern die meist Kontextlose Verwendung.

    Vor einigen Tagen erst wurde der Erfolg des neuen Personalausweises gerühmt, mit der bestärkenden Information, dass die Online Abfrage in der Verkehrssündenkartei im Vergleichszeitraum um 200% gestiegen ist. Problematisch nur, wenn man bei dieser Erfolgsstory verschweigt, dass es sich hier gerade mal um eine 2-stellige Personenzahl handelt.

    Viele Daten werden einfach so weit herunter-reduziert, dass man jede gewünschte Aussage damit untermauern kann.

  • Gut geschriebener Artikel - vor allem der Titel gefällt mir :-)
    Leider ist mein Zitat ein wenig aus dem Zusammenhang gerissen. Ich halte auch das jetzige, wenn auch noch kleine Angebot der Stadt Wien in Sache offene Daten keineswegs für einen Witz, sondern ganz im Gegenteil: Wien wird denke ich für andere österreichische Städte und auch den Bund Vorbild und Benchmark sein, was die nachhaltige Veröffentlichung von Datensätzen betrifft.
    Das auch mit wenigen Datensätze bereits nützliche Apps und Visualisierungen erstellt werden können, zeigt außerdem ja das App-Verzeichnis auf data.wien.gv.at
    Natürlich ist der Weg zur vollständigen Integration von Open Government-Prinzipien in der Wiener Stadtverwaltung/in Österreich noch weit (im Vergleich zu Großbritannien beispielsweise), aber die Richtung stimmt mal würde ich sagen :-)

  • Verstehe den Artikel - frag mich aber nach dem Sinn ...
    meiner Meinung nach sollte der ORF weniger Serien bringen. Das kann man ja den anderen (privaten) überlassen.
    der ORF sollte das Geld nehmen und eigene Formate entwickeln. Und wenn alle in die Hose gehen - was soll's? Immer noch besser als teure Serien zu kaufen, die sich dann nur die drei Leute (du und die anderen hippen Hyper [gebildet]) ansehen, die ein Bedürfnis danach haben, die Speerspitze von etwas zu sein, das eben hipp-gehypt wurde von jemandem, der das schon ist (Nüchtern vielleicht in dem seltsamen Artikel über die Serien - vor ein paar Faltern). Das klingt jetzt nicht so gemein, wie es klingen sollte. :-)

  • Domainnamen haben sich in Wahrheit nie wirklich durchgesetzt und sind bereits jetzt auf dem Rückzug, wo Otto-Normal-Nutzer sowieso nur mehr ein Stichwort in das Suchfeld des Browsers eingibt, und damit im Extremfall nach Google googlet.
    Mit den neuen TLDs wird das Chaos nur noch größer, niemand wird sich zusätzlich zu einem Stichwort auch noch die Endung merken (heute: implizit ".com").
    Schade.

  • Ich würde derartige Verallgemeinerungen vermeiden. Mathematik war für mich das einfachste Fach überhaupt, habe nie etwas gelernt, nicht aufgepasst und trotzdem fast nur "Sehr Gut" erhalten; dafür waren Aufsätze in allen unterrichteten Sprachen meist eher rot angezeichnet. Dennoch bin ich der Meinung, dass der Mathematik-Unterricht an der AHS, so wie er jetzt stattfindet, sinnlos ist.

  • Frage: Ist Loslösung von der Gesellschaft per se schlecht?
    2. Frage: Wie kann ich eine Vorstellung/Vision haben, wenn ich im banalen (nicht negativ gemeint) feststecke.
    Das Problem bei unseren doch oft sehr dumpfen Volksvertretern ist, dass viele von ihnen losgelöst von der Gesellschaft skuril banal sind.
    Hat wenig mit dem Thema zu tun - gebe ich hin. Ich habe mich durch den Artikel gequält ... seit wann brauchen artikel twists. Muss der Leser bis zum Schluß im Unklaren bleiben wo es hingeht?
    LG Paolo

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