Bologna? Arrabiata!
Mit Protesten und Schuldeingeständnissen begann die zweite Halbzeit des Bologna-Prozesses. Noch gibt es Hoffnung für das große europäische Hochschulprojekt
Nun zogen 47 europäische Wissenschaftsminister in Wien Bilanz, das Resümee ist ernüchternd. Bologna wurde für viele Studierende, speziell in Österreich, zum Synonym für alle Verfehlungen an den Unis: Verschulung, Kranksparen, Überlastung, fehlende Wahlfreiheit (siehe auch Falter 10/10). Streckenweise liest sich die sogenannte Budapest-Vienna-Declaration, welche die Minister vergangenen Freitag verabschiedeten, wie eine Bußschrift: „Die jüngsten Proteste in manchen Ländern, die teils gegen Maßnahmen gerichtet wurden, die nichts mit dem Bologna-Prozess zu tun haben, erinnern uns, dass die Bologna-Ziele und -Reformen noch nicht richtig umgesetzt und erklärt wurden. Wir gestehen das ein und werden auf die kritischen Stimmen unter Studierenden und Personal hören.“
In zehn Jahren nahm der europäische Hochschulraum nur grobe Konturen an. Zwar wurden die Unis von Portugal bis Polen verbachelorisiert und umgebaut, der Geist von Bologna kam in der Alma Mater aber nur selten an. „Wenn man den Prozess nun einschlafen lässt, haben wir schlechtere Hochschulsysteme als zuvor“, urteilt selbst Andrea Blättler von der Europäischen Studierendenunion. Doch wie lässt sich der Prozess in den nächsten zehn Jahren in die richtige Richtung lenken?
Bologna braucht Konsequenz, es muss Missstände offen benennen. Diese Einschätzung teilen einige Hochschulexperten. Viele Staaten setzten bisher nur jene Punkte um, die ihnen bequem waren. Gleichzeitig sparten Regierungen mit Verweis auf Bologna an den Hochschulen, die Unis schränkten die Freiheit der Studierenden ein – obwohl die offiziellen Dokumente das nirgendwo vorsehen. „Ich hoffe, dass die Ministertreffen immer mehr nachprüfen, was in den einzelnen Staaten nicht passiert ist oder schlecht passiert ist. Und dass diesen Staaten gesagt wird: ‚Hey, so geht das nicht‘“, meint etwa der Franzose Guy Haug, einer der Mitgestalter des Bologna-Prozesses.
Für säumige Staaten wäre eine Politik des „Naming, Blaming and Shaming“ ein moralisches Druckmittel. Schon jetzt werden alle zwei Jahre „Stocktaking Reports“ verfasst, in der Theorie beschreiben sie den Fortschritt der Reform, in der Praxis sagen sie aber kaum etwas über die Qualität der Umsetzung aus. „Die Stocktaking Reports müssen mehr Zähne zeigen“, meint Studierendenverteterin Blättler. Sie kann sich vorstellen, dass bei jedem einzelnen Punkt aufgezeigt wird, welche Länder besonders gut und welche besonders schlecht agieren. Dabei könnte herauskommen, dass Österreich einige Aufgaben ignoriert hat – etwa das studierendenzentrierte Lernen. Während Bologna dezidiert eine Uni wünscht, die Rücksicht auf ihre Studenten und Studentinnen nimmt und ihnen entgegenkommt, war hierzulande der gegenteilige Trend beobachtbar: Die Studienbedingungen wurde in den letzten Jahren schlechter, Studienpläne überfrachtet, die Wahlfreiheit eingeschränkt.
Die Deklaration aus Budapest und Wien ist ein gutes Signal. Auch auf europäischer Ebene lässt sich der Frust nicht mehr leugnen. In Österreich präsentierte Wissenschaftsministerin Beatrix Karl (ÖVP) nun ein 10-Punkte-Programm, um die Bologna-Umsetzung nachzubessern. Eine Task Force, Best-Practice-Beispiele und eine Beschwerdestelle für Studenten sind beispielsweise angedacht. „Grundsätzlich geht das in die richtige Richtung“, sagt ÖH-Vorsitzende Sigrid Maurer vorsichtig. Bevor sie zu jubeln beginnt, wartet sie lieber noch auf die konkrete Umsetzung.
Bologna ist viel stärker auf die Studenten und Professoren angewiesen, als das der Politik anfangs bewusst war. Die Reform kränkelte zum Teil am fehlenden Willen der Universitäten, sie fühlten sich von oben herab behandelt und ärgerten sich über steife Vorgaben. „Der Bachelor ist top-down eingeführt worden“, sagt etwa Georg Winckler, Rektor der Uni Wien. In seinen Augen sollten die Hochschulen mehr Spielraum bekommen, ob sie im dreijährigen Bakkalaureat stärker auf Praxisnähe und Beschäftigungsfähigkeit setzen oder auf einen breiteren Bildungsbegriff.
Die Minister sprechen nun immer mehr von Universitäten als Partnern. „Wir verpflichten uns zu einer effektiveren Einbindung des Hochschulpersonals und der Studierenden“, heißt es in der Deklaration. Hoffentlich sind das nicht nur leere Worte, denn die Geduld mit Bologna ist enden wollend. Und es ist unrealistisch, dass der Prozess im Jahr 2020 noch einmal verlängert wird, bloß weil manche Länder nicht mitspielen.
Bologna bekam eine zweite Chance. Zehn weitere Jahre, um einen gemeinsamen europäischen Hochschulraum aufzubauen, in dem Lehre und Forschung nicht an der Landesgrenze Halt machen und sich die Unis wirklich darum sorgen, wie es ihren Studierenden geht. Wenn das gelingt, müssen die Minister bei der nächsten Zehnjahresfeier nicht vor den Studenten beschützt werden.
Dieser Artikel ist im Falter 11/10 erschienen. Foto: Heribert Corn
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bimst du 1 opfer?
#hastalavista #fascista
Liebe Ingrid,
weißt Du, ob/wie man diese Software auf Safari (Mac) installieren kann? Bis jetzt sehe ich auf der Website nur, dass man sie für Chrome herunterladen kann.
Vielen Dank!
Dank für diesen Post!
Die besagten Facebook-Seiten haben übrigens auch die "Nutzungsbedingungen für Facebook-Seiten" verletzt: "Seiten dürfen keine falschen, irreführenden, betrügerischen oder täuschenden Behauptungen oder Inhalte enthalten." (IV. Seiteninhalte, D.)
Impressum: Ein solches Formular gibt es im Info-Bereich der Seite, allerdings ist es keine Pflicht-Angabe. Dennoch schreibt Facebook zumindest folgendes: "Dieses Feld ist optional. In einigen Ländern wie Österreich, Deutschland und der Schweiz, können Unternehmen gesetzlich dazu verpflichtet sein, Angaben zur Inhaberschaft auf ihrer Webseite zu machen. Das Limit beträgt 2.000 Zeichen."
Und wenn die gar so amoralische Seite eine 'false flag operation' ist, anonym und jedem unterschiebbar? Hier wird Silverstein als Sündenbock vorgeführt. Leider ist er bis auf Weiteres nicht erreichbar..
Mir gefiel ihr ZIB Auftritt sehr gut.
Sie haben sehr professionell und fundiert kommentiert.
Mir gefällt das, was Sie tun und wie Sie das tun! Ein wichtiger Bestandteil der Aufrechterhaltung unserer Demokratie gegen die Unterwanderung durch die neuen Medien ( siehe USA).
Dort wurde ein Soziopath zum mächtigsten Mann der Welt gemacht!
sorry ich kann das nicht nachvollziehen!
ist doch nicht so schwer. lügen haben kurze Beine
Hätte der Typ wirklich Geld von der ÖVP bezogen, dann frage ich mich, warum er das noch immer leugnet?
Er hat den Job bei "Milestones" verloren. Er hat nichts mehr zu verlieren und ich glaube, einige Zeitungen würden ihm verdammt viel Geld zahlen, könnte er beweisen, dass die ÖVP diese Dirty Campaing gepsonsert hat.
Sorry, der obige Artikel ist leider alles andere als gut recherchiert:
Zitat aus einem Kurier-Artikel: "30 bis 40 Euro und einmal 150 Euro habe die Werbung gekostet, schätzt er"
Für diese Summen muss dieser Dödel keinen Parteiapparat hinter sich haben, das sollte klar sein.
Viel mehr stellt sich die Frage, wofür die SPÖ dann 500.000,- EUR bezahlt hat, wenn die Facebook-Werbung eigentlich saugünstig ist.
Die offenen Fragen kann hoffentlich die Staatsanwalt bzw. das Gericht klären. Sie zitieren hier den Betreiber der Facebook-Seite, der beteuert, das selbst gezahlt zu haben - wenn er dies möglichst nachvollziehbar machen will, kann er zB einem Sachverständigen Zugang zum Administratorenbereich seiner Facebook-Seite geben und dieser kann dort die genaue Höhe der Facebook-Werbung und zB auch die hinterlegte Kreditkarte ansehen.
http://www.zeit.de/kultur/2017-11/aufmerksamkeitsoekonomie-quote-clickbaiting-social-media?wt_zmc=sm.ext.zonaudev.twitter.ref.zeitde.share.link.x
so sei es...