Die Stadt mit den falschen Eigenschaften

Kaffeehaus, Klassik, Kaiserzeit: darauf reduzieren Touristen Wien. Genau das soll sich nun ändern



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Ihre letzten Minuten in Wien verbringen sie am Computer. Die beiden jungen Frauen sitzen im Internetcafé ihres Hostels auf der Mariahilfer Straße und tippen Nachrichten an ihre Freunde zuhause in Montreal. Margot Porter und Jessica Léger sind Anfang 20, haben den Studienabschluss in der Tasche und reisen nun durch Europa. Knapp drei Tage waren sie in Wien, bald startet ihr Flugzeug. Draußen nieselt es.



Vienna? Hier hatten die beiden viel Pech. Die Klimt-Ausstellung hatte gerade geschlossen, die Oper war zu teuer. Aber die Hofburg war groß und beeindruckend, sagt Margot. Und die Leute sind wirklich freundlich, findet Jessica. Die beiden Kanadierinnen sind typische Wientouristen. Sie haben Schönbrunn, das Haus der Musik und den Naschmarkt besucht, beim Demel Kaffee und Kuchen bestellt. Wien, davon haben sich die beiden tolle Sehenswürdigkeiten versprochen, ein kulturelles Erlebnis und alte Bauten. Ähnlich wie der Durchschnittstourist. Der verbringt genau 2,2 Tage in der Stadt, gibt pro Tag 286 Euro aus und ist im Schnitt 41 Jahre alt.



Solche Zahlen sind wichtig. Im Vorjahr gab es in der Stadt mehr als zehn Millionen Nächtigungen, allein dadurch wurden 487 Millionen Euro umgesetzt. Die Wertschöpfung durch den Tourismus wird noch viel höher, auf rund vier Milliarden Euro, geschätzt. Der Tourismus ist ein enormer Wirtschaftsmotor. Heuer stottert die Maschine aber. Bereits im Februar gab es zehn Prozent weniger Übernachtungen in Wien, weltweit sinken die Zimmerpreise.



Mitten in der Wirtschaftskrise feilt der Wiener Tourismusverband, kurz WienTourismus genannt, an seinem Image. Fast 11.000 potenzielle Besucher und Besucherinnen wurden online befragt, was sie von Wien denken. Wir wollten wissenschaftlich abklopfen, wo wir stehen, sagt Norbert Kettner, Direktor von WienTourismus. Diese Woche werden die Ergebnisse präsentiert. Sie dienen als Ausgangsbasis für den zukünftigen Werbeauftritt der Stadt. Vom Slogan bis hin zu den Uniformen in der Tourismusinformation steht alles zur Debatte. Ein Neuanfang?



Die Umfrage liefert deutliche Resultate. Wien wird für Schönbrunn, die Oper, die Sicherheit und die Donau geschätzt. Angebote, die Zeitlosigkeit, Kultiviertheit, Eleganz vermitteln. Dass Wien auch dynamisch ist, hier tolle Partys abgehen oder die Kreativszene pulsiert, glauben die Befragten hingegen weniger. Im Vergleich mit Amsterdam, Barcelona, Berlin, Paris und Prag schätzen sie das Nachtleben hierzustadt als besonders fad ein. Das empfindet Kettner als Problem. Wenn das Image einer Stadt zu traditionell ist, dann heißt es: Ja, Wien muss man einmal besuchen. Aber nicht heuer, sagt er. Ein Reisesziel wie Wien wird auch als Once in a lifetime-Destination bezeichnet.



Die Gefahr ist nicht, dass Wien international in Vergessenheit gerät. Sondern dass es trotz seiner Bekanntheit nicht als Urlaubsdestination in Betracht gezogen wird, weil die Stadt zu verschlafen, wie in einer Zeitblase wirkt. Wenn man an Wochenenddestinationen innerhalb Europas denkt, fallen einem sofort Städte wie Rom, London, Berlin ein, sagt der Marketingexperte Gérald Stein (siehe Interview unten). Das sind auch Städte, die das Image einer pulsierenden Metropole vermitteln – einem Urlaubsziel, das man jedes Jahr aufs Neue besuchen kann, weil sie sich ständig verändert. Das klassische Wien wird hingegen für Gebäude und Kunstwerke geliebt, die schon Jahrhunderte überdauert haben.



Wie sich die Stadt für Urlauber darstellt, zeigt sich beim Stephansplatz. Rechts der Dom, links der Mannerschnittenshop und in der Mitte Fiaker. Ein Pärchen um die vierzig steigt aus der Kutsche. Sie sind fünf Tage in Wien und haben schon viel gesehen. Nur eines haben wir noch nicht herausgefunden: Wo ist hier was los? So ein Ort wie der Prenzlauer Berg in Berlin?, fragt der deutsche Gast Klaus Schulz.



Vielleicht tun sich die Touristen schwer, das Wiener Nachtleben zu finden, weil es über die Stadt verstreut ist – vom Gürtel über die Schleifmühlgasse bis hin zum Prater. Vielleicht gibt es aber auch zu wenig Angebot. Die Branche selber schätzt das Nachtleben noch kritischer ein als die Touristen, sagt Stefan Bachleitner, dessen Agentur Skills die Umfrage durchgeführt hat.



Ergebnisse wie dieses sollten die Stadtregierung und die Bewohner aufrütteln. Ist es wirklich notwendig, dass über jeden neuen Kanaldeckel gestritten wird? Während Wien sich über sein Weltkulturerbe von gestern Gedanken macht, bauen Städte wie Barcelona oder Berlin Monumente. Und so etwas lockt dann zusätzliche Touristen an, weil das Gefühl entsteht, in dieser Stadt tut sich etwas.



WienTourismus muss auf dem aufbauen, was die Stadt bietet. Wir können nicht einen Nachtclub selber aufsperren, aber wir können schauen, wie wir das Vorhandene noch gezielter kommunizieren, sagt Direktor Kettner. Er will eine klassische Marketingmethode anwenden: das Trittbrettprinzip. Das funktioniert, indem man mit dem bestehenden Image der Stadt zusätzliche Werte verbindet. Kettners Lieblingsbeispiel dafür ist der Wiener Life Ball: Das riesige Charity-Event für Menschen mit Aids entspringt der zutiefst österreichischen Balltradition, hat aber ein moderneres, aufgeschlosseneres und schrilleres Flair.



Nicht nur die Vermarkter Wiens haben Angst, dass ihre Destination verschnarcht wirken könnte. Städte mit geschichtlich stark geprägtem Profil können nicht so leicht ihr Image erneuern. Sie sind im Ausland längst ein Begriff, ihr Name wurde noch in verschiedenste Sprachen übersetzt. Egal ob es Vienna, Vienne, Bec oder London, Londres, Londra heißt, da schießen einem sofort Bilder in den Kopf. Umso mehr sind viele traditionsreiche Destinationen bemüht, modern aufzutreten. Die Briten werben mit Sprüchen wie London: schwarze Taxis in zwölf Farben. Paris fördert Veranstaltungen, die dem typischen Bild der Stadt widersprechen.



Ein knalliges Wien zu zeigen, diese Idee ist freilich nicht besonders originell. Neu ist aber, dass die Stärken und Schwächen der Stadt genau abgefragt wurden und die Kommunikation der Marke Wien präzise darauf abgestimmt werden soll. Womöglich steht am Ende dieses Prozesses eine Werbelinie, die das imperiale Erbe kommuniziert – aber trotzdem den Eindruck vermittelt, dass in Wien etwas aufregend Neues passiert. Die bisherige Werbelinie war da nicht so peppig. Vienna waits for you lautet der Slogan. Und der ungünstige Eindruck entsteht: Kein Problem, liebe Touristen, wenn ihr erst in der Pension kommt! Das Schloss Schönbrunn reißen wir bis dahin sicher nicht ab.



Vielleicht sind die Wiener Sorgen auch Luxusprobleme. Immerhin ist die Stadt eine beliebte Destination. In Europa haben nur London, Paris, Rom, Dublin, Prag und Barcelona mehr Nächtigungen aus dem Ausland, ergeben die Zahlen aus dem Jahr 2007. Somit hat Wien mehr internationale Touristen als Berlin, Amsterdam oder Stockholm.



Wien lebt gut von seinem kaiserlich-königlichem Ruf. Das zeigt sich auch in der Maysedergasse. Dort liegt der Eingang zum Restaurant Sacher. Nein, nicht der große Eingangsbereich mit der weinroten Markise, sondern der unscheinbarere Zugang zum Restaurant. Zwei junge Polinnen fotografieren einander davor, die beiden sind Schwestern. Wir sind hierhergekommen, weil wir einen Film über Sissi gesehen haben, sagt die eine. Ein Kitschbild, bei dem sich vielen Wienern die Haare aufstellen.



Was Touristen an einer Destination schätzen, muss nicht dem entsprechen, was Einheimische daran mögen, sagt Peggy Bendel von der Marketingagentur DCI. Sie kennt viele Beispiele, bei denen die Einwohner mit dem Werbeauftritt ihrer Heimat unglücklich waren. Australier ärgerten sich, dass ausgerechnet Crocodile Dundee-Darsteller Paul Hogan ihr Land bewarb, viele Schotten fühlen sich auf Kilts und das Seeungeheuer von Loch Ness reduziert. Aber was wäre Schottland ohne diese Stereotype für den durchschnittlichen Touristen? Womöglich nur ein weiteres Land mit schlechtem Wetter.



Wien als Stadt im 21. Jahrhundert – dafür sind auch die beiden Kanadierinnen Margot Porter und Jessica Léger nicht angereist. Wien, das ist die Stadt der Musik, sagt Jessica. Sie meint damit die Oper. Clubs, Partys, Popkonzerte interessiert sie hier gar nicht. Wir haben in Kanada das ganze Jahr tolle Indiebands wie Arcade Fire oder Feist. Wenn wir verreisen, wollen wir etwas Anderes sehen.









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/Das verfestigt den Eindruck, dass Wien eine schlafende Stadt ist




Wie vermarktet man ein Urlaubsziel? Mit dieser Frage beschäftigt sich der Tourismusexperte Gérald Stein seit 15 Jahren. Er ist der Vizepräsident der französischen Reisekommunikationsagentur DDB Travel & Tourism und hat davor beim Tourismusverband der Region Paris gearbeitet.



Falter: Herr Stein, Wien feilt an seiner Marke. Sehen Sie Schwächen beim touristischen Image der Stadt?

Gérald Stein: Die Frage ist, ob Wien wirklich als Urlaubsdestination in Erwägung gezogen wird. Die Bekanntheit der Stadt ist kein Problem. Jeder kennt Wien, zumindest in Europa. Die Leute haben eine klare Vorstellung von Wien dank alter Filme wie „Sissi“ und der Musik, dem Kulturerbe. Aber ziehen die Leute Wien für ihren nächsten Urlaub in Betracht? Vielleicht kann Wien hier etwas verbessern.



Was könnte man da tun?

Stein: Man muss die Leute überraschen, ihnen eine Destination zeigen, die sie nicht erwarten. Ein möglicher Weg ist, Veranstaltungen in der Stadt groß anzukündigen. Das bedeutet nicht, dass Wien unbedingt eine Veranstaltung mit klassischer Musik bewerben muss. Das verfestigt den bestehenden Eindruck eher, dass Wien eine schlafende Stadt ist. Es würde nicht den Eindruck einer pulsierenden Stadt wie Barcelona oder Berlin vermitteln. Ich glaube, man sollte lieber die Leute überraschen, damit sie sagen: „Ach so? Das ist Wien?“



Sie haben auch im Pariser Tourismusverband gearbeitet. Sehen Sie Parallelen zwischen Wien und Paris?

Stein: Ja, denn beide Städte haben ein Image, bei dem man an Charme, an gutes Essen, an Lebenskunst denkt, gutes art de vivre. Aber bei beiden Städten fühlt man nicht unbedingt die Notwendigkeit, jetzt dorthin zu reisen. Das geht einigen Destinationen so. Ich habe schon vor 20 Jahren gesagt: „Schauen wir doch einmal nach Prag!“ Aber bis heute war ich nicht dort.



Solche Urlaubsziele nennen Sie eine „Once in a lifetime“-Destination. Jeder will irgendwann einmal dort hin, aber nicht unbedingt dieses Jahr. Wie streift man so ein Image ab?

Stein: In Paris werden Ausstellungen beworben, die massiv vom herkömmlichen Bild der Stadt abweichen. Es geht darum, die eigene Marke mit solchen Veranstaltungen zu assoziieren. Das ist eine Möglichkeit, das eigene Image zu verändern: Man kooperiert mit einem Event, das für Werte steht, die man selbst vermitteln möchte.



Können Sie ein Beispiel geben, welche Veranstaltungen Paris bewirbt?

Stein: Ja, zum Beispiel fand im Grand Palais eine Walt-Disney-Ausstellung statt. Das ist ein sehr netter Ausstellungsort, der ins historische Zentrum von Paris passt. Und das Pariser Tourismusbüro kommuniziert neue Events wie dieses, um zu zeigen, dass dort dauernd etwas passiert.



Paris, die „Stadt der Liebe“, macht auch Werbung für Sportevents wie die Rugby-Weltmeisterschaft, um ein anderes Bild zu vermitteln. In Wien gibt es aber viele Menschen, die lieber keine Veränderung wollen.

Stein: Diesen Widerstand kenne ich. Als ich beim Elsässer Tourismusbüro gearbeitet habe, hatten wir es auch schwer. Im Dezember kamen zum Beispiel keine Touristen, alles war zu. Dabei gab es gerade zu dieser Zeit zwei sehr schöne Weihnachtsmärkte. Wir haben lange gebraucht, um die Hoteliers zu überzeugen, dass sie im Dezember aufsperren. Anfangs kam Kritik, nach zwei Jahren hob das Ganze aber richtig ab. Ich glaube, das Elsass hat heute fast zwei Millionen Besucher pro Jahr und überall gibt es neue Adventmärkte.







Die beiden Texte wurden im Falter 14/09 veröffentlicht. Illustration: PM Hoffmann (www.pmhoffmann.de) / Foto: privat

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