Mit der Nase fast am Schnee

Gold für die heimischen Snowboarder? In Vancouver könnte es jetzt klappen



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Die Anspannung steigt von Tag zu Tag“, sagt Benjamin Karl. Derzeit trainiert der 24-Jährige im kanadischen Winterresort Sun Peaks, sechs Autostunden von Vancouver entfernt. Kommenden Samstag wird er das wichtigste Rennen seiner bisherigen Karriere fahren: Den Parallel-Riesentorlauf bei den Olympischen Spielen. Der Niederösterreicher ist einer der Favoriten, er kommt als Weltcupführender und als Weltmeister im Parallelslalom auf den Whistler Mountain. „Mein Ziel ist auf jeden Fall eine Medaille“, sagt Karl, „am liebsten die goldene.“



Wer in Vancouver teilnimmt, muss so etwas sagen. Trotzdem: Eine Goldmedaille ist überfällig. Das österreichische Team dominiert die alpinen Snowboard-Wettbewerbe. Neben Karl stehen erfolgreiche Routiniers wie Andreas Prommegger, Doris Günther oder Sigi Grabner auf dem Brett, Letzterer gewann vor vier Jahren in Turin die olympische Bronze. Der erste Stockerlplatz wäre nicht nur eine große Errungenschaft für den einzelnen Athleten: Eine solche Auszeichnung würde auch der gesamten Disziplin helfen.



Raceboarder sind zu Exoten geworden. Nur noch selten sieht man auf den Pisten ihre stark taillierten Boards, nur noch wenige Boarder tragen Hardboots statt Softboots. Ihre Disziplin droht zu einem Randsport wie Skispringen zu werden: Da gibt es zwar tolle Athleten, die wenigsten Hobbysportler hüpfen aber jemals eine Skisprungschanze hinunter.



Seit 14 Jahren steht Benjamin Karl auf seinem Brett. „Es kostet sehr viel Übung, diesen Sport zu können“, sagt er. Den Raceboardern geht es nicht darum, große Sprünge oder ausgefallene Stunts zu machen. Hier kommt es auf Geschwindigkeit und aufs perfekte Kantenfahren an.


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Benjamin Karl

Wenn Karl mit 70 Stundenkilometern den Hang hinabrast, ist sein Kopf oft nur wenige Zentimeter über dem Schnee. Die Profis müssen extremen Druck ausüben, um sich so stark in die Kanten zu legen und trotzdem die Kontrolle über ihr Board zu behalten. „Aber das Gefühl, wenn man mit der Nase fast den Schnee berührt, ist toll“, sagt der Sportler.



Für die Zuseher ist der Parallel-Riesentorlauf auch deshalb spannend, weil es ein Wettkampf Mann gegen Mann – oder eben Frau gegen Frau – ist. Auf der einen Seite stehen rote, auf der anderen blaue Stangen. Zeitgleich starten zwei Athleten. Wer zuerst unten ankommt, hat gewonnen. So die vereinfachte Erklärung.



Es ist ein unberechtigtes Klischee, dass Snowboarder immer nur im Schnee hocken und die Spaßtruppe bei Olympia sind. Seit 2002 ist der Parallel-Riesentorlauf eine olympische Disziplin, die Snowboarder selbst sind Profisportler, die über das ganze Jahr hinweg trainieren: Im Winter am Hang, im Sommer in der Kraftkammer. Im Vergleich zum Skikader sind der Betreuerstab und die Ressourcen für Boarder aber klein. Für acht Olympiateilnehmer gibt es vier Betreuer: zwei Trainer, einen Physiotherapeuten und einen Servicemann.



Karl kann von seinem Sport sehr gut leben. Wäre er allerdings als Skifahrer so erfolgreich, würde sein Gesicht Tiefkühlkost anpreisen und Titelseiten von Massenblättern schmücken. Als Snowboarder ist es schwierig, über die Runden zu kommen oder Sponsoren zu finden. Besonders für den Nachwuchs ist das ein Problem. „3500 bis 5000 Euro kostet das Material pro Jahr. Die breite Masse muss sich das selbst kaufen“, sagt Tom Weninger, Snowboardtrainer im Europacup, bei dem viele Jungtalente starten.



Nun ist Vancouver eine Chance. „Eine Medaille wäre wichtig für die Positionierung innerhalb des ÖSV“, sagt auch Snowboard-Chefkoordinator Christian Galler. Abseits des Skizirkus werden andere Disziplinen in der Regel kaum wahrgenommen. Die geringe Wertschätzung zeigt sich bereits darin, dass der ÖSV noch immer die Abkürzung für „Österreichischer Skiverband“ ist. Von Snowboard keine Rede.



Athleten wie Benjamin Karl geht es auch darum, wieder Begeisterung für ihren Sport zu wecken. „Ein einzelner Mann ist dafür aber viel zu wenig. Wenn eine Mannschaft insgesamt stark ist, bekommt sie Aufmerksamkeit“, meint er. Am liebsten hätte der Rennläufer nicht nur eine einzige Medaille für sich selbst, sondern drei für das ganze Team. Das würde sicherlich für einigen Rummel sorgen, nicht nur in Vancouver.





Fernsehübertragung

Der Parallel-Riesentorlauf der Damen beginnt am Freitag, 26. Februar, um 19 Uhr. Jener der Herren läuft tags darauf zur selben Zeit. Der ORF überträgt das Finale





Diese Sport-Geschichte ist im Falter 08/10 erschienen. Fotos: www.GEPA-pictures.com

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