Warum selbst ein gutes Gesetz nichts daran ändert, dass die Vorratsdatenspeicherung ein Fehler ist
Wenn wir ein E-Mail senden, wenn wir den Hörer in die Hand nehmen, wenn eine SMS auf unserem Handy eintrifft, wird all das registriert und ein halbes Jahr lang gespeichert. So entstehen Datenberge über jeden Bürger, der ein Telefon oder einen Internetanschluss besitzt. Für die Polizei wird nachvollziehbar, wer wann mit wem und von wo elektronisch kommuniziert. Im Fall eines Verbrechens dürfen Ermittler auf die Daten zugreifen.
Das ist keine Fiktion aus einem Science-Fiction-Roman, sondern unsere Zukunft. Österreich muss die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung umsetzen. Infrastrukturministerin Doris Bures (SPÖ) hat einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorgelegt. Demnach müssten Telekomunternehmen Verbindungsdaten sechs Monate lang speichern. Etwa die Information, wann jemand telefoniert, ein E-Mail oder eine SMS geschrieben hat. Der Inhalt der Nachricht wird nicht aufgezeichnet. Die Polizei bekommt aber Einsicht, wer sich wann wo aufhielt und mit wem er Kontakt hatte.
Diese Verpflichtung zum Datensammeln ist ein Paradigmenwechsel: Zwar speichern Telekomfirmen schon jetzt viele Daten, um diese mit dem Kunden abzurechnen. Die Polizei darf auch darauf zugreifen, wenn ein Richter dies anordnet. Neu ist allerdings dass diese Information für die Polizei gesammelt werden muss, genauso wie das Ausmaß der staatlichen Datengier. Künftig sollen auch Internet- oder E-Mail-Daten gebunkert werden, die die Firmen bisher gar nicht oder nicht so lange speicherten.
Bures muss die umstrittene EU-Richtlinie in heimische Gesetze umwandeln. Die Ministerin hat das überraschend gut gemacht. Sie hat nichts übereilt im Gegenteil, Österreich hat die Umsetzung hinausgezögert. Nun legte sie einen Entwurf vor, der die Bedenken von Datenschützern, Zivilgesellschaft und Journalisten berücksichtigt. Ihr Entwurf schützt das Redaktionsgeheimnis. Auch Ärzte, Juristen und andere berufliche Geheimnisträger sind von der Kontrolle ausgenommen. Ihre Daten werden zwar aufgezeichnet, aber für die Polizei geschwärzt. So können Ermittler nicht herausfinden, wer etwa bei der Aidshilfe angerufen oder einem Medium geheime Akten zugespielt hat.
Zusätzlich sieht der Entwurf eine Informationspflicht vor. Wenn die Polizei ein Handy orten lässt, muss der Betroffene dies künftig im Nachhinein erfahren. Das ist eine klare Verbesserung, da es momentan keine Informationspflicht gibt.
Der Bures-Vorschlag ist also gut gemeint. Und trotzdem schlecht für jeden einzelnen Bürger. Denn die Vorratsdatenspeicherung ist in ihrem Kern problematisch, weil sie alle Bürger wie potenzielle Verbrecher behandelt. Auch eine Minimalvariante ändert daran nichts.
Es ist verdienstvoll, das Redaktionsgeheimnis zu schützen. In der Praxis wird das wohl kompliziert: Es müssen Listen von Journalisten, Ärzten, Anwälten samt Handynummern und Internetaccounts erstellt und aktualisiert werden.
Die wesentlichere Frage ist aber: Sollte der Rest der Bevölkerung nicht auch einen solchen Schutz der Privatsphäre genießen? Ist es ein fairer Deal für die Bürger, dass ihre gesamte Kommunikation überwacht wird, damit Terroristen und Drogendealer ausgeforscht werden können?
Die Vorratsdatenspeicherung betrifft die Großmutter, die ihren Enkel anruft, den Manager, der seine Mails abruft, den Einsamen, der im Internet nach einem Partner sucht. Auch wenn niemand von ihnen je einer Straftat verdächtigt wurde, will die Polizei alle ihre Daten gespeichert haben.
Befürworter der Richtlinie rechtfertigen diesen Eingriff mit dem Kampf gegen Terrorismus. Auf die Daten, sagen sie, würde nur bei schweren Straftaten zugegriffen. Schon länger zeichnet sich ab, dass Justiz- und Innenministerium diese Information auch bei leichteren Vergehen einsehen wollen: Etwa bei Urheberrechtsverletzungen oder bei Straftaten, die mit über einem Jahr Haft bedroht sind. Gewerbsmäßiger Ladendiebstahl zählt dazu. Sollen wir unsere Bürgerrechte aufgeben, um Ladendiebe oder Raubkopierer zu schnappen?
Nein. Mittlerweile besteht sogar die Hoffnung, dass die EU umschwenkt. Vor fünf Jahren herrschte Panik nach den Bombenanschlägen von London. Im Eiltempo wurde die Vorratsdatenspeicherung durchs EU-Parlament gewunken. Nun werden kritische Stimmen hörbar. Bis September will die EU-Kommission eine Evaluierung der Richtlinie vorlegen. Gleichzeitig kämpft Irland beim Europäischen Gerichtshof gegen die riesige Datensammlung das Höchstgericht soll prüfen, ob diese mit den Grundrechten vereinbar sei.
Ministerin Bures taktiert geschickt. Sie will den Bericht der Kommission abwarten, ehe Österreich das Gesetz beschließt. Wenn alles gut geht und Brüssel von der Bestimmung abweicht, könnte uns die Vorratsdatenspeicherung erspart bleiben. Wenn sich nichts ändert und Österreich die Richtlinie umsetzen muss, hat die Ministerin zumindest eine Vorlage zur Vorratsdatenspeicherung in der Schublade, die nicht das allerschlimmste Überwachungsgesetz ist.
Bleibt zu hoffen, dass die EU zurückrudert und dass sich Österreich dafür in Brüssel starkmacht. Zum Beispiel gemeinsam mit den Iren. Es gibt nur einen guten Ausweg: Diese Richtlinie muss gekippt werden. Alles andere wäre die kosmetische Korrektur eines verpfuschten Eingriffs in die Grundrechte.
Dieser Kommentar ist im Falter 31/10 erschienen. Foto: Flickr-User JPBader (John-Paul Bader)
Kommentare
Mal sehen wie viele Studien über die Sinnlosigkeit der Vorratsdatenspeicherung benötigt werden um sie wieder abzuschaffen. Leider sind die Regierungen einfach so datensammelwütig.
Nachdem es jetzt eh passiert ist sollte man das ganze System mit sinnlosen Informationen zumüllen, dann geht vielleicht in der Datenflut unter wann meine Oma mit ihrem Arzt über ihre Hüftprothese via Email kommuniziert hat… (Ja ich weiß, Inhalte werden nicht gepeichert – noch nicht…)