Illustration: PM Hoffmann

Für Revolution drücken Sie bitte die Rautetaste

Wie Facebook und Twitter die arabische Demokratiebewegung beschleunigten

Illustration: PM Hoffmann

Karim El-Gawhary steht an der libyschen Grenze. Er blinzelt in die Kamera, starker Wind zersaust sein Haar. Im Hintergrund sieht man das blaue Mittelmeer, eine rötliche Wüstenlandschaft und weiße Autos. Der Journalist kommentiert fürs Fernsehen: “Ich weiß nicht, ob man es hier hinten sehen kann: eine lange Schlange, kilometerlange Schlange von Kleinbussen, die kommen, um Leute von der Grenze abzuholen.“ Die Menschen wollen raus aus Libyen, wo ein Diktator gegen sein Volk kämpft. Nur El-Gawhary will hinein, so wie viele andere Journalisten auch. Doch das libysche Regime verweigert die Einreise. Wer illegal die Grenze passiert, wird als Al-Kaida-Terrorist eingestuft, so die Drohung.

“In solchen Situationen muss man gelassen bleiben“, meint El-Gawhary wenige Minuten nach seinem Live-Auftritt am Telefon. Er ist ein echter Medienprofi. Seit 2004 leitet er das ORF-Büro in Kairo, zusätzlich schreibt er für Zeitungen wie Presse oder taz – und nebenbei facebookt und twittert er noch. “Waffen aus Kasernen wurden an Aufstaendische verteilt. Liby. Grenztruppen haben ihre Posten verlassen“, liest man beispielsweise auf 140 Zeichen. 3000 Menschen folgen dem Reporter alleine auf Twitter, und es werden täglich mehr.

El-Gawhary ist hierzulande der bekannteste Journalist, der vom Erwachen der arabischen Welt berichtet. Aber er ist auch ein spannendes Beispiel, wie sich die Rolle des Korrespondenten verändert. “Ich bin selbst ein großer Fan neuer Medien“, sagt er, “ich benutze sie, um mich mitzuteilen, aber auch um Information zu sammeln.“ Wer dieser Tage Al Jazeera, CNN oder ORF schaut, wird Videos aus Facebook und Twitter sehen. Demonstranten haben sie mit gewöhnlichen Handykameras aufgezeichnet und hochgeladen. Aber handelt es sich bei der Bilderflut stets um die Realität oder um ihren Zerrspiegel? Sind die Onlinenetzwerke maßgeblich für die Revolution oder werden sie maßlos überschätzt?

Darüber ist eine große Debatte entbrannt. US-Außenministerin Hillary Clinton träumt bereits davon, dass amerikanische Internetfirmen in die ganze Welt Meinungsfreiheit exportieren. Der britische Telegraph urteilt hingegen: “Mubarak tritt zurück. Aber reden wir Klartext – Twitter hatte damit nichts zu tun.“

Facebook wichtiger als die Zeitung

El-Gawhary jedenfalls nimmt die digitalen Medien ernst. “In Ägypten gibt es mehr Facebook-Nutzer als Tageszeitungsleser“, meint er. Gerade in den Anfangstagen des Protests hätten die Webportale die Stimmung angeheizt, sagt er: “Die Lawine begann in den neuen Medien zu rollen.“

Teil dieser Lawine war auch Hani Morsi. Der 29-Jährige hat mit dazu beigetragen, dass tausende Bilder, Tweets und Blogeinträge die Welt an der ägyptischen Revolution teilhaben ließen. Er selbst stand am Tahrir-Platz und protestierte, auf Twitter wiederum witzelte er über das Regime.

Hani Morsi / Foto: privat

Der junge Mann zweifelt keine Sekunde daran, dass das Web seinem Volk half. “Es geht aber nicht um einen kurzfristigen Effekt“, meint Morsi. “Das Internet war wichtig, um wieder eine gesellschaftliche Debatte zu entfachen. Viele Intellektuelle hatten die Hoffnung bereits aufgegeben. Aber wir Jungen haben online wieder angefangen zu diskutieren.“

Morsi zählt zu einer Generation junger Araber und immer mehr Araberinnen, die die Nase voll hatten von den strengen Regeln, der fehlenden Pressefreiheit und den Regimegünstlingen, die an der Korruption verdienten und mit Wahlbetrug ihre Macht sicherten. Gerade im Netz konnten sie darüber schimpfen. “Bei jeder Wahl stieg die Nutzung des Internets, die politischen Blogs wurden immer wichtiger. Dort konnte man die echten Kontroversen nachlesen, die in traditionellen Medien fehlten“, sagtMorsi. Er ist exemplarisch für die kritische Netzgemeinde, die digitale Boheme: Er ist unter 30, kommt aus der oberen Mittelschicht, hat ein Wirtschaftsstudium zu Internationaler Entwicklung abgeschlossen und in New York ein Praktikum bei den Vereinten Nationen absolviert. Dort arbeitete er im 36. Stock – und bekam wohl auch einen guten Überblick über die Welt. Heute ist Morsi als Unternehmensberater tätig, sowohl in seinem Büro als auch in seinem Zuhause in Neu-Kairo hat er Internet. Mit seinem iPhone twittert er auf Arabisch und auf Englisch, seine Fremdsprachenkenntnisse sind exzellent.

Natürlich sind Menschen wie Morsi eine Ausnahme. Der junge Mann ist privilegiert. Die meisten Ägypter besitzen kein iPhone, sie wachsen nicht in einem geräumigen Haus in Kairo auf, besuchen keine Privatschule und reisen in ihrem Urlaub nicht nach Hong Kong, Paris oder Berlin. “In unserem Land gibt es 44 Prozent Analphabeten“, sagt der junge Mann, “die Netzaktivisten sind eine Minderheit. Aber diese Minderheit gab den Anstoß.“

“Es brodelte schon länger“

Das stimmt alles mit den Forschungsergebnissen von Christina Schachtner überein. Die Medienwissenschaftlerin der Uni Klagenfurt hat digitale Netzwerke weltweit untersucht – von Kanada bis zum arabischen Raum. Sie überraschte es nicht, als plötzlich in Tunesien, Ägypten und Libyen die Wut der Jungen hochkochte. “Dort brodelte es schon länger“, meint die Professorin. Sie konnte das auf der Plattform Mideast Youth beobachten, wo junge Ägypter, Saudi-Araber oder Iraner über ihre strengen Staaten diskutieren – und hinterfragen, wie eine moderne arabische Gesellschaft aussehen könnte. “Was würdest du tun, wenn in Saudi-Arabien die erste weibliche Präsidentin antritt?“, will ein User von seinen Diskussionspartnern wissen.

Das ist nicht nur Gefasel im Internet, die Nische einer Jugend, die sich hinter Computerkabeln verkriecht, es zeigt einen Generationenwandel. “Sie sehen sich als Kinder des 21. Jahrhunderts“, meint Schachtner. Viele junge Araber wollen eine gesellschaftliche Öffnung, sie sprechen online Tabus wie Geschlechterfragen, Religionsfreiheit oder die Diskriminierung von Homosexuellen an. Offline können diese Themen nur selten frei diskutiert werden. Das Internet schafft Raum für Gesellschaftsdebatten – in dem sich auch arabische Frauen zu Wort melden können. Mideast Youth wurde zum Beispiel von Esra’a Al-Shafei gegründet, einer Studentin aus Bahrain.

Ist das iPhone entscheidend für Revolutionen? Oder der Mensch, der darüber seinen Unmut verbreitet? “Menschen haben protestiert und Regierungen gestürzt, da gab es noch gar kein Facebook“, sagen die Skeptiker, etwa Malcolm Gladwell im New Yorker. Natürlich haben die Kritiker da Recht: Das Internet allein führt zu keinem Coup d’état, aber hat das denn jemals jemand ernsthaft behauptet?

Das überschätzte Internet

Die Bedeutung des Web wird teilweise aufgeblasen. Im Jahr 2009 waren in Ägypten 24 Prozent, in Tunesien 34 Prozent und in Libyen nur 5,5 Prozent der Bevölkerung online, schätzt die Internationale Fernmeldeunion. Da wäre es absurd zu behaupten, die Libyer organisierten sich über Twitter oder Facebook, dort fehlen die Internetleitungen.

Trotzdem spielen in einer Region wie Libyen, einem der technologisch abgeschottesten Gebiete der Welt, die sozialen Netzwerke eine Rolle: Sie zeigten in den vergangenen Wochen, wie Demonstranten die Hafenstadt Bengasi eroberten und wie das Regime von Muammar al-Gaddafi immer nervöser wurde. Nicht Journalisten lieferten diese Bilder, sondern Smartphonebesitzer.

Für die Journalisten wirft das die schwierige Frage auf, wie sehr sie diesem Bildmaterial glauben dürfen – eine Herausforderung angesichts der Informationsflut. Für die Aktivisten wiederum sind die Videos eine große Chance: In diesem Augenblick blickt die Welt auf ihr Land, und sie haben ein paar Minuten Zeit, ihre Geschichte von Unterdrückung zu erzählen.

 

Videokurse für Aktivisten

Vielleicht sind die Videos die stärksten Waffen der Zivilisten. “Die Handyvideos sind ein bedeutsames Phänomen, das seit zwei, drei Jahren immer wichtiger wird“, sagt Sam Gregory von der US-Menschenrechtsorganisation Witness. Die Mobiltelefone werden immer günstiger, immer häufiger haben sie eine Kamera eingebaut, und der Zugang zum Internet wächst. Witness führt weltweit Trainings für Aktivisten durch. “Wir zeigen ihnen, wie sie den Kontext verständlich machen, wie sie zum Beispiel in 30 Sekunden eine Situation richtig erklären“, erzählt Gregory. In über 70 Ländern war seine Organisation schon aktiv, pro Jahr schult sie rund 400 Aktivisten, darunter auch arabische.

Nicht nur im Ausnahmezustand sind Videos ein Medium für Protest, auch abseits von Revolutionen dokumentieren Bürgerrechtler gesellschaftliche Gräuel. Sie zeigen Bilder von der Achdam-Minderheit im Jemen, die wie Menschen zweiter Klasse behandelt wird, oder Interviews mit Frauen aus Simbabwe, die von ihrer Vergewaltigung in staatlichen Foltercamps erzählen. Wieder so ein Beispiel, wo digitale Medien die Protestkultur nachhaltig und nicht nur vorübergehend beeinflussen. Allerdings gibt es eine große Schattenseite: Auch Regime können Technik nutzen, die Videos haben schon manch einen Aktivisten verraten. Jemand filmt den Protest, und mit einem Schlag weiß das Regime, wer seine Gegner sind. “Im Iran ist das 2009 passiert“, sagt Sam Gregory, “die Regierung sah sich nach den Protesten Youtube-Videos an, um Demonstranten zu identifizieren.“

Viele Onlineportale wurden nicht für Protest, sondern für Profit programmiert. Ihre Codes und ihre Geschäftsbedingungen werden den Cyberdissidenten immer wieder zum Risiko. Das beweist aber auch, dass die Regime selbst die neuen Medien sehr ernst nehmen. Seit Wochen blockieren die chinesische Zensoren Suchanfragen zu Ägypten oder Tunesien, damit das Volk auf keine falschen Ideen kommt. In Libyen werden Telefon und Internet teilweise abgedreht. Angeblich überwacht Gadaffis Geheimdienst Facebook, was zu skurrilen Auswüchsen führt. So treffen sich libysche Dissidenten neuerdings heimlich in Heiratsportalen – Revolutionskampf inmitten von Partneranzeigen.

Ein Blogger als Märtyrer

Auch in Ägypten mussten Blogger aufpassen. “Zum Teil tolerierte das Regime die Blogs“, erzählt Morsi, “allerdings wusste jeder, dass sein Name auf einer Liste stand. Als ich noch studierte, wurden Kollegen von mir eingesperrt, sie waren so etwas wie Cyberdissidenten. Man inhaftierte sie, schlug sie, schüchterte sie ein. Einige wurden wochenlang nicht freigelassen.“

Es war auch ein Blogger, der schließlich den ägyptischen Zorn entfachte. Der 28-jährige Khaled Said wurde im vergangenen Sommer von zwei Polizisten zu Tode geprügelt, berichteten Augenzeugen. Sie sollen ihn in einem Internetcafé in Alexandria aufgesucht und auf ihn eingedroschen haben. Später tauchte seine Leiche auf, das Gesicht entstellt, die Lippe eingerissen, alles voller Blut. Die Polizei behauptete zuerst, Said sei drogensüchtig gewesen und an einem Päckchen Haschisch erstickt.

“Wir sind alle Khaled Said“

Die Bilder von Saids verprügeltem Leichnam verbreiteten sich auf Facebook wie ein Lauffeuer. “We are all Khaled Said“, hieß es im Internet und auf Plakaten. Der junge Mann wurde zum Gesicht einer Widerstandsbewegung – und Social Media zum ersten Funken in einem großen gesellschaftlichen Brand. Aber waren es die Bilder auf Facebook, die den Volkszorn auslösten? Oder war es die Tatsache, dass derartige Polizeibrutalität am helllichten Tag passieren konnte?

Es gibt kein simples Rezept, wie eine Revolution gelingt. Die Proteste im arabischen Raum zeigen aber zumindest, dass sich die Medienrealität massiv verändert. Ein Teil der gesellschaftlichen Diskussion wandert in virtuelle Räume ab, über das Netz wird der Protest in Tripolis weltweit zum Gesprächsthema, selbst wenn Journalisten noch gar nicht vor Ort sind. Mittlerweile treffen die Korrespondenten nach und nach in Libyen ein.

“Tripolis in der Abendstimmung: Viele Läden verriegelt, manche offen, ein paar Leute auf der Straße. Nicht so lebendig wie bei früheren Besuchen“, berichtet der CNN-Korrespondent Nic Robertson kurz nach seiner Ankunft. El-Gawhary hat es auch noch in die Hauptburg der Rebellen geschafft: “Bin in Bengasi angekommen“, schreibt er, “putze gerade mein Zimmer und mache mein Bett in einem 5-Sterne-Hotel. Der Zimmerservice ist geflüchtet.“ Wo man das nachlesen kann? Auf Twitter – wo sonst.

 

 

Dieser Artikel ist im Falter 9/11 erschienen. Illustration: PM Hoffmann. Fotos: ORF/Büro Kairo, Hani Morsi

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