Wie wir diskutieren wollen

In Deutschland und Österreich ist eine Debatte darüber entbrannt, wie viel Mitsprache Medien in ihrem eigenen Forum haben sollen – dabei wird das Recht auf Meinungsfreiheit wieder einmal falsch verstanden

Hinweis: Dieser Text erschien zuerst hier

Es ist keine Zensur, sondern verantwortungsbewusst, was die Onlineredaktion der Süddeutschen Zeitung macht. SZ.de versucht seit kurzem, auf ihrer Seite eine möglichst hochwertige Debatte mit den Lesern zu führen. Dabei wendet sie das Konzept „weniger ist mehr“ an. Die Leser können nicht mehr unter all den Artikeln diskutieren, sondern nur in einem eigens geschaffenen Diskussionsbereich: Dort werden die drei Themen des Tages debattiert und möglichst gewissenhaft moderiert. Weiterhin ist es möglich, mit der Redaktion und den anderen Lesern über Facebook und Twitter zu diskutieren, also auch zu Themen, die auf SZ.de kein Forum mehr haben.*

Ein ungewöhnlicher Schritt: Denn sueddeutsche.de gesteht damit ein, dass die herkömmliche Forenlogik für sie nicht mehr funktioniert. Der Hintergrund ist wohl, dass es einfach nicht genug Personal gibt, um unter jedem Artikel auf der Webseite eine angemessene Moderation zu bieten. Angemessen moderieren bedeutet meineserachtens einerseits, die Rüpel in den Foren in die Schranken zu weisen, es bedeutet andererseits aber auch, mit den Lesern gemeinsam zu diskutieren und ihnen auch möglichst Feedback zu geben. Man soll als Redaktion dem eigenen Publikum signalisieren: Hey, wir hören euch und wir nehmen euch ernst – auch wenn wir vielleicht nicht immer jedem einzelnen von euch zustimmen.

Die Realität schaut aber ganz anders aus. In den meisten Zeitungsforen kommt es zu keiner solchen Debatte auf Augenhöhe, sondern die Schreihälse geben den Ton an. Das hat zwei Gründe. Zum einen die chronologische Reihung: In den meisten Foren wird immer der neueste Kommentar ganz oben angezeigt. Wer hundert Mal unter einem Artikel postet, landet hundert Mal an erster Stelle und ist deswegen hundert Mal sichtbarer als jemand, der nur einmal postet. So werden jene bevorzugt, die alle anderen zutexten.

Zweitens wird diese Möglichkeit des Zutextens gezielt von jenen eingesetzt, die andere gar nicht zu Wort kommen lassen wollen. Das beste Beispiel sind die Antifeministen: Diese Gruppe lehnt die Idee der Gleichstellung der Frau ab und postet was das Zeug hält dagegen an. In etablierten Medien bekommen die Antifeministen oft keine Plattform, also werden sie online umso lauter. Viele von ihnen treten in unterschiedlichen Foren mit demselben Pseudonym auf, posten extrem viel und extrem angriffig. Mit ihrer Aggressivität verdrängen sie die gemäßigteren Stimmen; viele User haben keine Lust, auf so einem Niveau zu diskutieren, und räumen das Feld.

Diese Strategie funktioniert, weil in vielen Communitys die Meinungsfreiheit als oberstes Gut gilt, und weil im Namen der Meinungsfreiheit oft jene geschützt werden, die andere niedermachen. Das beste Beispiel sind radikale Gruppierungen, die anderen (von Frauen bis zu Asylwerbern) gewisse Rechte nicht zugestehen wollen, aber für sich selbst das uneingeschränkte Recht fordern, gehört zu werden – zu Lasten jener, die nicht so laut schreien.

Und viele Medien spielen da mit, weil es ihnen Clicks sowie Aufmerksamkeit bringt und weil man ja nicht als „Zensor“ beschimpft werden möchte.

Auch SZ.de wird nun vorgeworfen, die Meinungsfreiheit ihrer User nicht ausreichend wertzuschätzen. “Liebe Leser, Ihr seid uns eigentlich egal”, kritisiert Bettina Hammer in ihrem Kommentar auf Heise.de und behauptet, „dass sich in vielen prominenteren Onlinemedien eine Haltung etabliert hat, die den Nutzer höchstens noch als hinzunehmendes Übel ansieht.“ Die Süddeutsche Zeitung würde demnach ein weiteres Beispiel liefern, wie Onlinemedien Nutzer mehr und mehr als Störfaktor sehen, die Autorin behauptet überdies, dass dort die Meinungsfreiheit “nicht immer gerne gesehen wird”.

Texte wie dieser insinuieren: Die Unterdrückung eines Grundrechts beginnt bereits in jenem Moment, wenn Medien den Ton in ihrem Forum angeben wollen, wenn sie klare Grundlinien und einen Rahmen definieren, innerhalb dessen diskutiert werden soll. Aber das ist grober Unfug – sowohl aus juristischer als auch redaktioneller Sicht.

Denn zum einen ist die Meinungsfreiheit nicht grenzenlos, viele der umstrittenen Postings sind keine rechtlich schützenswerte Meinung, sondern bereits eine strafrechtlich relevante Aussage. In solchen Fällen wägen dann zum Beispiel Gerichte ab, welches Gut schützenswerter ist: das Recht des Posters auf Meinungsfreiheit oder das Recht des Betroffenen, vor Beleidigungen oder der Verletzung seiner Privatsphäre geschützt zu werden.

Noch viel wichtiger ist in der aktuellen Debatte: Meinungsfreiheit bedeutet nicht, dass ich jederzeit und an jedem Ort Gehör finden muss.

Allem voran schützt uns das Recht auf Meinungsfreiheit vor staatlicher Verfolgung und einem Eingriff der Behörden, wenn man Information oder Ideen weitergeben möchte. Andere Menschen und Webseitenbetreiber dürfen aber sehr wohl für sich entscheiden, ob sie dieser jeweiligen Meinung eine Plattform bieten wollen und welche Tonalität sie auf dieser Plattform voraussetzen. Genau das ist derzeit der Fall: Viele Onlinemedien wollen strenger sein und engere Rahmenbedingungen vorgeben, in welchem Ton auf ihrer Webseite diskutiert wird – all das tun die einzelnen Redaktionen übrigens nicht, weil sie ihre User drangsalieren wollen. Im Gegenteil: Es soll eine Debatte schaffen, in der sich auch jene zu Wort melden, denen der Ton bisher zu ruppig war.

Viel anschaulicher als ich hat es übrigens Randall Munroe, besser bekannt als xkcd, beschrieben:

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(Nachtrag: Es gibt übrigens auch eine deutsche Übersetzung des Comics von Anatol Stefanowitsch)

Aus diesem Grund finde ich es mutig von der Onlineredaktion der Süddeutschen, dass sie ihr Forum zum Großteil aufgibt und fokussierter mit den Lesern diskutieren will. Es ist zumindest der Versuch, zu einer sachlichen und respektvollen Debatte zu kommen und nach Möglichkeit auch mit dem Leser in einen echten gedanklichen Austausch zu treten. Sollte SZ.de eine solche Debatte zumindest in ihren drei tagesaktuellen Foren gelingen, ist alleine das schon eine große Leistung.

Das heißt jetzt aber nicht, dass andere Medien das nachmachen müssen: Wir befinden uns in einer Phase, in der extrem viele Redaktionen verschiedene Methoden ausprobieren, um für einen sachlicheren Umgangston zu sorgen – von der New York Times bis zu uns in Österreich ist das ein riesiges Thema. Einige mögliche Methoden für eine bessere Kommentarkultur habe ich in meinem Buch beschrieben oder auch hier. Gerade dieser Pluralismus ist das Schöne am Internet: Jede Website, jede Community kann sich ihre eigenen Regeln zurechtlegen. Und wenn man als User keine passende Seite findet, kann man sogar sein eigenes Forum starten.

Die Süddeutsche stellt ihre Webseite nun um und liefert somit einen weiteren Beleg, dass Redaktionen zunehmend Verantwortung für die Tonalität in ihrem Forum übernehmen wollen. Gerade den Qualitätsmedien bleibt gar nichts anderes übrig. Es zählt meines Erachtens sogar zur journalistischen Pflicht der Redaktion, in ihren Foren jene zu schützen, die sonst von den Rüpeln niedergemacht werden, und dabei auch redaktionell Haltung zu zeigen, für welche Grundwerte man eintritt. Es ist okay, zu sagen: So wollen wir diskutieren, und wer so nicht mitdiskutieren will, ist vielleicht anderswo richtiger.

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* Noch ein paar Anmerkungen:

– Obwohl ich die SZ.de in diesem Blogeintrag grundsätzlich verteidige, finde ich es eine berechtigte Frage, ob man die Forenproblematik an Facebook und Twitter delegieren soll. Meines Erachtens haben diese Onlinefirmen tendenziell schon zu viel Einfluss darauf, was wir online zu sehen bekommen und welche Meinungsäußerungen zugelassen werden. Dazu hat es auch eine spannende Auseinandersetzung zwischen Jochen Wegner, Chefredakteur von Zeit Online, und SZ.de-Chef Stefan Plöchinger gegeben.

– Sehr wesentlich ist bei dem Ganzen auch der “Nasty Effect”: Forscher fanden heraus, dass ein aggressiver Ton im Forum beeinflussen kann, wie wir Nachrichten interpretieren, untergriffige Postings führen demnach dazu, dass Leser über das Berichtete viel negativer denken. Ein eher unbehaglicher Gedanke, hier mehr Infos.

– Mehr über diese Themen steht in meinem Buch und hier in meinem privaten Blog, wo ich regelmäßig über genau diese Themen berichte. Auf der Konferenz #DNP14 spreche ich zum Beispiel auch über den Hass im Netz und speziell über Österreich als Land der Shitstorms, Infos hier.

 

Fotocredits: Das obige Bild stammt von Flickr-User hannes.a.schwetz. Die Illustration ist von Randall Munro, siehe auch xkcd.com.

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