NZZ Österreich: Die großen Fragen bleiben

Eine Woche nach dem Start von NZZ.at ist es an der Zeit, den Journalismus des Onlinemediums kritisch zu betrachten. Mir ist unklar: Was macht die Seite unverwechselbar?

 

Ich habe lange überlegt, ob ich diesen Text schreiben soll oder ob es  noch zu früh ist, einen kritischen Blick auf das Onlinemedium NZZ.at zu werfen. Ich habe mich nun dazu entschlossen.

Entscheidend war folgender Gedanke: Wäre die NZZ Österreich ein klassisches Printmedium, dann gäbe es längst einige inhaltliche Rezensionen, die sich gründlich mit der neuen Publikation, ihrer Themenauswahl und den konkreten Texten auseinandersetzen. Da NZZ.at wohl ernstgenommen werden will, ist es nur fair, sie auch inhaltlich ernst zu nehmen.

Sehr viel Aufmerksamkeit wird seit Tagen, Wochen, Monaten auf das Geschäftsmodell des rein digitalen Mediums gerichtet, das Onlineabos verkauft. Die publizierten Texte werden bisher aber kaum besprochen. Ich halte dies für einen Fehler, da das klügste Bezahlmodell nur funktionieren kann, wenn dementsprechend guter/ansprechender/einzigartiger Inhalt geliefert kann. Die NZZ Österreich verlangt 14 Euro pro Monat, ein stolzer Preis für ein rein digitales Medium. Zum Vergleich: Das Onlineabo der New York Times kostet alle vier Wochen 11 Euro.

Hier beginnt mein Problem mit NZZ.at: Bisher überzeugt mich das Angebot nicht, um nach dem Probemonat das Abo zu verlängern. Das liegt teils an einzelnen Texten, vor allem aber an der insgesamten Themenauswahl.

Das journalistische Kernstück von NZZ.at sind die sogenannten “Phänomene”: Themenkomplexe, die von der Redaktion als besonders wichtig und zeitgemäß eingestuft werden. Grundsätzlich klingt das nach einer spannenden Idee, die das amerikanische Onlinemedium Quartz schon länger erfolgreich umsetzt. Man reißt dabei als Medium die klassischen Ressortgrenzen nieder, beendet das Kasterldenken in Innenpolitik, Außenpolitik, Wirtschaft et cetera, um ressortübergreifend wichtige Themen unserer Zeit zu bearbeiten. Jedoch: Ich bin mir nicht sicher, ob die 14 Phänomene von NZZ.at wirklich diese thematische Dringlichkeit vermitteln, die ich zumindest erhofft hatte.

Hier ein Überblick über alle 14 Phänomene:
– Der tiefe Staat
– Dschihad
– Altenrepublik
– Die großen Fragen
– Das gute Leben
– Grexit
– Neun
– Bundestheater
– Kultour
– Heldenplatz
– Parlament
– Geld
– Eurosklerose
– Hypo

Für mich wirken sowohl Namensgebung, als auch die Auswahl erratisch. Die Bundesländer-Berichterstattung wird unter dem kryptischen Namen „Neun“ zusammengefasst, wohingegen die Parlaments-Berichterstattung einfach nur „Parlament“ heißt. Was die Rubrik „Die großen Fragen“ genau beinhaltet, führt bei mir in der Tat zu großen Fragen. Aber nun gut, das sind Details.

Entscheidender ist, ob der Themenmix genügend Leser anspricht. Doch hier habe ich meine Zweifel.

So abstrakt und vage einige Phänomene klingen, so sehr werden gleichzeitig riesige Themenkomplexe ausgeklammert oder zumindest nicht dezidiert angesprochen. Das kann man als Mut zur Lücke bezeichnen, doch diese Lücke erscheint mir ziemlich groß. Soziale Ungerechtigkeit, Bildung, aber auch moderne Lebenswelten oder der digitale Wandel kommen nicht als eigenes Phänomen vor.

Das Ganze wirkt ernst, um nicht zu sagen: spröde. Es fehlen großteils die lebensfrohen oder gar unterhaltsamen Phänomene, mal abgesehen von der Rubrik “Das gute Leben“, die ein Lichtblick ist, weil es da immerhin auf kluge Weise um Essen und Kochen geht – und zwar in hübschen, kurzweiligen Videos. Bitte mehr davon!

Unklar erscheint mir, was nun die “Unique Selling Proposition” von NZZ.at ist. Was macht dieses Medium unverwechselbar? Bisher fehlen Artikel, die man unbedingt gelesen haben muss, die man mit Freunden im Netz teilt oder abends bei einem Bier bespricht.

Einige Texte erklären mir als Leserin nicht, warum ich mich ausgerechnet JETZT mit diesem Thema beschäftigen soll – eine entscheidende Frage, da wir Journalisten stets um die Aufmerksamkeit der Leser und Leserinnen kämpfen müssen. Offensichtlich vermisse nicht nur ich diese dringlichen Themen.

Der Korrespondent Bernhard Odehnal verfasste im Tagesanzeiger, dem Schweizer Konkurrenzblatt zur NZZ, ein erstklassiges Porträt von NZZ.at-Chefredakteur Michael Fleischhacker. Er schrieb:

„Der 45-jährige Journalist sucht die Nähe zur Macht. Nicht um sich anzubiedern, sondern um sie herauszufordern. Der österreichische Onlineableger der ‘Neuen Zürcher Zeitung’ startete mit einem Bericht über den Einfluss hoher Beamter auf ihre Minister. Einen aktuellen Anlass gab es nicht, und besonders brisant waren die Enthüllungen auch nicht. Aber Fleischhacker wollte seine Duftmarke setzen. Wittert er Bürokratie, Inkompetenz oder gar links-grünes Gedankengut, wird er zum publizistischen Berserker.“

Diese Passage beschreibt meines Erachtens einige Texte: Die sind durchaus sauber recherchiert, aber nicht wahnsinnig skandalös oder der Zugang überraschend. Auch fehlen vielfach die menschlichen Eindrücke, die Reportagen und Portraits, die mir auch abstrakte Themen verständlich – im besten Fall sogar zu einem Anliegen – machen.

Ohne menschlichem Antlitz läuft Journalismus Gefahr, ziemlich lebensfern zu wirken. Das illustriert das Phänomen namens “Altenrepublik“. Eigentlich ein gutes Thema, über das man wunderbar streiten kann: Wie schlimm ist der Generationenkonflikt wirklich? Gibt es diesen überhaupt?

Online sind hierzu sieben Texte lesbar, von Analysen, Gastbeiträgen bis hin zu Essays. In keinem dieser sieben Beiträge wird ein junger Mensch für mich ersichtlich befragt. Kein einziger. Ebensowenig erfahre ich, wie denn Pensionisten über den angeblichen Generationenkonflikt denken. Schade, so bleibt das Ganze doch eher trocken.

“Gepflegte Langeweile”, so nennt das der Schweizer Medienjournalist Christian Lüscher vom Tagesanzeiger, der dem Projekt aber vor allem noch etwas mehr Zeit geben will. Er leitet sein Resümee mit den Worten ein: “Aber das kann ja alles noch besser werden.”

Stimmt, ich wünsche mir, dass ich in einer Woche oder einem Monat zu einem anderen Urteil komme, weil dann mehr Reportagen, Porträts und andere Geschichten erscheinen, die man einfach gelesen haben muss. Das sage ich gar nicht aus Altruismus, sondern aus purer Eigennützigkeit. Je normaler es wird, online für guten, unverwechselbaren Journalismus zu zahlen, desto mehr werden sich auch andere Medien mutiger und tiefer ins Netz hineinwagen.

 

Wie denken Sie über NZZ.at? Lesen Sie dort regelmäßig mit? Meinungen und Feedback sind herzlich willkommen! 

Credit: Das obige Bild ist ein Screenshot von NZZ.at.

 

Kommentare

  1. Ich teile diese Meinung, nachdem ich eben eine Vorfrühstückrunde durch die Artikel gemacht habe. Spröde und auch ein wenig gespreizt sind die Zugänge der NZZ.at bisher – nichts hat mich wirklich gepackt oder dazu angeregt, den link weiterzuleiten oder zu empfehlen (was mir bei “le monde diplomatique”, z.B. nur, dauernd ein Bedürfnis ist.

    Trotzem habe ich es jetzt mal abonniert, war allerdings auch gleich verärgert, weil die Rechnung von wirklich stolzen 14 € für den ersten Monat gleich mit dem Promo Angebot von 1€ abgebucht wurde. Kommt nicht gut.

    1. Author

      Danke für den Hinweis! Das fiel mir noch gar nicht auf, dass NZZ.at 15 Euro statt 1 Euro abbucht, muss gleich mal meine Rechnung überprüfen. Ich kann gut nachvollziehen, was Sie zu le monde diplomatique erzählen. Ein solches Mitteilungsbedürfnis ist der beste Beleg, dass der jeweilige Autor irgendetwas richtig gemacht hat.

  2. Eine Zwischenbilanz kann man angesichts des kurzen Bestehens wagen, für mehr ist es noch zu früh: Mir fehlt bislang eine klare Notwendigkeit, warum ich ein Medium mehr lesen soll (es mangelt ja nicht an Informationen).

    Ich glaube, dass die NZZ den heimischen Markt grundsätzlich richtig eingeschätzt hat: Im Segment Qualität gibt es noch Platz und wenn es gelingt eine gute und neue (andere bzw. ergänzende) Berichterstattung zur heimischen Politik zu etablieren, könnte das Vorhaben Erfolg haben (die Konkurrenz im außerösterreichischen Bereich der internationalen Politik ist sehr groß).

    Mir liegt weder das Design, noch der konzeptionelle Aufbau, aber das kann sich noch ändern. — Michael Fleischhacker hat sich m.E. seit seiner Zeit bei der Presse doch etwas von dem Berserkerdasein wegbewegt.

    Ich finde Ernst und Sprödigkeit gut, Infotainment (Wein, Essen, Kochen, Unterhaltung, usw.) gibt es genug. — Ich sehe es weder als Qualitätsmerkmal, noch als Aufgabe von Journalismus an, dem Leser etwas zu einem Anliegen zu machen (der kann und sollte darüber selbst befinden, mich interessieren soweit das vollständig möglich ist, Fakten und sonst nichts, also: Genauigkeit, Objektivität, Neutralität, usw.).

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