“Hören Sie sich doch selbst zu!“

Finger weg von amerikanischen IT-Konzernen: Der Markt agiere weit klüger als jede Regierung, behauptet Buchautor, Journalist und Blogger Jeff Jarvis. Ein Streitgespräch über die Rolle des Staates in Zeiten von Google und Facebook.

Vielleicht kann man Jeff Jarvis als weltweit bedeutendsten Google-Fan bezeichnen. Der New Yorker Journalismusprofessor schreibt in seinen Büchern und Blogeinträgen über das Netz als revolutionäres Werkzeug und über Google als Boten des Fortschritts. Jarvis eckt vielerorts an. Deutschen Medienhäusern und EU-Politikern wirft er innovationsfeindliche Panikmache und Protektionismus vor. Für die europäischen Sorgen gegenüber Konzernen wie Google und Facebook zeigt er nicht das geringste Verständnis. Im Gespräch mit profil erklärt Jarvis, warum er Europa mit so viel Leidenschaft kritisiert.

profil: Herr Jarvis, eines vorweg: Wir werden in diesem Interview nicht immer einer Meinung sein.

Jeff Jarvis: Davon gehe ich aus.

profil: Sie sprechen von “Eurotechnopanik“ und meinen, Europa sei zu hart zu Internetunternehmen. Inwiefern?

Jarvis: Gehen wir zur Wurzel des Ganzen: Neue Technologien lösen oft moralische Panik aus. Als Gutenberg die Druckerpresse erfand, fürchteten manche, es werde zu viele Bücher, zu viel Wissen, zu viel Freiheit geben. “Technopanik“ kannte man schon in der Vergangenheit. Heute sehe ich in Europa besonders heftigen Widerstand gegen Technologie, speziell in Deutschland. Großteils geht es bei der Debatte um Medienhäuser, allen voran Axel Springer und Burda. Sie nutzen ihre politische Macht, um Politiker für den Kampf gegen amerikanische Technologieunternehmen einzuspannen. Diese Strategie geht auf: Sie haben Google eingekesselt, das Unternehmen muss sich dauernd rechtfertigen.

profil: Was meinen Sie konkret?

Jarvis: Denken Sie an das deutsche Verpixelungsrecht. Nach dessen Einführung gab Google auf, deutsche Straßen abzufotografieren. Oder das Leistungsschutzrecht, welches die deutschen Verleger forderten – und nicht zuletzt die Rufe im EU-Parlament, dass Google zerschlagen werden müsse. All das erweckt bei Außenstehenden den Eindruck, dass in Europa ein feindliches Klima gegenüber US-Technologieunternehmen herrscht.

profil: Ihr Begriff “Eurotechnopanik“ eignet sich aber auch wunderbar dafür, jegliche Form der Kritik an diesen Unternehmen abzuschmettern. Beispielsweise prüft die EU-Kommission, ob Google seine Marktmacht missbraucht hat. Es ist doch gut, wenn europäische Wettbewerbshüter da genau hinsehen.

Jarvis: Eric Schmidt, der Vorstandschef von Google, betont häufig, dass es zu jedem Google-Produkt eine adäquate Alternative gibt. Das stimmt auch – mit einer großen Ausnahme: dem Online-Werbemarkt. Hier ist Google in der Tat angreifbar. Aber es ist noch kein Verbrechen, Marktführer zu sein. Rechtswidrig wird es erst, wenn man seine Macht missbraucht. Deutschland führt den Kampf gegen Google an, sowohl medial als auch politisch. Trotzdem hat Google in Deutschland die zweithöchste Marktdurchdringung weltweit. Die Konsumenten fühlen sich wohl mit Google.

profil: Selbst wenn ich Google als Suchmaschine mag, heißt das nicht, dass ich Googles Konzernstrategie mögen muss.

Jarvis: Was mögen Sie denn nicht?

profil: Suchen Internetbenutzer nach Produktempfehlungen, hebt Google die eigenen Dienste prominenter hervor als die Angebote der Konkurrenz. Das hinterfragt die EU-Kommission zu Recht.

Jarvis: Die deutschen Verleger produzierten dazu ein Video und sagten: “Oh Gott, wenn man nach Schuhen sucht, sieht man ganz oben die Google-Anzeigen für Schuhe!“ Natürlich zeigen die das ganz oben an. Google ist ein Business. Wenn Sie auf die Website der “Bild“-Zeitung gehen, die zum Axel-Springer-Verlag gehört, und auf einen Link zum Thema “Schuhe“ klicken, werden Sie auch nur sehen, was Ihnen die “Bild“ an Schuhen anzeigt.

profil: Entscheidend ist aber, dass Google klarer Marktführer unter den Suchmaschinen ist. Europa hat eine starke Tradition, besonders streng auf seine Marktführer zu blicken.

Jarvis: Darin sehe ich ein Problem. Einerseits wollen wir Unternehmen, die erfolgreich sind, die wachsen. Es gibt aber offenbar eine unsichtbare Linie, und wer diese überschreitet, gilt als zu groß. Zeigen Sie mir das Gesetz, in dem genau festgelegt wird, ab wann ein Unternehmen zu groß ist. Ich höre das in Europa permanent: Google ist zu groß. Was soll das heißen?

profil: Google ist so groß geworden und hat so viele Daten über seine Kunden, dass sich daraus ein Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz ergibt. Die Sorge ist: Google könnte das auf unfaire Weise ausnutzen.

Jarvis: Könnte! Dass jemand etwas tun könnte, verstößt nicht gegen das Gesetz. Genau das ist mein Problem mit der “Eurotechnopanik“. Wenn Sie alles regulieren, was irgendwann falsch laufen könnte, dann lassen Sie nicht die nötigen Freiräume für Innovation offen.

profil: Stimmt, es geht nicht um die Frage, ob Google irgendwann seine Marktmacht ausnützen könnte, sondern ob es das bereits tut. Die EU-Kommission fand bei ihrer Prüfung heraus, dass dies zum Teil der Fall ist ist.

Jarvis: Ja, und es gab bereits eine Einigung mit der Kommission, laut der sich Google verpflichtete, stärker auf die Konkurrenz zu verweisen. Von “Bild“, Deutschlands größter Zeitung, wird das nicht verlangt. Aber dann passierte Folgendes: Die Verleger machten politischen Druck und die EU-Kommission rückte von der Einigung wieder ab.

profil: Den Verlegern schien dieser Kompromiss zu zahnlos, die EU-Kommission nahm ihn zurück. Eines ist mir unklar: Sie sprechen von der Lobby der Verleger. Aber auch Google ist eine Lobby. Die Aufgabe der Politik besteht doch darin, im Sinne der Bürger zwischen diesen Lobbys zu vermitteln.

Jarvis: Das ist tatsächlich ein Unterschied zwischen Europa und den USA. Wir Amerikaner misstrauen dem Staat stärker. Dank Edward Snowden wissen wir nur zu gut: Der Staat gefährdet unsere Privatsphäre wie niemand sonst. Ich traue den Regierungen nicht, wenn sie das Internet regulieren wollen. Ich traue ihnen auch nicht im Umgang privaten Daten. Unternehmen stehen durch den Markt unter einem viel größeren Druck, mit unseren Daten ordentlich umzugehen. Verletzt ein Unternehmen unser Vertrauen, meiden wir es einfach – es gibt Alternativen. Die Regierungen sollen ihre Finger vom Internet lassen.

profil: Die NSA-Affäre hat doch gezeigt, wie notwendig die Regulierung von US-Unternehmen ist. Amerikanische IT-Konzerne sollten etwa zu Strafen verurteilt werden, wenn sie private Daten von EU-Bürgern unrechtmäßig an US-Behörden weiterleiten. Eine solche Verordnung ist derzeit in Arbeit.

Jarvis: Die deutsche Regierung agierte in dieser Hinsicht auch nicht gerade sauber, und die britische Regierung ist sogar noch schlimmer als die NSA. In diesem Fall sind nicht die Unternehmen die Sünder, sondern die Regierungen. Google war entsetzt, als bekannt wurde, dass die NSA die Kommunikation zwischen den Google-Servern abfängt. Daraufhin hat Google diese Daten verschlüsselt, um sich vor der Regierung zu schützen. Es gab richterliche, oft geheime Anordnungen, wonach Google Informationen aushändigen muss. Das ist nicht die Schuld des Unternehmens. Schuld ist die US-Regierung.

profil: Insgesamt führen solche Enthüllungen in Europa nicht unbedingt zu einem größeren Vertrauen gegenüber US-Konzernen.

Jarvis: Ja, das stört diese auch, und daran müssen sie arbeiten. Aber mit allem nötigen Respekt: Europa soll nicht unser weltweites Internet managen! Die frühere EU-Kommissarin Viviane Reding sprach sogar schon von mehreren Säulen des Internets, eine davon ist das “Recht auf Vergessen“.

profil: Der Europäische Gerichtshof hat dieses “Recht auf Vergessen“ bereits zur geltenden Rechtsprechung gemacht.

Jarvis: Ich verachte diese Entscheidung. Denn es gibt auch ein Recht auf Erinnerung, ein Recht auf freie Rede. Es handelt sich um einen grauenvollen Gerichtsbeschluss, weil die Entscheidungsgewalt nun ausgerechnet bei jener Partei liegt, die man nicht in diese Position bringen sollte: Google.

profil: Google entscheidet erstinstanzlich, ob ein Suchergebnis gelöscht wird. Das ist in der Tat umstritten. Im Kern beruht das “Recht auf Vergessen“ aber auf einem nachvollziehbaren Anliegen: Wer keine öffentliche Person ist und insignifikante, unvorteilhafte Details über sich selbst online findet, kann diese aus der Google-Suche löschen lassen. Was stört Sie daran?

Jarvis: Gerade als Journalisten sollten wir entsetzt sein, da hier unser Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt wird. Wer sagt, welche Information insignifikant ist? Ich kann mich auch nicht mit der Idee anfreunden, dass jemand keine öffentliche Person ist: Was Sie in der Öffentlichkeit tun, wird im Grunde zu öffentlichem Eigentum. Als Gesellschaft sollten wir uns eher fragen, wie tolerant wir gegenüber Peinlichkeiten sind. Sie haben sicher von der amerikanischen Lehrerin gehört, die aufgrund eines Fotos auf Facebook, auf dem sie mit einem Glas Bier in der Hand zu sehen ist, gefeuert wurde. Das Problem besteht nicht darin, dass eine Erwachsene Bier trinkt, sondern darin, wie intolerant die Schulleitung auf ein legales Verhalten reagierte.

profil: Sie fordern, unsere Gesellschaft müsse toleranter werden. Es ist doch unrealistisch, dass das bald passieren wird.

Jarvis: Nein, unsere Gesellschaft ist bereits viel toleranter geworden. Sie profitiert davon, wenn Information geteilt wird. Die “Eurotechnopanik“ konzentriert sich nur darauf, was schiefgehen könnte. Wir sollten aber auch die positiven Nebenwirkungen berücksichtigen. Ein Beispiel: Ich hatte Prostatakrebs. Nehmen wir an, es stellt sich heraus, dass auch ungewöhnlich viele meiner Nachbarn Prostatakrebs haben und eine Umweltbelastung dies ausgelöst hat. Erst wenn wir Information teilen, können wir vieles herausfinden.

profil: Kürzlich legten Sie sich mit dem “Spiegel“ an, der auf dem Cover amerikanische Internetkonzerne als “Weltregierung“ bezeichnete. Sie nannten das eine “Scheißebombe“.

Jarvis: Ich weiß durchaus, dass “Scheißebombe“ kein richtiges Wort ist. Ich fand es lustig, diese zwei Worte zusammenzusetzen.

profil: Warum verwenden Sie so harte Worte?

Jarvis: Weil der “Spiegel“ auch hart in seiner Rhetorik war. Der Begriff “Weltregierung“ untertellte, dass diese Technologieunternehmen einen weltweiten Machtübernahmeplan haben. Außerdem war auf dem Titelblatt ein russischer Jude zu sehen, der finster dreinblickte. Das ging zu weit.

profil: Das Cover zeigte zuvorderst Google-Gründer Sergey Brin. Er ist Jude. Fanden Sie den “Spiegel“-Titel deswegen wirklich antisemitisch?

Jarvis: Ich sage nur: Hätte dem “Spiegel“ nicht die eigene Rhetorik auffallen müssen? Mich erinnerte die Formulierung “Weltregierung“ an die Rhetorik gegen den Kommunismus. Das war einfach kein guter Journalismus.

profil: Der “Spiegel“-Artikel formulierte doch berechtigte Bedenken. Es ging etwa um den Fahrdienst Uber, der in Europa viel Unbehagen auslöst, weil er immer wieder Gesetze ignoriert.

Jarvis: Wie führt das zu einer Weltregierung? Es mag sein, dass Uber mitunter unhöflich agiert, aber wie erklärt das eine solche Angstmache?

profil: Wenn einige IT-Unternehmen europäisches Recht nicht ernst nehmen oder sogar missachten, ist das problematisch.

Jarvis: Nennen Sie eine zweite Firma.

profil: Facebook. Dazu läuft ein bedeutendes Verfahren in Irland, ob es den EU-Datenschutz verletzt.

Jarvis: 1,3 Milliarden Menschen haben es sich aber selbst ausgesucht, auf Facebook Information zu teilen. Ich glaube auch, dass Facebook manchmal ungeschickt war, bezweifle jedoch, dass Facebook ein bösartiges Unternehmen ist.

profil: Ihr Argument ist, dass nicht Regierungen das Netz regulieren sollen, sondern lieber der Markt. Vielleicht funktioniert genau das bei Facebook nicht: Mehr als eine Milliarde Menschen nutzen die Seite. Es gibt zwar Alternativen, die sind aber unpopulär, weil kaum aktive Nutzer dort sind.

Jarvis: Ein berechtigter Einwand. Während es für jeden Google-Dienst gute Alternativen gibt, ist das bei dem sozialen Netzwerk nicht so sehr der Fall – wobei wir in den USA mittlerweile hören, Jugendliche würden Facebook bereits weniger nutzen. Bedenken Sie Folgendes: Oft heißt es, wir befänden uns in einem ungeheuer schnellen Wandel. Ich halte das für Wunschdenken. Wir wissen noch gar nicht genau, was das Internet ist und wie dieser Wandel aussieht. Deswegen ist die Idee falsch, man könne hier bereits klug und rasch regulieren. Facebook macht Fehler, ja, aber das ist Teil des Lernprozesses.

profil: Einige Konzerne werden immer einflussreicher. Da stellt sich die Frage: Wann ist der richtige Zeitpunkt, dass der Staat eingreift?

Jarvis: Hören Sie sich doch selbst zu! Sie gehen davon aus, dass irgendwann ein Punkt kommt, an dem ein regulatorischer Reflex erfolgen muss. Warum? Außerdem sollten wir nicht Technologien, sondern menschliches Verhalten regulieren. Für vieles, was Ihnen wichtig ist, gibt es bereits Gesetze: Datenschutzgesetze oder Gesetze gegen Beleidigungen, das Kartellrecht. Ich kaufe Ihnen nicht ab, dass man irgendwann unausweichlich regulieren muss.

profil: Sie üben gern Kritik, unterstellten dem “Spiegel“ sogar Propaganda. Mit Verlaub: Betreiben Sie nicht selbst Propaganda im Sinne von Google und Facebook?

Jarvis: Wäre ich xenophob, würde ich sagen: Fein, sollen sich die amerikanischen Unternehmen durchsetzen. Wo sind denn die europäischen Konkurrenten zu Google, Facebook, Twitter und Amazon? Ich wünsche mir Mitbewerber aus Europa, aber ich fürchte, dass diese Kultur der Ablehnung und des Protektionismus nicht zu Innovation führt. Sie meinen, ich verteidige amerikanische Konzerne. Ich verteidige das Internet. Die genannten Unternehmen sind dessen Vertreter und Träger technologischer Innovation. Sie haben es vielleicht schon gemerkt: Ich bin begeistert von Gutenberg. Bedenken Sie, welch bedeutenden Wandel seine Druckerpresse brachte. Google, Facebook, Twitter und Amazon bringen nun ebenfalls einen solchen Wandel. Ich verteidige Google immer wieder, weil ich es für ein gutes Unternehmen halte. Ist das Propaganda? Nein, glaube ich nicht. Ich sehe mich eher als notwendiges Gegengewicht.

profil: Vielleicht erklärt das unsere Meinungsverschiedenheit. Auch ich halte das Netz für eine großartige Erfindung, nur heißt das nicht, dass ich die Konzerne mögen muss, die online den Ton angeben.

Jarvis: Es heißt aber auch nicht, dass ich Ihren Regierungen vertrauen muss, diese Arbeit besser zu erledigen.

 

Zur Person: Jeff Jarvis, 60
Der Journalist ist einer der weltweit bekanntesten Netz-Fürsprecher. Er verfasste das Buch “Was würde Google tun?“, in dem er erklärt, was andere Branchen von Marktführer Google lernen können, und berichtete im Nachfolgewerk “Mehr Transparenz wagen!“ von seinem eigenen Prostatakrebs und wie die Gesellschaft von mehr Informationen profitiert. Jarvis lehrt an der City University of New York, leitet dort das Tow-Knight Center for Entrepreneurial Journalism. Er bloggt auf der Seite buzzmachine.com und ist auch in den sozialen Medien äußerst aktiv, etwa auf Twitter (Username: @jeffjarvis).

 

Dieses Interview erschien in “profil” (Ausgabe 14/15).

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