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Charlie Hebdo: Was nun die falsche Reaktion wäre

Es beginnt bereits. Die Rufe der Sicherheitspolitiker nach Vorratsdatenspeicherung. In Deutschland fordert die CSU eine Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung, bei der die Verbindungsdaten sämtlicher Bürger etliche Monate lang prophylaktisch gespeichert und zu Fahndungszwecken ausgewertet werden können.

Doch es wäre grundlegend falsch, als Reaktion auf Charlie Hebdo wieder die Vorratsdatenspeicherung einzuführen. Es wäre letztlich sogar ein Sieg Terroristen, würden sie uns dazu bringen, aus Angst vor dem Terror demokratische Grundrechte zu opfern.

Derzeit wird – zu Recht – viel über den Wert einer freien und nicht eingeschüchterten Presse gesprochen. Eine demokratische Tugend, die es zu beschützen gilt. Das selbe gilt für ein weiteres demokratisches Prinzip: Das Recht auf Privatsphäre.

Die Sichtweise eines hohen österreichischen Polizisten 

Das Problem ist jedoch: Prompt nach derart erschüttenden Terroranschlägen kommt der Vorschlag, härtere Sicherheitsgesetze einzuführen. In Deutschland beobachten wir dies bereits, hierzulande sprach sich bisher nur Andreas Pilsl, der oberösterreichische Polizeichef, für die Vorratsdatenspeicherung aus. Im Interview mit den Oberösterreichischen Nachrichten (Text leider nicht online hier das Interview, Ausgabe von 9.1.) erklärte er nach dem Attentat auf Charlie Hebdo:

“Unser Problem ist, dass uns technische Mittel aufgrund der Rechtslage fehlen. Wir dürfen etwa keine Funkzellen auswerten, um Handy-Verknüpfungen auszuwerten, oder Zusammenhänge mit Hilfe der Vorratsdatenspeicherung herstellen. Ich will keinen Überwachungsstaat, aber um die Freiheit und Sicherheit aller zu gewährleisten, müssen wir in die Freiheit Einzelner eingreifen.”

Diese Aussage ist irreführend. Denn bei der Vorratsdatenspeicherung geht es eben nicht darum, dass nur “in die Freiheit Einzelner” eingegriffen wird. Im Gegenteil: Die Verbindungsdaten aller Bürger werden auf Vorrat gespeichert – das inkludiert die Information, wann wer wen von wo aus angerufen, jemanden eine E-Mail oder ein SMS geschickt hat. Der Inhalt der Nachricht wird dabei nicht gespeichert, wohl aber wird das gesamte Kommunikationsverhalten von jedem Bürger und jeder Bürgerin aufgezeichnet und es lassen sich rückwirkend genaue Bewegungsprotokolle erstellen.

Weil sie ein “unverhältnismäßiger Eingriff in die Grundrechte” war, hob der Verfassungsgerichtshof VfGH die österreichische Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung im vergangenen Juni auf. Hier findet man die den gesamten Text und hier eine nähere Analyse vom Juristen Hans Peter Lehofer.

Ein Zombie namens Vorratsdatenspeicherung

Österreich hatte die Vorratsdatenspeicherung ursprünglich einführen müssen, weil eine EU-Richtlinie dies vorschrieb. Auch diese Richtlinie ist – nach einem jahrelangen juristischen Kampf dagegen – Geschichte. Im April 2014 hat sie der Europäische Gerichtshof (EuGH) für ungültig befunden, weil sie unverhältnismäßig war (mehr Infos hier).

Doch in den letzten Monaten wurde die Vorratsdatenspeicherung erneut zum Thema. Europäische Politiker zeigten interessiert, die Vorratsdatenspeicherung neu zu Leben zu erwecken, Zeit Online schrieb dazu: “Ein Zombie geht um in Europa”. Nicht nur die CDU, auch die EU-Kommission will das Überwachungsinstrument erneut haben.

Die Sicherheitsbeauftragten erklären dies stets damit, dass die Speicherung aller Verbindungsdaten den Kampf gegen den Terror erleichtern würde. Das jedoch ist eine gefährliche Logik, motiviert sie uns schließlich, Stück für Stück unsere Privatsphäre zu opfern in der Hoffnung, vielleicht eine Spur sicherer zu sein. Funktioniert das aber wirklich?

Bereits strenge Gesetze in Frankreich

Frankreich hat strenge Antiterrorgesetze und sogar eine Vorratsdatenspeicherung. Wie Golem.de berichtet, räumt der französische Staat den Behörden weitreichende Befugnisse ein. Demnach müssen Provider in Frankreich die Nutzerdaten inklusive Passwörter 12 Monate lang speichern.

“Eine reflexhafte Debatte um die Vorratsdatenspeicherung, wie sie in Deutschland gerade wieder von der CSU begonnen wird, wird es in Frankreich nicht geben (…), weil Frankreich das alles längst hat. Erst im Juli des letzten Jahres passierte mit grosser Zustimmung die jüngste Verschärfung der Antiterrorgesetze die Parlamente im Schnelldurchgang – und mit dabei war vieles, was sich die Verfolgungsbehörden auch in totalitären Staaten wünschen würden. Speziell der Richtervorbehalt wurde, für einen Rechtsstaat fragwürdig, massiv zurückgenommen, etwa beim Entschlüsseln persönlicher Daten von Verdächtigen”, schrieb Don Alphonso heute auf faz.net.

18 Monate nach Aufdecken der NSA-Affäre wäre es absurd, zu behaupten, wir hätten zu wenig Überwachung. Offensichtlich spionieren Geheimdienste auf der ganzen Welt die Internetbevölkerung aus. Ob unsere Welt dadurch tatsächlich sicherer wurde, ob der Nutzen dieser Überwachung den demokratischen Schaden dadurch rechtfertigt, darf bisweilen bezweifelt werden. Die Programme der Geheimdienste NSA (aus den USA), GCHQ (aus Großbritannien), DGSE (aus Frankreich – auch die Franzosen spähen die digitale Kommunikation aus) haben nicht ermöglicht, das Attentat auf Charlie Hebdo rechtzeitig zu erkennen.

Ein weiterer, wesentlicher Einwand zu Überwachungstools wie der Vorratsdatenspeicherung ist ausgerechnet die Pressefreiheit. Die Vorratsdatenspeicherung erschwert mitunter die Recherche von Journalisten, die ihre Informanten schützen und eben nicht wollen, dass nachträglich ihr gesamtes Bewegungsprofile und mit wem sie in Kontakt stehen.

Aus all diesen Gründen wäre es ein Rückschritt und die genau falsche Reaktion auf Charlie Hebdo, nun diese umstrittene, allumfassende Überwachungsmaßnahme einzuführen. Wir sind eben keine Terroristen, sondern Bürger und Journalisten, die weiter auf ihre Grundrechte pochen sollen. Wir sind Charlie.

 

Die Passage von Don Alphonso aus faz.net habe ich nachträglich dem Text hinzugefügt. Ich wurde über Fefes Blog darauf aufmerksam. Danke!

Das obige Foto stammt von Valentina Calà via Flickr, gemäß der dort angegebenen Creative-Commons-Lizenz. Es zeigt eine Solidaritätskundgebung am Place Luxembourg in Brüssel.

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  • Das Bitcoin schürfen sollte verboten oder arg besteuert werden, denn ein normaler User mit einem herkömmlichen PC hat da eh keinerlei Chancen.

    • Tatsächlich ist das Bitcoin-Schürfen ein Geschäft, das sich nur in wenigen Ländern rentiert - etwa China, weil dort Energie so billig verkauft wird. Aber die tatsächlichen Kosten, die das für unsere Umwelt verursacht, sind da nicht mitkalkuliert

  • Ku rze freaage: Wo kann man das Datum (zumindest erscheinungsjahr) des beitrags erkennen?

  • Ok, aber das ändert genau nichts. Mich würden Ihre Ideen interessieren, wie man die anonymen Postings in den Griff kriegt.

  • Gern möchte ich folgende Sicht zur Diskussion stellen: man muss die Hitze in der Küche zumindest so lange aushalten, bis man den Herd zurückgedreht hat. Kurz hat mit seinem Statement klar gemacht, dass das Problem nicht in Alma Zadić liegt, sondern in den Geiferern. Mehr steht ihm auch nicht zu. Persönlichen Schutz von Kurz braucht braucht Zadić nicht (wenn leider auch Personenschutz).
    Seien wir sorgsam mit diesem Pflänzchen Problembewusstsein. Noch vor wenigen Jahren haben Politiker das Handtuch geworfen, insbesondere wenn sich die Drohungen auf ihre konkrete Familie konzentriert haben. Für sie wurde der Herd zu spät abgedreht. Persönlich und politisch schmerzhaft .

    • Wir nehmen die Thematik wahrscheinlich ein bisschen anders wahr - aber danke für Ihre differenzierte Rückmeldung! Auf jeden Fall sind Drohungen gegen PolitikerInnen, wie Sie es ansprechen, nicht hinnehmbar

  • Danke! Ich teile das zu 100 %. Ebenso problematisch fand ich die Aussage der neuen Integrationsministerin Raab, die gesagt hat "dass Hass im Netz und im Speziellen Hass gegen Frauen, die in Österreich gut integriert sind und sich für ein harmonisches Zusammenleben einsetzen, absolut keinen Platz hat".“

    An solchen Aussagen - die des Bundeskanzlers und die der Ministerin - sieht man, entweder wie achtlos mit Sprache umgegangen wird oder wie problematisch die Einstellungen dieser Personen sind.

    Was der Kanzler auch hätte sagen können, haben Sie schon angeführt.

    • Danke für die Rückmeldung! Ich finde das einen wichtigen Hinweis: Tatsächlich ist die Frage, inwieweit jemand integriert ist, hier nicht entscheidend, denn jeder Mensch (und auch jede Migrantin) hat einen würdevollen Umgang verdient

  • Aber kein Journalist beschwert sich dass Kurz als Baby Hitler und Faschist bezeichnet wird? Wo bleibt Ihr Artikel dazu?

    Ignorieren, weitermachen.

  • Bitte den Begriff Social Distancing durch Physical Distancing ersetzen, eventuell mit Social Solidarity ergänzen. Danke

  • In der Nacht zum 14.03. ist bei mir (74, chronische Bronchitis) die Infektion ausgebrochen. Schüttelfrost, bissel Fieber 38,1 und dann in kurzer Zeit trockner Husten bis zur Erschöpfung mit akuter Luftnot und die Luftwege völlig zugeschleimt. Jede Hustenatacke mit 20 Stößen und mehr förderte 1 Teelöffel Sputum, und brachte Atemluft für 10 Minuten. So ging das bis 16.03 früh, meine Frau neben mir mit dem Nottelefon in der Hand. Und zum Glück, ich hatte alle Hausmittel plus Inhalationsgerät zur Verfügung. Das Inhalationsgerät war der Lebensretter. Damit begann sich langsam der extrem feste Schleim zu lösen. Die zwei Tage waren die Hölle. Ab drittem Tag war das Fieber weg, die akute Luftnot ging zurück , die Abstände der Hustenatacken wurden allmäglich länger. Nach drei Tagen zu ersten mal 2 Stunden geschlafen. Alle am Hustenreflex beteiligten Muskeln brennen wie Feuer. Andere Beschwerden gibt es nicht, Nase ist frei. Nun hat mein Abwehrsystem und meine physische Leistung gesiegt, ich bin nochmal davongekommen. Und trotzdem gebe ich Herrn Dr. Wodarg überwiegend recht, und finde die Diskussion mit Verwendung des Wortstamm Leugner hier schon wieder einfach nur zum Kotzen (Entschuldigung) warum , soweit ich meine Infektionskette verfolgen kann alles junge Leute mit einem sehr leichten grippalen Infekt. Natürlich habe ich meine Frau angesteckt, obwohl auch schon 73 hat sie das weggesteckt, leichte Symptome, Geruch und Geschmack seit ein paar Tagen völlig weg, kein Fieber keine Luftnot. Es hätte genügt mich zielgerichtet zu isolieren bis ein Impfstoff da ist. Jetzt arbeite ich im "Home Office" damit sich meine Mitarbeiter nicht bei mir anstecken. Also verkehrte Welt

    • Wurden Sie positiv getestet? Der von Ihnen beschriebene Krankheitsverlauf weist eigentlich nicht auf COVID-19 hin. Zu kurz und kein trockener Husten.

    • Klaus Hoffmanns Erlebnisbericht erinnert mich an die Werbe- und Argumentationsstrategie der Homöopathen: Ich kenne einen, der einen kennt, der aber geheilt wurde. Entspricht insoweit der auch immer wieder gern benutzen Behauptung das der eigene Opa Kettenraucher war und bis ins hohe Alter noch seine 5 Schnäpse täglich reingepfiffen hat und 97 Jahre alt wurde.

  • Hallo Ingrid,

    hab' Sie gerade bei der Phoenixrunde gesehen. Ich bin beeindruckt von Ihrer Expertise und wie sie diese sympathisch und authentisch vermitteln. Bieten Sie vielleicht auch einen Podcast oder einen Youtube-Kanal an? Das wäre eine tolle Sache um noch mehr Netzkompetenz zu verbreiten.

    Herzliche Grüße aus Düsseldorf
    Chris Crealto

  • Die Art der Argumentation von Klimawandel-Leugnern und Verschwörungstheoretikern wird inzwischen leider auch von einigen Schulen unterstützt. Der krasseste Fall den ich dazu kenne, ist eine im Netz gestreute vorwissenschaftliche Arbeit, "Freie Energie Eine unbekannte Quelle", die am Adalbert Stifter Gymnasium verfasst wurde. Fast ausschließlich eine Ansammlung von frei erfundenen Behauptungen aus irgendwelchen dubiosen Quellen. Das Ganze wird inzwischen auch von einem Verlag für etwa 18€ unter die Leute gebracht. Neben diverser Literatur zu NMS. Die Tropfen selbst sind dort auch erhältlich. Interessant in der Arbeit ist auch die Bemerkung: “... zusätzlich wurde diesevorwissenschaftliche Arbeit von dem Jupiter- Verlag im April 2019 für eine Printauflage noch fehlerkorrigiert als auch mit wertvollen links ergänzt. “. Das Ganze klingt eigentlich so absurd, dass man es kaum glauben mag. Man kann es aber ziemlich einfach im Netz nachrecherchieren. Und zur Qualifikation der “Fehlerkorrigierer” kann man einmal nach “Die Schneiders und die Scams” im Netz suchen.

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