“Sie machten alles zu Staub“
Gill Phillips ist die Juristin des Guardian: Sie erzählt, wie die Regierung in der Snowden-Affäre Druck auf die Zeitung ausübte, der Geheimdienst einen Laptop der Zeitung zerstörte und wie schwach das britische Medienrecht ist
Die britische Regierung war nicht erfreut. Der Guardian hatte es gewagt, geheime NSA-Dokumente von Edward Snowden zu publizieren und auch die Machenschaften des britischen Geheimdienstes offenzulegen. Als Reaktion übte ein hoher Regierungsvertreter Druck auf die Zeitung aus, sogar ein Publikationsverbot wurde angedroht und ein Computer der Redaktion zerstört, erzählt Gill Phillips, Direktorin der Rechtsabteilung des Guardian, die auf der Konferenz “Freedom of Information under Pressure“ in Wien auftrat. Mit dem Falter sprach sie über die strengen britischen Gesetze und die Frage, wann Blogger den gleichen Schutz wie Journalisten verdienen.
Falter: Frau Phillips, dank Edward Snowden weiß die Welt vom ungeheuren Überwachungsapparat der Geheimdienste. Aber haben wir Medien auch etwas Neues gelernt?
Gill Phillips: Gewiss. Die Journalisten müssen sich nun fragen: Kann ich überhaupt noch E-Mails verwenden, das Internet nutzen, wenn ich meine Quellen schützen will? Oder sollte man gar nichts Vertrauliches online diskutieren? Auch aus rechtlicher Sicht enthüllt die Snowden-Affäre etliche Probleme – etwa wie unterschiedlich Rechtsstaaten Meinungsfreiheit auslegen. Die USA haben etwa das First Amendment. Dort passiert es wohl kaum, dass die Publikation eines Artikels vorab verboten wird. Bei uns in Großbritannien ist es hingegen ziemlich einfach, ein solches Publikationsverbot durchzusetzen. Das ist einer der Gründe, warum der Guardian zuließ, dass der Geheimdienst die Snowden-Dokumente zerstörte.
Genau, Ihr Chefredakteur Alan Rusbridger willigte ein, dass ein Computer des Guardian zerstört wird. Wie kam es dazu?
Phillips: Edward Snowden gab einigen Journalisten Unterlagen, auch dem Guardian. Wir hatten insbesondere Dokumente über den GCHQ, einen Geheimdienst ähnlich der NSA. Wir berichteten über die Machenschaften des GCHQ, waren aber extrem sorgfältig, niemanden in Gefahr zu bringen und keine Einsatzdetails zu veröffentlichen. Nichtsdestoweniger wurde die Regierung immer wütender und begann, sowohl rechtlich als auch psychologisch Druck auszuüben.
Inwiefern wurde Druck auf Sie ausgeübt?
Phillips: Ein hoher Regierungsvertreter trat an unseren Chefredakteur heran und forderte ihn auf, die Berichte einzustellen. Alan Rusbridger erklärte, dass mehrere Menschen Unterlagen von Snowden bekommen hatten, es würde also gar nichts bringen, denGuardian mundtot zu machen. Die Regierung wollte uns trotzdem stoppen: In Großbritannien gibt es das bereits erwähnte Publikationsverbot, ein Richter hätte uns verbieten können, weitere Details aus den Snowden-Dokumenten zu veröffentlichen. Wir entschieden uns für den pragmatischen Weg: Das Material wurde zerstört, weil wir ohnehin wussten, dass anderswo bereits Sicherheitskopien davon lagen.
Zwei Agenten des GCHQ kamen sogar in Ihre Redaktion und beaufsichtigten die Zerstörung des MacBook Pro, auf dem die Dateien gespeichert waren.
Phillips: Richtig. Wir lernten an diesem Tag, wie schwer es ist, Information tatsächlich zu zerstören.
Inwiefern denn?
Phillips: Unsere Mitarbeiter verwendeten zuerst Hämmer und Bohrmaschinen, um das Gerät zu zerkleinern. Danach setzten sie für die Datenspeicher eine Apparatur namens “Degaußer“ ein, die die GCHQ-Mitarbeiter mitgebracht hatten. Sie machten alles zu Staub, und dann entsorgten sie auch noch den Staub.
Wieso denn das?
Phillips: Wie ich lernte, haben Dateien ein magnetisches Feld, das man sogar noch aus Staubpartikeln rekonstruieren kann. Deswegen braucht man einen sogenannten Degaußer, der die Datenträger zermalmt (und entmagnetisiert, Anm. d. Red.). So ein Gerät kostet 100.000 Pfund, natürlich besitzt der Guardian so etwas nicht. Die GCHQ-Mitarbeiter kamen zu uns, um sicherzustellen, dass die Dateien komplett vernichtet wurden.
Trotzdem war das eine ziemlich nutzlose Aktion, oder?
Phillips: Absolut! Es war eine bizarre politische Geste, die Berichterstattung fand trotzdem statt. Das Material hatten wir bereits bei der New York Times gespeichert.
Sie gingen eine Kooperation mit der New York Times ein, um die harschen britischen Gesetze zu umgesehen?
Phillips: Ja, aus der Wikileaks-Zeit hatten wir bereits Erfahrung mit einer solchen Zusammenarbeit. Schon damals bestand die Sorge, dass uns ein Gericht vorab untersagen würde, geheime Wikileaks-Dokumente zu veröffentlichen. Wenn aber die New York Times solches Material zuvor publiziert, ist es öffentlich, und wir können darauf eingehen. Das Gleiche tun wir nun mit den Unterlagen von Edward Snowden. Wir arbeiten mit der New York Times zusammen und entscheiden gemeinsam, wer was veröffentlicht. Erst kürzlich berichteten wir, dass der britische Geheimdienst den Yahoo Messenger überwacht und Webcam-Bilder abfängt, dieses Programm heißt “Optic Nerve“.
Ist das amerikanische Medienrecht so viel besser als das britische?
Phillips: Eindeutig, die USA haben das First Amendment, die Meinungsfreiheit ist also der allererste Punkt in der amerikanischen Verfassung. Das britische oder europäische Recht ist vergleichsweise breiter formuliert. Artikel 8 und Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention sehen die Meinungsfreiheit nicht als übergeordnetes Menschenrecht, sondern wägen stärker ab. Das ist juristisch eine ganz andere Ausgangslage.
Es gab noch einen weiteren Fall, bei dem die Strenge der britischen Gesetze sichtbar wurde. David Miranda, der Lebensgefährte und Gehilfe des Aufdeckerjournalisten Glenn Greenwald, wurde am Flughafen Heathrow neun Stunden lang festgehalten – basierend auf einem Antiterrorgesetz.
Phillips: Der High Court urteilte neulich, dass dies rechtmäßig war. Das Gericht prüfte den Fall aber nur formell, etwa ob die richtigen Formulare ausgefüllt worden waren. Den größeren Zusammenhang berücksichtigte das Gericht nicht: David Miranda war eben kein zufällig herausgefischter verdächtig wirkender Mann, die Behörden wussten ganz genau, wer David Miranda war. Und wenn britische Gesetze so etwas erlauben, dann sind die Gesetze falsch.
Im Fall David Miranda ging es nebenbei auch um die Frage, ob er dieselben Rechte wie Journalisten verdiene, schließlich sei er kein klassischer Journalist. Was halten Sie davon? Sieht das Medienrecht dies zu eng?
Phillips: Ja. Es ist doch egal, ob man als professioneller Journalist bei einem Medium angestellt ist oder als Blogger zu Hause am Computer sitzt. Was zählt, ist, ob das Publizierte im öffentlichen Interesse ist. Das Recht spricht oft nur von “Journalisten“, aber eigentlich sollten juristisch all jene Personen geschützt werden, die etwas im öffentlichen Interesse publizieren, egal ob sie nun Journalist, Blogger oder etwas anderes sind.
Sie sind Medienanwältin. Hätten Sie sich jemals gedacht, dass Sie sich im Rahmen Ihrer Arbeit auch mit Antiterrorgesetzen beschäftigen müssen?
Phillips: Als ich anfing, sicher nicht. Aber in den letzten Jahren lernten wir, dass manche Antiterrorparagrafen auch gegen Journalisten eingesetzt werden können. Zum Beispiel kam es vor, dass Redakteure Terroristen interviewten und die Polizei daraufhin ihre Unterlagen wollte. Auch forderte manch einer, der Guardian solle aufgrund von Antiterrorgesetzen angezeigt werden, weil wir Information besitzen, die Terroristen helfen könnten. Vor einigen Jahren hätte ich das nicht mitbedacht, aber seit dem 11. September ist Terrorismus etwas, womit wir viel direkter leben müssen.
Wenn man über eingeschränkte Pressefreiheit spricht, denken viele wohl zuerst an Staaten in Asien oder Südamerika. Sie sind derzeit für die Konferenz “Informationsfreiheit unter Druck“ in Wien, ist die Informationsfreiheit sogar in funktionierenden Demokratien unter Druck?
Phillips: Ich denke schon. Vergangenen Herbst nahm ich an einer Konferenz in Hongkong teil, bei der Journalisten und Juristen aus Staaten wie Singapur, Thailand, Malaysien auftraten, das sind furchteinflößende Orte für Journalisten. Allein für Kritik an der Regierung kann man ins Gefängnis gehen. Umso wichtiger ist, dass der Westen weiterhin an Informationsfreiheit festhält. Alles hat eine Schattenseite, manchmal spitzen Journalisten Dinge zu oder sind zu schlampig. Aber im Zweifelsfall ist zu viel Redefreiheit besser als zu wenig davon. Natürlich sollen Journalisten ihre Privilegien nicht missbrauchen – so wie das beim britischen Abhörskandal der Fall war, bei dem Journalisten fremde Telefonate belauschten. So etwas spielt dann jenen in die Hände, die nur darauf warten, endlich die Pressefreiheit einschränken zu können.
Gill Phillips
leitet die redaktionelle Rechtsabteilung des Guardian. Sie arbeitete bei der internationalen Kanzlei Clifford Chance, ehe sie in die Medienbranche wechselte und Unternehmen wie die BBC, die britische News Group Newspapers und die Times juristisch beriet. 2009 wechselte sie zum Guardian, wo sie sich auch mit den rechtlichen Fragen rund um die Wikileaks-Enthüllungen und die NSA-Dokumente beschäftigt, die der Informant Edward Snowden weitergab. Sie twittert als ladywell 23.
Dieses Interview erschien im Falter 11/14. Foto des Laptops: Roger Tooth/The Guardian. Das Foto von Gill Phillips stammt von mir
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zur erweiterten Gefahrenerforschung: Wie kommen denn Ermittler dazu dass eine Person potentiell Terrorist werden koennte? Naemlich ohne diese Person (noch frühzeitiger) zu ueberwachen.
Vielleicht weil diese Person etwas mit einer Person zu tun hat die was mit einer Person zu tun hat die was mit einer Person zu tun hat die was mit einer Person zu tun hat die was mit einer Person zu tun hat die was mit einer Person zu tun hat die ein Terrorist ist. Das waer dann wohl so ziemlich jeder.
Die links-grünen Eliten planen die Vernichtung der eingesessenen europäischen Volker durch Masseneinwanderung von Nichteuropäern, insbesondere von Muslimen, weil sie diese brauchen, um die bürgerlich-christlich geprägten Gesellschaften radikal nach utopischen Vorstellungen umzukrempeln (Antonio Gramsci hat das alles schon vor 80, 90 Jahren durchdacht) und wundern sich dann, dass es Widerstand gegen die eigene Vernichtung gibt.
Europa soll zu einem bunten Völkergemisch werden, in dem sich letztlich der Islam durchsetzen wird, während alle nicht-westlichen Gesellschaften weiterhin ihre eigenen nationalen Gesellschaften behalten und da wundert sich die Elfenbeinturmbewohner, dass die völlig durchgeknallte Selbstvernichtung nicht von allen begeistert aufgenommen wird...
Die etablierten geistigen "Eliten" in Europa haben jede Orientierung und führen die westliche Welt in den Untergang....
Was Breivik getan hat, ist moralisch nicht zu rechtfertigen, nachvollziehbar als Verzweiflungstat ist es meines Erachtens dennoch. In 10, 20 oder 30 Jahren, wenn der Bürgerkrieg um die Herrschaft in Europa tobt zwischen den muslimischen Einwanderern und den Eingesessenen, wird man das verhalten von Breivik in weiten Bevölkerungskreisen verstehen, da bin ich mir sicher!
dieses beispiel zeigt deutlich, wie weit weg von der realität die entwicklerInnen solcher kampagnen sind...
Das spricht mir aus der Seele! Komplett inhaltsleer, keine tiefergehenden Informationen oder Erklärungen für die Bürger, kein Dialog, .... das Ganze ist völlig sinnlos. Was insbesondere deswegen schade ist; da es eine gute Gelegenheit gewesen wäre an Politik desinteressierte Menschen, insbesondere Junge, zurückzugewinnen. Darum tut es mir mehr leid, als um die 200.000 Euro, denn es wird noch viel mehr bei uns verschwendet.
Unbedingt richtig!
Hier noch meine Gedanken zum Thema: http://inartissojo.com/blog/2011/11/04/werner-faymann-und-das-internet/
Kein Politiker, der nicht von sich aus in den neuen Medien präsent sein will, sollte sich da präsentieren. Man kann einfach nicht glaubwürdig rüberkommen.
Man muss ja nicht mal schummeln am FB-Profil. Man veröffentlicht einfach nur die richtig netten Sachen, Gelegenheiten, Fotos und Momente für alle Freunde. Man schränkt die persönlichen Postings auf den "inneren" Freundeskreis ein. Dann sieht der alte Bekannte halt nur einen Ausschnitt aus dem Leben. Aber genauso kann man auch seine Erzählungen & Darstellungen während eines Abends in großer Runde einschränken (solang keine Leute dabei sind, die Genaueres wissen und dies auch kundtun). Same same.
Aber sicher spannend, das Treffen. Fix Oida!
#OPEN und #PIPA blieb leider unerwähnt.
zu: ACTA und VDS sind Chiffren für ein unsauberes Demokratieverständnis. Da werden in geheimen Verhandlungen Dokumente erstellt, und wenn der fertige Entwurf an die Öffentlichkeit dringt, ist es für eine echte Debatte längst zu spät. Diese Geheimniskrämerei auf supranationaler Ebene ist ein guter Trick, um umstrittene Gesetze ohne große Diskussion auf Schiene zu bringen.
Hinweis:
Ross und Reiter werden von Ihnen hier laufend anonymisiert: Welche Personen meinen Sie genau, die "im geheimen Dokumente erstellen" Wessen "Geheimniskrämerei"?? Wie heißen, die Österreicher, die hier aktiv waren / sind? Wenn Sie diese "Geheimniskramerei" selbst eliminieren würden, wären Roß und Reiter konkret benannt. (Ein "Ministerium" kann ja nicht schreiben, verhandeln, etc. --- nur Personen.)
Ich finde, Sie nehmen (wie sehr viele Journalisten, inkl. Mr. Wolf vom ORF) die Sache immer noch zu leicht.
Durch privat bzw. allgemein erhältliche Software fische ich (mit fast 98% Genauigkeit) aus facebook die ÖVP- oder SPÖ-Wähler heraus; womit das Wahlgeheimnis zu 98% futsch ist. (wird normalerweise "demokratieschädlich" genannt)
Bei den $cientologen wurde deren Grundsatz "von jedem eine Akte anlegen" (im $c.Jargon: Ethik-Akte) von Leuten wie Ihnen heftig bekämpft, weil totalitär. Nun haben Sie das, was früher "totalitär" genannt wurde: eine Akte von jedem, die Privates und Intimes enthält.
Danke U$-Konzerne und U$-Regierung, v.a. Bush-Regierung für die exorbitante
- politische Spionage
- Wirtschaftspionage
- militärische Spionage
Denn: heute ist Information viel, viel wichtiger als "Geld"; Information regiert die Welt.
lg
In D hat ein Blogger nach seinem Urlaub festgestellt, dass etliche seiner Texte im web gefehlt haben. Das hat den gewaltig überrascht, sodass er gleich nachforschte.
Der Provider hat ihm die Blog-Beiträge herausgelöscht!! Und zwar deswegen, weil ein Rechtsanwalt dem Provider eine einstweilige Verfügung eines kleinen BRD-Gerichtes gemailt hat, mit der Aufforderung, zwei dutzend Texte zu entfernen. Das hat der Provider gemacht, um nicht als "Störer" (ist in der BRD so) vom RA belangt zu werden.
Das heißt: lange bevor der Blogger davon erfahren hat (vom Rechtsanwalt und des Gerichtsbeschlusses) waren seine Texte vom web entfernt.
Die einstweilige Verfügung wird OHNE Anhören der Blogger beschlossen; nach der Anhörung des Bloggers wurde der Beschluß aufgehoben; das Entfernen der Texte war rechtswidrig, weil der Gerichtsbeschluß aufgehoben werden mußte.
Also: wenn von Ihnen im web zwei dutzend Beiträge fehlen und sie nicht wissen warum, dann wissen Sie, wo das Problem bei #ACTA liegt. http://is.gd/ED43eX
Das Problem ist, dass sechs Konzerne (Sony, MGM, Universal, ...) mehr Macht haben, als die gesamte EU und ihre Politiker.
lg