Facebooks größter Feind
Medienmensch des Jahres: Max Schrems hat sich mit Facebook angelegt und dabei mehr erreicht als manch ein Politiker
Nicht nur CNN hat Max Schrems befragt. Die New York Times, der Guardian und die Zeit stellten sich bei ihm an, die Bild widmete ihm die Titelzeile, mit Le Monde saß er im Café Ritter. “L’important, c’est que Facebook respecte la loi“, diktiert er den Franzosen. Es ist wichtig, dass Facebook das Gesetz respektiert
Max Schrems ist 24, stammt aus Salzburg und studiert Jus an der Uni Wien. Auf den ersten Blick unterscheidet sich der Student aus bürgerlichem Haus nicht von seinen Kollegen vom Juridicum: Er besucht unter der Woche Vorlesungen, am Wochenende Partys. Doch eines lenkt die Aufmerksamkeit der Weltpresse auf ihn: Schrems hat sich mit einem der einflussreichsten Unternehmen der Welt angelegt, er hat die Initiative “Europe vs. Facebook” gegründet und Facebook angezeigt, 22-mal.
Die kalifornische Firma missachtet den europäischen Datenschutz, sie täuscht ihre User, hat unfaire Geschäftsbedingungen, meint Schrems. “Wenn Facebook in Europa Geschäfte machen will“, sagt er, “dann muss es sich an europäisches Recht halten.“
Schrems tat etwas Kluges, ehe er seine 22 Anzeigen verfasste. Er begehrte Auskunft, welche Daten Facebook über ihn eigentlich so abspeichert. Dieses Recht steht jedem europäischen Konsumenten zu, weiß der Jusstudent. Schrems staunte, als ihm Facebook eine CD mit einem 1222 Seiten langen PDF-Dokument übersandte. 1222 Seiten nur über Max Schrems, seine Pinnwandeinträge, seine Facebook-Freunde, seine Ex-Facebook-Freunde und viele andere Informationen, die Schrems längst gelöscht geglaubt hatte.
Wer seine Daten auf Facebook löscht, erkannte Schrems, macht sie oft nur unsichtbar. Sogar private Nachrichten verblieben in den Archiven des Internetriesen, auch wenn Schrems sie vernichten hatte wollen. “Ein klarer Verstoß gegen europäische Datenschutzbestimmungen“, sagt er. Ohne die Zustimmung des Users dürfen Firmen in Europa Daten nicht unendlich lange aufbewahren.
Der Student artikulierte das Unbehagen vieler User und brachte die Anzeigen vor der irischen Datenschutzkommission ein. Denn in Irland hält Facebook eine Tochterfirma, die für alle europäischen Kunden zuständig ist und für die europäisches Recht gilt. Die irischen Datenschützer durchleuchten nun die Webseite, haben zwei Unternehmensprüfungen bei der irischen Tochterfirma durchgeführt. Voraussichtlich werden sie noch diese Woche einen ersten Bericht vorlegen – das Dokument wird zeigen, ob sich die Behörde tatsächlich traut, dem kalifornischen Internetgiganten auf die Füße zu treten. (Update: Der Bericht der Datenschutzkommission ist erschienen und fordert mehr Rechte für die User und mehr Transparenz von Facebook. Hier die Presseaussendung von Max Schrems)
Facebook beschäftigt eine Armada von Juristen. Sie weisen die Vorwürfe zurück. Ein weiteres Team wurde eigens für Anfragen tausender Kunden eingerichtet, die ebenfalls Auskunft verlangten. Schrems hat User dazu aufgerufen, selbst bei Facebook nachzufragen, welche intimen Details das Unternehmen über sie speichert. Wie viele solcher Anfragen bisher eintrafen, gibt Facebook nicht bekannt. Rund 50.000 sollen es laut Schätzungen sein. (Update: Laut dem Bericht der irischen Datenschützer trafen bei Facebook 40.000 solcher Anfragen ein)
Der angriffslustige Jusstudent wurde zum David, der kleine Steinchen auf den Goliath Facebook mit seinen Millionen Usern warf. Kommendes Jahr will das Unternehmen an die Börse, laut privaten Investoren ist die Plattform 80 Milliarden Dollar wert. Die Firma hat bestimmt kein Interesse, sich in Europa ihr Geschäft mit den Daten vermiesen zu lassen.
Schrems gegen Facebook: Dieser exemplarische Fall zeigt auch, wie im Web Konsumentenrechte systematisch ignoriert werden und wie die Politik tatenlos zuschaut. Kein einziger österreichischer Politiker hat sich bisher zu Schrems’ Anzeigen geäußert oder ihm gar zu seinem Kampfesmut gratuliert.
So stellt sich die Frage: Wieso braucht es eigentlich einen 24-jährigen Studenten, um Facebook an bestehende Gesetze zu erinnern? Wo bleibt der Staat?
Während die heimische Politik zu Facebook schweigt oder die Plattform bestenfalls zur Selbstdarstellung nutzt, wachen wenigstens einzelne Europapolitiker auf. EU-Justizkommissarin Viviane Reding fordert etwa ein “Recht auf Vergessen“ im Netz. Sie arbeitet an einer europäischen Datenschutzverordnung, die dies festschreiben soll. Ihre wichtigsten Verbündeten sind die Deutschen.
Die Deutschen. Wahrscheinlich wird keine Nation von den US-Internetkonzernen so sehr gehasst wie Germany. Nirgendwo wird so ergriffen und grundsätzlich über den Schutz der Privatsphäre diskutiert. Der Fall Google zeigte es bereits. Der Suchmaschinenriese stieß auf gewaltigen Widerstand, als er mit Kameras bestückte Autos ausschickte, um Fotos von öffentlichen Straßen zu machen und diese auf Google Street View hochzuladen. Da fühlten sich viele Deutsche beobachtet.
“Beim Datenschutz gibt es in Europa eine andere Kultur“, weiß auch Max Schrems. In Amerika ist das Konzept der Privatsphäre historisch anders gewachsen. In Amerika herrschten keine Gestapo und keine Stasi. Amerika hat keine eigene totalitäre Geschichte. Schrems kennt die amerikanische Sichtweise. Er hat Anfang des Jahres ein Semester an der Privatuni Santa Clara im Silicon Valley studiert und dort etliche Datenschutzbeauftragte führender Webfirmen gehört, darunter auch der Privacy-Verantwortliche von Facebook. “Der hatte keine Ahnung vom europäischen Recht“, sagt Schrems, “stattdessen forderte er Verständnis für Facebook, schließlich sei es noch ein Start-up-Unternehmen.“
Noch in den USA begann Schrems, an den Anzeigen zu feilen. “Etliche wissenschaftliche Papers waren bereits zu dem Schluss gekommen, dass Facebook europäisches Recht verletzt. Aber niemand tat etwas dagegen“, sagt der Student. Er ist jemand, der nicht nur redet, sondern handelt. Er ist jemand, der Projekte tatsächlich umsetzt: Schon als 23-Jähriger schrieb er ein Buch über private Videoüberwachung.
Der Datenschutz ist ihm ein besonderes Anliegen, er nennt ihn die “neue Front des Bürgerrechts“. An dieser wird gerade umkämpft, wie viele Rechte die Konzerne und wie viele die Konsumenten haben.
Mit Technologiefeindlichkeit oder gar Facebook-Hass hat Schrems Vorgehen nichts zu tun. “Social Networking ist cool“, sagt er, “das Problem ist nur, dass Facebook ein Monopol auf Online-Freundschaft hat.“
“Reg dich nicht auf! Wenn dir Facebook nicht gefällt, dann meld dich ab.“ Solche Einwände hört Schrems oft. Es stimmt, dass niemand gezwungen wird, dem Freundschaftsportal beizutreten. Doch keine andere Social-Networking-Seite hat 800 Millionen User, es gibt keine wirkliche Alternative zu der kalifornischen Firma. Dazu bringt der gebürtige Salzburger einen Vergleich: “Stell dir vor, es gäbe nur einen E-Mail-Anbieter auf dieser Erde. Dann müssten sich alle Menschen den Regeln dieses einen E-Mail-Anbieters unterwerfen oder darauf verzichten und Postkarten schreiben.“ Schrems will im Jahr 2011 aber keine Postkarten schreiben. Er will soziale Medien nutzen und seine Rechte gewahrt sehen.
Nach dem ersten Bericht wird die irische Datenschutzbehörde auch einen Vergleich vorschlagen. Sollten sich Facebook und Schrems nicht einigen können, stellt die Behörde einen Bescheid aus, danach kann es ein Gerichtsverfahren geben. Im schlimmsten Fall droht Facebook eine Geldstrafe von 100.000 Euro, ein lächerlicher Betrag für ein milliardenschweres Unternehmen. Mehr Angst muss der Marktführer allerdings vor den politischen Reaktionen und vor dem Imageverlust haben.
Max Schrems nimmt den Wirbel, den er verursacht hat, gelassen. Er weiß: Sowohl ein Sieg als auch eine Niederlage nützen ihm. Wenn er gewinnt, wird Facebook handeln müssen. Wenn er verliert, wäre der Beweis erbracht, dass der europäische Datenschutz zahnlos ist. “Dann“, sagt Schrems, “wäre ein Präzedenzfall geschaffen. Politiker könnten sich auf mich berufen, wenn sie die Gesetze verschärfen wollen.“
Schrems sagt solche Sätze nicht wütend, sondern sympathisch amüsiert. Die Fehde mit Facebook ist für ihn kein verbissenes Duell, sondern ein sportlicher Zweikampf. Was er unternehmen wird, wenn der Rummel vorüber ist und die Weltpresse nicht mehr an seinem Handy hängt? Max Schrems zuckt mit den Schultern. “Ich bin froh, wenn ich meine Ruhe habe.“ Kommendes Jahr möchte er sein Studium beenden, danach dissertieren, vielleicht lockt später die Politik, vielleicht der Einsatz für Bürgerrechte.
Ideen hat Schrems genug. Er träumt von einem europäischen Konsumentenschutzverein, der sich mit den Konzernen vor Gericht anlegt. “Genauso wie Facebook könnte man auch Google oder Apple überprüfen“, sagt er, “doch der Staat ist untätig.“ Und weil der Staat nichts macht, muss ein anderer einschreiten: Der Student aus Wien-Mariahilf.
Dieses Porträt ist in Falter 51-52/11 erschienen. Foto von Max Schrems: Heribert Corn
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Drinking water throughout your day helps you to prevent disease,
your optimal weight, as it dieting is so hard should.
For the study, Gardner and his colleagues looked at data from 300 overweight
or obese, advise people that cutting calories by a certain amount of fat to be
healthier. That is something to think about all the hoopla over his
weight.
Was ich spannend finden würde:
Wie wird eigentlich in Österreich überwacht?
Was macht die Polizei & der Verfassungsschutz?
Was die beiden militärischen Geheimdienste?
Vor allem: was dürfen die rechtlich - was machen sie faktisch, also wie weit wird die Rechtsstaatlichkeit bewahrt?
Nun, zur rechtlichen Lage hat der Sprecher des Innenministeriums Stellung genommen. Siehe: http://derstandard.at/1369363164908/Bespitzelung-a-la-PRISM-In-Oesterreich-ausgeschlossen
Inwieweit andere Staaten (etwa Österreich) auch geheime Programme haben oder die Ermittler mehr tun, als sie dürfen, kann man natürlich nicht sagen - wobei ich mir bei der Vorstellung schwer tue, dass Österreich ein ähnliches Spitzelprogramm hat. Weder haben wir große IT-Konzerne bei uns sitzen, noch einen Patriot Act, der sehr vieles sehr Problematisches möglich macht.
Und zum Vergleich mit der Vorratsdatenspeicherung:
Von manchen wird PRISM mit der Vorratsdatenspeicherung verglichen, was aber irreführend ist ist. Ich bin wahrhaft keine Freundin der Vorratsdatenspeicherung, aber sie ist mit PRISM nicht vergleichbar. PRISM ist ein geheimes (!) Programm, das Daten abzapft. Laut den internen Dokumenten kann die NSA auf E-Mails, Fotos, Videos, Chatprotokolle zugreifen. Das geht viel weiter als die Vorratsdatenspeicherung, bei der sogenannte Verbindungsdaten gespeichert werden - also nicht der Inhalt einer E-Mail, sondern die Information, wann wer mit wem wo gemailt hat. Es geht mir keine Sekunde darum, die Vorratsdatenspeicherung zu verharmlosen, nur werden hier Äpfel mit Birnen verglichen.
PRISM ist ein Geheimprogramm, von dem wir nur dank einem Whistleblower erfahren haben und das offensichtlich viel weitreichender ist als alle anderen Überwachungsmethoden, von denen wir bisher wissen.
hier vielleicht ein interessanter Link/anderer Blick: http://nakedsecurity.sophos.com/2013/06/10/prism-not-as-bad-as-you-thought-and-dont-call-it-prism/
ich glaube auch überhaupt nicht, dass Österreich hier ähnliche Programme unterhält, auch ein Vergleich mit der VDS liegt mir fern. PRISM scheint ja vielmehr sowas wie Echelon zu sein nur weit umfassener, das ist eine ganz andere liga als die Vorratsdatenspeicherung.
Aber natürlich gibt es auch in Europa eigene Überwachungsbestrebungen, wie hier http://fm4.orf.at/stories/1719346/ etwas kompliziert beschrieben. Da wird Österreich sicher auch mit an board sein.
Darüber hinaus wird zb das Projekt INDECT betrieben. (https://de.wikipedia.org/wiki/INDECT)
Und, wieder anderes Thema, es gibt ja momentan schon weitreichende Übereinkünfte mit den USA über Fluggast-Daten und auch E-Banking (SWIFT) betreffend.
Aber ja, eine maßlose allumfassende Aufzeichnung/Speicherung der "österreichischen Daten" wird es wohl nicht geben, einzelne Maßnahmen der Polizei/Geheimdienste die weiter gehen als die Gesetze es erlauben bestimmt (siehe VGT-Prozess).
Eine öffentliche Kontrolle dieser Tätigkeiten gibt es aber nicht, und auch keine Diskussion über die Befugnisse und tatsächlichen Überwachungstätigkeiten der Behörden hierzulande, womit ich wieder bei meinen Einstiegsfragen angelangt bin :)
Komisch, der Kommentar blieb im Spam-Filter hängen. Sorry! Sehr spannender Artikel auf FM4, kannte ich noch gar nicht. Danke!
Mir geht's gar nicht darum, Europa zu sehr in Schutz zu nehmen. Ich hab nur ein bisschen Angst, dass nun sehr schnell so ein generelles Wurschtigkeitsgefühl eintritt, so nach dem Motto: Jo, mei, es überwachen eh alle! Das wäre schlecht, weil das erst recht jene EU-Abgeordneten blockiert, die nun wieder Verschärfungen in die Datenschutzverordnung reinschreiben wollen. Was sicherlich generell eine gute Idee ist. Aber ja, der Tierschützerprozess wirft sicher kein gutes Licht auf das Vorgehen der Behörden...
übrigens:
http://derstandard.at/1369363661519/Bundesheer-Geheimdienst-soll-mit-NSA-kooperieren
"Etwa, dass für den Rest der Menschheit nicht die gleichen Menschenrechte gelten?"
Genau so kommt mir aber die Haltung vieler US-Amerikaner vor. Guantanamo ist nicht so schlimm, so lange keine Amerikaner dort sind. Und das F in FISA steht nicht umsonst für "Foreign". Klar, das sich ein Staat zuallererst um seine eigenen Bürger kümmert und eine Regierung um ihre Wähler. Gerade deshalb sollten in wir in Europa scharfe Datenschutzgesetze schaffen und uns nicht den Lobbyisten der großen (US-)IT-Unternehmen beugen.
Stimmt, leider entsteht dieser Eindruck derzeit tatsächlich. Wobei man ja sagen muss, dass Obama ursprünglich auch für das Versprechen, Guantanamo zu schließen, gewählt wurde. Es gibt sicherlich einige Amerikaner, die keine Freunde der Außenpolitik ihres Staates sind.
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Mal sehen wie viele Studien über die Sinnlosigkeit der Vorratsdatenspeicherung benötigt werden um sie wieder abzuschaffen. Leider sind die Regierungen einfach so datensammelwütig.
Nachdem es jetzt eh passiert ist sollte man das ganze System mit sinnlosen Informationen zumüllen, dann geht vielleicht in der Datenflut unter wann meine Oma mit ihrem Arzt über ihre Hüftprothese via Email kommuniziert hat... (Ja ich weiß, Inhalte werden nicht gepeichert - noch nicht...)