It’s the transparency, stupid!
Im Web mucken Blogger und Journalisten auf. Zu Recht fordern sie einen Staat, der Rede und Antwort steht.
Derzeit liegt etwas in der Luft. Man kann deutlich spüren, wie sich Unmut regt. Alle paar Wochen entsteht eine neue Internetinitiative, ein neues Blog, das die Missstände im Staat an den Pranger stellt. Sei es die Geheimniskrämerei der Behörden und Ministerien, die die Plattform Amtsgeheimnis.at kritisiert. Seien es die Unvereinbarkeiten der Parlamentarier, die das Webprojekt MeineAbgeordneten.at in Zukunft ausfindig machen will. Oder die dubiosen Verstrickungen von Politik und Medien, die das Blog Kobuk.at vor Augen führt.
Diese Projekte drücken ein tiefes Unbehagen der Zivilgesellschaft aus (siehe Artikel im Falter). Die Machthabenden werden zu wenig kontrolliert. Es fehlt die Möglichkeit, von ihnen Rechenschaft zu fordern. In Kärnten will ein Journalist wissen, wie viel Steuergeld die Landesregierung für ihr pompöses Marketing ausgibt. Keine Auskunft. In Wien fragt der Falter, wer im städtischen Aufsichtsgremium sitzt, das neue Glückspielautomaten bewilligt. Keine Auskunft.
Das schadet unserer Demokratie. Für die Kontrolle der Mächtigen gibt es im Englischen die Phrase to hold someone to account, jemanden zur Rechenschaft zwingen. Wie aber soll man von jemandem Rechenschaft einfordern, wenn man dessen Rechnungen nie vorgelegt bekommt, wenn die accounts verschlossen sind?
Die Verfassung stellt Verschwiegenheit über Auskunftspflicht. Das ist ein juristisches Problem, es ist aber auch ein Versagen des Journalismus. Ein Teil der Medien (die Minderheit) würde gerne genauer hinschauen, darf aber nicht. Der Rest (die Mehrheit) ist gar nicht daran interessiert. Sie hat es sich im System bequem gemacht, bekommt reichlich Anzeigengelder aus den Ministerien zugeschanzt und die nächste Story aus der Presseabteilung gleich dazu. Solche Medien sind nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems.
Da ist es nur logisch, dass nun im Netz Widerstand entsteht. Das Web funktioniert teilweise außerhalb der gängigen Machtstrukturen. Im Ernstfall zeigt sich, dass es tatsächlich sein oft beschworenes demokratisches Potenzial hat. Plötzlich schwirren Informationen lose herum. Wir gewöhnen uns daran, dass Daten leicht zugänglich und auffindbar sind. Jeder kennt heute zig Beispiele, wie simpel es ist, an Information heranzukommen – das reicht von der Telefonnummer auf Herold.at bis hin zu Staatsgeheimnissen auf der Enthüllungsplattform Wikileaks.
Nur der österreichische Staat will nicht so recht mitspielen. Er verwaltet extrem viele Daten, teilt diese aber ungern mit der Öffentlichkeit. Zu Recht taucht nun im Web die Frage auf: Ist diese Verschwiegenheit immer berechtigt?
Nehmen wir den Umgang mit Studien: Ministerien geben sehr viel Steuergeld für die Erstellung von Studien aus. Oft werden die Ergebnisse aber nicht präsentiert, sondern in irgendeiner Schublade versteckt – weil die Ergebnisse nicht belegen, was der Minister predigt.
Österreich ist ganz am Anfang der Debatte, es entsteht aber gerade eine neue Bewegung. Man könnte ihre Träger Daten- und Transparenzjunkies nennen. Sie glauben daran, dass mehr Information über den Staat zu einem korrekteren Staat führen. Eigentlich ein Kerngedanke der Demokratie. Im Netz bekommt der Staat noch viel mehr Möglichkeiten, Rechenschaft abzulegen. Auf der ganzen Welt wird gerade über genau dieses Thema diskutiert.
Zum Beispiel in den USA. Dort gibt es den berühmten Freedom of Information Act. Das Gesetz verpflichtet Regierungsstellen dazu, ihre Daten herauszurücken, wenn dies ein Bürger verlangt. Jetzt wird eine Ausdehnung gefordert: Erstens sollen Behörden klare Richtlinien bekommen, wie lange sie eine Anfrage verschleppen dürfen. Zweitens könnte aus einer Holschuld der Bürger eine Bringschuld des Staats werden. Bürgerrechtler fordern, dass Behören Informationen nicht erst nach einer Anfrage offenlegen, sondern dies prophylaktisch tun – auf leicht durchsuchbaren, übersichtlichen Webseiten.
In den USA gibt es schon Beispiele dafür: Der staatliche Konsumentenschutz stellt seine Statistik ins Netz, wie viele Verletzungen bei unterschiedlichen Kinderspielzeugmodellen gemeldet wurden.
Hierzulande ist Transparenz ein Angstthema. Das geht so weit, dass manche Daten gar nicht gespeichert werden. Zumindest behaupten das Kritiker. Sie werfen den Ministerien vor, Statistiken absichtlich nicht zu führen. Auf diese Weise kann die Statistik niemals in die Hände der Opposition oder kritischer Journalisten fallen. Der Datenschützer Hans Zeger wollte einmal wissen, wie viele Hausdurchsuchungen jährlich in Österreich stattfinden. Die Antwort: Diese Information wird nicht erhoben.
Wenn nun Blogger, Internetgeeks und Journalisten aufschreien, ist das ein Warnsignal. Erstens leben wir nicht mehr im Jahr 1972, als man Information unauffällig in irgendwelchen Archiven verstecken konnte. Zweitens muss die Politik Rechenschaft ablegen, sonst wird sie weiter an Vertrauen verlieren. Genau das passiert nämlich derzeit.
Wir stehen vor einer Weggabelung: Entweder wir gelangen in ein Zeitalter des Misstrauens, in dem Bürger und Staat auseinanderdriften und in dem Demagogen die verärgerten Massen anlocken. Oder wir zwingen den Staat, dieses Unbehagen endlich ernst zu nehmen und das zu tun, wofür er eigentlich da ist: den Bürgern Rede und Antwort zu stehen.
Dieser Kommentar ist in Falter 28/11 erschienen, in der Printausgabe trug er den Titel “Tag für Tag ein neuer Geheimnisverrat”. Bild: Flickr-User opensourceway
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Hat nichts an Schlagkraft eingebüßt dieser Artikel! Tolle Sache :-)
Guten Tag
Ein interessanter Artikel über die Art der Berichterstaatung vom ORF:
Mein Montevideo – Völkermord in Uruguay – der ORF und die Lügenpresse
http://wipi.at/immoblog/uruguay-voelkermord
Nicht rechte Populisten schaffen Rechtsextreme, sondern die Lügen die von linken Gutmenschen verbreitet werden - die Anführer arbeiten beim ORF!
schönen Feiertag
Diese Strategie der rechten Populisten hat schon einen Bart: Rollen drehen: die Linken sind Schuld. Dieses Schubladendenken loest kein einziges Problem, von denen wir zu Genuege haben. Ich bin gerne ein Gutmensch - uebrigens eines der aergsten Schimpfwoerter.
Grossartig ihre Beiträge bei den heutigen Alpbach Talks. Bin ab sofort Profil Abonnent.
Herzlichen Dank für Ihren ausserordentlich beeindruckenden Beitrag bei den heutigen Alpbach Talks. Ich würde Sie gerne für einen Diskussionsabend auf der FH Vorarlberg gewinnen und mich deshalb über eine Rückmeldung freuen.
der Artikel ist immer noch top aktuell! man findet ihn immer noch ganz oben bei Google wenn man nach dem richtigen keyword sucht! :-) Bei dieser Gelegenheit möchte ich natürlich nicht verabsäumen, auch die besten Wünsche für das neue Jahr 2017 zu übermitteln
ein wirklich ewig aktueller Beitrag wie man auch anhand verschiedener Meinungen sehr gut sehen kann! vielen Dank auch von mir fürs Teilen
Liebe Ingrid Brodnig,
wir bereiten gerade eine Diskussionsveranstaltung zu "Hass im Netz" vor, die wir im Medienzentrum beim Kirchentag auf dem Weg in Magdeburg veranstalten möchten. es ist uns sehr wichtig, dass wir die verschiedenen Seiten diskutieren und nicht beim Jammern verbleiben, sondern gemeinsam darüber nachdenken, was wir alle tun können. Dafür wären Sie eine sehr geeignete Gesprächspartnerin.
Ihr Buch würde darüber natürlich auch noch einmal mit beworben werdne und bekannter gemacht werden, was mir übrigens sehr gefällt.
Hier die Daten für die Veranstaltung, bitte schauen Sie doch zeitnah, ob es Ihnen möglich wäre, and er Diskussion teilzunehmen.
Podium "Hass im Netz"
Datum: Fr, 26. Mai 2017, 14.30 - 16.00 Uhr
Ort: Zentrum Digitalisierung und Neue Medien, Festung Mark, Magdeburg, im Rahmen des Kirchentag auf dem Weg
weitere ReferentInnen (z.T. zugesagt, z.T. angefragt): Julia Schramm/Fachreferentin für Haed Speech, Christof Breit/ Social media Beauftragter der Bayrischen landeskirche, Renate Künast/MdB,Partei Die Grünen, evtl. ein Hasskommentator, der sich der Debatte stellt.
Über eine sehr rasche Antwort würden wir uns freuen.
Herzliche Grüße, Annette Berger (Programmausschussvorsitzende des Kirchentag auf dem Weg/Magdeburg)
Vielen Dank - Das sind klare Worte!!
Besonders wichtig in einer Zeit, wo man so viel Irritierendes hört. Und da sind immer wieder die rechten Populisten vorne dabei. So postet letztlich sogar ein HC Str., dass im auffällt, die Sprache würde zusehends verrohen! NA SOWAS!! Wo doch gerade ER und seine Mitstreiter dazu besonders fleißig und regelmäßig die deftigsten Beträge verfassen .....
Klingt nach einem hervorragenden Plan!
Fantastisch, Madam Ambassador!