Desinformation je nach Generation – Vortrag von der re:publica
Von TikTok-Mythen bis zu KI-Bildern auf Facebook – für jede Altersgruppe gibt es passende Falschmeldungen. Aber auch passende Aufklärung.
Ich finde eines sehr interessant: Desinformation, Falschmeldungen, die stark geteilt werden, sagen auch etwas über Wünsche, Ängste, Feindbilder, in Teilen der Gesellschaft aus. In Teilen einer Generation zum Beispiel.
Mir ist das so richtig bewusst geworden, vergangenes Jahr im April, da hat mich eine Lehrerin kontaktiert. Die Lehrerin erlebte ein Problem: Sie kommt in der Früh in die Schule und merkt, die Jugendlichen sind richtig aufgebracht, vor allem die Mädchen.
Es ging um das hier:
Das ist eine berühmte Falschmeldung auf TikTok, der sogenannte „National Rape Day“-Hoax. Den gibt es seit 2021, ausgehend vom englischsprachigen Raum. Die Geschichte lautet: Am 24. April dürfe man Frauen oder Mädchen vergewaltigen und das würde straffrei bleiben. Vergangenes Jahr war das ein besonders großes Thema, nachdem ein Senator in Berlin davor gewant hatte, Medien das aufgegriffen hatten und es ein größeres Thema wurde.
Das wirkt sich bis in eine Wiener Schulklasse aus, dass Mädchen Angst haben.
Ich sprach mit einer dieser Schülerinnen, sie hat gesagt, sie habe mitbekommen, dass am 24. „dass die Männer und Buben alles machen dürfen mit Mädchen, was sie wollen.“
In dieser Erzählung stecken zwei Sachen drinnen: Erstens, offensichtlich könnte Medienkompetenz stärker sein. Das Ganze ist natürlich falsch. Man kann zum Beispiel rasch googeln: „24.4. Vergewaltigung Faktencheck“ und ich habe sofort die Aufklärung. Das machen manche Jugendlichen nicht und fürchten sich. Aber mir ist noch ein zweiter Punkt bewusst geworden – auch im Gespräch mit dem Mädchen:
Es sagt etwas aus, dass solche Geschichten von Jugendlichen weiterverbreitet werden. Dass sie das ihren Freundinnen das weiterleiten. Diese Geschichte spricht ein Unsicherheitsgefühl an. Anscheinend haben junge Mädchen Angst vor sexueller Gewalt im öffentlichen Raum. Und solch eine Geschichte fruchtet auch deshalb.
Das heißt, die Falschmeldungen, die in verschiedenen Generationen herumgereicht werden, die sagen etwas über die Eindrücke aus, die ein Teil dieser Generation hat.
Wenn ich das aufklären möchte, wenn ich Kompetenz fördern möchte, sollte ich an diesen Eindrücken anknüpfen.
Bei Älteren ist das anders: Diese gerade zitierte Falschmeldung ist wahrscheinlich nicht passend für 50-jährige Männer. Da gibt es andere Fakes. Ich gebe ein wiederkehrendes Beispiel: Es gibt einige Falschmeldungen, die in die Richtung gehen, man müsse Angst haben, dass das Bargeld abgeschafft wird. Oder, so wie in diesem Fall behauptet wird: Ein User namens Heinz postet auf Facebook, ab Herbst 2025 gäbe es die absolute Kontrolle. Die Geschichte lautet: Wenn man Bargeld in Zukunft abheben möchte, müsse man einen Grund angeben, wofür man das braucht. Das ist natürlich Unsinn.
Jetzt könnte man als eine Art Generationenvergleich sagen: Die Kids, die Jugendlichen, die werden auf TikTok in die Falle getrieben und die Älteren auf Facebook. Da muss ich aber sagen, ganz so simpel ist es nicht. Dieses Posting stammt von einem User namens Heinz auf Facebook. Aber diese Geschichte mit den Bankomaten stammt ursprünglich ebenfalls von TikTok.
Also: Ganz so jung ist TikTok auch nicht mehr.
Oder ich würde so sagen: Auf TikTok gibt es ebenfalls Communities rund um Wutthemen, wie zum Beispiel „kein Bargeld mehr“, Corona, Migration. Und wenn man sich die Profile rund um diese Themen anschaut, sind das oft ältere Personen.
Diese Geschichte mit den Bankomaten ist natürlich ein Fake. Übrigens sieht man auch hier, dass Medienkompetenz nicht überall stark ausprägt ist. Der Account nennt sich „TikNews“. Wenn man auf das Profil klickt, dann beschreibt sich dieser Account dort als „Postillonalternative“. Es ist also eine verklausulierte Selbstbeschreibung als Satire-Seite. Das ist aber einigen offensichtlich nicht aufgefallen, weil sie es kommentiert haben, als wäre es echt.
In verschiedenen Generationen haben wir das Problem, dass Leute auf Falsches hineinfallen, nämlich auf Falsches, das leicht überprüfbar wäre. Nur: Es wird nicht immer überprüft.
Ich finde aber auch die Analyse, welche Themen da jeweils vorkommen, sehr interessant. Ich gehe zum Beispiel wiederholt an Schulen – da erlebe ich nicht immer die großen politischen Fakes. (Ja, manchmal gibt es das auch.) Aber bei Schülerinnen und Schülern erleben ich oft eher Hoaxes rund um beispielsweise Gesundheitsfragen, also Gesundheits-Fakes. Oder Fakes rund um Promis.
Oder eine andere Geschichte – ich zeige das kurz her: Hier habe ich einen weiteren Vergleich von Fakes für unterschiedliche Generationen. Bei Jugendlichen begegnet mir oft eine Art Angst vor dem Untergang.
Das ist eine irreführende Geschichte, ein irreführender Post auf TikTok. Diese Zeichnung suggeriert, so würde sich das auswirken, wenn eine Atombombe auf Berlin fällt. Es ist natürlich nicht gut, wenn eine Atombombe auf Berlin fällt, aber diese Zeichnung ist falsch. Es gibt ja Berechnungen zur Verwüstung durch solche Atom-Sprengsätze. Die Zeichnung ist übertrieben, sagen Fachleute. Weil das auf TikTok eine große Reichweite erzielte, gibt es einen Faktencheck dazu.
In dieser Geschichte spiegelt sich meines Erachtens ein Interesse am Thema Krieg, an Apokalypse wider – ich gehe nachher noch kurz darauf ein.
Hier rechts daneben ein anderes klassisches Beispiel: Es wird suggeriert, die ukrainischen Geflüchteten würden die Rente in Deutschland kriegen und den eigenen Rentnerinnen und Rentnern ginge es schlecht. Das ist eine Neiddebatte, die wohl auf Ältere abzielt. Also die Rentendebatte erscheint mir nicht wahnsinnig geeignet für Teenager. Man sieht, verschiedene Generationen haben verschiedene Themen.
Und noch ganz kurz zu ersterem: Ich muss hierbei auch diese ganzen Spekulationen auf TikTok denken. Es ist ein wiederkehrendes Sujet, dass sich Videos mit dem dritten Weltkrieg, WW3, World War 3 beschäftigen. Da gibt es ganz viele mit KI-Bildern unterlegte Videos, wo spekuliert wird, wenn der Weltkrieg der nächste ausbricht, wie liefe das dann ab, welche Katastrophenszenarien würden passieren.
Mich würde interessieren, ob Psychologinnen und Psychologen dafür eine Erklärung haben: Liegt das vielleicht an der Altersgruppe per se, dass man an solch radikalen Szenarien besonderes Interesse hat? Oder liegt es auch daran, dass heutige Heranwachsende so viele Krisen erlebt haben, also Corona-Krise, Klimakrise, Kriege. Also die Krise irgendwo erwartet wird. Ich weiß es nicht, aber diese Art von Video fällt mir auf.
Ich werde nachher darauf eingehen, wie man diese Themen in der Aufklärung einsetzen kann. Es gibt noch weitere Generationenfragen, über drei werde ich heute sprechen:
Erstens: Gibt es Unterschiede in den Generationen, wer eher auf Falsches hineinfällt?
Dann auch: Was sind Generationen-Klischees? Denn ich glaube, manchmal macht man es sich zu einfach, wenn man sagt, „typisch Gen Z“, „typisch Millennials“ oder „typisch Boomer“, weil innerhalb der Alterskohorten gibt es ja auch viele Unterschiede. Da, glaube ich, muss man auch aufpassen.
Drittens, wenn ich solche Überlegungen berücksichtige: Wie kann ich ein altersgerecht aufklären? Dazu habe ich ein paar Gedanken.
Bleiben wir gleich beim ersten Thema: Wer fällt eher auf Falschmeldungen hinein?
Ganz so eindeutig ist das nicht, aber es gibt zwei Generationen, die in Studien besonders aufgefallen sind. Eine sehr bekannte Studie von Andy Guess und Kollegen. Da geht es um die US-Wahl 2016. Sie hat gemessen, dass die Altersgruppe über 65 fast siebenmal so viel Artikel von Fake-News-Quellen verbreitete wie die jüngste Altersgruppe. Hier sind also vor allem die Älteren stark aufgefallen, vielleicht oft auch Fans von Donald Trump.
Nur wäre es jetzt falsch zu sagen: „Aha, klar, die Älteren!“ Weil es gibt wiederum neue Daten gibt, die etwas breiter zusammengetragen wurden. Da geht es nicht um einen einzelnen Wahlkampf, um klar politische Fakes, sondern allgemeiner wurde das Thema untersucht.
Es gibt nun eine große Studie von Friedrich Götz und Kolleginnen und Kollegen. An dieser Untersuchung haben mehr als 66.000 Personen teilgenommen aus vielen unterschiedlichen Ländern.
Hier war es nun die Gen Z, also die jüngsten Befragten, die sich im Schnitt am schwersten taten, falsche Headlines zu erkennen.
Also konkret wurden den Leuten 20 Headlines vorgelegt, wahre und falsche. Und es wurde geschaut, wie treffsicher können Personen wahre Headlines von falschen unterscheiden.
Hier gab es einen Generationenunterschied. Interessanterweise waren die Baby-Boomer am stärksten.
Diese Studie ist groß angelegt, in vielen Ländern haben Menschen mitgemacht. Ich habe zusätzlich die Daten für Deutschland angesehen. Die schauen ein bisschen anders aus. Also hier sind die Baby-Boomer nicht ganz so stark. Aber die Gen Z ist auch an letzter Stelle.
Eines ist aber wichtig: Ich habe mit Friedrich Götz, der an der University of British Columbia forscht, per E-Mail Kontakt aufgenommen.
Ich finde interessant, es kann schon sein, dass es Länderunterschiede gibt, also dass das nicht in allen Ländern exakt gleich sein muss.
Aber: Man muss auch insofern vorsichtig sein, weil diese Studie fand auf Englisch statt. Das kann zu sogenannten „sprachbasierten Selektionseffekten“ führen.
Und generell würde ich es so zusammenfassen: Diese Unterschiede, die sind nicht enorm. Ich bin selbst Millennial, man könnte darauf blicken und sagen, haha, super (weil meine Generation eher unspektakulär abschneidet). Das wäre der falsche Schluss, weil keine Altersgruppe hat es perfekt gemacht.
In jeder Altersgruppe tauchen Probleme mit Fehl- und Desinformation auf.
Beim Ernstnehmen von Falschmeldungen gibt es ein interessantes Phänomen. Viele Menschen glauben: „Falschmeldungen, das ist ein Problem von den anderen.“
Ich gebe ein Beispiel, in Österreich gab es eine interessante Befragung von Peter Filzmaier, einem Politologen. Acht von zehn Befragten stuften es „für andere“ als „sehr schwierig“ oder „eher schwierig“ ein, zwischen wahren Nachrichten und Fake News im Internet zu unterscheiden. Jedoch sagten nur vier von zehn der Befragten, dass es für sie selbst „sehr schwierig“ oder „eher schwierig“ sei, echte Nachrichten und Fake News auseinanderzuhalten. Und für sich selbst sagten nur vier von zehn der Befragten, ich tue mir schwer, vier von zehn.
Das passt rechnerisch nicht zusammen, weil entweder man unterschätzt die anderen oder überschätzt sich selbst oder beides.
Und dafür gibt es einen Begriff in der Medienwissenschaft: den Third-Person-Effekt. Man glaubt tendenziell, Medieneffekte betreffen eher die anderen, nicht einen selbst.
Man kann das auch mit diesem Meme ein bisschen darstellen:
Copyright: Marvel Comics
Das ist wie bei Spider-Man. Die unterschiedlichen Generationen zeigen aufeinander – und halten sich gegenseitig für das Problem.
Das sage ich nicht einfach so. Es gibt zum Beispiel auch eine Studie, da wurden Jüngere und Ältere befragt und auch da war es so, dass die jüngeren Befragten gesagt haben, die Älteren haben ein Problem mit Falschmeldungen. Und die Älteren haben gemeint, die Jüngeren haben ein Problem.
Woran liegt das? Ich persönlich glaube: Es ist so viel leichter, die Unzulänglichkeit anderer zu sehen als die eigenen.
Ich glaube auch: Diese Generationenvergleiche, da muss man verdammt vorsichtig sein, weil vieles ist auch einfach menschliche Psychologie – dass wir Menschen manchmal nicht so rational sind, wie wir sein wollen oder uns einbilden, zu sein.
Es gibt einen hilfreichen Fachaufsatz von Ulrich Ecker und Kolleginnen und Kollegen, die haben psychologische Faktoren beschrieben, warum Menschen Falsches glauben. Ich gehe jetzt nicht auf alles ein, aber auf ein paar Punkte: Ein Teil ist auch mit dem Generationenblick besonders spannend.
Warum glauben Menschen Falsches?
– Ein wichtiger Punkt ist der sogenannte Illusory-Truth-Effekt. Seit den 1970er-Jahren fällt Psychologinnen und Psychologen dieser auf. Wenn Menschen etwas öfters hören, egal ob es wahr ist oder falsch, dann glauben sie das eher.
Foto: Gregor Fischer/re:publica
Die pure Wiederholung hat schon einen Effekt. Ein Aspekt hierbei kann sein, dass wir die Geläufigkeit einer Aussage mit der Wahrheit der Aussage verwechseln. Was man schon oft gehört hat, klingt vielleicht plausibler. Illusory-Truth-Effekt.
Da kann es auch einen Altersfaktor geben: Nehmen wir an, Menschen sind in fragwürdigen Communitys auf Facebook, sehen in einer Tour Fakes über Migrant:innen. Und dann kriegen sie die Korrektur, also den Faktencheck, zu so einer Geschichte zu mit. Es kann passieren, dass Ältere die Korrektur, die sie einmal gehört haben, rascher vergessen. Das haben Ulrich Ecker und Kolleg:innen in einer Studie beobachtet. Eine Frage ist, ob der Illusory-Truth-Effekt bei Älteren anders zu Buche schlägt.
– Zweiter Punkt auf der Liste: Defaulting to one’s own personal views. Das wird jetzt niemanden überraschen. Wir glauben eher Falschmeldungen, die uns bestätigen.
– Drittens: Intuitives vs. analytisches Denken. Dieser Punkt erscheint mir sehr spannend.
In der Psychologie gibt es den Zugang, dass man zwei Modi des Denken hat. System 1 und System 2. System 1 ist so ein intuitiver Autopilot, mit dem wir durch den Tag gehen. Also wenn man in der Bäckerei ein Brötchen kauft, dann denkt man nicht über jede Option nach, wie viel Nährwerte die hat, wie das Preis-Leistungs-Verhältnis ist. Man kauft intuitiv schnell etwas.
Hingegen, wenn man die Steuererklärung macht, dann kommt hoffentlich System 2 zum Ansatz. Das ist dieses anstrengende, genaue Nachdenken. System 2, bei dem man genau mitdenkt, ist aber mühsamer.
Die Gefahr kann sein, dass Falschmeldungen uns austricksen, dass wir den Moment nicht erkennen, wo wir von unserem Autopiloten hin ins kritische Nachdenken umschalten sollten.
Und ich habe ein bisschen die Sorge, dass gerade digitale Plattformen so gebaut sind, dass wir ein Scrollen im System 1 gewohnt sind. Ich scrolle durch den Feed und nehme zur Kenntnis, was ich lese – übersehe den Moment, wo ich fragen müsste: Stimmt das wirklich?
Ich komme nachher noch mal darauf zurück, weil sich die Frage stellt, wie sehr sind Apps so gebaut, dass sie uns in diesem intuitiven Nicht-Nachdenken auch noch antreiben.
Es gibt noch mehr Punkte in diesem Forschungsüberblick, ich erwähne ein paar ganz kurz:
– Führungsfiguren, die Falsches verbreiten, haben leider auch eine negative Wirkung bei den Leuten, die ihnen vertrauen.
– Und die Emotionalität einer Aussage spielt eine Rolle. Die kann zum Beispiel zu ihrer Viralität beitragen.
Ich habe versucht, in diesem Vortrag nicht zu sehr in Generationen-Klischees zu verfallen. Aber am Anfang beim Konzipieren meines Vortrags habe ich mir das sehr ulkig vorgestellt. Ich habe mir gedacht, ha ha, ich zeige in einer Tour quasi zugespitzt gesagt „Boomer-Content“ auf Facebook her, also zum Beispiel schlecht gemachten KI-Bilder, die auf Facebook reihenweise gepostet werden.
Weil es ist ein echtes Problem, was für Schrott mittlerweile in Facebook echt große Sichtbarkeit hat – solcher AI Slop (Anm.: das sind schlecht gemachte KI-Bilder)
Ich gebe ein Beispiel: Hier sieht man einen Mann, der eine wunderschöne Holzfigur geschnitzt hat. Darüber steht: “My dad is a carpenter, and he created this. It’s truly sad because no one seems to value his hard work.”
Das ein KI-Fake-Bild, das auf die Tränendrüse drückt. Der Mann hat angeblich so etwas Tolles erschaffen, doch keiner wertschätzt das. Das ist eine eigene Kategorie mittlerweile: KI-Fakes, die auf die Tränendrüse drücken.
Anderes Beispiel, wieder Tränendrüse: Dieser hochbegabte junge Mann hat offensichtlich aus Steinen einen Schäferhund gebaut. Was für ein wunderbarer Einsatz seines Talents. Darüber steht: “He put all his effort into creating this beautiful sculpture but no one cares.”
Manche Leute posten dann unter solchen Beiträgen, „es ist so toll, was du gemacht hast“, „lass dich nicht entmutigen“, so in die Richtung.
Und ein drittes Beispiel für KI-Tränendrüse-Fakes. Diese arme Frau feiert angeblich ihren 50. Geburtstag. Darüber steht, “Heute ist mein 50. Geburtstag, ohne einen Mann, ohne Kinder, ich habe diesen Kuchen mit meinen Tränen gemacht.”
Und es ist dann so, dass Leute drunter posten etwas wie, „happy birthday“, oder „du brauchst keinen Mann, um glücklich zu sein“. Ich lese solche Posts und denke mir, einerseits faszinierend, wie gutgläubig Menschen sind, aber irgendwie auch lieb, dass sie versuchen, diese KI-Frau aufzuheitern.
Natürlich gibt es dann ganz viele Leute, die das durchblicken und sagen, „hey, das ist Unsinn“, oder „ich kann nicht glauben, wie viele Leute auf diesen Unsinn reinfallen“.
Das Klischee hier ist, dass es speziell Boomer, also Ältere sind, die auf das hineinfallen. Und natürlich: Es gibt auch viele Ältere, die das durchblicken.
Bleiben wir kurz bei der Frage. Sind KI-Fakes für Ältere ein Problem?
Und ehrlich gesagt: So genau wissen wir es nicht. Es gibt einzelne Untersuchungen, die sind nicht wahnsinnig groß angelegt oder gut publiziert. Ich ewähne aber zwei, die ich gefunden habe. Enilda Velazquez u.a. haben zum Beispiel 190 Personen getestet, ob die je nach Alter eher KI-Fakes glauben. Hier war es bei Älteren so, dass die eher öfters Bilder für KI-Fakes hielten, die keine waren.
In einer Untersuchung aus Schweden wurden 100 Leute getestet, die kamen zum Schluss, ja, es gibt einen Unterschied. Es sind eher die Älteren, die das nicht erkennen. Aber meines Erachtens ist der Forschungsstand hier eher noch nicht weit ausgeprägt.
Noch wichtiger: Es gibt Untersuchungen, die gehen allgemein in Richtung Bildmanipulation. Zu diesem Thema forscht Sophie Nightingale. Hier ein Beispiel: Da geht es jetzt nicht um KI, sondern um Bildmanipulation an sich.
Das Originalbild ist oben links, ein Mann steht auf der Straße. Und dann werden so Kleinigkeiten eingearbeitet, wie zum Beispiel hier Mistkübel hinein retuschiert. Ich bin zum Beispiel sehr schlecht im Erkennen von Bilderfakes, finde ich, aber diese Mistkübel hätte ich gerade noch als Bildmontage erkannt.
In dieser Studie von Sophie Nightingale und Kolleginnen und Kollegen war es so, dass Ältere sich eher schwer taten, Bildmanipulationen zu erkennen als Mittelalterige und ganz Junge.
Das kann übrigens auch daran liegen, dass die Sehleistung und die Verarbeitung visueller Stimuli im Alter sinkt. Und das ist ein Problem in einer Zeit, in der Bildmanipulation umso leichter wird. Also da kann es schon ein Altersfaktor geben.
Ich möchte noch einen weiteren Punkt ansprechen, nämlich die Plattform-Frage. Es geht ja nicht nur darum, welche Generation von Menschen ist für Manipulation anfällig, sondern es geht auch um die Frage, welche Generation von Plattformen eignet sich für die Verbreitung von Fehlinformation.
Schauen wir uns kurz eine typische TikTok-Falschmeldung in meinen Augen an. Das ist so ein Health-Guru, also so ein Gesundheitsguru. Der sitzt da und wird befragt. Dieser Typ fragt ihn: „Sonne macht Hautkrebs. Wie stehst du zu dieser These?“
Beginnt schon mal steil, finde ich. Der Health-Guru sagt: „Mein erster Gedanke ist, Sonne macht kein Hautkrebs, kein Tier benutzt Sonnencreme.“
Ich habe jetzt nicht das ganze Video mitgebracht. Jede Sekunde, die man mit diesem Content verbringt, ist verlorene Zeit. Aber bei diesem Auszug kriegt man einen kurzen Einblick. Das Video wird auch nicht argumentativ stärker in meinen Augen.
Aber was passiert hier: Für diese zwei, drei Sätze braucht das Video ein paar Sekunden. Und sofort steigt es mit einer steilen These ein. Nein, Sonne mache keinen Hautkrebs, weil Tiere nutzen keine Sonnencreme. Ich brauche wenige Sekunden und bin voll drinnen.
Das Problem ist, Falschmeldungen sind extrem emotional, brisant und sie brauchen wenig Zeit.
Und gerade TikTok ist eine Plattform, die eine andere Logik etabliert hat. Wenn wir sagen, es gibt auch unterschiedliche Generationen an Plattformen, dann wäre eine alte Plattform Facebook und eine ganz junge Plattform TikTok.
Und was ist ein Unterschied bei diesen Plattformen? Facebook hat explizites Feedback belohnt. Kennen sicher einige auf Facebook: Der Algorithmus belohnt Interaktion, also wie viel Likes, Shares und Kommentare ein Content bekommt. „Explizit“ heißt, ich drücke bewusst ein Knöpfchen.
TikTok hat einen großen Wandel forciert. Bei TikTok wurde die Verweildauer umso wichtiger, als wie viele Sekunden ich auf einem Video bleibe. Das nennt man „implizites“ Feedback. Und es gibt die Sorge, dass manche Quatsch-Inhalte oder auch problematische und extremistische Inhalte von so einer Logik profitieren.
Warum? Wenn ich mit so einer steilen These einsteige, „Sonne macht keinen Hautkrebs“, dann schauen Leute vielleicht hin. Wenn ich ein Video mache, in dem ich sage, „Es ist wichtig, sich mit Sonnencreme einzuschmieren“, das wird ehrlich gesagt niemanden interessieren.
Das Video hier hingegen ist steil. Und wenn ich auf TikTok 15 Sekunden auf einem Video bleibe, allein weil ich irritiert bin über die Aussage, dann kann das bereits als Signal gewertet werden, dass dieser Inhalt Leute interessiert. Also das ist implizites Feedback.
Die Sorge besteht, dass dieses implizite Feedback unsere niedrigsten Impulse bedient. Das kommt nicht von mir, das kommt von Arvind Narayanan. Das ist ein Informatiker, der hat das in einem sehr guten Aufsatz beschrieben.
Bei dieser Unterscheidung in implizites und explizites Feedback geht es auch um System 1 und System 2. Ich würde es so zusammenfassen, TikTok ist eine Plattform, die auf diese implizite Impulse setzt – solchen Content anscheinend belohnt. Und hier kommt es wieder zu einem Generationenaspekt. Wenn Jugendliche mehr Zeit im Schnitt auf emotionsgeladenen Apps verbringen, stellt sich sehr wohl die Frage, was das für ihre Informationsdiät, ihren Wissensstand bedeutet.
Und ich komme zum Schluss, was können wir daraus lernen?
Ich glaube, dass Regulierung, Aufsicht, solcher Plattformen wirklich wichtig ist.
Aber was bedeuten diese Überlegungen für den Alltag? Die meisten von uns sind jetzt keine Medienbehörden oder die EU-Kommission. Aber wir können trotzdem auch Tipps für das eigene Umfeld mitnehmen. Wie reagieren?
Erstens: Ich gehe oft an Schulen und ich versuche, wirklich Themen zu finden, die nahe an der Lebensrealität von Jugendlichen sind. Auch weil Jugendliche oft ein schwieriges Publikum sind. Die sind oft nicht so aufmerksam wie Erwachsene, die absichtlich auf die re:publica gehen und zuhören. Man muss sehr um die Aufmerksamkeit von Jugendlichen kämpfen, ist zumindest mein Eindruck. Und je mehr man ein Thema anspricht, mit dem sie selbst schon konfrontiert waren, das sie vielleicht verunsichert hat, desto mehr hören die zu. Das heißt, diese Themen nutzen.
Das Auseinandersetzen mit der Frage, welche Geschichten spielen in welcher Zielgruppe eine Rolle, das hilft mir dann auch, nah an der Zielgruppe zu sein.
Dieser Zugang klingt logisch, er passiert aber nicht immer. Oft bringen wir die Geschichten, die uns selbst interessieren, nicht die anderen.
Das Zweite: Es ist auch sinnvoll, solche Themen, an denen Menschen nah dran sind, zu bringen, weil sie dann vielleicht stärker mitmachen und reflektieren. Zum Beispiel über die Frage, warum fallen Leute auf so etwas hinein? Nehmen wir das Sonnencreme-Beispiel.
Jugendliche stoßen oft auf solche Gesundheitsfakes und man kann dann mit Jugendlichen besprechen: Warum glauben Leute das? Das sind jetzt alles nur Spekulationen, aber man kann überlegen: Vielleicht glauben das Leute, weil sie sich ungern eincremen. Oder weil ein Schönheitsideal ist, gebräunt zu sein – selbst wenn es ungesund ist.
Das heißt, das ist Confirmation Bias: Ich möchte etwas lieber nicht tun, also höre ich dort zu, wo jemand sagt, du musst dich nicht eincremen. Oder auch Emotionalität kann eine Rolle spielen. So nach dem Motto: Endlich sagt das wer!
Über alle Altersgruppen hinweg: Dieses Achtsamsein gegenüber dem Moment, in dem ich gerade emotional geködert werde, erscheint mir die wichtigste Kompetenz überhaupt.
Ich kann eine Behauptung googeln, den Faktencheck googeln, eine Reverse-Image-Google-Suche machen und so weiter. Aber all das mache ich erst nach dem Moment, wo ich erkannt habe, ich werde gerade geködert.
Über alle Altersgruppen hinweg, erscheint mir wichtig, diese Achtsamkeit zu lernen. Wo reg ich mich auf? Das ist, glaube ich, die wichtigste Lektion, und dabei helfen Themen, wo Leute eine abrufbare Emotionalität haben.
Es gibt auch noch generationenspezifische Tipps und damit möchte ich jetzt enden.
Ich habe zwei Tipps für Jüngere und Ältere.
Bei Älteren habe ich diese Bildebene angesprochen. Da gibt es schon Indizien, dass Bildmanipulation von Älteren schlecht erkannt wird.
Bei Älteren ist wichtig, in Trainings die Bildkompetenz zu fördern. Zum Beispiel gibt es in vielen Städten in Bibliotheken Programme für Seniorinnen und Senioren. Da ist wichtig, umso mehr zu kommunizieren, welche Tools helfen, um herauszufinden, ist ein Bild echt oder falsch.
Früher, vor ein, zwei Jahren, hätte ich gesagt: Es geht darum, Misstrauen in Bilder zu fördern. Mittlerweile sage ich das nicht mehr. Weil die Gefahr besteht, dass das Misstrauen auch zu groß wird.
Wir sehen nämlich, dass mit dem Aufkommen von KI-Bildern ein Zusatzproblem entsteht: Leute glauben bei allem Möglichen, das wäre KI generiert. Und sie fangen an, auch die Realität anzuzweifeln.
Ich gebe ein Beispiel. Vergangenes Jahr gab es große Demos gegen Rechtsextremismus in Deutschland. Die wurden zum Teil kleingeredet. Zum Beispiel in Köln hat ein Fotograf ein Foto gemacht einer großen Demo. Beeindruckend viele Menschen sind darauf zu sehen. Und eine Frau hat das dann auf Facebook gepostet und behauptet, das wäre KI-generiert. Das Foto war echt.
Wichtig: Es geht nicht darum, pauschal zu sagen, alle Bilder sind nicht mehr echt, sondern Menschen die Kompetenzen zu vermitteln, genau hinzuschauen.
Beim Kölner Beispiel gab es unterschiedliche Fotos unterschiedlicher Fotograf:innen. Wenn verschiedene Leute aus verschiedenen Blickwinkeln das Gleiche fotografieren, deutet das auf die Echtheit hin.
Und jetzt komme ich zum letzten Punkt – der hängt ein bisschen damit zusammen.
Was wir fördern sollten, ist nicht blankes Misstrauen, sondern Skepsis. Skepsis ist der letzte Punkt, den ich auch bei Jugendlichen ansprechen möchte.
Das ist rein anekdotisch, aber: Bei Jugendlichen scheint mir manchmal auch extremer Defätismus oder Zynismus zu herrschen. Im Sinne von: Man kann gar nichts glauben.
Oder zum Beispiel das hier – aus einer Studie aus Norwegen. Da sagt eine Person zwischen 13 und 18, es ist schwierig, sich mit Nachrichten auseinanderzusetzen. „Ich bin passiv, weil ich nicht weiß, wem ich glauben soll.“
Oder mir ist in Schulklassen schon gesagt worden, „man kann ja niemandem glauben“. Beides ist schlecht. Dieses „ich weiß nicht, wem ich glauben kann“ und „man kann niemandem glauben“ ist schlecht, Es ist eher ein zynischer Zugang im Sinne von, „ich zweifle alles an“.
Wenn ich alles anzweifle, höre ich leider auch nicht dort zu, wo seriöser kommuniziert wird. Wo Fakten sehr wohl an die Oberfläche dringen könnten, wenn ich hinschaue.
In der Fachsprache gibt es den Ausdruck von Skepsis versus Zynismus. Und gerade bei Jugendlichen ist mein persönlicher Eindruck, dass wir ungeheuer aufpassen müssen, sie vor Zynismus zu bewahren.
Weil wir in einer Zeit leben, in der ich oft das Gefühl habe, dass Zynikerinnen und Zyniker hoch angesehen sind. Wer alles anzweifelt, muss nach der Logik unglaublich schlau sein.
Aber in Wirklichkeit ist nicht die Person schlau, die immer zynisch reagiert, sondern die Person ist schlau, die sich die Arbeit antut und schaut, was ist eine Spur richtiger. Wie könnten wir uns dem nähern?
Und das ist die Schlussbotschaft, die ich haben: Diese Unterscheidung zwischen Skepsis und Zynismus gerade auch jungen Menschen zu vermitteln, weil die Wahrheit ist nicht immer erkennbar, aber sie ist manchmal erkennbar.
Danke.
Diese Mitschrift ist eine gekürzte, redigierte Fassung des Originalvortrags. Die Fotos stammen von Gregor Fischer/re:publica. Hier kann man den Vortrag auf YouTube ansehen.
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Danke für den tollen Artikel!
Hab nur eine kleine Anmerkungen zu Punkt 2:
"Man hätte das laut Fussi eher als Frage einbringen können, zum Beispiel. ob es fair sei, dass nur große Söhne in der Bundeshymne vorkommen. "
Diese Diskussion hatten wir afaik bereits. Sie mündete in der Änderung des Textes der Hymne, wirksam ab 1.1.2012.
Das stimmt. Ich bin auch nicht sicher, ob es politisch sinnvoll ist, die ganze Debatte nochmal zu eröffnen, wenn die Regierung diese Debatte dann gar nicht führen will. Aber was Fussi wohl meinte ist, dass die Tonalität des Postings ungünstig war. Hier erklärt er, was er genau meint: http://www.rudifussi.at/2014/06/27/analyse-heinisch-hosek-im-scheissgewitter/
Shitstorms werden in logischer Folge befördert wenn nicht ausgelöst dadurch, dass es auf facebook keinen Dislike-Button gibt. Wenn einem etwas nicht passt, muss man was schreiben. Und diese Mühe machen sich eher jene, die extrem dagegen sind - mit entsprechender Wortwahl. Jene, die dafür sind, klicken auf Like, und das war's.
Andere fühlen sich durch die schiere Sichtbarkeit dieser shitstormesken Kommentare bestärkt und lassen ihren Frust (der gern auch aus der allgemeinen Lebenssituation erwächst) ebenfalls los. Das schaukelt sich dann weiter hoch (bzw. "hinunter"). Der Teufel sch...t halt immer auf den größten Haufen.
Zudem haben wir im vorliegenden Fall nicht nur das Thema Gleichberechtigung sondern auch das prinzipielle Match Politiker vs. (populärer) Heimatmusiker. Heinisch-Hosek hätte wahrscheinlich irgendwas gegen Gabalier posten können. Hätte sie auch angeeckt und Widerspruch hervorgerufen.
Wäre auch interessant, wie die Struktur der Negativ-Poster aussieht. Wieviele Männer, Einkommenslevel, Geschiedene, Alter etc. Und ob diese Struktur repräsentativ für Österreich ist (oder auch jenen, die bei einer Volksabstimmung für die alte Hymne stimmen würden). 14.000 oder mittlerweile mehr sind für eine eingehendere statistisch Betrachtung schon nicht wenig.
Andererseits: 6 Millionen der Internetbevölkerung haben nicht geshitstormt (nur davon gelesen in der großen medialen Berichterstattung).
Interessant, dass Sie auf den Dislike-Button zu sprechen kommen. Ich habe ja zum "Gefällt mir nicht"-Knopf, den sich viele wünschen, eine andere Meinung: Facebook lässt den bewusst weg, weil er den Trollen nützen würden, die nur Zwietracht säen wollen. Die würden es dann als Auszeichnung sehen, möglichst viele Dislikes zu ernten und selbst permanent Dislikes zu verteilen. Aber wie Sie richtig sagen, eines vergisst man oft bei solchen Debatten: Die schweigende Mehrheit hat online nicht geschimpft und sich nicht am Shitstorm beteiligt. Nur das ist leider dann oft (auch für die Betroffenen) dann nicht sichtbar.
thx, ich freue mich über Ihre Replik. Ja, das kann prinzipiell in beide Richtungen gehen. Auf einer ganz grundsätzlichen Ebene könnte man mit der Frage spielen, ob "der Mensch" (heutzutage, in Social Media) eher tätig wird, wenn - all other things being equal - er zur Startaussage pro eingestellt ist oder contra (pathetischer ausgedrückt sie aufbauen oder zerstören, verteidigen oder angreifen will). Sicher hängt es auch davon ab, wie die Startaussage gepolt ist - um bei dem manichäischen Weltbild zu bleiben ;) ...ich weiß... sehr sehr pauschal und abstrakt... ;)
Das genaue, konkrete Gegenexperiment und damit den Vergleich, wie es ausgesehen hätte, wenn Gabalier Heinisch-Hosek in derselben Tonart und Stärke und zuerst angegriffen hätte, ist leider nicht möglich. Hätte es dann die bösen Kommentare eher zugunsten der neuen Hymne gegeben bzw. gegen den Aggressor Gabalier?
Mit einem Dislike-Button gäbe es Waffengleichheit zwischen den beiden Typen. Dann hätten auch die negativ Eingestellten die Convenience-Option des Button Drückens (und manche von ihnen würden sich den bösartigen Kommentar vielleicht sparen).
Ich meine, man sollte auch noch deutlicher zwischen dem klassischen Troll und Shitstorm-Teilnehmern unterscheiden, wenn man über Manieren im Internet spricht. Klassische Trolle sind lieber unbekannt - in meiner von Freunden und Gutgesinnten bevölkerten Timeline gibt es kein Trollen (bzw. zeigt mir facebook keins). Shitstorm-kompatible Bemerkungen seh' ich von bekannten Personen schon.
Danke für diesen Beitrag! Da ich mir vorgenommen habe, eine Recherche zum Thema Sexismus und Internet zu machen, würde mich interessieren, woher die Information kommt, dass es nur eine kleine, aber umso lautere Minderheit ist, die antifeministische Postings schreibt. Wie findet man so etwas überhaupt heraus und wie kann man so etwas quantifizieren? Gibt es dazu Umfragen? Und nebenbei bemerkt denke ich nicht, dass wir ein Problem mit der Wut an sich haben, sondern mit einer ganz bestimmten Wut. Und zwar ein Zorn, der sich als hasserfülltes Ressentiment und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit Luft verschafft. Man kann angesichts der Verhältnisse in unserer gegenwärtigen Gesellschaft schnell einmal wütend werden, aber das heisst nicht zwangsläufig, dass man seine Mitmenschen virtuell anpöbeln und anspucken muss, wie das die Wutbürger mit ihren Shitstorms tun. Ist aber nur ein kleines Detail, ansonsten finde ich den Artikel recht gut.
Es gibt eine großartige Studie zum Thema Antifeminismus, die die Heinrich-Böll-Stiftung in Auftrag gab: http://www.boell.de/de/content/die-antifeministische-maennerrechtsbewegung Sie behandelt zwar in erster Linie den deutschsprachigen Raum, einiges davon lässt sich aber auch hierzulande beobachten. Für Deutschland wird geschätzt, dass dort die Zahl der Antifeministen niedriger als 1000 ist.
Vielen dank für die Info und den Lesestoff!
Man ist geneigt zu sagen, das Internet verdirbt den Charakter, Aber das stimmt nicht.
In den sozialen Medien wird so "geredet, wie man seit jeher im Wirtshaus redet. Das haben aber bestenfalls ein paar Hanseln vernommen und es war wurscht, was einige Deppen von sich gegeben haben.
Durch die sozialen Medien erfährt man viel über die Seele eines Volkes. Was früher nur vermutet werden konnte, kommt nun tatsächlich zum Vorschein.
Ich glaube auch nicht, dass das Internet den Charakter verdirbt - das wäre eine zu einfache Erklärung. Viel mehr würde ich vermuten, dass wir alle schönere und wenigere schöne Seiten haben, jedoch leider im Netz vielfach letztere sichtbar werden. Und umso mehr glaube ich, dass wir online Tools und Umgangsformen finden müssen, damit wir uns als Gesellschaft nicht ständig so anstänkern. Ein öffentliches Forum ist eben kein Wirtshaus und diejenige, über die hergefahren wird, kriegen diese Beleidigungen durchaus mit und nehmen sie (auch wenn das manche nicht zugeben würden) sehr wohl zu Herzen.
Ich finde den Artikel sehr interessant und gut, sehe jedoch einige Dinge etwas anders.
1) Sprache: Der Sprachgebrauch ist heute leider sehr gewalttätig und vulgär. Daher ist es kein Wunder, wenn die Leute auch im Internet entsprechend schlimme Dinge schreiben. Es scheint unter vor allem jüngeren Generation üblich zu sein sich gegenseitig zu beschimpfen obwohl es keiner wirklich ernst meint. Wenn ich in meiner Hauptschulzeit von einem Mitschüler während einem streit gehört hätte: "Ich bring dich um, du miese Sau" hätte ich ernsthaft um mein Leben gefürchtet. Soweit ich es mit bekomme ist dies heute eher eine mächtig Drohgebärde, welche aber aufgrund der Häufigkeit mit der sie eingesetzt wird nicht mehr so ernsthaft wirkt. Dies ist wahrscheinlich ein extremes Beispiel und solche Aussagen sollten niemals auf die leichte Schulter genommen werden, aber ich hoffe dass mein Anliegen damit klar ausgedrückt wurde.
2) Überkorrektheit: Durch die "Political Correctness" sind viele Leute über sensibilisiert und sehen hinter jeder noch so harmlos gemeinten Aussage gleich das Schlimmste. Bei einem Gespräch von Person zu Person kann man anhand der Tonlage, Gestik und Mimik besser einschätzen wie etwas gemeint ist. Im Internet geht dies nicht und ich denke, dass viele eigentlich harmlosere Aussagen oder Meinungen gern negativer interpretiert werden als sie sind. Wenn man zum Beispiel schreibt, dass die Frau Minister eine eingefleischte Femme ist und sich lieber um wichtigeres Kümmern soll wird man sofort als Frauenfeindlich und "schlecht" angesehen. Es kann aber auch einfach gemeint worden sein dass die Frau Minister stark für Frauenrechte einsteht aber meine persönliche Meinung ist, dass sie sich mehr um die anderen und wichtigeren Dinge in ihrem Aufgabengebiet als Ministerien widmen soll (z.B. Unterrichtsreform und Familienbeihilfe). Der Mensch fühlt sich leicht angegriffen und der, meines Erachtens, "Wahn" der politischen Korrektheit hat dieses Gefühl verstärkt
3) Shitstorm: Ich habe die Kommentare auf Facebook zu diesem Thema gestern Vormittag gelesen. Ich möchte nicht leugnen, dass leider einige Kommentare nichts als Beschimpfung waren, jedoch konnte ich von einem Shitstorm nichts erkennen. Die meisten Kommentare waren einfach Meinungsäußerungen, dass man die alte Hymne wieder haben will. Man macht es sich leider viel zu einfach. Sobald ein Haufen Leute per Internet mit einer gegenteiligen Meinung reagiert ist es gleich ein Shitstorm. Das äußern einer anderen Meinung als der gewünschten hat nichts mit Shitstorm zu tun.
4)Toleranz: Solange man sachlich bleibt und den anderen nicht beschimpft muss eine jede, nicht vom Gesetz verbotene, Meinung toleriert werden. Meist sind es jedoch die Leute Zurückhaltung und Toleranz verlangen, welche sich am lautesten aufregen. Auch in diesem Artikel wurde mit wenig Toleranz auf nicht genehme Aussagen reagiert. So sind laut Artikel alle Leute, welch der Meinung sind, dass die Aktionen von Feministinen bereits zu weit gehen Antifemen und Frauenfeinde, die nur lautstark schreien und Unruhe stiften können. (Da sieht man wie leicht das geschriebene Wort negativ interpretiert werden kann) Ich selbst bin jedoch auch der Meinung, dass man teilweise bereits zu Weit gegangen ist. Ich bin deswegen jedoch noch lange kein Frauenfein und bedroht oder beschimpft habe ich wegen diesem Thema auch noch keinen Menschen.
Abschließend möchte ich einfach sicherheitshalber festhalten, dass ich nicht das Verhalten von den "Schwarzen Schafen", welche Drohen, Schimpfen und Demütigen rechtfertigen will. Mein Ziel ist es auf zu zeigen, dass wenn einmal die Emotionen hoch wogen, sehr vieles nur negativ gesehen wird und vieles schlimmer erscheint und dargestellt wird als es in Wahrheit ist.
Das Problem liegt nicht an der Anonymität. Das Problem liegt auch nicht an der Wut. Menschen dürfen wütend sein und sollen dies auch, auf gesittete Weise, zum Ausdruck bringen dürfen. Das Problem ist, dass wir den Leuten nicht mehr bei bringen, dass man nicht immer recht haben muss und dass es nicht immer nur richtig oder falsch gibt. Solange die Gesellschaft nur die Extreme Richtig und Falsch kennt und alles was nicht "Richtig" ist automatisch als falsch ansieht, solange werden wir nicht sinnhaft diskutieren und reden können. Solange wird am Ende jeder zu Schreien und schimpfen zurück greifen weil keiner nachgeben kann. Denn wer nachgibt ist aus der heutigen Sicht der Gesellschaft, so habe ich dien Eindruck, Schwach, Unfähig und Wertlos.
Wie Sie richtig sagen, sind wir uns vielleicht in einigen Details nicht ganz einig, ich glaube aber auch, dass wir online eine Kultur des "Let's agree to disagree" lernen müssen, bei der man anderer Meinung ist, diese Meinung aber so ausdrückt, dass sie den anderen nicht verletzt oder einschüchtert. Was den Hinweis auf Mimik und Gestik betrifft, haben Sie absolut Recht. Über die Bedeutung der nonverbalen Signale - und wie schwierig es ist, wenn diese nicht sichtbar sind - habe ich ausführlich in meinem Buch geschrieben: https://www.brodnig.org/buch-der-unsichtbare-mensch/ Danke für Ihren Beitrag!
Heinisch-Hosek macht zwar viel falsch, aber das hat sie goldrichtig gemacht. Und nein, sie braucht keine besseren Social Media Berater, die ihr in Weicheier-Manier politisch verträgliche, empathische Meinungslosigkeit verordnen. Es passt schon, dass eine Ministerin auch mal jenseits aller Wahlspekulationen eine echte Meinung vertritt und keine zusammengestoppelten, konturlosen Wischiwaschi-Plattitüden liefert (dann sagt sie besser gar nichts).
Und wie der Shitstorm zeigt, ist Schulmeisterlichkeit bei diesem Thema beinahe unvermeidbar (nicht nur gegenüber Herrn Gabalier) wenn man sich im Lager der völlig entarteten, geschmacklosen Gleichbehandlungsgegner nicht wohl fühlt.
Was hier zu Tage tritt, ist der wahre kulturelle Boden Österreichs, eine seit Jahrhunderten gepflegte Kultur des Neides, der gegenseitigen Verachtung und des Mießmachens - der Charakter der österreichischen Volksseele. Auf diesem Boden gedeihten von Metternich über Hitler bis hin zur heutigen FPÖ diverse Ideologien der Menschenverachtung und es ist kein Zufall, dass gerade in Österreich mit Life-Ball, Frau Wurst u.a. eine vor allem international einzigartige Gegenbewegung entstanden ist - provoziert durch massive Unterdrückung eines allgemeinen Gleichbehandlungsprinzips.
Ich bin der Frau Ministerin dankbar, denn es hat zu Tage gefördert, wie dieses Volk wirklich tickt. Es kommt zwar nicht überraschend, denn wer die Online-Leserkommentare in diversen Zeitungen hin und wieder überfliegt, findet in diesem Shitstorm leider nichts Außergewöhnliches.
Ich behaupte nicht, wir wären alle (latent) so. Vielmehr müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass Österreich keine Kulturnation ist - es sind 2 Kulturnationen, von denen die eine ideologisch in der Vergangenheit lebt und die andere feiert sich als liberal, hat aber nicht den politischen Willen diese Gesinnung mehrheitsfähig zu machen, sondern schielt auf Wählerstimmen und versucht nicht anzuecken.
Es gibt hier sogar noch mindestens eine dritte Kulturnation: zu ihr gehören jene, die mehr im im bescheidenen Alltag und im Untergrund und jenseits der medialen Aufmerksamkeit an einer besseren Welt und für eine bessere Welt arbeiten. Das sind aber gleichzeitig auch jene, die dann von den anderen beiden Kulturnationen als "Gutmenschen", "linkslinke Chaoten" oder "Ökoemanzen" angegriffen werden.
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Danke, kannte ich schon.
Ich halte den "Heimat-Aspekt" aber für unbedeutend. Ob da Töchter stehen, kratzt aus Sicht des Heimat-Empfindens vermutlich niemanden.
Es ist auch lustig, wie sehr man hier augenscheinlich fassungslos nach Erklärungen und Motive sucht, wo es im Grunde doch sehr banal ist (was viele Journalisten berufsbedingt wohl nicht so auf sich beruhen lassen wollen).
MMn. kommt an erster Stelle, dass HH vor allem in der Vergangenheit keine wirklich elegante Performance hingelegt hat und bei vielen mit ihrer Art (die überhaupt nicht professionell wirkt) sauer aufgestoßen ist - ganz besonders bei jenen, die generell politische Aggression gegen vermeintlich linke PolitikerInnen entwickelt haben.
Bildungspolitik und Frauenpolitik sind allerdings keine Themen, an denen sich die dumpfe Wut entladen könnte, weil man dazu ja auch ein wenig Fachwissen bräuchte, aber bei der Hymne fühlt sich auch der Dümmste kompetent genug, seinen Schleim los zu werden.
Liebe Frau Brodnig,
ich würde mich über ein Gespräch freuen, inhaltlich ob und inwieweit Sie sich eine Teilnahme (Kurzreferat) an einem Workshop des 16. Österreichischen Journalistinnenkongresses vorstellen könnten!
Oder auch Ihr Buch präsentieren!
Wir arbeiten hier thematisch mit Daniela Kraus und Meral Akin-Hecke zusammen!
Ich freue mich auf Ihre Antwort,
herzlichst
Monika Posch
Liebe Frau Posch,
habe Ihnen gerade ein E-Mail geschrieben. Freue mich über die Anfrage und bin gerne für ein Gespräch erreichbar!
Besten Gruß,
Ingrid Brodnig
Michel Reimon hat sich einmal in einem Blogpost in die Richtung geäußert, daß alle Menschen, die in Politik gehen, sich der ungenierten Öffentlichkeit und ungefilterten Meinungsäußerung bewußt sein müssen und es in der Regel auch sind. Wenn wir zudem berücksichtigen, wie die Parlamentarier und Politiker untereinander Umgehen (der Deutsche Roger WIllemsen hat ein analytisches Protokoll des Berliner Bundestags kürzlich vorgelegt), dann sehe ich die Gefahr, daß Frau Heinisch-Hosek künftig schweigsamer ist, eher nicht gegeben.
Ich könnte jetzt zynisch sagen, daß in Europa es schon zu lange keinen ordentlichen Schießkrieg mehr gegeben hat, in dem die Menschen ihr Mütchen hätten kühlen und ihre überschüssige negative Energie hätten ableiten können, Leider zeigt die Erfahrung, daß Aggression ein nichtversiegender Quell menschlichen Handelns ist.
Bedenklich finde ich vor allem aber, daß diese Unverhältnismäßigkeit der Reaktionen im digitalen Raum dazu führt, daß mehr über die Unverhältnismäßigkeit der Reaktionen im digitalen Raum debattiert wird, als über die Sache selbst oder wenigstens die Ursache dieser regelmäßig wiederkehrenden Ausbrüche.
Umberto Eco hat einmal, ich glaube: im "Foucault'schen Pendel", dazu geraten, nie mit Idioten zu diskutierten, denn es bestehe die Gefahr, "die Leute könnten den Unterschied nicht feststellen". Und ich halte weder die Haltung des Barden gegenüber der neuen Bundeshyme für sonderlich professionell, noch die Reaktion der Grünen Frauen oder eben der Bildungsministerin. Da treffen lauter Trotzköpfchen aufeinander.
Das Problem jeder österreichischen Bundesregierung war und ist, daß sie abgesehen vom vier- und fünmfjährigen Urnengang sich eher wenig für die Meinungen und Haltungen derer interessieren, die sie eigentlich repräsentieren. Die Gleichstellungspolitik in ihrer Gesamtheit empfinden - zu Recht oder Unrecht - viele Menschen als "von oben nach unten" diktiert. Es fehlt an Rückversicherung und Einbindung der Bevölkerung, was es dann schreienden Postern und schreienden Popoulisten leicht macht, sich als "Volkes Stimme" zu geben.
Ich vermute, gemeint ist dieser Beitrag von Michel Reimon: http://www.reimon.net/2014/01/25/die-krankung/ Den fand ich auch sehr spannend, wobei ich ihn etwas anders interpretierte: Nämlich dass man als Politiker natürlich eine dicke Haut braucht, aber dass es einen schon nachdenklich stimmen kann, wie dick diese Haut mitunter sein muss.
Ja, stimmt, auch die - doppelte - Interpretation. Reimons Beitrag verstehe ich auch als Warnung und damit auch als Diskurskritik.
Wir brauchen natürlich auch eine Debatte über die Debattenunkultur, wie Roger Willemsen in seinem Buch aber zeigt (oder zu zeigen sich anschickt), ist diese auch Produkt fehlender demokratischer und partizipativer Diskurse, die tatsächlich etwas bewirken; Wenn eine Gesetzesvorlage ins Parlament kommt, ist schon so gut wie alles ausgehandelt und entschieden, eine echte Aussprache, die etwas verändern könnte, findet nicht statt.
Ohne jetzt die "Strukturkarte" ziehen zu wollen, sind diese Angriffe ad personam und Schreiattacken in Großbuchstaben auch von der erstarrten repräsentativen Demokratie mitverurdacht.
Ich finde den Artikel sehr gut.
Ein eventueller Antifeminismus wurde aber provoziert.
Auch ich hoffe, dass BM Heinisch-Hosek weiterhin die ihr wichtigen Themen vermittelt.
(Frei nach dem Motto: "Wenn ich sonst keine Sorgen habe ...)
Entlarvung ist manchmal wichtig.
Vielen Dank! Zur Entlarvung fällt mir jedoch ein - ganz anderes - englisches Sprichwort ein: Ignorance is bliss. Manchmal geht's einem vielleicht sogar besser, wenn manche Dinge ohne Kenntnisnahme an einem vorüberziehen.
Yep, auch hier ist ein Beitrag zu finden.Ein kleiner privater neuer Blog
pipabloggt.wordpress.com
Im Übrigen: Grenzgenial, Dein Beitrag !