Das kaputte Geschäft

Alles runterladen und nichts zahlen: wie aus knausrigen Internetusern wieder profitable Musikkunden werden könnten



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Ist das die Zukunft des Musikhörens? Fast alle Musik der Welt steht auf Knopfdruck zur Verfügung, vom Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker über die aktuelle Platte von Robbie Williams bis hin zu Ernst Moldens Bubenliedern. Aber nicht erst nach Bezahlung wie beim Download-Shop iTunes und auch nicht in mieser Klangqualität wie beim Gratis-Videoportal YouTube.



Das momentan spannendste kommerzielle Musikangebot im Internet schlägt einen anderen Weg vor. Bei Spotify wird Musik nicht mehr auf die Festplatte gespeichert, sondern in passabler Qualität übers Netz gestreamt. Ohne Zeitverzögerung kann der Kunde auf mehr als sieben Millionen Titel zugreifen. Entweder er nutzt die Gratisversion und nimmt dafür zwischendurch Werbung in Kauf. Oder er zahlt rund zehn Euro im Monat, kann dann aber auch offline und per Handy Musik hören.



Spotify ist ein großer Hoffnungsträger der Musikindustrie. Illegale Downloads, die grassierende Gratismentalität der User und der schleichende Tod des Tonträgers setzen den Labels seit zehn Jahren heftig zu. Selbst Urheberrechtsverschärfungen und gerichtliche Klagen gegen Internetpiraten konnten bislang nichts an den Einbrüchen auf dem Tonträgermarkt ändern.



In Österreich etwa wurden vor zehn Jahren mit CDs, Platten, Minidiscs noch 312,5 Millionen Euro erwirtschaftet. 2008 waren es nur noch 185 Millionen Euro – und diese Summe beinhaltet sogar die Einkünfte aus MP3s und anderen Onlineangeboten. Nun suchen alle nach neuen Einnahmequellen.


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IFPI-Geschäftsführer Franz Medwenitsch nennt Spotify eine Erfolgsstory

„Wo ist das Geld?“ Das war nicht nur vergangene Woche die zentrale Frage bei der internationalen Musikmesse Midem. Sie wird es demnächst auch bei den „Musikwirtschaftsdialogen“ sein, einer Veranstaltungsreihe der Wiener Musikuniversität, bei der internationale Experten über böse Downloader, gerechte Verteilung von Tantiemen und Wege aus der Misere diskutieren wollen.



Zwei sehr konträre Lösungsmodelle werden oft vorgeschlagen: zum einen die sogenannte Musikflatrate, eine staatlich verordnete Abgabe für alle Internetuser; zum anderen das Musik-Abo von kommerziellen Diensten wie Spotify, bei dem sich User ein Programm auf den Rechner laden und auf Millionen Titel zugreifen können.



Der Onlinedienst Spotify hat Verträge mit allen großen Plattenfirmen und vielen Indielabels abgeschlossen. In Schweden, Norwegen, Finnland, Großbritannien, Spanien und Frankreich gibt es das Angebot bereits. Und hierzulande? „Österreich liegt auf der Roadmap“, sagt Alexander Shapiro, ein Berater des Unternehmens. Gespräche mit österreichischen Firmen habe es schon gegeben, ein geeigneter Partner sei aber nicht gefunden worden.



Verlockend für den Konsumenten, verwirrend für die Künstler. Spotify ist das Liebkind der großen Labels, sie besitzen Anteile an der Firma. Es wird kritisiert, dass die größeren Labels bessere Deals haben als die kleineren. Auch hierzulande gibt es Plattenfirmen, deren Songs bereits auf dem Abo-Dienst laufen, die aber noch keinen Cent gesehen haben.



Das sind die großen Gefahren im Onlinegeschäft: Die Abrechnungsmodelle sind oft intransparent, Indie-Labels haben schlechte Verhandlungspositionen. Die entscheidende Frage aber ist, ob Spotify jemals lukrativ wird. Der Service startete im Oktober 2008 in Schweden und hat heute sieben Millionen Kunden. Doch 95 Prozent davon bezahlen – nichts.



Spotify möchte langfristig gegen die Gratismentalität ankämpfen. Zunächst sollen die User in Massen mit dem kostenlosen werbegestützten Modell angelockt werden; dann werden ihnen die Vorteile der Premiumversion schmackhaft gemacht: bessere Klangqualität sowie die Nutzung offline und am Handy. Aber ob dieses Konzept aufgeht, darüber streiten derzeit alle.



Nicht nur illegale Downloads, die generelle Gratismentalität ist das Problem der Musikbranche. Viele Junge kaufen weder CDs noch Tracks bei iTunes, sondern hören Musik auf Seiten wie MySpace, YouTube und Last.fm. Das kostet nichts und ist legal.



Was also, wenn Spotify mit seinem Musik-Abo scheitert? Wenn die User nicht mehr freiwillig bezahlen? Dann werden sie dazu gezwungen. Das ist der andere Lösungsvorschlag.


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Volker Grassmuck sieht die Kultur-Flatrate als einzige Lösung

Die Kultur-Flatrate ist eine Zwangsabgabe für alle Internetuser. Jeder müsste zum Beispiel fünf oder zehn Euro pro Monat zahlen. Das eingenommene Geld würde an die Rechteinhaber verteilt, darunter Musiker und Labels, aber auch Verlage, deren E-Books im Web herumwandern. Und plötzlich wäre das illegale Downloaden legal.



Die Rechnung funktioniert in etwa so: In Österreich gibt es fast drei Millionen Breitband-Internetanschlüsse; wenn von jedem davon fünf Euro monatlich eingenommen würden, ergäbe das beinahe 180 Millionen Euro pro Jahr.



Das Modell klingt utopisch, hat aber ernstzunehmende Befürworter. Volker Grassmuck, Mediensoziologe an der Universität São Paulo, ist einer davon. Am 10. Februar wird er im Rahmen der Musikwirtschaftsdialoge über die Flatrate diskutieren. „Anfangs war ich auch sehr skeptisch, ob sie umsetzbar sei. Aber mittlerweile gehe ich davon aus“, meint er. Man könne das Downloadverhalten der User anonym erfassen, etwa über repräsentative Marktforschung und technische Kontrollverfahren. Das Geld ginge dann an Künstler, deren Werke heruntergeladen, also von der Öffentlichkeit nachgefragt werden. Somit würde Musik vermehrt zu einem gesellschaftlich geförderten Kulturgut, anstatt Ware auf dem freien Markt zu sein.



Die deutschen Grünen setzen sich für dieses Modell ein, die Regierung der Isle of Man plant einen Pilotversuch, in Branchenkreisen wird auch hierzulande darüber diskutiert – wenn auch nur leise. „Unter den Labels ist es schon ein großes Thema“, sagt Clara Luzia. Sie diskutiert gerade im VTMÖ, dem Verband unabhängiger Tonträgerunternehmen, Musikverlage und Musikproduzenten Österreichs, mit ihren Kollegen über die Pauschalabgabe.



Das Beispiel von Clara Luzia zeigt, wie schwierig der Musikmarkt geworden ist. Die Singer/Songwriterin ist in ihrem Segment, dem österreichischen Indiepop, eine namhafte Größe. Sie bekommt gute Plattenkritiken, füllt Konzertsäle und wird nicht nur auf FM4, sondern auch auf Ö3 gespielt. Müsste sie nur auf ihre Band achten, könnte sie unter Umständen davon leben. Sie führt allerdings auch ein kleines Label namens Asinella Records, das österreichische Künstler herausbringt. „Und weil ich dieses Label habe“, sagt sie, „geht sich die Rechnung hinten und vorne nicht aus.“



Das ist ein Teil der Realität, den viele Internetpiraten oder ungeneröse Webuser allzu gerne ausblenden. Sie reden sich darauf hinaus, doch Eintrittskarten für Konzerte und Band-T-Shirts zu kaufen. Doch davon bleibt wenig beim Künstler: Clara Luzia verkauft wie viele andere auch ihre Shirts zum Selbstkostenpreis; von der Gage für den Auftritt werden zuerst Fahrkosten und Bookinggebühren abgezogen, der Rest wird auf alle Bandmitglieder aufgeteilt.


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Clara Luzia diskutiert mit Musikerkollegen derzeit über die Flatrate

„Entweder die Bands und kleinen Indielabels verabschieden sich vom Gedanken, von der Musik leben zu können. Oder man braucht eine Lösung“, meint die Musikerin. Grundsätzlich kann sie sich für die Idee der Flatrate erwärmen. „Ich fände das gerechtfertigt. Die Leute, die Internetzugang haben, sollen auch dafür bezahlen, dass sie diese Inhalte im Internet finden.“



Freilich: Ob eine Flatrate sinnvoll ist oder nicht, hängt von ihrer konkreten Umsetzung ab. Für die Urheberrechtsbesitzer stellt sich die schwierige Frage, nach welchem Schlüssel das Geld aufgeteilt würde.



Viele Konsumenten werden einen anderen Einwand haben: Warum sollen sie die Zeche zahlen, wenn sie selbst nichts illegal herunterladen? Für Volker Grassmuck ist die Flatrate eine Querfinanzierung, die es in anderen Bereichen auch gibt. Die Leerkassettenvergütung zahlt man bereits für jeden CD-Rohling, unabhängig davon, ob auf diesen dann wirklich Musik gebrannt wird oder nicht. Auch die Rundfunkgebühren fallen für alle Fernsehbesitzer an, selbst wenn sie nur RTL und Pro7 einschalten. „Auch Menschen, die keine Kinder haben, finanzieren mit ihren Steuern die öffentlichen Schulen“, sagt Grassmuck.



Nicht jeder sieht das so. „Die Kultur-Flatrate ist ein Enteignungs- und Steuermodell, das Unternehmertum durch Bürokratie ersetzen will“, meint etwa Franz Medwenitsch, der Geschäftsführer des Verbands der heimischen Musikwirtschaft (IFPI). Als Vertreter der Musikindustrie missfällt ihm die staatliche verordnete Zwangsabgabe.



„Sie wirft viel mehr Fragen auf, als sie je beantworten könnte“, sagt Medwenitsch. Die Kultur-Flatrate wäre auch eine direkte Konkurrenz zu kommerziellen Bezahlmodellen. Welcher Konsument würde noch für einen Song auf iTunes zahlen, wenn er mit der Flatrate die Erlaubnis zum Gratisdownload bekommt? Wie würde sich das auf den Verkauf von CDs auswirken?



Mehr Fragen als Antworten. Das trifft auf beide Modelle zu. Auch gibt es Experten, die sich keine Rettung der Branche mehr erwarten. Die fetten Jahre seien vorbei, meint etwa der Elektronikproduzent Wolfgang Schögl alias I-Wolf. „Das wird sich nicht mehr rentieren“, sagt er und weicht als Musiker selbst auf Film- und Bühnenproduktionen aus, wo es noch Geld gibt. Andere komponieren Werbejingles oder touren permanent durch die Lande.



Eine Gemeinsamkeit haben das Konzept der Kultur-Flatrate und jenes von Spotify: Sie gehen von einer anderen Musiknutzung in Zukunft aus. Durch die Digitalisierung wurde Musik zur unbeschränkt zugänglichen Ware. Am PC lässt sich alles kopieren, herunterladen, versenden. Das Album wirkt wie das anachronistische Überbleibsel einer Zeit, als man noch in den Plattenladen ging oder Radiosendungen auf Kassette aufnahm.



Einst arbeitete Walter Gröbchen selbst für das legendäre Ö3-Radiomagazin „Musicbox“. Heute hat er Spotify auf seinem Laptop installiert – und ist davon angetan. Er sieht in Abo-Diensten mehr Hoffnung als Gefahren.



„Die Vorstellung ist schon faszinierend, zu jeder Zeit jede Musik der Welt hören zu können“, meint Gröbchen, der auch das Label Monkey Music leitet. Er kann sich vorstellen, dass man Musik künftig nicht als Tonträger besitzen, sondern eher über Streamingangebote hören wird.



Egal ob die Kultur-Flatrate jemals von einer Regierung per Gesetz eingeführt wird oder ob Spotify am Markt überlebt: Beide Konzepte weisen auf eine Zukunft hin, in der Musik nicht mehr in kleinen Dosen, zum Beispiel als Album oder einzelner Download, feilgeboten wird. Stattdessen kauft man sich den generellen Zugang und kann dann alles anhören, was es gibt.









Dieser Artikel ist im Falter 05/10 erschienen. Illustration: PM Hoffmann Fotos: privat / Corn / Grassmuck

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