Lauter, schriller, billiger

/Die Qualitätsmedien stehen am Abgrund, die Schreihälse geben den Ton an, erklärt der Soziologe Kurt Imhof





Wie schädlich sind schlechte Medien für die Demokratie? Dazu forscht der Schweizer Kurt Imhof. Sein Urteil ist ernüchternd. Der Soziologe attestiert der Medienlandschaft einen Qualitätszerfall seit den Siebzigerjahren, der sich nun auf Politik und Gesellschaft auswirkt und Rechtspopulisten beflügelt. Welche Lösungen es geben könnte und welche Rolle das Internet dabei spielt, erklärt er im Gespräch.



Falter: Herr Imhof, bei Ihren Thesen bekommt man den Eindruck: Wir verdummen alle und schuld sind die Medien. Was läuft in Ihren Augen falsch?



Kurt Imhof: Durch die Kommerzialisierung ist das Qualitätsbewusstsein für Journalismus verlorengegangen. Dieses Bewusstsein, dass guter Journalismus die Voraussetzung für Demokratie ist. Aber wenn wir von Schuldigen sprechen, sollten wir die Verhältnisse nicht vergessen: Tatsächlich haben die Medien nicht mehr die nötigen Ressourcen. Ihre Geschäftsmodelle funktionieren nicht mehr, und das Publikum macht immer weniger einen Unterschied zwischen Qualitäts- und anderen Medien.



Warum nicht?



Imhof: Das wurde stark von der Gratiskultur befördert. Wenn man Informationen kostenlos beziehen kann und diese Informationen scheinbar ausreichen, um sich in der Welt zu bewegen, dann können die Leserinnen und Leser nicht mehr zwischen gutem und schlechtem Journalismus unterscheiden. Wir können auch nicht vom Publikum verlangen, dass es die Zeitungen der 60er- und 70er-Jahre mit den gegenwärtigen vergleicht und feststellt: Herrgott nochmal, wir haben nur noch Human Interest, Personalisierung und Skandalisierung!



Was finden Sie am Human Interest, dem Fokus auf menschliche Geschichten, so schlimm?



Imhof: Human Interest bezieht sich auf Charakterdefizite, persönliches Versagen und Abweichungen von der Norm. Diese subjektive Innerlichkeit des Menschen zu betrachten, ist sehr viel einfacher, als über Sachverhalte zu informieren. Das ist eine Komplexitätsreduktion und fördert auch den Wahlerfolg populistischer Akteure.



Was halten Sie für den richtigen journalistischen Umgang mit den Rechtspopulisten?



Imhof: Die Nachrichtenwertlogik müsste im Grunde verleugnet werden. Wenn die FPÖ etwas einbringt, ist das spektakulär und die Medien reagieren darauf. Das widerspricht aber dem Gebot der Aufklärung: Bei der sollte die sanfte Gewalt des besseren Arguments überzeugen – und nicht der Schreihals.



Und die Folgen?



Imhof: Die Gefahr kann man ganz drastisch auf den Punkt bringen. In den 20er- und 30er-Jahren kamen die Austrofaschisten und die NSDAP mit ihren medienwirksamen Aktionsformen zum Erfolg, weil sie in Österreich und Deutschland über eine Mehrheit rein kommerzialisierter Medien verfügten. In der Schweiz hingegen trafen sie auf ein Mediensystem, das primär von der Parteizeitung geprägt war, und erhielten keine Resonanz. Das heißt, die Struktur der öffentlichen Kommunikation entscheidet über die Struktur des politischen Systems. Wir sind nicht so weit wie in der Zwischenkriegszeit. Diese hat uns aber gelehrt, auf die öffentliche Kommunikation zu achten.



Heute haben wir doch eine viel größere Medienpluralität. Widerspricht das nicht Ihrer These?



Imhof: Nein, was als Pluralität erscheint, ist eine Nivellierung nach unten. Der Medienkonsum orientiert sich ganz stark an Generationen und Bildungsschichten. Die hoch emotionalisierten politischen Ereignisse erreichen bei den qualitativ schlechtesten Medien die höchste Resonanz und sind für politische Kampagnen ausschlaggebend. Das politische Personal muss sich immer stärker auf die Billigmedien ausrichten, und das verändert die Qualität der öffentlichen Auseinandersetzung.



Was wäre Ihr Gegenentwurf?



Imhof: Es braucht drei Maßnahmen. Wir müssen zum einen die Medienkompetenz an den Schulen fördern. Jugendliche können nicht mehr zwischen Qualitätsmedien und Billigmedien unterscheiden. Dabei ist das eine Voraussetzung, um die Demokratie aufrechtzuerhalten. Zweitens brauchen wir eine unabhängige Beobachtung der Medienqualität selbst, also ein Jahrbuch, das einen Qualitätsvergleich macht und die Wirkungen des Qualitätszerfalls aufzeigt. Drittens müssen wir uns im Klaren sein, dass die Medien nicht mehr über rein kommerzielle Einnahmen gesichert werden können. Es braucht im Printbereich Stiftungsmodelle mit zivilgesellschaftlichen und öffentlichen Mitteln, die qualitativ hochwertigen Journalismus sichern.



Der Staat soll also einspringen, weil sich die herkömmlichen Medien nicht mehr rentieren?



Imhof: Ja, klar. Wir sind uns einig, dass wir den öffentlichen Verkehr mit öffentlichen Mitteln fördern sollen. Natürlich sollen wir auch den öffentlichen Informationsverkehr auf diese Weise fördern.



Und wie soll Ihr Stiftungsmodell aussehen?



Imhof: Das gibt es so noch nicht. Es muss so eingerichtet werden, dass zivilgesellschaftliche und öffentliche Mittel vorhanden sind und der Staat nicht lenkend eingreifen kann. Im angelsächsischen Raum finden sich Medien, die bereits durch einzelne Stiftungen unterstützt werden. In den USA fördert eine Stiftung zum Beispiel Recherchejournalismus. Diese gutrecherchierten Artikel können sich dann Medien billig kaufen. Das ist aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein.



Solche Stiftungen werden oft von der Privatwirtschaft finanziert. Wie kann man verhindern, dass Medien zum Sprachrohr großer Konzerne werden?



Imhof: Diese Institutionen muss man so zusammensetzen, dass ihre Unabhängigkeit gewährleistet ist. Und man muss die Mittelvergabe an klare Qualitätskriterien knüpfen.



Die andere Lösung wäre, dass Menschen wieder Geld für gute Medien ausgeben.



Imhof: Das setzt aber voraus, dass die Qualitätsunterschiede überhaupt wieder beim Publikum wahrgenommen werden – und dass die Qualität steigt.


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Kurt Imhof ist Soziologe und Publizistikwissenschaftler an der Universität Zürich. Der 54-Jährige war im Rahmen der Hedy Lamarr Lectures zu Gast in Wien und sprach über die mediale Wissensvermittlung im Wandel

Derzeit ist das Gegenteil der Fall: Internationale Vorzeigeblätter geraten in rote Zahlen und entlassen daraufhin Journalisten.



Imhof: Ja, wir beobachten eine Nivellierung nach unten. Die internationalen Qualitätsmedien stehen alle am Abgrund. Le Monde, Guardian, Süddeutsche, FAZ, NZZ etc. müssen sparen. Bei der New York Times gibt es eine akute Übernahmegefahr durch den wichtigsten mexikanischen Telekomunternehmer. Die Verlegerfamilie denkt über einen Verkauf der Zeitung nach, solange noch etwas herauszuholen ist.



Besteht das Problem darin, dass Medien wie ein normales Produkt gehandelt werden?



Imhof: Ja, in der Moderne waren Medien die meiste Zeit Weltanschauungsorgane, Aufklärungs- oder Gesinnungsmedien. Sie hatten in erster Linie den Staatsbürger im Auge, nicht den Medienkonsumenten.



Aber heute will doch keiner von sich sagen, dass er Gesinnungsjournalismus macht.



Imhof: Das stimmt. Der Weg zurück zu den Weltanschauungsmedien ist nicht möglich, schon deshalb, weil die Parteien kein Geld haben. Es ist aber wichtig, unabhängige Meinungsblätter zu haben, mit qualitativ hochwertigem Journalismus auf Basis ressourcenstarker Redaktionen.



Seit wann beobachten Sie diesen Verfall der Qualität?



Imhof: Wir haben die wichtigsten Kommunikationsereignisse der letzten 100 Jahre in der deutschsprachigen Schweiz analysiert. Der drastische Einbruch begann in den 70er-Jahren, wurde in den 80er- und 90er-Jahren beschleunigt. Und jetzt sind wir so weit, dass die politischen Wirkungen auch sichtbar werden.



Viele Menschen hoffen nun auf das Internet und die neuen Medien: Facebook, Twitter und Co. Sehen Sie hier das Potenzial zu verstärkter öffentlicher Kommunikation und mehr Kontrolle?



Imhof: Da müssen wir zwei Unterscheidungen machen. Erstens: Die Qualitätsmedien haben Ableger im Internet, im Regelfall findet sich dort die qualitativ dünnere Ausgabe der Originalmedien mit wesentlich mehr Agenturmeldungen und schlechter ausgestatteten Redaktionen. Aber immerhin kann man die internationalen Qualitätszeitungen Le Monde, New York Times etc. online lesen. Zweitens haben wir die neuen Interaktionsmedien wie Twitter und Facebook, also die Social Networks. Dort verfassen die Leute in erster Linie Botschaften über sich selbst oder ihre subjektive Befindlichkeit und inszenieren sich selbst. Wir haben es hier nicht mit Kommunikation zu tun, die alle etwas angeht, sondern mit Kommunikation, die nur die Gemeinschaft etwas angeht. Und zwischen Gesellschaft und Gemeinschaft besteht ein Unterschied.



Im Internet gibt es für jeden Menschen seine Community. Der Autonarr besucht ein Autoforum, der Anhänger einer Partei spricht mit Gleichgesinnten. Zerbröselt die Gesellschaft im Netz?



Imhof: Sie löst sich in Gemeinschaften auf. Aber die Moderne ist abhängig von einer gesellschaftlichen Organisationsform. Bei den Mehrheitsabstimmungen prägen Bürgerinnen und Bürger die Demokratie, die sich gar nicht kennen. Dafür brauchen wir eine – über die Gemeinschaft hinausgehende – öffentliche Kommunikation.



Also die klassischen Medien.



Imhof: Ja. Aber klassische Medien kann es im Internet oder anderswo geben. Die Übermittlungsform ist nicht das Entscheidende. Nur eine gutausgestattete Redaktion macht den Unterschied.





Dieses Interview ist im Falter 16/10 erschienen. Credits: Jochen Schievink / Heribert Corn

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