“Du solltest es mögen, gefickt zu werden“

Die Musikerin Amanda Palmer sammelte online 1,2 Millionen Dollar. Ein Gespräch über das Leben als Künstlerin in digitalen Zeiten

Interview: Gerhard Stöger & Ingrid Brodnig

Sie nennt sich kaum zufällig Amanda Fucking Palmer: Die als Teil des Cabaret-Punk-Duos The Dresden Dolls bekannt gewordene US-Musikerin flucht mit Leidenschaft und nimmt sich nie ein Blatt vor den Mund. Einen untergriffigen Text der britischen Zeitung Daily Mail beantwortete sie heuer im Sommer mit einer pointierten Nacktperformance (auf Youtube unter “Dear Daily Mail“ zu finden), die Scharmützel mit ihrem alten Plattenlabel trug sie öffentlich aus. Die Aufregung um ihr aktuelles Soloalbum “Theatre Is Evil“ hatte andere Gründe: Amanda Palmer sammelte auf dem Onlineportal Kickstarter dafür 1,2 Millionen Dollar und finanzierte es so zur Gänze über das Internet. Das Gespräch fand am Rande ihres umjubelten Auftritts beim Blue Bird Festival im Porgy & Bess statt.

Falter: Sie standen jahrelang beim großen Plattenlabel Roadrunner unter Vertrag. Warum haben Sie Ihr aktuelles Album über die Crowdfunding-Plattform Kickstarter finanziert?

Amanda Palmer: Die Ehe mit Roadrunner war einfach eine Katastrophe, daher habe ich die Scheidung gefordert. Ich stand dann vor der Frage, ob ich zu einem Independent-Label gehe oder mich selbst um alles kümmere. Kickstarter erschien mir der praktischere Weg. Jetzt lebe ich mit meinen Fans quasi in einer offene Beziehung, und die funktioniert bisher sehr gut.

Wird unabhängig produzierte Popmusik künftig vor allem über Seiten wie Kickstarter finanziert?

Palmer: Man sollte das nicht zu hoch hängen. Aber einigen Künstlern erleichtert das sicher die Arbeit. Man kann heute dank dem Internet unmittelbar mit seinem Publikum kommunizieren, und künftig wird diese direkte Zusammenarbeit zwischen dem Künstler und Publikum noch zunehmen. Deswegen ist Crowdfunding sicher keine Mode, die vorübergeht.

Aber ist es eine Antwort für alle?

Palmer: Nein! Für mich hat das wunderbar funktioniert, aber Kickstarter ist gewiss nicht die Antwort auf die Krise der Musikindustrie, es ist ein möglicher Weg aus der Krise. Ein Weg allerdings, für den gewiss nicht jeder geeignet ist.

Es scheint, als Musiker muss man heute auch Experte in Sachen digitaler Selbstpromotion sein. Sollten sich Künstler nicht lieber auf ihre Kunst konzentrieren?

Palmer: Klar, aber so läuft es leider nicht – so lief es nie. Künstler mussten sich immer schon mit allerlei Bullshit herumschlagen, durch die technologische Veränderung hat der Bullshit eben eine andere Farbe bekommen. Denken Sie nur an Mozart, Bach oder Andy Warhol. Auch bei denen findet man verrückte Geschichten, wie sie vor dem Ruhm die Miete finanzierten.

Kurz: Die Kunst ist ein hartes Brot?

Palmer: Sagen wir so: Du solltest es mögen, gefickt zu werden. Denn in dem Moment, in dem du dich für ein Leben als Künstler entscheidest, nimmst du das in Kauf.

Mozart wurde von Mäzenen durchgefüttert. Ist Crowdfunding die Fortführung dessen? Jetzt füttern Internetuser die Musiker durch?

Palmer: Musiker verheimlichen oft, wo ihre Unterstützung herkommt. Wohl auch wegen dieses romantischen Ideals des Künstlers als leidender Seele, für die nichts anderes zählt als die Kunst. Auch ich musste mir für das erste Dresden-Dolls-Album Geld von meinem Onkel ausborgen. Habe ich das herumposaunt? Nein. Dabei ist das nichts Beschämendes: Viele Bands brauchen anfangs einen reichen Kumpel oder einen wohltätigen Exzentriker, der sie unterstützt.

Warum ist die künstlerische Unschuld ausgerechnet im Pop so ein großes Thema?

Palmer: Gute Frage. Ich kann nur sagen: Es ist doch toll, wenn ein Freak mit Geld in deine Band anstatt in eine neue Rolex investiert! Bei einer Konferenz über neue Medien habe ich dazu kürzlich einen interessanten Vortrag über Henry David Thoreau gehört.

Thoreau lebte im 19. Jahrhundert, was hat der mit neuen Medien zu tun?

Palmer: Für sein wichtigstes Werk, “Walden“, zog sich Thoreau in die Wälder zurück und lebte dort. Viele wissen aber nicht: Wenn Thoreau hungrig war, brachten ihm seine Mutter und seine Schwester Donuts, wenn es im Wald zu kalt wurde, schlief er bei ihnen zu Hause. Die Pointe des Vortrags lautete: Nehmt die verdammten Donuts! Genau darum geht es: Man muss sich als Künstler nicht genieren, Hilfe anzunehmen, und es ist toll, wenn Menschen Hilfe freiwillig anbieten.

Viele Österreicher kennen Ihre Musik aus der TV-Werbung, seit Jahren läuft der Dresden-Dolls-Song “Coin-Operated Boy“ in Darbo-Spots. Fällt das auch unter “sich helfen lassen“?

Palmer: Ich wäge von Fall zu Fall ab, ob ich meine Musik für Werbung freigebe. Meistens sage ich Nein, bei Darbo fand ich es aber okay. Mir hat auch noch niemand vorgeworfen, ich hätte mich für Marmeladewerbung verkauft. Und wissen Sie was: Bis heute finanziert Darbo den Dresden Dolls die jährliche Gesundheitsversicherung. Das ist doch toll.

Bei Ihrer Crowdfunding-Kampagne haben rund 25.000 Menschen insgesamt 1.192.793 Dollar bezahlt. Was haben Sie mit so viel Geld angestellt?

Palmer: Bei einem Blick auf meine Einnahmen-Ausgaben-Rechnung würden Sie aus allen Wolken fallen. Zuerst einmal musste ich die Schulden zurückzahlen, die ich mit der Aufnahme des Albums angehäuft hatte. Dann mussten all die Produkte, von der CD über die Vinylschallplatte bis zum Kunstbuch, produziert und alle beteiligten Künstler bezahlt werden. Dummerweise hatte ich auch allen Unterstützern einen weltweit kostenlosen Versand versprochen. Das alleine hat mich dann 300.000 Dollar gekostet.

“Hurra, ich bin reich!“, haben Sie sich also nie gedacht?

Palmer: Nein, keine Sekunde. Ich bin aber glücklich, wie gut es lief.

Ihre zwei teuersten Kickstarter-Pakete kosteten 5000 und 10.000 Dollar. Wer kauft sich das?

Palmer: Die Leute fragen immer: Sind das verrückte Reiche oder Stalker? Weder noch. Um 5000 Dollar spielte ich ein Privatkonzert. Da haben oft 50 Leute zusammengelegt, damit ich bei ihnen zu Hause spiele, speziell in Gegenden, wo ich sonst nie auftrete.

Zwei Leute haben auch 10.000 Dollar bezahlt. Wer war das?

Palmer: Die eine war eine schüchterne Frau in Washington. Für 10.000 Dollar hätte ich sie gezeichnet, aber das wollte sie gar nicht. Sie hatte ein dreijähriges Kind und war wieder schwanger, also haben mein Mann Neil und ich im Kinderzimmer ein Wandbild gestaltet. Der zweite Fan lebt in Australien und leistete sich das im Gedenken an einen verstorbenen Freund.

Gab es auch Fans, die meinten, Sie hätten Besitzansprüche an Ihnen, weil sie auf Kickstarter für Sie zahlten?

Palmer: Nein, aber meine Fans kennen mich und wissen, ich würde sie auslachen. Sie sollen auch nicht alles bedingungslos gut finden, was ich mache. Sonst wäre ich ja keine Künstlerin mehr, sondern eine Sektenführerin.

Was ist der Unterschied, wenn man nicht mehr bei einer Plattenfirma, sondern über Crowdfunding bei seinen Fans unter Vertrag steht?

Palmer: Es gibt nicht mehr den Druck, Geld für andere machen zu müssen. Beim Label gab es einen Typen in der Finanzabteilung, der quartalsmäßig Berichte über die Dresden Dolls vorlegte: Wie viel hatten wir ausgegeben? Wie viel hatten wir verdient? Nur das entschied, wie das Label über uns dachte. Die Kunst war zweitrangig.

Aber die Dresden Dolls waren doch eine erfolgreiche Band?

Palmer: In meinen Augen schon. In den Augen des Labels nicht. Unser Debütalbum lief extrem gut und Roadrunner dachte, der Nachfolger würde zehn Mal so viel verkaufen. Als das nicht funktionierte, widmeten sie ihre Aufmerksamkeit wieder Millionensellern wie Nickelback und Slipknot. Wir waren komplett gegenteiliger Ansicht darüber, was Erfolg bedeutet.

Sie haben den großen Popstartraum wirklich nie geträumt?

Palmer: Nein. Hätte uns der Zufall über Nacht in andere Erfolgsdimensionen katapultiert, wäre das wie Gift gewesen. Ich mag es, nahe an meinem Publikum zu sein. Bist du erst einmal Madonna, führt kein Weg zurück.

Wie meinen Sie das?

Palmer: Als Kind war Madonna für mich überlebensgroß. Die Idee, je Kontakt mit ihr zu haben, erschien mir völlig unvorstellbar. Aber was hat ihr der spektakuläre Erfolg denn gebracht? Sagen wir so: Ich glaube nicht, dass Madonna der glücklichste Mensch der Welt ist. Für mich selbst suchte ich einen anderen Weg: Wie kann ich so menschlich wie möglich sein und trotzdem diesen Job haben?

Und hat es funktioniert?

Palmer: Fuck ja. Ich bin tatsächlich ein großes Glückskind, ich komme nach Wien, habe zwei Stunden lang meinen Spaß auf der Bühne und werde auch noch dafür bezahlt.

Was können junge Musikerinnen und Musiker von Ihnen lernen?

Palmer: Ich habe nur einen Ratschlag: Verbringt Zeit mit euren Fans, setzt euch mit ihnen auseinander, sammelt ihre E-Mail-Adressen, bleibt in Kontakt! Bei jedem einzelnen Konzert achte ich als Erstes darauf, ob auch ja beim Merchandise-Stand eine Mailingliste liegt, auf der man sich eintragen kann. Myspace, Facebook und Twitter kommen und gehen, E-Mail wird bleiben. Wie soll ich sonst die Leute erreichen, wenn ich das nächste Mal nach Wien komme?

 

Albumcover: Theatre is evilZur Person:

Amanda Palmer wurde 2004 mit den Dresden Dolls berühmt, der größte Hit des US-Duos, “Coin-Operated Boy“, läuft noch heute in der Darbo-Werbung. Mittlerweile vor allem solo aktiv, hat die Musikerin ihr aktuelles Album via Kickstarter finanziert; sie bloggt, twittert und gilt als “Social-Media-Queen“. Palmer ist mit Autor Neil Gaiman verheiratet

Zum Album:

“Theatre Is Evil“ von Amanda Palmer & The Grand Theft Orchestra ist 2012 auf 8 ft. Records erschienen, dem Label der Künstlerin

 

Dieses Interview von Gerhard Stöger und mir erschien in Falter 51/13. Foto: Karin Wasner (oben), Albumcover “Theatre is evil” (unten) 

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