AfD und FPÖ: Empörungsmaschinen

Eine neue Untersuchung bestätigt den Verdacht: Rechtspopulisten profitieren von der Wut, die sie auf Facebook schüren

Ich bezeichne den Kampf um Likes, Kommentare und Aufmerksamkeit auf Facebook als „Empörungswettbewerb“: Meine These ist, dass gerade Rechtspopulisten von solch einer erhitzten Debatte profitieren. Denn sie schüren Wut, sie emotionalisieren und können eine größere Reichweite damit erzielen – auch weil Facebooks Technik dies favorisiert. Schon länger hege ich diesen Verdacht – weil ich die Rhetorik von Rechtspopulisten genau beobachte und auch immer wieder analysiere, welche Beiträge dieser Parteien online besonders erfolgreich sind. Wut scheint für mich ein zentraler Faktor im Erfolg politischer Provokateure.

Die spannende Neuigkeit ist: Tatsächlich gibt es nun Zahlen aus Deutschland, die diese These untermauern. Der junge Datenwissenschaftler Josef Holnburger hat eine Auswertung hierzu gemacht: Er analysierte mehr als eine Million Reaktionen auf Facebook – konkret ging es um Postings aller deutschen Bundestagsparteien.

Die AfD treibt Empörung an und profitiert davon. Die neue Auswertung deutet darauf hin, dass gerade provokative Politiker  auf Facebook bessere Karten haben können
Der Daten-Analytiker Holnburger ging empirisch der These des „Empörungswettbewerbs“ nach und überprüfte zwei konkrete Fragen mittels Millionen von Facebook-Daten. Erstens: Verbreitet die AfD auf Facebook mehr negative Stimmung als andere Parteien – lässt sich hier sogar ein signifikanter Unterschied erkennen? Und zweitens: Wird die AfD mit mehr wütenden Reaktionen belohnt – profitiert sie also nachweisbar davon, dass Facebook-User wütend zum Klicken gebracht werden?

Beide Forschungsfragen werden mit Ja beantwortet: Die AfD treibt Empörung an und profitiert davon. Die neue Auswertung deutet darauf hin, dass gerade provokative Politiker (und Provokation ist ein Wesensmerkmal des Populismus) auf Facebook bessere Karten haben können.

Konkret notiert Holnburger: „Der von Ingrid Brodnig vermutete Empörungswettbewerb auf Facebook kann im Rahmen dieser Untersuchung bestätigt werden. Unter den Beiträgen der AfD findet sich in Form der Reactions eine signifikant höhere Empörung, als auf den Seiten anderer Parteien.“ Sowie: „Wie diese Auswertung zeigt, gewinnen rechtspopulistische Parteien, wie die AfD, nicht nur den Empörungswettbewerb, sie heizen ihn vermutlich durch besonders negative Beiträge weiter an.“ Hier kann jeder seine Untersuchung selbst nachlesen, die zuständige Dozentin ist Lisa Hehnke. Die Arbeit entstand im Rahmen Holnburgers Studium der Politikwissenschaft an der Universität Hamburg – bei dem er sich auch auf Statistik und Datenauswertung fokussiert.

Was wurde nun genau bemessen?

Zuerst hat Holnburger 8.315 Facebook-Beiträge deutscher Parteien gesammelt – konkret alle Postings zwischen dem 1. März 2016 und 31.12.2017. Das Datum ist relevant: Denn im Frühjahr 2016 führte Facebook die sogenannten „Reaktionen“ (Reactions) ein. Man kann seither nicht nur Likes verteilen, sondern auch Symbole mit der Beschriftung „Love“, „Haha“, „Wow“, „Traurig“ und „Wütend“. Es ist seither auch besser messbar, welche Emotionen unterschiedliche Accounts auf Facebook hervorrufen – ob sie eher unterhaltend oder wütend machend sind.

Insgesamt hat Holnburger 1,8 Millionen „Reactions“ ausgewertet, die die CDU, CSU, SPD, FDP, Grüne, Linke und AfD auf Facebook erhielten. Bemerkenswert ist bereits die Verteilung: Von 1,8 Millionen Reactions gingen 1,1 Millionen allein an die Rechtspopulisten. Zitat: „Die AfD kann dabei sogar mehr Reaktionen als alle anderen Parteien zusammen verzeichnen.“

Aber es gibt auch einen signifikanten Unterschied, welche Emotionen die Parteien am stärksten auslösen: Die Hälfte aller Reaktionen bei der AfD besteht aus Wut. Konkret wird in 56,4 Prozent der Fälle der wütende Smiley geklickt. Das ist ein grober Unterschied zu den anderen Parteien: Bei CDU und CSU wird am meisten auf „haha“ gedrückt. Bei SPD, FDP, Grüne und der Linken ist „Love“ die häufigste Reaktion. Wichtig ist auch, dass die Politik sich hier von der allgemeinen Debatte auf Facebook durchaus unterscheidet: Im Schnitt ist nämlich „Love“ die häufigste Reaktion auf Facebook, sagt das Unternehmen selbst.

Hier all das in einer schönen Grafik:


(Quelle: Josef Holnburger)

Mittels statistischer Auswertungen konnte Holnburger auch ermitteln: Die AfD löst signifikant mehr Wut bei den Reaktionen auf Facebook aus – deutlich mehr als jede andere Partei. Dies wird auch hier erkennbar:


(Quelle: Josef Holnburger)

Diese Ergebnisse bestätigen die These, wonach die AfD mehr wütende Klicks erntet. Warum ist das so relevant? Zu recht könnte man hier einwerfen, es war immer schon so, dass Rechtspopulisten Menschen erzürnten – das ist Teil ihres Handwerks. Aber im Internet kommt ein neuer Faktor hinzu: Algorithmen. Auf Facebook entscheidet ein Algorithmus, also Software, welche Beiträge den Nutzern eingeblendet werden und welche nicht. Wir wissen, dass die Zahl der Reactions, der Likes, der Kommentare und Shares einer der wichtigsten Gradmesser des Algorithmus ist. Ganz einfach gesagt: Je mehr Menschen auf diese wütenden/lachenden/traurigen/staunenden Smileys und auf „Like“ klicken, desto mehr weiteren Nutzern wird der jeweilige Beitrag eingeblendet. Laut Facebook werden Reaktionen sogar als wichtigeres Signal gewertet als das Drücken des „gefällt mir“-Knopfs.

Ein interessantes Detail dazu: Auch eine Auswertung der Universität Wien (vom Computational Communication Science Lab) analysierte die österreichischen Spitzenkandidaten während der Nationalratswahl. Auch sie sahen: Bei FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache war der „Wütend“-Knopf die häufigste Reaktion (57,3 Prozent).

Es besteht der Verdacht, dass der Facebook-Algorithmus Emotion begünstigt: Und in solch einem Setting haben es Populisten leichter. Mit provokativen Posts versetzen sie Menschen in Aufruhr. Wut ist eine aktivierende Emotion: Wütende User klicken eher auf einen Beitrag oder verbreiten diesen, das legt auch frühere Forschung nahe. All diese menschlichen Signale spielen eine große Rolle: Denn je mehr Menschen auf „wütend“ oder auf „gefällt mir“ klicken, desto mehr Sichtbarkeit erzielt ein Beitrag. Die Gefahr ist, dass emotionalisierende Politiker vom Algorithmus zusätzlich Reichweite zugespielt bekommen – weil sie so schön menschliche Reaktionen auslösen und die Software dies belohnt.

Ich nenne einen solchen potenziellen Effekt übrigens „Algorithmen als Drama-Maschine“, weil womöglich durch Technik dramatische Inhalte umso sichtbarer werden. (Gut wäre es, wenn Facebook hierzu konkrete Untersuchungen von Forschern ermöglicht – doch bisher erlaubt es solche unabhängigen Studien seines Algorithmus nicht.)

Die Daten-Auswertung führt zu einer zweiten wichtigen Frage: Schürt die AfD mit ihren Worten tatsächlich mehr Wut – lässt sich zum Beispiel messen, dass die Wortwahl der AfD auf Facebook negativer als von anderen Parteien ist?

Auch dem ging Holnburger statistisch nach: Mittels sogenannter „Sentimentanalysen“ können Forscher die inhaltliche Ausrichtung von Texten automatisiert erfassen (also ob der Text eher „negativ“, „positiv“ oder „neutral“ in der Wortwahl ist). Eigene Wörterbücher, die negativ und positiv konnotierte Worte im politischen Kontext gesammelt haben, ermöglichen solche Analysen – und am Ende können große Textmengen auf ihre negative Stimmung hin ausgewertet werden.

Holnburger wertete aus, ob die AfD signifikant öfter negativ konnotierte Worte verwendete: Tatsächlich war dies der Fall. Die Facebook-Beiträge der Rechtspopulisten sind signifikant öfter von negativer Sprache geprägt. Hier die Übersicht:


(Quelle: Josef Holnburger)

Diese Auswertung ist wichtig, weil sie konkrete Zahlen liefert: Ja, die AfD hat eine negativere Wortwahl auf Facebook als die anderen Parteien. Und Ja, die AfD löst auch mehr Wut bei Facebook-Nutzern aus.

Was solche Daten-Analysen natürlich nicht sagen können, ist, warum so viele Menschen bei den Rechtspopulisten auf den „Wütend“-Knopf klicken. Möglich ist, dass einerseits Fans der AfD gemeinsam mit der Partei wütend sind, ebenfalls ist aber wahrscheinlich, dass zum Teil auch Kritiker auf „wütend“ klicken, weil sie die Rhetorik der AfD ablehnen. Nur für Facebooks Algorithmus macht dies keinen Unterschied: Egal, ob User aus Sympathie oder Ablehnung auf diesen Knopf klicken, wird dies von der Software als Signal gewertet, dass der Beitrag Relevanz hat. Wut ist ein mächtiges Tool zur politischen Mobilisierung – solche Datenauswertungen legen nahe, dass Wut tatsächlich ein Teil des Erfolgsrezepts von Rechtspopulisten auf Facebook sein könnte.

Ich finde es äußerst relevant, dass wir zunehmend auch Datenauswertung aus dem deutschsprachigen Raum haben – und nicht stets mit amerikanischen Zahlen und Studien hantieren. An dieser Stelle mein großer Dank an Josef Holnburger, er hat sich bei dieser Untersuchung viel Arbeit angetan und relevante Zahlen zu Deutschland geliefert. Hier kann man übrigens mehr seiner Daten-Analysen in seinem Blog finden und hier ist er auf Twitter. Untersuchungen wie diese tragen dazu bei, dass wir die Mechanismen der digitalen Debatte besser verstehen lernen.

 

Das obige Bild zeigt die “Wütend”-Reaction auf Facebook, alle benutzten Grafiken stammen aus der Auswertung von Josef Holnburger. Wer mehr über Wut als Klickmotor und die Bedeutung für die digitale Debatte wissen will, in meinem Buch “Lügen im Netz” habe ich dem Thema ein ganzes Kapitel gewidmet. 

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