ORF: Keine Kritik auf Social Media

Was an den aktuellen Social-Media-Plänen des ORF so unbehaglich ist – ein paar Argumente

Der ORF arbeitet an neuen Regeln für seine Journalisten – und was diese auf Facebook und Twitter posten/liken/retweeten dürfen. Die derzeitige Formulierung (bisher ein Entwurf*) drang bereits an die Öffentlichkeit und sorge für Furore – meines Erachtens zu Recht.

Hier ein paar Argumente, warum mir dieser Text für Social-Media-Regeln des ORF nicht behagt:

– Argument 1: Keine Kritik erlaubt

 

Ich finde es richtig, dass Medienhäuser Leitlinien für Social Media verfassen. Das Problem am konkreten Entwurf Text im ORF ist, dass dieser extrem weitreichend ist. So wird den Journalisten angeordnet, sie sollen keine Kritik, keine Wertung gegenüber Politikern oder politischen Institutionen äußern. Ich will einen Teil des aktuellen Schreibens zitieren – gefettet sind jene Formulierungen, die mir am problematischsten scheinen:

 

“Zur Sicherstellung dieser Grundsätze, Vorgaben und Empfehlungen und damit der Glaubwürdigkeit des ORF und seiner Mitarbeiter/innen ist daher auch im privaten Umfeld zu verzichten auf

– öffentliche Äußerungen und Kommentare in sozialen Medien, die als Zustimmung, Ablehnung oder Wertung von Äußerungen, Sympathie, Kritik und “Polemik” gegenüber politischen Institutionen, deren Vertreter/innen oder Mitgliedern zu interpretieren sind.

– öffentliche Äußerungen und Kommentare in sozialen Medien, die eine voreingenommene, einseitige oder parteiische Haltung zum Ausdruck bringen, die Unterstützung derartiger Aussagen und Initiativen Dritter sowie die Teilnahme an derartigen Gruppen, sofern damit Objektivität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit des ORF konterkariert würde.

Die entsprechenden Meinungsbekundungen können dabei sowohl durch direkte Äußerungen erfolgen als auch indirekt durch Zeichen der Unterstützung/Ablehnung wie Likes, Dislikes, Recommends, Retweets oder Shares.”

Problematisch ist an dieser Formulierung, dass sie weit gefasst ist: Natürlich sollen Journalisten auch auf Social Media Kritik an politischen Aussagen äußern können. Wir wissen zum Beispiel alle, dass Vertreter sämtlicher Parteien gerne zuspitzen oder Zahlen verwenden, die nicht exakt die Realität widerspiegeln. Es ist sogar die Aufgabe von seriösen Journalisten (als auch das Recht jedes Bürgers) solche problematischen oder faktenwidrigen Formulierungen zu kritisieren. (Ja, Kritik ist wichtiger Teil der öffentlichen Debatte! Eine öffentliche Debatte ohne Austausch von Kritik ist keine wirkliche Debatte mehr.)

ORF-Journalisten sollen laut dieser Formulierung auch keine “voreingenommene” oder “einseitige” Haltung zum Ausdruck bringen: Auch diese Passage ist dermaßen schwammig, dass sie leicht von Parteien missbraucht werden kann. Gerade die Formulierung “voreingenommen” lässt viel Interpretationsspielraum offen. Gerne werfen Politiker Journalisten vor, sie seien “voreingenommen”, wenn ihren deren Berichterstattung nicht behagt. Die Gefahr ist hier, dass selbst berechtigte Tweets oder Facebook-Posts plötzlich von einer Partei als “voreingenommen” gewertet werden und damit Druck auf Redakteure ausgeübt wird.

Kurze Klarstellung: Ich finde es absolut nachvollziehbar, dass der ORF erklärt, als unabhängiger Rundfunk sollen die Mitarbeiter des Unternehmens keine parteinahe Haltung und keine Unterstützung von politischen Kandidaten tweeten oder auf Facebook posten. Aber der aktuelle Entwurf geht eben weit über diese (recht logische) Forderung hinaus.

Ein letzter Gedanke noch dazu: Im Text wird Journalisten auch untersagt, eine “Wertung” politischer Äußerungen vorzunehmen. Nur halte ich das für eine nicht praktikable Formulierung. Sprache beinhaltet nämlich immer eine Wertung. Ob man von “Meinungsunterschieden innerhalb der Koalition” oder einem “Streit in der Koalition” spricht, ist eine sprachliche Wertung. Es ist unmöglich zu sprechen oder tweeten, ohne nicht auch sprachlich zu werten (mehr dazu im Buch von Elisabeth Wehling: Politisches Framing). Auch diese Passage kann sehr schnell von Parteien genutzt werden, um einzelne ORF-Journalisten für komplett angemessene Tweets unter Druck zu setzen und sogar deren Kündigung zu fordern.

– Argument 2: Die anderen machen es anders

Hat die “New York Times” die exakt gleiche Regel? Nein. Seitens des ORF wird derzeit argumentiert, dass gerade renommierte Tageszeitung “New York Times” ähnliche Regeln hat. Ich muss in diesem Punkt teils widersprechen: Die Leitlinien der New York Times gehen nicht so weit wie die geplanten Leitlinien des ORF. Konkret heißt es in den “Social Media Guidelines” der “New York Times”:

“In social media posts, our journalists must not express partisan opinions, promote political views, endorse candidates, make offensive comments or do anything else that undercuts The Times’s journalistic reputation.

Our journalists should be especially mindful of appearing to take sides on issues that The Times is seeking to cover objectively.” (alles nachzulesen hier)

Die “New York Times” schreibt den Journalisten demnach vor, sie sollen keine parteiischen Meinungen ausdrücken, keine politischen Sichtweisen bewerben und keine politischen Kandidaten unterstützen. Wichtig ist aus österreichischer Sicht: Die Regeln des ORF sind umfassender als die Regeln der “New York Times”. So fordert der ORF seine Mitarbeiter nicht nur auf, parteiische Haltungen zu meiden: Es wird sogar “Kritik” und “Wertung” generell abgelehnt. Eine solche Passage findet sich im Dokument der “New York Times” nicht.

Zweitens ist eines relevant: Die Regelung der “Times” erntete auch Kritik. Es gab auch in den USA den Einwand, dass die Zeitung zu weit geht – das Nieman Lab hat einen Artikel zur heftigen Debatte gebracht. Der renommierte Journalist Mathew Ingram hat eine sehr lesenswerte Einordnung verfasst, wieso die Social-Media-Regeln der “New York Times” in seinen Augen keine gute Idee sind. Ein häufiger Kritikpunkt wurde auch sehr anschaulich von “Guardian”-Kolumnistin Jessica Valenti auf Twitter eingebracht. Sie meinte: “Die ‘New York Times’-Guidelines sind… nicht gut. Was zählt als parteiische Meinung? Dass Frauen Menschen sind? Dass schwarze Menschenleben zählen?” In einem zweiten Tweet schrieb sie: “Wie nimmt man keine Seite ein, wenn es um den Klimawandel geht? Fanatismus? Oder die Entmenschlichung von undokumentierten Einwanderern?” Sie spielt dabei auf politische Streitthemen in den USA an, etwa die Frage, ob der Mensch mit Schuld am Klima ist (die Mehrzahl der Wissenschaftler sagt ja, viele Republikaner sagen nein). Hier sieht man die Tweets von Jessica Valenti:

Übrigens ähnelt das meinem vorigen Argument: Es ist eben eine extreme Interpretationsfrage, was “Einseitigkeit” genau ist. Wenn eine Partei in einen Skandal verwickelt ist (siehe zB den FPÖ-Skandal rund um rechtsextremes Liedergut in Burschenschaften oder den SPÖ-Skandal rund um schmutz-aufwühlende anonyme Facebook-Pages im Wahlkampf), dann empfinden es Vertreter der Partei rasch so, dass die Journalisten “einseitig” oder “voreingenommen” sind. Und die aktuellen Formulierungen im ORF-Dokument könnten solche unfairen Angriffe von Parteien gegenüber dem ORF und seinen Vertretern sogar noch erleichtern.

– Argument 3: Achtung vor einem absurden Journalismus-Verständnis

Was mir am wenigsten behagt: Solche Formulierungen unterstützen schlimmstenfalls ein ganz problematisches Verständnis von Journalismus. Es ist nicht der Job von Journalisten, niemals Kritik zu üben und gleichgültig gegenüber politischen Skandalen aufzutreten. Im Gegenteil: Es ist dezidierte Aufgabe von Journalisten (inklusive öffentlich-rechtlichen Journalisten) auf Missstände innerhalb unserer Gesellschaft hinzuweisen – und diese als Missstände zu benennen (was sowohl eine Wertung als auch eine Kritik ist). Wenn zum Beispiel ein Bauprojekt der öffentlichen Hand komplett aus dem Ruder gerät und wegen Fehl-Managements oder gar politischer Mauscheleien viel zu teuer wird, ist es Aufgabe von Journalisten, die verantwortlichen Politiker kritisieren zu dürfen. Und natürlich sind soziale Medien ein wichtiger Ort geworden, wo genau diese politische Debatte erfolgt.

Seit ein paar Jahren wird von Journalisten eingefordert, in vielen Fragen keine Haltung zu zeigen. Gerne wird auf Twitter und Facebook dieses vermeintliche “Zitat” verbreitet:

 

Zitiert wird hier der deutsche TV-Moderator Hanns Joachim Friedrichs (aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk). Nur wird dieses Zitat verkürzt und irreführend verwendet: So hat das Hanns Joachim Friedrich nie gesagt. Er hat dies im “Spiegel” ein längeres Zitat geliefert, bei dem er argumentierte, dass Journalisten auch in emotional belastenden Phasen (wie etwa nach Todesfällen) nicht zu betroffen und emotionalisiert reagieren sollen, auch wenn sie schlimmste menschliche Schicksale mitansehen müssen. Eine sehr gute Analyse, wie dieses Zitat falsch verwendet wird, hat die Webseite “Falsche Zitate” gebracht.

Dieses Zitat wird nun allerdings pervertiert und verwendet, um journalistische Berichterstattung – die auch Kritik äußert – zu diskreditieren. Das Zitat muss als Ausrede herhalten, einzufordern, dass Journalisten gar keine Haltung zeigen sollen, selbst wenn es um die Frage der Intaktheit unseres Rechtsstaates oder das Respektieren von Menschenrechten geht. Ich würde argumentieren: Journalisten als “vierte Macht” im Staat haben die Aufgabe, auf den Rechtsstaat und Menschenrechte zu pochen und notfalls zu kritisieren, wenn neue Gesetze oder politische Äußerungen solche Grundrechte infrage stellen. Ein Journalismus, der keine Haltung pro Rechtsstaat und auch für Schwächere in unserer Gesellschaft einnehmen darf, der ist in meinen Augen wertlos und kein Journalismus mehr (sondern Hofberichterstattung). Und natürlich sollen solche journalistischen Grundrechte auch auf Twitter und Facebook gelten.

Zum Schluss möchte ich noch den deutschen Journalisten Cordt Schnibben zitieren, der einst das Interview mit Hanns Joachim Friedrichs im “Spiegel” führte, in dem das Zitat fiel (das oft aus dem Kontext gerissen wird). Er schrieb auf Twitter:

“Ich bin Transporteur dieses Zitats, weil ich damals am Sterbebett von Hanns Joachim Friedrichs diesen Satz gehört und nachgefragt habe. Er hat es eingegrenzt in einem sehr politischen, parteipolitischen Sinne: Also, wenn die SPD das Ehegattensplitting abschafft und ich als Moderator einer öffentl-rechtlichen Newssendung finde es gut, dann darf mir der Zuschauer das nicht anmerken. Daraus zu machen, dass ein Journalist quasi ein haltungsloser, emotionsloser Journalist sein sollte, dem man seine Haltung nicht anmerkt, ist eine Pervertierung. Und HJF gegen eine Solidaritätserklärung für DY (Anm.: hier ist Deniz Yücel, der deutsche Journalist, gemeint) zu instrumentalisieren, darauf kann nur kommen, wer nicht weiß, wer er war. Ist übrigens ein dämlicher Fehler von mir, die Konkretisierung dieses Satzes damals im Spiegel nicht abgedruckt zu haben.”

 

Schlussresümee:

Grundsätzlich finde ich das in Ordnung und auch sinnvoll, dass Redaktionen Social-Media-Guidelines veröffentlichen (der ORF hat übrigens bereits eine bisherige Social-Media-Regelung): Die konkreten Formulierungen im aktuellen Entwurf sind aber so weitreichend, dass ich ein Missbrauchspotenzial fürchte, welches dazu führen kann, dass die Meinungsfreiheit und auch die öffentliche Debatte auf Facebook und Twitter leiden. Einige Passagen können leicht von Vertretern von Parteien (oder deren Abgesandten im Stiftungsrat) genutzt werden, um Journalisten – die sauber und seriös berichten und auch Kritik formulieren – das Leben schwer zu machen.

Nun könnte man einwerfen: In der Praxis wird das schon nicht so hart ausgelegt werden. Nur halte ich das für einen schwachen Trost: Denn selbst wenn kein ORF-Mitarbeiter wegen eines Tweets oder Facebook-Posts gekündigt wird, können solche Regelungen eine einschüchternde Wirkung haben. Ich vermute, dass dann künftig jeder ORF-Mitarbeiter drei Mal darüber nachdenkt, ob er überhaupt noch irgendetwas zur politischen Debatte postet. Ich fürchte also die Schere im Kopf bei Journalisten. Und im schlimmsten Fall leidet die politische Diskussionskultur in Österreich darunter, dass wir einen Teil der Stimmen aus dem Journalismus online nicht mehr oder nur noch stark begrenzt hören.

 

* Klarstellung: Ist dieser Text jetzt ein Entwurf oder bereits Realität? Aktuell werden diese Social-Media-Guidelines als Entwurf bezeichnet. Zwar wurde dieses Dokument im Haus an Mitarbeiter verbreitet, aber es soll noch Gespräche mit Vertretern der Redaktion hierzu geben. Dazu hat ORF-Chef Alexander Wrabetz auch auf Twitter reagiert:

Update: Auch Bundeskanzler Sebastian Kurz äußert sich zu den Richtlinien. Wie die Austria Presse Agentur berichtet, steht er dem Entwurf “sehr skeptisch” gegenüber, wobei dies eine “Angelegenheit des ORF” sei. Hier fasst “News” den aktuellen Stand der Diskussion inklusive Wortmeldung des Kanzlers zusammen.

Noch ein Hörtipp: Gestern war der Ö1-Journalist Stefan Kappacher im Podcast “Ganz offen gesagt” zu Gast. Er hat dort auch über dieses Thema gesprochen. Ich kam selbst noch nicht dazu, mir das Gespräch anzuhören – aber da ich Kappachers Analysen und den Podcast “Ganz offen gesagt” eine Bereicherung der innenpolitischen Debatte empfinde, sei hier schon einmal auf dieses Gespräch hingewiesen.

 

Foto: pixabay.com

Kommentare

  1. „Politische Diskussionskultur“ – das ist freilich speziell in Österreich sowieso eine der permanent endangered species.

  2. Bald sind wir so durchgeregelt, dass wir gar keinen Spielraum mehr für Meinungsbildung haben und nur noch das politisch Erwünschte denken. Wünsche aber sind keine Rechte. Sie sind höchstens ein Anzeichen verwöhnten Wohlstands, der Befindlichkeiten zum Nachteil aller anderen hochhält, Menschen gegeneinander ausspielt und Beliebigkeit statt Kritik- und Konfliktfähigkeit kultiviert. Haben wir uns zur modernen Wohlstandsgesellschaft entwickelt, um solche Menschen zu werden?

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