Strategisch diskutieren – mein Vortrag von der re:publica
Nun online: Wie kann man auf Falschmeldungen rund um Klimakrise, Coronavirus und Migration geschickt reagieren? (Transkript & Video)
Egal um welche Streitthemen es geht, um die Coronakrise, um die Klimakrise, um Migration. Wenn Debatten erhitzt sind, dann lassen sich oft ähnliche rhetorische Tricks beobachten: Die Art, wie Diskussionen in eine Richtung gelenkt werden oder auch wie Fakten beiseitegeschoben, kleingeredet werden, die ist universell. Und das heißt aber auch, wenn man die rhetorischen Mechanismen in einem Themengebiet analysiert, dann kann man das gewonnene Wissen auf andere Bereiche umlegen. Darüber werde ich heute sprechen: Erstens, welche rhetorischen Mechanismen lassen sich identifizieren? Dann: Wie antworte ich auf so etwas? Und drittens: Was ist strategisches Diskutieren, was sind zum Beispiel Gradmesser, wann es sich lohnt meine Zeit in eine Debatte zu investieren?
Gehen wir gleich auf den ersten Mechanismus ein: In vielen Debatten geht es nicht um die Statistik, um den größeren gesellschaftlichen Überblick, sondern es geht um persönliche Erfahrungen um Momentanaufnahmen. Das nennt man anekdotische Beweisführung. Vielleicht erinnern sich manche an dieser Ausgabe der Sendung „Die letzte Instanz“, wo fünf Weiße über diskriminierende Sprache diskutieren, über rassistische Worte. Und sie kommen zum Ergebnis: Die kann man weiterhin verwenden, das ist kein Problem. Die Schauspielerin Janine Kunze sagt in der Sendung zum Beispiel: „(…) ich find’s nervig, ich habe sehr viele, was dürfen jetzt sagen, farbige, afroamerikanische Freunde, die haben noch nie in ihrem Leben darüber nachgedacht, ob sie sich beleidigt fühlen, wenn…“ Und dann sagt sie so ein Wort.
Das ist anekdotische Beweisführung: Kunze bringt keine repräsentative Umfrage, sondern sie behauptet in ihrem Freund*innenkreis sei das so oder so. Das lässt sich jetzt schwer überprüfen, und außerdem, es hat null Aussagekraft. Aber Anekdoten sind anschaulich. Politiker*innen lernen in Rhetorikseminaren: Der Fall schlägt die Fälle. Das heißt, wenn die eine Person mit einer Statistik kommt und die andere Person kommt mit einer persönlichen Geschichte, dann ist oft die persönliche Geschichte anschaulicher.
Besonders deutlich wird das Problem der anekdotischen Beweisführung, wenn es zwar wissenschaftliche Fakten gibt – aber dieser größere Trend, diese Erkenntnisse kleingeredet werden basierend auf dem, was jemand im Umfeld erlebt hat. Vielleicht erinnern sich manche: Zu Beginn der Coronavirus-Pandemie sagten Leute: „In meinem Umfeld ist niemand an Corona erkrankt.“ Und so wurde suggeriert, das Virus ist vielleicht kein großes Thema.
Martin Rutter auf Facebook
Ein Beispiel von Facebook: Das ist ein Posting von Martin Rutter, einem der führenden Köpfe der österreichischen Corona-Demos. Am 14. Juni 2020 schreibt er: „Ich kenne NIEMANDEN PERSÖNLICH der Corona hatte. Ich kenne NIEMANDEN DER JEMANDEN ANDEREN KENNT der Corona hatte! #P(L)ANDEMIE“
Die Argumentation lautet sinngemäß: Vielleicht gibt es die Pandemie gar nicht, weil ich kenne niemandem mit dem Virus. Und was dann passiert ist: Ab dem Sommer und nach dem Sommer stieg die Zahl der Infektionen rasant und es wurde statistisch durchaus wahrscheinlich, dass Leute auch wen kennen, der oder die an Corona erkrankte. Und jetzt postete Martin Rutter am 17. November 2020: „Die ‚schlimmste PLANdemie‘ der Welt und ich kenne NOCH immer KEINEN der daran erkrankt oder gestorben sein soll persönlich… DU?“
Ich finde das interessant: Jetzt wurde nicht nur gefragt, ob man wen Infizierten kennt, sondern auch nach Todesfällen. Und als Leute dann sehr wohl sagten, sie kennen Infizierte oder gar wen, der oder die gestorben ist, dann hat Martin Rutter allen Ernstes geantwortet: „Ich denke manche Leute die Dinge erzählen wollten sich auch nur ‚wichtig‘ machen“. Das ist eigentlich furchtbar ¬– ich finde das sehr zynisch, weil in dieser Pandemie sterben tatsächlich Menschen. Wie kann man auf solche anekdotische Beweisführung reagieren?
Mein erster Tipp ist: Oft helfen Alltagsvergleiche, die veranschaulichen, wie unlogisch ein Argument ist. Zum Beispiel: Ich kenne niemanden persönlich, der oder die am Coronavirus gestorben ist. Aber ich kenne auch niemanden, der oder die bei einem Autounfall ums Leben kam – und trotzdem ist ziemlich klar, Autounfälle können gefährlich sein. Das nennt man ein „parallel argument“, eine spiegelgleiche Argumentation, bei der man die Logik aus einem Themenbereich noch mal in einem anderen Themenbereich wiederholt und zeigt, wie unschlüssig das ist.
Der zweite Tipp: Manchmal hilft es auch, auf Anekdoten mit Anekdoten zu reagieren, weil die Anekdote greifbar ist. Und der Einsatz von Anekdoten ist durchaus fair, wenn die Anekdote die Gesamtstatistik widerspiegelt, wenn sie diese untermauert.
Ein Problem in dieser Debatte ist ja auch, dass in vielen Debatten die Grenze zwischen Meinung und Tatsachen verwischt wird. Das bringt mich zu Alexander Gauland. Er redet immer wieder den Stand der Klimaforschung klein, zum Beispiel hat am 18. September 2019 beim Wahlkampfauftakt der AfD in Thüringen gesagt: „Auch wenn Sie aus den Medien ständig etwas anderes hören: Es gibt keine gesicherten Erkenntnisse über eine durch den Menschen verursachte Erderwärmung, was es gibt, ist eine politisch motivierte Panikmache“.
Das ist falsch – genauer gesagt, das IPCC, die Fachgruppe von Klimaforschenden unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen, ist schon vor Jahren zum Ergebnis gekommen, dass die Erde heißer wird und dass mit 95 prozentiger Wahrscheinlichkeit der Mensch die Ursache davon ist. Gauland gibt hier den Stand der Forschung falsch wieder. Aber achten Sie darauf, was er genau sagt: Er sagt, es gibt keine „gesicherten“ Erkenntnisse. Das sind „impossible expectations“, also ziemlich schwer erfüllbare Erwartungen, die er da äußert: Weil die Wissenschaft, die gibt keine 100-prozentige Gewissheit, die gibt keine Wahrheit, sondern in der Regel beziffert sie Wahrscheinlichkeiten – und wenn die Klimaforschung von einer 95-prozentigen Wahrscheinlichkeit spricht, dann ist das für Forschung schon extrem viel. Mit dem Trick „mir persönlich sind noch nicht genug Daten da“ kann man jede Warnung aus der Forschung kleinreden. Das ist so wie wenn man aus dem Fenster fällt und Forschende warnen: „Achtung in zwölf bis 15 Sekunden prallen Sie auf dem Boden auf – und man antwortet: ‚Bitte melden Sie sich erst wieder, wenn Sie es genau wissen.“
Zeichnung von John Cook, siehe crankyuncle.com
Das ist aber nicht sonderlich lustig, weil in dieser Metapher sind wir, also wir uns unser Planet, diejenigen, die nach unten fallen. Weil es ein Sinnbild für die Erderhitzung ist. Diese Zeichnung stammt von John Cook, der ist Kognitionswissenschaftler, und viele dieser Begriffe „impossible expectations“, „anekdotische Beweisführung“, habe ich von ihm. Er ist nämlich spezialisiert auf die Frage, wie Wissenschaftsleugnung und auch unsinnige Argumente genau funktionieren. John Cook und andere Forschende vertreten den Ansatz, man soll rhetorische Tricks und auch wiederkehrende logische Fehlschlüsse Menschen erklären. Denn wenn man das bei einer Sache verstanden hat, kann man diese Fehlschlüsse auch in anderen Themengebieten erkennen. Diese Methode nennt sich „inocculation“, Inokkulation auf Deutsch. Die Idee ist, indem man solche rhetorischen Kniffe erklärt, baut man gewissermaßen Abwehrkräfte gegen unsinnige Argumente auf. Es ist wie eine rhetorische Schutzimpfung. Und ich empfehle wirklich sehr, die Webseiten und Online-Videos von John Cook anzusehen, weil er wirklich viele dieser rhetorischen Methoden sehr anschaulich macht. Ich habe ihn auch für mein Buch „Einspruch“ befragt, welches Tipps gibt für das Diskutieren in schwierigen Situationen. Er hat mir etwas Interessantes erzählt: „Es ist kognitiv harte Arbeit, solche Irrtümer zu dekonstruieren und zu identifizieren. Man muss gedanklich innehalten und intensiv über die Argumentation nachdenken. Das ist eine Fertigkeit. Es ist ähnlich, wie wenn man Akkorde auf der Gitarre lernt, man kann das wahrscheinlich in ein, zwei Stunden bewerkstelligen. Aber das Gitarrenspiel wirklich zu meistern, das kann Jahre dauern.“
Das Zitat zeigt, wie mühsam es ist zu diskutieren. Wie schwer es oft ist, die fehlende Logik eines Argumentes zu erkennen und dann anderen zu erklären. Aber mir gefällt besonders gut der Teil mit der Gitarre, weil es bedeutet auch: Diskutieren ist Übungssache. Die meisten von uns sind keine Naturtalente, auch ich nicht, aber man kann dazulernen. Das ist das Schöne. Wenn ich also merke, jemand bringt falsche oder umstrittene Behauptungen ein, wie kann ich reagieren? Was sind Möglichkeiten beim Antworten? Dazu ein Beispiel: Ich bin Journalistin und ich recherchiere immer wieder auf Coronademos.
Ich war zum Beispiel auf einer dieser großen Coronademos im August 2020 in Berlin und ich habe dort mit Menschen gesprochen, die für mich eher wie Durchschnittsbürger*innen wirkten. Warum sind die hier? Wie denken die über das Virus? Mir erzählte eine Frau, Mitte 50, Lehrerin aus Baden-Württemberg, einige Falschmeldungen. Und sie sagte dann auch, sie hat Sorge vor den PCR-Tests – also diese Tests, wo man häufig ein Stäbchen in die Nase geschoben bekommt, um zu schauen, ob man mit dem Virus infiziert ist. Und sie meinte, sie beunruhige diese Tests auch, weil „die dann meine DNA haben – was machen die damit“? Ich war ganz erstaunt und fragte nach: „Was glauben Sie denn, was mit ihrer DNA passiert?“ Und sie sagte wirklich ganz besorgt: „Ich weiß es nicht!“ Das finde ich so beeindruckend, dass die Frau nicht einmal einen konkreten Vorwurf formulierte, aber mal mit einer Frage den Vorwurf in den Raum stelltem es könnte etwas Böses sein.
Da sieht man, dass Fragen auch wie ein trojanisches Pferd sein können, in denen innen drinnen ein Vorwurf steckt. Im Englischen nennt man das eine „loaded question“, eine Frage, die eine kontroverse Behauptung in sich birgt. In der „Zeit“ hat die Journalistin Maja Beckers das mal in einem erstklassigen Essay beschrieben: Seine Unterstellungen (…) in eine Fragen zu gießen, heißt, sie weniger angreifbar zu machen. Wer fragt, kann kaum der Lüge überführt werden. Man fragt ja nur, und die Frage liegt jenseits von Kategorien wie wahr oder falsch“. Wichtig erscheint mir auch: Wer fragt, der oder die lenkt oft ein Gespräch.
Die Frage ähnelt einem Scheinwerfer, der dorthin leuchtet, worüber wir diskutieren wollen. Das ist auch eine Schwierigkeit, die ich mit vielen Talkshow-Themen habe, weil hier mit loaded questions kokettiert wird. Zum Beispiel fand am 5. Oktober 2020 die „Hart aber fair“-Sendung mit dem Titel „Streit um die Sprache: Was darf man noch sagen und was besser nicht?“ statt. Und im Untertitel hieß es dann noch: „Man darf nicht mehr alles sagen, warnen die einen und wittern Zensur! Die anderen meinen: Von wegen (…)! Wer hat Recht? Und wer zensiert da wen, grenzt aus, schafft Tabus und Verbote?“
„Wer zensiert da wen“, das ist eine loaded question, die gedanklich bereits die Idee aufnimmt, es gäbe eine Zensur, es gäbe Verbote. Man kann natürlich so etwas fragen, aber damit lenkt man die Debatte in eine gewisse Richtung. Und irgendein armer Mensch muss dann in dieser Talkshow zum x-ten Mal erklären, dass Kritik keine Zensur ist, dass Widerspruch nicht bedeutet, dass von jemandem die Meinung eingeschränkt wurde. Ganz im Gegenteil: Meinungsfreiheit bedeutet, dass andere einem auch widersprechen können.
Fragen sind rhetorische Instrumente, die den Scheinwerfer der öffentlichen Debatte wohin lenken. Wenn man die Macht des Fragestellens verstanden hat, fängt man mehr und mehr an, darüber nachzudenken: In unserer öffentlichen Debatte, welche Fragen diskutieren wir und welche sollten wir mehr diskutieren?
Fragen können zum Nachdenken bringen – Illustration von Marie-Pascale Gafinen
Aber nicht nur in der öffentlichen Debatte ist dieses Achten auf Fragen wichtig, auch im persönlichen Gespräch ist Fragenstellen ein wertvolles Instrument. Es ist manchmal effizienter als das Dagegenhalten. Ein Beispiel: Der Vater einer Bekannten von mir glaubt an ziemlich viele Verschwörungserzählungen. Er schickt seinen erwachsenen Kindern Artikel von Webseiten, die behaupten, die Klimakrise gäbe es gar nicht oder Donald Trump sei ein Held, der gegen irgendeine dunkle Elite kämpft. Eigentlich ist der Vater meiner Bekannten Sozialdemokrat, aber was er seit ein paar Jahren erzählt, das ist mehr von einer rechten Drohkulisse geprägt. Auch der Wissenschaft misstraut er regelrecht. Und meine Bekannte merkte in der Coronakrise, dass ihr Vater begonnen hatte, Chlordioxid verdünnt mit Wasser zu trinken. Das ist ein Bleich- und Desinfektionsmittel. Ihr Vater meint, das schütze vor dem Coronavirus. Achtung: das ist eine Falschmeldung. Es ist zutiefst gefährlich, Bleich- oder Desinfektionsmittel zu trinken, damit kann man den Körper von ihnen verätzen. Es gibt ein super Video von maiLab, das das erklärt: Auf jeden Fall ist es schwer, dem Vater zu kontern, weil er sehr eloquent ist und auch sehr überzeugt. Meine Bekannte erzählte: Das einzige Mal, wo er nur ansatzweise ins Zweifeln gekommen ist, war der Moment, als ihre Schwägerin ganz einfach nachfragte. Sie stellte Fragen wie: Wie kommst du zu diesem Schluss? Warum glaubst du, machen die das? Und durch das respektvolle Nachfragen kann er mit seiner eigenen Argumentation regelrecht ins Stottern. Das heißt nicht, dass er daraufhin seine Weltsicht überdacht hat, nein, aber es war ein interessanter Moment, weil er doch kurz stutzig wurde. Ich erzähle das in meinem Buch genauer, aber ich denke:
Die Frage ist kein Wundermittel. Nur wenn ich merke, in einer Diskussion stoße ich an, Fakten prallen ab, kann ich überlegen, mit Fragen die Dynamik zu ändern. Zu fragen: Woher hast du das? Warum glaubst du gerade dieser Person? Womöglich ist es für Menschen manchmal leichter, sich solchen Fragen zu stellen als Argumenten, die ihnen widersprechen. Das funktioniert natürlich nicht immer. Es braucht dafür ein Gegenüber, das noch ansatzweise bereit ist, sich solchen Fragen zu stellen, aber manchmal ist die Frage ein gutes Instrument, um gemeinsam mit Gegenüber über auch die Unschlüssigkeit einer Erzählung näher zu beleuchten. Das ist übrigens die Methode des sokratischen Dialogs, wo Fragen auf ein Erkenntnisgewinn zu steuern.
Strategisches Diskutieren bedeutet für mich, dass man sehr stark überlegt, welche Debatten sind meine Zeit wert?
Side-step: Die Nachfrage ist generell ein super rhetorisches Instrument, wenn man zum Beispiel erzählt bekommt, alle Coronatests seien eine Fälschung, und fragt: „Woher haben Sie diese Information?“ Dann ist es interessant zu hören, welche Quellen eine Person konsumiert – das ist oft eine relevante Information. Aber wenn man nachfragt und das Gegenüber dann antwortet, gewinnt man auch ein paar Sekunden Zeit, um die eigenen Gedanken zu sortieren und zu überlegen: „Moment, was wollte ich eigentlich gerade sagen?“
Strategisches diskutieren bedeutet für mich, dass man beim Diskutieren nicht auf jede Äußerung aufspringt, bloß weil sie einen aufregt. Strategisches Diskutieren bedeutet für mich, dass man sehr stark überlegt, welche Debatten sind meine Zeit wert? Und das muss jeder und jede für sich selbst entscheiden, aber in meinen Augen gibt es zwei Felder, da wird Diskutieren Menschen oft wichtig. Erstens, wenn es um Personen geht, die ich liebe, die mir wichtig sind, die ich argumentativ erreichen möchte. Und zweitens, wenn es vielleicht Themen gibt, die ich gesellschaftlich relevant finde. Das können Wissenschaftsthemen sein, wo ich Fakten verständlich machen möchte – Klimathematik, Impfungen. Das können auch politische Fragen sein, bei denen ich beispielsweise Zivilcourage zeigen möchte – zu Rassismus, Sexismus, Klassismus.
Es gibt viele gute Gründe zu diskutieren. Ich halte es nur wichtig, für sich selbst zu definieren, was sind diese Gründe. Und dann auch näher anzusehen, wenn das mein Anliegen ist, wo kann ich am meisten dafür in der Diskussion bewirken? Denn die Gefahr ist mitunter, dass man dort diskutiert, wo man sich am meisten aufregt, und nicht unbedingt dort, wo man eine Chance auf Gehör hat. Mich hat zum Beispiel ein Journalist mal gefragt, ob man auf Coronademos gehen soll, um dort zu diskutieren. Ich habe gemeint, ich würde das eher nicht empfehlen, weil man dort wenig Chancen hat, dass man etwas bewirkt – weil man ist dort ein Fremdkörper, man hat wahrscheinlich keine persönliche Basis, zu den Leuten, die man dort trifft. Da erscheint es mir sinnvoller, zu überlegen, habe ich in meinem Bekanntenkreis jemanden, der oder die auch für solche Narrative empfänglich ist? Dort, wo ich eine persönliche Beziehung habe, kann ich manchmal etwas leichter ins Gespräch kommen – nicht immer, aber es lohnt sich zu überlegen, wo ist meine Zeit besonders gut investiert.
Auch für das konkrete Gespräch ist es sinnvoll, sich Ziele zu setzen. Das Problem ist, dass wir häufig uns das schwierigste Ziel setzen: Wir wollen überzeugen. Aber überzeugen klappt manchmal gar nicht, oder es klappt, kann aber eine längere Zeit brauchen. Da ist es sinnvoll, sich erreichbare Ziele zu setzen: Zum Beispiel mit Fragen Zweifel beim Gegenüber zu nähren oder sich zum Ziel setzen, ein Thema mal gründlich auszudiskutieren und darauf zu achten, dass nicht ständig vom Thema zu Thema gehüpft wird. Auch das kann schon wertvoll sein. Indem man sich erreichbare Ziele setzt, ist Diskutieren weniger frustrierend. Und man hat auch Etappenerfolge.
Ein abschließender Tipp: Wenn ich weiß, mir steht eine schwierige Debatte bevor, weil ich auf einem kontrovers besetzten Podium über Migration sprechen muss, oder weil ich am Wochenende den Onkel treffe, der immer Impfmythen von sich gibt, dann ist eine Sache auch sinnvoll. Überlegen Sie sich, was sind Ihre zwei oder drei stärksten Argumente? Weil gerade in erhitzten Debatten ist die Gefahr groß, dass man sich verzettelt, dass man ständig provokante Meinungen zurechtrückt oder dass man falsche Aussagen kontert. Dass man sagt: „Nein, Impfungen dienen nicht dazu…“ Und dann ist eine halbe Stunde vorbei, man hat recht viel Zeit investiert, aber das Gefühl, man hat sich nicht verständlich gemacht. Gerade in erhitzten Debatten besteht die Gefahr, dass man auf Provokationen reagiert und dann thematisch sehr fremdbestimmt diskutiert.
Deshalb ist mein letzter Tipp – wenn ich ich kommen sehe, dass eine Debatte aufwühlend sein wird, dann ist die Frage, was will ich auf jeden Fall gesagt haben? Ein Beispiel von mir: Mir ist das Thema Impfungen wichtig. Das hat mehrere Gründe, einer davon ist: Ich bin als Kind in der Nacht aufgewacht und habe keine Luft mehr bekommen. Ich hatte eine Epiglottitis, eine sogenannte Kehldeckelentzündung. Ich habe meine Eltern wachgerüttelt, weil ich konnte auch nicht mehr schreien, ich bekam keine Luft. Zum Glück ist mein Vater Arzt, hat sofort gecheckt, was los ist. Er hat mich eingepackt, rasch ins Krankenhaus geführt, ich wurde intubiert und ich habe das überstanden. Damals war Epiglottitis eine häufige Kinderkrankheit, weil als ich ein Baby war, da gab es noch keine Impfung dagegen. Sie wurde dann ein paar Jahre später erfunden, die sogenannte HIB-Impfung. Und ich finde das sehr beeindruckend, dass es mittlerweile die Chance gibt, Kinder besser davor zu schützen, dass sie nicht in der Nacht aufwachen und keine Luft bekommen. Das ist für mich der Wert von Impfungen. Ich habe das so ausführlich erzählt, weil es mir erstens ein Anliegen ist, aber zweitens, auch um zu zeigen, es lohnt sich manchmal etwas auszuführen. Es ist eine Anekdote, aber sie spiegelt auch die Gesamtstatistik wieder. Es gibt Studien, die aufzeigen, dass nach Einführung der HIB-Impfung diese Kinderkrankheit maßgeblich zurückgedrängt wurde. Hier spiegelt die Anekdote die größere Statistik wider. Das war jetzt eine längere Ausführung, aber ich halte es für wichtig, sich beim Diskutieren diesen Raum auch zu nehmen ¬– auf eine Sache eingehen und die erklärt man wirklich. Das ist ein Teil des strategischen Diskutierens für mich – in erhitzten Debatten darauf zu achten, dass man die eigene Position mindestens einmal genügend erklärt. Denn die Gefahr besteht, dass man am Ende viel diskutiert und sich wenig verständlich gemacht hat. Wenn eine Debatte stark von Provokationen geprägt, von Nebelgranaten übersät ist, dann ist es manchmal sogar ein Erfolg, wenn man eine Sache – diese eine Sache dafür aber richtig – erklärt hat.
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Dieser Vortrag war Teil der re:publica 21, die dieses Jahr digital stattfand. Hier findet man das YouTube-Video. Die Zeichnung stammt von Marie-Pascale Gafinen, die für mein Buch “Einspruch” schöne und auch unterhaltsame Illustration beisteuerte!
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Mich würde interessieren, wie es dir in und nach den 2 Wochen gegangen ist.
Aus dem Falter wissen ja alle, dass du dein Handy mit ins Bett nimmst ...
Gute Frage! Grundsätzlich war es angenehm, ich habe auf meinem iPhone den Mail-Account gelöscht, hatte gar nicht das Bedürfnis, all die eintreffenden Mails zu lesen. Doch dann habe ich selbst gegen mein Sabbatical verstoßen: Während der Feiertage hat sich bei mir etwas Privates ereignet und ich wollte meine Kollegen diesbezüglich verständigen. Nur was tun? Jeden einzelnen anrufen? An alle ein SMS? Mir schien E-Mail die beste Kommunikationsform und schließlich habe ich dann gemailt. So ganz habe ich mein Sabbatical also nicht eingehalten, aber trotzdem zwei Dinge gelernt: 1.) Es ist eine gute Idee, den Mail-Empfang am iPhone während des Urlaubs zu deaktivieren - das werde ich weiterhin machen. 2.) Ganz auf E-Mail zu verzichten, ist aber gar nicht so leicht, vor allem wenn man selbst einen großen Mitteilungsdrang hat. Mir ging eher das Mail-Versenden als das Mail-Empfangen ab...
OK. Das heißt ja wohl, dass du nur auf die Mails verzichtet hast. ;-)
Musste den Artikel noch mal lesen, um das zu verstehen. Dass heißt, du hast dich nur auf das "normale" Urlaubslevel runtergesetzt. Ich dachte, du willst es OHNE Internet schaffen. Sprich: OHNE Mail, OHNE Surfen, OHNE Online-Spiele - OHNE Internet eben.
Das hast du dir zu einfach gemacht, finde ich. Und dann nicht mal ganz eingehalten.
Ingrid ich habe heute leider kein Foto für dich ...
Interessanter Einwand - aus meiner Sicht habe ich das weggelassen, was mich während des Urlaubs am meisten stört (eben, dass ich trotzdem ständig E-Mails checke). Aber wenn ich zwischendurch nach einem guten Lokal google oder online einen Routenplan suche, stört mich keine Sekunde lang. Im Gegenteil: Ich würde es als extreme Benachteiligung empfinden, wenn ich in meiner Freizeit darauf verzichten müsste.
Natürlich kann man's auch so sehen, dass das nur ein Schmalspur-Sabbatical war. Den echten Offline-Test haben schon andere gemacht, zum Beispiel Alex Rühle für sein Buch "Ohne Netz". http://www.falter.at/web/shop/detail.php?id=33075&SESSID= Aber schauen wir mal, vielleicht wage ich mich doch noch über eine echte Auszeit drüber. Bisher verspüre ich jedenfalls nicht den Drang, das Internet gänzlich abzudrehen...
Da kommt also ein Gerät heraus, welches kleiner und leichter ist, doppelt so viel Prozessorleistung bietet, eine 9x schnellere Grafik, ein verbessertes Display, einen FullHD-Ausgang für externe Präsentationen und die Nachrüstung der viel bemängelten Kameras. Und das ist dann keine Innovation. Alright.
Ja, das ist eine Verbesserung, aber noch keine Innovation. Etwas anderes zu behaupten, ist echt gewagt.
11. Gebot - Du sollst Apple nicht kritisieren.
neuer Link für Conan O'Brien
http://teamcoco.com/content/apple-employees-can%E2%80%99t-help-gloat-about-new-ipad
Falls dich die Details interessieren sollten:
http://imgur.com/BghEN
Interessant, Danke für den Link! Diese komischen Geräusche hatten also einen Grund...
Und genau da liegt das Problem fuer
Wenn sich Werbepreise fuer Online Ads den Offline Ads, also Zeitungsinseraten, annaehern wuerden, waere die ganze Geschichte auch ohne Paywall finanzierbar. Denn zieht man bei einer Zeitung die Druckkosten und die Lieferkosten ab, bleibt unterm Strich auch nichts mehr uebrig (oder noch weniger). Zwar wird von den Werbeagenturen immer mehr Geld vom offline ins online advertising verschoben, doch hat das in den letzten Jahren nicht den erhofften Preisanstieg gegeben. Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass 15 Dollar pro User nur durch on page advertising praktisch nicht erreichbar sind. Selbst wenn die NYT pro 1000 aufgerufenen Seiten 10 Dollar bekommt (was derzeit eh nicht realistisch ist, eher 1/3 - 1/10 davon), muesste ein User 1500 Seiten pro Monat aufrufen um damit auf 15 Dollar zu kommen.
Andererseits stellt sich die Frage wie lange es dauern wird um den Aufwand, der die Implementierung und Wartung einer Paywall mit sich bringt, mit Abos zu finanzieren.
Ich bin auf jeden Fall gespannt wo das in den naechsten Monaten/Jahren hinfuehren wird :-)
Danke für den spannenden Einblick in die Zahlen! Was ich mich frage: Ist es realistisch, dass sich die Onlinewerbepreise irgendwann den Offlinepreisen angleichen? In den letzten Jahren ist das ja leider nicht passiert.
Im App-Store von Apple kommt übrigens ein neues Problem für die Zeitungshäuser hinzu: Da kassiert Apple 30 Prozent des Umsatzes ein, dazu gibt's auch wieder heftige Debatten (siehe zB http://www.tagesschau.de/wirtschaft/apple142.html).
Darauf kann man natuerlich nicht pauschal mit ja oder nein antworten. Da erstens die Werbeformen sowohl offline als auch online zu verschieden sind. Wenn man online Werbung auf Zeitungsportalen mit Zeitungsanzeigen vergleicht, wuerde ich eher dazu tendieren und "nein" zu sagen. Unterm Strich wird wohl in den naechsten Jahren immer noch mehr mit Zeitungsanzeigen zu holen sein. Doch koennen gewisse Online Kampagnen natuerlich ueber den offline Preisen liegen. Wenn zB gezielt Werbung fuer eine gewisse Zielgruppe geschaltet wird ("nur die 25-35 jaehrigen, alleinstehenden Maenner mit Sportwagen") sind die Preise dementsprechend hoeher.
Ich moechte auch noch anmerken, dass die Zahlen, die ich oben geschrieben haben nicht die wirklichen Zahlen der NYT sind. Es sind lediglich Schaetzungen aufgrund meiner Erfahrungen (beschaeftige mich seit 2001 mit Online Werbung und die Preise sind seither stetig gesunken - Ende 90er Jahre waren die Preise am ehesten mit Offline Preisen zu vergleichen). Darueber hinaus bin ich mir ziemlich sicher, dass die NYT bessere Preise fuer Online Kampagnen erzielt als irgendein 08/15 Blog. Trotzdem sind die Preise im Keller, auch wenn die NYT einen 50-fach hoeheren Preis bekommt :-)
Zu apple: der von dir verlinkte Artikel ist leider etwas einseitig geschrieben. Kurz die Gegenseite: Das mit den 30% stimmt. Allerdings nur fuer "neue" Kunden, also Kunden, die ueber die App angeworben wurden. Es steht jedem Verlag frei, ausserhalb des App Stores Abos zu verkaufen (die dann natuerlich auch innerhalb der App genutzt werden koennen). Fuer solche Verkaeufe bekommen die Verlage dann 100%. So das Argument von Apple.
Natuerlich sitzt der Dollar lockerer wenn man in der App ist, die Zahlungsdaten hinterlegt sind und man nur noch auf "abonnieren" druecken muss. Das weiss Apple natuerlich auch ...
Warum ich es schrecklich und unverständlich finde, dass so viele Leute so viel Geld für Dreckjournale ohne Wert ausgeben, während niemand für echten Journalismus zahlen will:
http://karinkoller.wordpress.com/2011/03/26/dinge-die-wir-hassen-frauenzeitschriften/
Selbstredend gibt nichts dagegen zu sagen für die NYT zu zahlen. Vielleicht nur, dass wir in seltsamen medialen Zeiten leben, wenn eine Journalistin eine Art Rechtfertigung dafür postet. Es ist aber auch mehr als nur "für guten Journalismus" zahlen - es ist ein Commitment zur Marke, zum Medium und wahrscheinlich eine Art Freude über das implizite Bildungsversprechen einer Zeitung wie die New York Times. Und unterstreicht den Mangel an solchen Angeboten in Österreich. Was ein derartiges Commitment zu geben zur Zeit schwer macht, ist die schiere mediale Vielfalt am Bildschirm. Ein zunehmend diffuser gewordenes Angebot, die oft zitierte mediale Herausforderung. Tageszeitung lesen, Magazine rezipieren und sich dann um die Feeds kümmern. Welches Medium greife ich heraus, um es finanziell zu unterstützen? - NYT, SZ, NZZ, FAZ,...,....,....,....,.....,...,....,....,....,.....,,...,....,....,....,.....,,...,....,....,....,.....,,...,....,....,....,.....,,...,....,....,.Glückwunsch, wenn man hier klar sieht und für sich zu einer Entscheidung kommt. Unglücklich hingegen finde ich die Formulierung "guter Journalismus". Was das ist, ist stets persektiven-abhängig und kommt meist oberlehrerhaft herüber. Ob die Strasser-Aufdeckung etwa ein Beispiel für "guten Journalismus" ist, halte ich etwa für dikussionswürdig - Büros mieten, Politiker in Versuchung führen usw. Eine Top-Story allemal. Aber "guter Journalismus". Naja, für mich verwunderlich. Aber egal. Schönes Wochenende.