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„Wir brauchen Leistungsdruck“

ÖVP-Wissenschaftsministerin Beatrix Karl über die Generation Praktikum, ihren Ruf als Liberale und den kleinen Unterschied zwischen Männern und Frauen

Beatrix Karl gilt als Liberale, kommt selbst von der Uni und wird nächste Woche wieder mitten im Rampenlicht stehen. Am 11. und 12. März findet in Wien und Budapest der große Bologna-Gipfel statt. Die ÖVP-Wissenschaftsministerin weiß aber nur zu gut, dass viele Studenten zu Recht wütend sind. Sie spricht über die Verfehlungen bei Bologna und die unfairen Anforderungen an Jungakademiker.

Falter: Frau Ministerin, mussten Sie jemals bei einer Vorlesung am Boden sitzen oder vor der Tür draußen stehen?

Beatrix Karl: Ich habe Rechtswissenschaften in Graz studiert, das war schon damals ein Massenstudium. Dass ich jemals vor der Türe war, daran kann ich mich nicht erinnern. Aber die vollen Hörsäle kenne ich sehr wohl.

Immer mehr Studenten haben weniger Geld und müssen nebenher arbeiten. Wie sehen Sie diesen Leistungsdruck?

Karl: Wir brauchen einen gewissen Leistungsdruck. Unsere Absolventinnen und Absolventen sollen ja hochqualifiziert sein. Mit Sicherheit hat aber der Druck aus der Arbeitswelt zugenommen, Stichwort Generation Praktikum. Früher war es egal, wie lange man studiert hat. Bei den heutigen Jobausschreibungen ist am besten, man wurde in Mindestzeit fertig, hat fünf Sprachen gelernt und einige Auslandsaufenthalte vorzuweisen. In der Praxis geht das aber nicht.

Die Uni macht es ihren Studierenden nicht leicht, im Eiltempo zu studieren.

Karl: In den Massenstudien ist es tatsächlich schwierig. Zum Beispiel, wenn es Wartelisten gibt oder man in Seminare nicht mehr hineinkommt. Zugleich haben wir aber viele Studienrichtungen ohne überfüllte Hörsäle.

Deswegen wollen Sie eine Studienplatzbewirtschaftung: Die Zahl der Studienplätze soll festgeschrieben werden, und pro Studienplatz gibt es eine fixe Summe für die Uni.

Karl: Da geht es um die Frage, wie wir künftig die Universitäten finanzieren sollen. An den Fachhochschulen haben wir mit der Studienplatzfinanzierung sehr gute Erfahrungen gemacht, derzeit diskutieren wir das im Rahmen des Hochschuldialogs.

Die Wirtschaftsuniversität hat etwa 24.000 Studierende. Könnte beim Hochschuldialog herauskommen, dass es nur mehr 15.000 sein sollen?

Karl: Das wäre jetzt zu weit vor-gegriffen.

Aber Studienplatzbewirtschaftung heißt für Sie auch weniger Studierende in manchen Fächern?

Karl: Darauf kann es hinauslaufen.

Ist es nicht falsch, irgendein Fach zu begrenzen? Immerhin hat Österreich nur eine Akademikerquote von 18 Prozent, weit unter dem OECD-Schnitt.

Karl: Mein klares Ziel ist es, die Akademikerquote zu erhöhen. Aber: Mehr Studierende führen nicht zwangsläufig zu mehr Akademikern. Gerade in den Massenstudien haben wir viele Drop-outs. Vergleichen Sie etwa das Medizinstudium einst und heute: Vor den Aufnahmeprüfungen hörten rund 50 Prozent auf, heute sind es nur mehr fünf Prozent.

Wie wollen Sie mehr Akademiker bekommen?

Karl: Indem wir die Drop-out-Quoten senken. Da müssen wir bereits bei der Studienwahlentscheidung ansetzen. Viele denken zu wenig darüber nach, was sie studieren sollen, werden zu wenig in der Schule damit konfrontiert. Es kann nicht sein, dass 60 Prozent der Studienanfänger in bloß zehn Prozent der Fächer gehen. Wie es in diesen Fächern dann aussieht, können Sie sich vorstellen.

Nicht jeder will Atomphysiker werden.

Karl: Wir wollen auch nicht alle zu Atomphysikern machen. Aber Sie sprechen etwas Wichtiges an: Man muss die Neugierde für Naturwissenschaften schon früh bei den Kindern wecken.

Die Studierenden klagen über zu wenig Wahlfreiheit im Studium. So wurden etwa die freien Wahlfächer abgebaut. Widerspricht das nicht dem Geist der Universität?

Karl: Mit dieser Beschränkung bin ich auch nicht einverstanden, die Studierenden sollen Wahlmöglichkeiten haben. Ich werde mit den Verantwortlichen sprechen. Die Studienpläne werden ja von den Universitäten erstellt.

Als Ministerin können Sie nicht nur Gespräche führen, sondern das auch gesetzlich vorschreiben.

Karl: Die Universitäten sind autonom, eine gesetzliche Änderung strebe ich derzeit nicht an. Zuerst will ich mit den Verantwortlichen nach Lösungen suchen.

Bald findet der Bologna-Gipfel statt. Es hagelt Kritik an Bologna. War die Vereinheitlichung des europäischen Hochschulraums ein Fehler?

Karl: Die Bologna-Idee ist sehr gut. Die Mobilität der Studierenden soll gefördert werden, sie sollen dadurch bessere Chancen bekommen. Auf nationaler Ebene sind aber eine Reihe von Umsetzungsfehlern passiert. Nun geht es um die Weiterentwicklung.

Was lief falsch?

Karl: Teilweise wurde in die Bachelorstudien zu viel Inhalt hineingepfercht. Man kann nicht acht Semester Diplomstudium in sechs Semester Bakkalaureat hineinpressen. Auch wurden Wahlfächer gestrichen, das ist nicht kreativ.

Würden Sie jungen Menschen raten, nur bis zum Bachelor zu studieren? Viele glauben, dass sie dann schlechte Chancen am Arbeitsmarkt haben.

Karl: Das erinnert mich an die Umstellung im Jusstudium. Früher erhielten Juristen sofort das Doktorat – ohne Dissertation. Dann wurde der Magister eingeführt, es gab helle Aufregung. Die Rechtsanwaltskammer meinte: Ein Magister kann nicht Rechtsanwalt sein. Mittlerweile ist das aber ganz normal, und so wird das auch beim Bachelor sein. Dieser akademische Abschluss wird in der Arbeitswelt anerkannt werden.

Noch ist es aber nicht so. Verstehen Sie die Skepsis vieler Studenten?

Karl: Ja. Auch weil der Bachelor im öffentlichen Dienst noch nicht voll anerkannt ist. Mein Vorgänger wollte das ändern. Hier sehe ich auch die zuständige Beamtenministerin Heinisch-Hosek (von der SPÖ, Anm.) gefordert.



Nun sind Sie seit fünf Jahren in der Politik. Sie liefen nicht durch die Kaderschmieden wie die Junge Volkspartei. Wie wurden Sie politisch sozialisiert?

Karl: Mein Großvater und mein Vater waren Bürgermeister, da bekommt man politisches Denken hautnah mit. Mich hat die Politik aber nicht so fasziniert, dass ich selbst aktiv geworden wäre. Zuerst war mir mein beruflicher Werdegang wichtig: Studium, Dissertation, Habilitation. Dann interessierte ich mich immer mehr für Sozialpolitik. Als Arbeits- und Sozialrechtlerin kann man Recht und Politik nicht immer zur Gänze trennen.

Sie reden gerne über Frauenförderung an den Universitäten.

Karl: Wir haben Gott sei Dank sehr viele weibliche Studierende. Aber für Frauen wird die Luft immer dünner, je höher es nach oben geht. Das hat verschiedene Gründe. Einerseits die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die Wissenschaft ist kein Job, bei dem ich zwischen acht und 16 Uhr forsche und dann den Bleistift fallen lasse. Deswegen wären Kinderbetreuungseinrichtungen mit flexiblen Öffnungszeiten an allen Universitäten wichtig.

Und die anderen Gründe, warum so wenig Frauen forschen?

Karl: Das sind oft kleine Unterschiede. An einem Institut mit weiblichen und männlichen Assistenten bleibt das Administrative meist bei den Frauen hängen. Männer widmen sich mehr der Forschung, schaufeln sich frei. Das ist wichtig: Man muss dranbleiben und sich einem Forschungsprojekt über einen Zeitraum fast ausschließlich widmen können.

Was halten Sie von einer Quote?

Karl: Wir haben im Universitätsgesetz bereits eine 40-Prozent-Frauenquote.

Allerdings nur für die Uni-Gremien, wo wieder administrative Aufgaben für Frauen anfallen. Was halten Sie von einer Quote bei den Professoren?

Karl: Ich bin keine große Quotenanhängerin, und Quoten allein sind zu wenig. Derzeit bin ich noch dabei, mir einen Überblick über mögliche Maßnahmen zu verschaffen. Im Ministerium haben wir auch Förderprogramme dafür.

Sie gelten als Liberale. Wie liberal sind Sie wirklich?

Karl: Diese Frage kann ich so allgemein kaum beantworten.

Beispiel Adoptionsrecht für Homosexuelle. Sind Sie dafür?

Karl: Nein. Ich finde die eingetragene Partnerschaft gut, aber ein Adoptionsrecht geht zu weit. Unsere Gesellschaft ist noch nicht bereit dafür.

Sehen Sie sich überhaupt als Liberale?

Karl: Eher schon.

Sie hören sich mehr wie eine Pragmatikerin als eine Ideologin an.

Karl: Ja, ich habe keine politische Vergangenheit, sondern bin eine Quereinsteigerin. Daher würde ich mich eher als Sachpolitikerin bezeichnen, weniger als Ideologin.

Was haben Sie in fünf Jahren Politik gelernt?

Karl: Dass Politik anders funktioniert als Wissenschaft. Von der Wissenschaft bin ich gewohnt, mich in Themen einzuarbeiten. Die Politik ist schnelllebiger. Wenn Journalisten anrufen, kann ich nicht sagen: „Ich muss mich jetzt einlesen, fragen Sie mich in drei Tagen wieder.“ Da wird nicht gewartet.

Derzeit warten die Studierenden, was beim Hochschuldialog herauskommt. Können Sie ihnen garantieren, dass sich etwas ändern wird?

Karl: Ich erwarte mir beim Hochschuldialog Empfehlungen, und die werden dann auch politisch relevant sein.

Aber geben Sie eine Garantie?

Karl: Garantie, Garantie. Ich kann nicht garantieren, welche Maßnahmen kommen, ich habe auch einen Koalitionspartner. In einigen Punkten bin ich aber mit den Studierenden auf Linie, etwa bei der Umsetzung von Bologna. Und dann gibt es Themen, wo wir unterschiedlicher Meinungen sind. Aber ich denke, das ist normal so.


Dieses Interview ist im Falter 09/10 erschienen. Fotos: Heribert Corn

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  • Ich finde an den drei Beispielkomentaren nichts verwerfliches.

    Für freie Meinung und gegen Neusprech!!!

  • Ich verstehe das Problem mit den Beispiel-Kommentaren leider auch nicht. Das Problem ist anscheinend doch eher der Inhalt, nicht die Form. Wären im Kommentar #1 böse Polizisten gemeint gewesen, wäre wahrscheinlich alles in Ordnung.

    Spannender finde ich folgende Frage: Welcher der folgenden Kommentare ist denn nun ein Hass-Kommentar?

    a) Asylanten sollten sofort, ohne wenn und aber, wieder abgeschoben werden!

    b) Dem Polizisten, der mit Pfefferspray auf die Demonstranten losgegangen ist, sollte man selbst mal eine ordentliche Ladung ins Gesicht verpassen.

    c) All cops are bastards!

  • Ich denke, dass das Einstellen eines einzelnen Community-Managers, der nach seinen eigenen bzw. nach redaktionell vorgegebenen Moralvorstellungen die Nutzerkommentare zensiert, nicht der richtige Weg sein kann. Zu empfehlen wäre da eher, auf eine andere Technologie zurückzugreifen, die eine Regulierung durch die Community selbst ermöglicht - quasi durch Mehrheitsentscheid. Ein gutes Beispiel hierfür liefert momentan das Portal YouTube, in dem die Möglichkeit besteht, jeden einzelnen Kommentar als positiv oder negativ zu bewerten. Ab einer gewissen Anzahl negativer Bewertungen wird ein Kommentar standardmäßig ausgeblendet (und nicht gelöscht!) - man muss ihn explizit wieder einblenden, falls man neugierig darauf sein sollte, warum er geschmäht wurde. Nach meiner Beobachtung funktioniert dieses System recht gut und wird von der YT-Nutzergemeinde durchaus gerne in Anspruch genommen. Außerdem stellt es einen Kompromiss zwischen Zensurbefürwortern und -gegnern dar.

  • Bei vielem im Artikel möchte ich zustimmen, aber eine Befürchtung bleibt: Zu viel Kontrolle. Zum Beispiel Foren mit einer Vorab-Moderation finde ich persönlich unbenutzbar. Auch zu strenge Nettiquette, wie Spiegel-Online-Foren, wo wohl das siezen gefordert wird (Leute, wirklich?) sind ein Hinderungsgrund. Und eine Zwangsregistrierung erst Recht. Dafür muss man die Seite schon sehr oft besuchen, dass sich das lohnt. Um gelegentlich mal einen interessanten Blogartikel durch einen Tipp zu ergänzen werde ich mir bestimmt keinen Account anlegen.

  • Hi, mich beschleicht oft das Gefühl Internetforen werden zum Abreagieren verwendet. In der "offline" Welt leiden viele Menschen an Harmoniesucht. Man möchte Freunde nicht verunsichern oder gar verärgern. Also spielt man eitle Wonne, geht nach Hause und lässt Dampf ab beim Beschimpfen von Fremden.
    Andererseitsss sind Regeln wie: „Dont feed the Troll“ schon recht alt, werden aber nicht immer befolgt. Hier müssen die Nutzer noch erwachsen werden. Youtube bietet dafür mit dem Ausblenden von stark negativ bewerteten Kommentaren eine Hilfe an. Bei einigen Themen wie Sexismus, Ausländerhass etc. ist ignorieren nicht ausreichend. Hier müssen die Nutzer die nötigen Werkzeuge erhalten um solch einen Hassposter zu melden, auszublenden. An einer Moderation kommt man dann natürlich nicht mehr vorbei. Moderatoren lassen sich aus der Community rekrutieren.

    Guter Artikel, alles Gute beim Buch!

  • Der Artikel spricht mir aus der Seele. Besonders gefällt mir, dass das Problem von Hasskommentaren mal thematisiert wird, ohne einer Klarnamenpflicht das Wort zu reden. Denn für ano- oder pseudonymes Posten gibt es diverse Gründe, viele davon völlig legitim. Außerdem löst eine Klarnamenpflicht, wie Sie das ja schon im vorangehenden Beitrag dargelegt haben, das Problem überhaupt nicht. Das ist in dem Zusammenhang einfach eine Scheindebatte.

    Sehr wertvoll fand ich auch den Hinweis darauf, dass es eine wichtige Rolle spielt, ob und wie die Autor_innen des kommentierten Artikels sich an der Diskussion beteiligen.

    In einem Punkt greift mir der Artikel aber etwas zu kurz, nämlich wenn das Problem auf die Form der Kommentare reduziert wird, unabhängig vom Inhalt. Die Form ist sicherlich ein großes Problem, und die meisten Meinungen kann man auch ohne hate speech vortragen. Es gibt aber auch Meinungen, die an sich hasserfüllt sind. Um ein besonders klares Beispiel zu nehmen: Wenn jemand der Meinung ist, alle Homosexuellen sollten getötet werden - dann kann er_sie das so sachlich und unaufgeregt formulieren wie nur möglich (also wie ich das in dem Beispiel grade getan habe), es bleibt eine zutiefst hasserfüllte Botschaft.

    Ich bin also der Meinung, dass Foren und Kommentarspalten keineswegs allen Meinungen Platz einräumen sollten, genausowenig wie allen Formulierungen. (Das bezieht sich natürlich auf Portale mit dem entsprechenden Anspruch; pi oder Krone haben halt das Publikum, das zum redaktionellen Inhalt passt.) Nicht alles, was generell gesagt werden darf - strafrechtlich sind der Meinungsfreiheit zum Glück nur seeehr weite Grenzen gesetzt - muss auch überall gesagt werden dürfen.

    Problematisch ist natürlich die Grenzziehung, wofür es sicher kein Patentrezept gibt. Da ist auch die Selbstdisziplin von Blogger_innen und Redaktionen gefragt; positive und kritische Kommentare sollten unbedingt nach den gleichen Kriterien behandelt werden. Auf jeden Fall bin ich für größtmögliche Transparenz, d.h. es sollte so gut wie möglich allgemein dargelegt werden, was akzeptabel in Kommentaren ist und was nicht. Im Sinne der Transparenz bin ich auch eher dafür, Hasskommentare nachträglich zu löschen, als Kommentare von vornherein erst nach Prüfung freizuschalten. Dann können User_innen nämlich ab und an sehen, was gelöscht wird und was nicht.

    Eine Halde für gelöschte Kommentare nach Vorbild von hatr.org fände ich auch gut. Dann kann man nämlich sehen, ob tatsächlich nur Hasskommentare gelöscht werden oder generell missliebige Meinungen und sanfte Polemiken. Außerdem bleibt so die Freakshow an einem sicheren Ort erhalten. Daraus lassen sich ja auch wichtige Erkenntnisse über die Verbreitung bestimmter Formen von Hass gewinnen.

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  • Schön auf den Punkte gebracht kann man da nur sagen, ich selbst arbeite in einer Werbeagentur in Klagenfurt und wir stellen zum Teil auch Printmedien her. Da finde ich diesen Artikel sehr treffend, da ich auch schon oft sowas zu hören bekommen habe.
    Dann werde ich mal etwas Feenstaub auf den Bildschirm werfen um etwas schönes zu zaubern. =)

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  • Ich glaube auch das ist Geschmackssache, da gibt es sicher einige Pros und Contras ;) Ich persönlich bevorzuge die guten alten Bücher, aber in der jüngeren Generation scheinen eBooks voll im Trend zu liegen, hier ein Beispiel. LG

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