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Ich teile, also bin ich

Vor zehn Jahren programmierte Mark Zuckerberg Facebook. Wie uns sein soziales Netzwerk unsozial werden ließ

Wie war das Internet vor Facebook? Es handelte sich um einen ziemlich statischen, vom Rest des Lebens abgekapselten Ort. Man konnte zwar Unmengen an Information finden, Zeitungsartikel lesen oder Wikipedia-Einträge anlegen, aber sich nicht so leicht mit den eigenen Kumpeln austauschen. Die waren über das ganze Web verstreut und wussten nicht rund um die Uhr, was man gerade tat, welche Fotos man hochlud. Es fehlte ein gemeinsames Forum für die Menschen, die einem wirklich wichtig sind.

Doch dann kam Mark Zuckerberg und machte unser Leben transparent. Am 11. Jänner 2004 registrierte der damals 19-jährige Harvard-Student die Webdomain thefacebook.com. Am 4. Februar startete die Plattform, auf der Startseite stand: “Thefacebook ist ein Onlineverzeichnis, das die Leute auf Universitäten mithilfe sozialer Netzwerke verbindet.“ Das klang kryptisch, bedeutete aber eine Revolution: Man sollte online nicht mehr mit irgendwelchen wildfremden Menschen Kontakt aufnehmen, sondern mit seinem echten sozialen Netzwerk – also jenen, die man auch sonst auf einen Kaffee oder ein Bier trifft.

Eine geniale Idee, die aber massiv veränderte, wie wir uns selbst inszenieren und was wir als “normal“ wahrnehmen. Zum Beispiel war es früher im deutschsprachigen Raum überhaupt nicht üblich, den eigenen Beziehungsstatus hinauszuposaunen. Heute hingegen drängt einen der Partner oft sogar, sich online zum Verhältnis zu bekennen. So, als wäre etwas erst real, wenn es auch auf Facebook steht.

“Ich teile, also bin ich“, so bezeichnet die Soziologin Sherry Turkle vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) dieses Phänomen. Das Problem daran sei, dass wir uns extrem über unsere Onlineprofile definieren und dort Bestätigung suchen.

Diesen gesellschaftlichen Wandel hätte es wohl auch ohne Mark Zuckerberg gegeben, aber nichtsdestotrotz hat er wie kein anderer diese Entwicklung befördert und uns Instrumente dafür gegeben. Nichts symbolisiert die Kultur des gegenseitigen Selbstbestätigens eindrucksvoller als der Daumen-hoch-Knopf.

Instant gratification nennen Forscher diesen Kick, wenn man etwas postet und sofort mit Likes belohnt wird
“Instant gratification“ nennen Forscher diesen Kick, wenn man etwas postet und sofort mit Likes belohnt wird. Facebook half uns diesen Drang auszuleben – und profitierte davon. Anfang 2008 waren in Österreich erst 78.200 User angemeldet, im Februar 2010 bereits 1,65 Millionen. Heute sind es fast doppelt so viele, gut ein Drittel der Bevölkerung.

Zunehmend wurden wir User zum Selbstdarstellen motiviert. Anfangs schien das Ganze harmlos. Facebook warb damit, ein besonders geschützter, uneinsehbarer Ort zu sein. Man brauchte vorerst eine Harvard-Mailadresse, um beitreten zu dürfen, erst später durften auch andere Studenten, Schüler und dann jeder ab 13 mitmachen. Weil ganz zu Beginn die Privatsphäre-Einstellungen noch sehr streng waren, vertrauten viele Menschen der Seite, gaben ihren echten Namen an und überredeten Freunde, sich ebenfalls anzumelden.

Doch mit der Zeit wandelte sich das Netzwerk, änderte immer wieder die Geschäftsbedingungen. Zuerst wirkte Facebook noch wie ein gemütliches Wohnzimmer, in dem man neben den engsten Freunden Platz nahm. Dann wurden die Wände dieses Zimmers zunehmend transparenter, immer mehr Menschen konnten hineinschauen, weil Facebook die Privatsphäre-Einstellungen schrittweise lockerte – ohne bei uns nachzufragen. Ein sehr gutes YouTube-Video illustriert genau das.

Mark Zuckerberg geht es dabei anscheinend nicht nur um Geld, also um die Möglichkeit, zielgerichtet Werbung zu schalten. Er glaubt tatsächlich, dass eine Gesellschaft ohne Geheimnisse eine bessere Gesellschaft ist. Zum Buchautor David Kirkpatrick sagte er einst: “Es ist sehr schwierig, die Menschen zu mehr Offenheit zu bewegen. Aber ich glaube, wir werden das schaffen. Es dauert nur eine Weile. Die Vorstellung, dass die Welt besser ist, wenn du mehr teilst, ist für viele Menschen ziemlich fremd.“ (Siehe Interview mit David Kirkpatrick)

Also erzog uns Zuckerberg zu Transparenz. Im September 2006 führte die junge Firma den “Newsfeed“ ein. Plötzlich konnte man nicht nur die einzelnen Profile der Freunde aufrufen, sondern bekam aufgelistet, was im Bekanntenkreis gerade geschah. “Der Newsfeed hebt hervor, was gerade in deinen sozialen Kreisen auf Facebook passiert. Es liefert eine aktuelle, personalisierte Liste aller Neuigkeiten über den Tag hinweg, du wirst künftig wissen, wann Mark Britney Spears zu seinen Favoriten hinzufügte oder wenn dein Schwarm wieder Single ist“, hieß es damals enthusiastisch im Blog.

Was viele gar nicht wissen: Damals waren die User entsetzt, einige fühlten sich von ihren Freunden beobachtet, wollten diese Funktion wieder ausschalten. Zuckerberg blieb hart und behielt recht: Heute ist der Newsfeed nicht mehr wegzudenken, viele andere Seiten haben dieses Feature kopiert.

Denn der ständige Strom der Neuigkeiten ist nahezu süchtigmachend: Dieses permanente Beobachtet-Werden und Beobachten-Können bedient die eigene Neugier – auch den Voyeurismus -, und wer selbst etwas teilt, bekommt prompt Zustimmung.

Deswegen posten wir all die Urlaubsfotos, Katzen- und Babybilder: weil es sich verdammt gut anfühlt, wenn einem die Leute zulächeln oder auf die Schulter klopfen. Nichts anderes signalisiert das Drücken des “Gefällt mir“-Knopfes.

Von der Möglichkeit, Freunde in Bildern zu markieren, bis hin zur Angabe, wo man sich gerade befindet: Facebook führte ein Feature nach dem anderen ein, mit dem wir Likes – also Instant Gratification – ernten konnten. Es erzog uns zur Geschwätzigkeit, ließ uns immer neu definieren, wie viel wir über uns preisgeben. Und ganz nebenbei profitierte die Werbeindustrie davon.

Technologie tut nicht nur etwas für uns, sie tut uns Dinge an, verändert nicht nur, was wir tun, sondern wer wir sind
“Technologie tut nicht nur etwas für uns, sie tut uns Dinge an, verändert nicht nur, was wir tun, sondern wer wir sind“, schreibt die Soziologin Turkle. Die Gefahr: dass wir tiefgehende Gespräche gegen Kommunikationsfetzen eintauschen, dass wir zwar physisch zusammen, aber geistig anderswo sind. Ihr neuestes Buch heißt deswegen “Alone Together“ (deutscher Titel: “Verloren unter 100 Freunden“). Jeder kennt das: Mehrere Menschen sitzen abends gemeinsam beim Bier, sie schauen aber alle, was gerade online passiert. Man ist zusammen und trotzdem allein.

Natürlich ist das eine kulturpessimistische Zuspitzung: Viele Menschen sind sowohl auf Facebook als auch in glücklichen Beziehungen, können als Smartphone-Besitzer weiterhin geistreiche Gespräche führen. Nichtsdestotrotz beschreibt Turkle zutreffend, wie unhöflich viele von uns sind – inklusive der Autorin dieses Textes. Der digitale Mensch hat zwar gelernt, auf die Reize zu reagieren, aber nicht, sie zu filtern und notfalls auszublenden. Er ist vernarrt in diese digitale Aufmerksamkeit.

Könnte sich das Problem bald von selbst lösen? Derzeit wird viel darüber geredet, dass Mark Zuckerbergs Seite dem Untergang geweiht sei: Jugendliche verbrächten dort weniger Zeit als früher, fänden die Plattform zunehmend uncool. Vor fast zwei Jahren ging die Firma an die Börse, strahlt längst nicht mehr den Charme des trendigen Start-ups aus. Von einer “düsteren Zukunft“, spricht etwa die FAZ.

Die Nachricht über den Tod von Facebook ist stark übertrieben. Teenager sind oft nicht repräsentativ für den Rest der Bevölkerung, ihnen geht es in erster Linie darum, nicht von Mama und Papa beobachtet zu werden.

Eine größere Gefahr hingegen ist, dass die Seite womöglich nicht mehr genügend Reize liefert, dass sie im Wettbewerb um Aufmerksamkeit tatsächlich schwächelt. Jeder dritte User meint, er würde weniger Zeit auf der Seite verbringen, meist weil die Inhalte “langweilig“ oder “unrelevant“ seien. Dies ergab bereits 2012 eine Studie im Auftrag der Nachrichtenagentur Reuters. Kürzlich beschrieb die New York Times-Reporterin Jenna Wortham, dass sie die Freundschaftsplattform langsam anödet. Man ist zwar online, findet aber nichts, das man liken möchte. Sie fragt: “Bin es nur ich, oder verblasst Facebook?“

Der Grund dafür ist wohl die Kommerzialisierung: Das Netzwerk zeigt oft bezahlte Inhalte an. Jeder kann seine Beiträge “promoten“, also Geld zahlen und damit prominenter im Newsfeed der Fans und Onlinefreunde auftauchen. Das bedeutet aber auch, dass andere lesenswerte Beiträge in den Hintergrund geraten. Im schlimmsten Fall führt der Algorithmus von Facebook dazu, dass man nur noch die allerpopulärsten Beiträge der eigenen Freunde sieht – etwa Hochzeits-und Babybilder – sowie einige bezahlte Einträge. “Das Problem mit Facebook ist, dass es viele Dinge vor einem verbirgt“, kritisierte der Wissenschaftsblogger Derek Muller neulich in einem YouTube-Video, das mittlerweile eine Million Mal angeklickt wurde.

Facebook läuft Gefahr, lukrativ, aber langweilig zu werden. Eine derartig kommerzialisierte Plattform liefert weder Instant Gratification, noch bedient sie den eigenen Voyeurismus. Denn man sieht viel zu selten, was die Freunde von sich geben, und ebenso wenig bekommt man ihre Likes. Zehn Jahre nach seinem Start scheint es, als sei Facebook sein größter Feind – gespalten zwischen den Wünschen der User und jenen der Anleger. Aber keine Sorge: Selbst wenn Facebook in der nächsten Dekade verblassen sollte, bleibt das Erbe von Mark Zuckerberg erhalten. Irgendeiner kriegt immer unsere Aufmerksamkeit ab.

 

Dieser Artikel erschien in Falter 4/14. Illustration: P.M. Hoffmann

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  • Der Wecker hat geläutet, die wichtigsten europäischen Regierungen haben mitgemacht, möglicherweise auch die österreichischen Regierungen - falls das Frau Brodnig entgangen sein soll - und wenn der auch hier mobilisierte Antiamerikanismus (ein österreichischer Schulterschluß vom Falter bis zur FPÖ) der am Rande der Auflösung befindlichen EU nicht zu Hilfe kommt, werden die JournalistInnen wieder in geistigen Tiefschlaf verfallen, bis zurm nächsten Hornberger Schießen.

  • Ich würde die Hasspostings nur dann zensurieren, wenn Aufforderungen zur Gewalt gegen andere oder geheimes Material für den Bau von Atomwaffen oder Kinderpornographie darinnen enthalten ist.

    Es gibt Leute, die möchten was vermitteln oder haben eine These zu einem Sachverhalt, der jetzt schlecht rennt und wollen Möglichkeiten aufzeigen, wie es besser gehen könnte.
    Dieser Sachverhalt stellt aber gewisse regierenden Parteien vor ein Problem.

    Die Hasspostings nehmen im Netz zu, weil die Leute auf Verämderung zum Positiven hoffen und versuchen etwas dazu beizutragen und dann permanent entäuscht werden.

    Anstatt kommunikativ nach Lösungen zu suchen, wie "hey suchen wir gemeinsam eine Lösung" => wird in vielen Foren nur mit NLP oder Drüberfahren Meinungen discrambeld!

    Wenn wissenschaftliche These durch Inquisition anstatt durch den Gegenbeweis falsifiziert wird => Mittelalter

    Die Anonymität im Netz, Tor und die Wächter sichern, dass keine Schriften digital zerstört und verbrannt werden, weil eine Idee kann man nicht zerstören.

  • Schwierig.
    Ich seh, dass es problematisch ist, wenn es Kommentarbereiche gibt und die werden nur mit unnützen Texten gefüllt. Aber ich finde die Möglichkeit der Anonymität von Webseitenbesuchen ist wichtiger als die Diskussionbereiche.

    • Das ist in der Tat eine schwierige Abwägungsfrage. Es gäbe jedoch etliche Maßnahmen, die Onlineforenbetreiber setzen könnten, um generell das Klima zu verbessern - auch ohne die Anonymität aufzuheben. Da ließe sich noch viel, viel mehr machen.

  • Gerade ein Forum wie das des Standard, in dem Postings nicht veröffentlicht werden, weil man den Autor eines Artikels auf Fehler wie "als" nicht "wie" hinweist, hat einen Community Manager eh dringend nötig.

    Generell halte ich es für vermessen, zu glauben, dass man mit Leuten "eh auf Twitter diskutieren" kann. Grundsätzlich gibt es drei Kategorien von Menschen online: die einen wollen ihren Dreck ablassen und scheren sich sowieso nicht um die Konsequenzen/antworten/wasauchimmer. Die zweite Gruppe agiert politisch indoktriniert/motiviert uns ist nur auf Streit/Trolling aus. die dritte Gruppe ist diejenige, mit der man auch diskutieren könnte, die am Austausch interessiert ist. Dieser Gruppe ist auch die Grundvernunft nicht verloren gegangen, weswegen eine Diskussion mit Ihr auch weniger bringt, weil man sich auf Grundsätzlichkeiten verständigen kann. Im Gegensatz zu den beiden erstgenannten, die Dinge wie "Das Internet kommt aus den USA, also habe ich Absolute Redefreiheit" (:facepalm:) propagieren.

  • R. hat seit 2002 unter mehreren, z.T. parallel geführten Nicks (zb. "A.B. Artig", "Xulu Hulu" etc.) ihr Unwesen getrieben.
    Sie hat sich darauf spezialisiert Mitposter mit anderen Meinungen als Nazis zu denunzieren; hinter jedem unangenehmem Posting einen "Blaunen", mindestens, zu erschnüffeln und entsprechend zu beleidigen. Natürlich auch fleissig zu "melden", auf dass der Gegner es möglichst schwer hat, angesichts der Fülle an Denunzierungen vielleicht sogar gesperrt wird.

    Sollte die Redaktion nicht von sich aus gewusst haben wer sich hinter den R.-Nicks verbirgt, so wurde sie schon vor Jahren von aufmerksamen Postern (die gelegentliche Hinweise auf Persönliches in den Beiträgen der R. logisch verknüpften) darauf aufmerksam gemacht, hat R. aber - die dann und wann Beiträge auf derstandard veröffentlichen durfte - einfach machen lassen. Ihr "Engagement" passt schliesslich zur Blattlinie.

    Passen in Postings zum Ausdruck gebrachte Meinungen allerdings dauerhaft *nicht* zur Blattlinie - ist der Poster also "unbelehrbar" und widersetzt er sich politisch korrekter Erziehung by (Meinungs-)Zensur - dann wird dem die allgemeine Netiquette selbstverständlich achtende User auch gerne mal der Account gesperrt.
    Der Art. 19.1. - "Jeder User hat das Recht auf freie Meinungsäusserung" - ist jedenfalls pure Heuchelei.

    Aus dem gleichen Holz wie R. ist auch Misik geschnitzt, der ebenfalls gerne Klarnamen-Poster sähe auf dass die "Schwarmvertrottelung" (Öha - Publikumsbeschimpfung!) ein Ende haben möge. Er selbst leistet sich unfassbare Entgleisungen:
    "geh, das sind doch die immergleichen 20 ausländerhasser, die sich gegenseitig grün geben. ..."
    http://derstandard.at/plink/1361240962345?_pid=30385155&#pid30385155

    "Der Misik hat auch schon mal Poster der 'KZ-Wächter Mentalität' bezichtigt."
    http://webcache.googleusercontent.com/search?q=cache:nqQmahDyDAEJ:https://derstandard.at/Userprofil/Postings/233095%3FpageNumber%3D150%26sortMode%3D2+&cd=1&hl=de&ct=clnk&gl=at

    Das Motto dieses sich mit politischer Korrektheit tarnenden Heuchlertyps charakterisiert Shakespeare ganz gut: "Ich tu das Üble, schrei dann selbst zuerst. Das Unheil das ich angerichtet, leg ich den anderen dann zur Last"

    • Das ist pure Verleumdung und demaskiert sich von selbst.
      Peinliche Anwürfe haben hier und auch anderswo übrigens nichts verloren und lenken auch nicht von der Tatsache ab, dass in den Foren Unduldbares stehen bleibt, z.b. Mordaufrufe an Muslimen.
      Und, Richard, zu feig, deine Identität preiszugeben aber verleumden? Igitt.

      • "Das ist pure Verleumdung"...ja klar ;->
        Selbst Der Standard schreibt ja dass sie aufgrund zahlreicher Problempostings, die natürlich unter verschiedenen Nicknames anonym gemacht wurden, fürs Forum gesperrt wurden.

        Mir ist nur ein Rätsel warum man so einem Community-Troll dann auch noch eine mediale Bühne schenkt.

      • (Beitrag gelöscht, bitte bleiben Sie sachlich und breiten Sie hier keine persönlichen Animositäten aus. Danke, I.B.)

      • (Beitrag gelöscht, bitte bleiben Sie sachlich und beleidigen Sie nicht den Diskussionspartner. Danke, I.B.)

  • Der Hinweis auf dieses "absolute Rededreiheit"-Denken ist gut! In der Tat ist ein Teil des Problems, dass Leute die Meinungsfreiheit mit der Freiheit verwechseln, herumzumaulen oder wirre Verschwörungstheorien zu verbreiten. Teilweise ist dabei nicht einmal die konkrete Meinung das Problem, sondern die Tonalität der Postings. Aber stimmt, das liegt auch daran, dass Leute ein Ventil für ihren Unmut suchen und an diesem Gefühl der Konsequenzenlosigkeit. Bei diesem Gefühl müsste man ansetzen und das Online-Diskutieren auch aufwerten. Das versuchen übrigens einige Foren auch zunehmend. Insofern bin ich zu einem gewissen Grad sogar hoffnungsvoll.

    • Wie kommst du darauf das Kommentatoren die gleiche Meinung wie der Autor oder die Masse der Besucher teilen müssen? Und wenn man nicht bereit ist das ganze Meinungsspektrum zu ertragen, sollte man entweder diese Seiten nicht mehr besuchen oder techn. Hilfsmittel zum ausblenden nutzen. Damit wir uns nicht falsch verstehen, ich hab kein Problem wenn persönl. Kränkungen und OT sonstwohin verschoben werden. Aber gerade der Kommentarbereich zeigen andere Meinungen abseits dpa und sonstiger Propaganda, die in den Medien unterrepräsentiert sind und für die Medienlandschaft zu kontrovers sind. Debatten wie Sarrazin haben gezeigt, dass es nicht ein unbedeuteter Teil der Bevölkung, weltfremder Spinner sind; eher haben die meisten das Gefühl der Einheitsbrei etwas entgegenzusetzen zu müssen.

      • Das ist das große Missverständnis: Ich bin für Meinungsvielfalt, aber gegen untergriffige, hasserfüllte und beleidigende Postings. Eine derartig aggressive Tonalität verhindert, dass diskutiert werden kann und Menschen ihre Argumente austauschen. In den meisten Fällen ist nicht unbedingt die Meinung der Poster das Problematische, sondern die Beleidigungen, die gemeinsam mit dieser Meinung gepostet werden. Wie negativ die Auswirkungen davon sind, kann man hier nachlesen: http://www.nytimes.com/2013/03/03/opinion/sunday/this-story-stinks.html?_r=0

  • Ich halte es für zumutbar, dass in einem Land wie Österreich die Menschen hinkünftig nur mehr unter ihrem Klarnamen posten. Anonyme oder Fake-Leserbriefe werden ja - zumindest in Qualitätsmedien - nicht in Printprodukten veröffentlicht. Mein Hinweis an für Standard.at und Presse.com: Die teilweise unterirdischen, und manchmal wirklich völlig inakzeptablen Postings haben meiner Meinung nach das Potential, die Medien-Marken der Posting-Hosts erheblich zu beschädigen.

    • Nein, Klarnamenpflicht halte ich für den absolut falschen Weg. Gerade wenn man etwa einen "selteren" Namen hat, reicht eine Google-Suche um alle Beiträge die man geschrieben hat für andere aufzulisten. Abgesehen davon wären damit nicht nur die Pöbler abgeschreckt, sondern auch Menschen, die interessantes zu sagen haben.

      Onlinemedien wie standard.at und presse etc kommen da wohl nicht drumherum aktiv zu moderieren und dafür auch das Geld in die Hand zu nehmen entsprechende Leute zu bezahlen. Ich sehe nichts falsches darin wenn hier ein paar neue Studentenjobs entstehen, die die Qualität der Foren steigern.

      • Nein, Herr "McFly", das stimmt nicht.
        Die Idee hinter diesem Vorschlag ist ja genau, solche Pöbler aus der allzu bequemen Anonymität herauszureißen. Wenn ihnen bewusst ist, dass ihre menschenverachtenden Äußerungen mit ihrer Person assiziiert werden können, denken sie hoffentlich zwei Mal nach. Wer etwas Kluges oder Sinnvolles zu sagen hat, wird sich dafür nicht verstecken wollen. So handhabe ich das zumindest.

        • Der einzige Weg um Klarnamenzwang durchzusetzen wäre doch Post-Ident, abgesehen vieleicht davon, die Leute mit einem Ausweis antanzen zu lassen.

          Nutzen Sie wirklich diesen Weg, oder darf sich jeder einen real klingenden Namen aussuchen? Wodurch natürlich wieder nur die Ehrlichen die Dummen wären.

          Ich bin übrigens froh, dass mir keiner meine pubertären Ansichten von vor 20 Jahren vorhalten kann.

          • Ich bin auch skeptisch, ob eine Abschaffung der Anonymität funktionieren würde. Gerade auf staatlicher Ebene birgt das Gefahren, wie das Beispiel Südkorea zeigt, siehe auch hier: http://brodnig.org/2013/07/26/warum-hass-postings-so-gefahrlich-sind/

            Nur eines sollte man schon anmerken: Es gibt durchaus eine Kompromisslösung - eine verbindliche Online-Identität. Etliche Foren wenden Mechanismen an, bei denen User zwar anonym sind, aber nicht ihrem eigenen Online-Ruf schaden wollen. Bei Gawker werden nur dann Postings automatisch freigeschaltet, nachdem User bewiesen haben, dass sie keinen Dreck posten. Und bei der Frage-Antwort-Seite Stackoverflow gibt es ein höchst komplexes Reputationssystem, bei der die User immer mehr Rechte erhalten, je mehr Reputationspunkte sie haben.

            Das klingt jetzt sehr kompliziert, aber im Kern geht es darum, dass Leute selbst ernstnehmen sollen, was sie schreiben. Sie sollen sich selbst fragen: Stehe ich wirklich zu dieser Meinung und Ausdrucksweise?

          • Bei Ihrer Antwort auf meinen Kommentar bin ich voll auf Ihrer Seite.
            Im Artikel geht es aber mehr um Zensur und so etwas steht einer Institutione, die selbest sehr von freier Meinungsäußerung profitiert, schlecht zu Gesicht.
            Besonders wenn das Publikum die f. M. besonders hoch schätzt. Weil es zB. mit dem Internet und einer recht amerikanischen Einstellung dazu aufgewachsen ist. Ein Publikum dass beim erzwingen des Leistungsschutzgesetz mit erleben durfte, wie verlogen, intransparent, undemokratisch und die f. M. missbrauchend die etablierten deutschen Medien wirklich arbeiten wenn sie ihre Agenda durchdrücken wollen.
            Daher empfehle ich, Zensur möglichst so wenig wie möglich, dafür so transparent es geht.

            Natürlich sind Web Angebote keine demokratischen Systeme und der Betreiber kann mit seinen Nutzern so diktatorisch umgehen wie er will. Aber die Nutzer haben eben gefühlte unendliche Alternativen... und evtl es genau die f. M. liebenden Nutzer, welche die (Mühe auf sich nehmen und die) wünschenswerten Kommentare schreiben und mit Links für Reichweite sorgen.

    • Wenn man sich manche Kommentare auf z.B. Facebook (oder seit der Verknüpfung mit g+ auch auf Youtube) ansieht, bewirkt eine Klarnamenpflicht allerhöchstens noch etwas bei Menschen, die sich tendentiell noch vor dem Internet fürchten.

  • Hass Beiträge sollten ruhig gelöscht werden, die tragen nichts dazu bei, die Debatte voran zu bringen.
    Aber wenn alles gelöscht wird, was dem Redakteur politisch nicht passt, dann ist das unschön.
    Gerade in Medien die eher links stehen, leider nicht unüblich.

    • Sehe ich nicht so. Medien, die angeblich links sind, wird das häufig vorgeworfen. Nur warum sind dann dort trotzdem so viele rechte Meinungen zu finden? Würden die Redakteure tatsächlich so vorgehen, dann gäbe es all diese Postings nicht.

      Aber sonst stimme ich zu: Solange die Tonalität passt, der Kommentar nicht off topic ist und keine bösartigen Untergriffe kommen, finde ich, sollte man auch Postings mit konträrer Meinung zulassen.

  • Aha, Buchwerbung.

    Ansonsten bin ich ganz auf der Seite von Hitchens: “Freedom of Speech Includes the Freedom to Hate”.

    • Nein, Meinungsfreiheit bedeutet nicht Hassfreiheit. Zumindest werden strafrechtlich klare Grenzen gezogen, was nicht mehr zur Meinungsfreiheit gehört. Sogar in den USA, die noch viel mehr Hate Speech zulassen, gibt es Grenzen.

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