Generation Neon
Andere Magazine verlieren Leser, Neon legt trotz Wirtschaftskrise an Auflage zu. Wie das junge Lifestyle-Magazin das schafft
Für Sabine Jenewein ist das Leben vor allem eines: ungewiss. Will sie nach dem Studium nach Indien gehen und dort Kindern Deutsch beibringen? Will sie Lehrerin an einer Wiener Schule werden oder ins ländliche Tirol zurück? Oder will sie ganz etwas anderes machen? „Es gibt so viele Möglichkeiten. Und in meinem Bekanntenkreis fragt sich jeder: Mach ich das Richtige? Will ich etwas anderes machen?“, sagt die 21-Jährige. Weil sie unsicher ist, liest sie Neon. Das Monatsmagazin ist eine der jüngsten Erfolgsgeschichten am deutschen Zeitschriftenmarkt. Und das, obwohl es erst neulich mit gefälschten Interviews Schlagzeilen machte.
Neon spricht junge Erwachsene wie die Tirolerin Jenewein an, die sich irgendwo zwischen Einführungsvorlesung und den ersten Erfolgen im Berufsleben, zwischen Nestflucht und eigener Familiengründung befinden. Ausgabe für Ausgabe signalisiert das Magazin: Ich verstehe dich, du bist nicht allein mit deinen Hoffnungen und Zukunftssorgen.
Das Konzept entwickelten Münchner Journalisten – mit dem Geld des Gruner+Jahr-Verlags erschien 2003 die erste Nummer. Neon ist mainstreamig, das Cover gefällig. Vielleicht ist es aber mehr als der Versuch, Mittzwanzigern bedrucktes Papier anzudrehen. Vielleicht ist es sogar die Zukunft des Magazinmarkts: für jedes Lebensgefühl die richtige Publikation. Man muss nur wissen, worüber sich die jeweilige Zielgruppe den Kopf zerbricht.
Darin ist Timm Klotzek Experte. Er hat Neon mitentwickelt, ist mit Michael Ebert Chefredakteur und sitzt in seinem Büro in der Münchner Redaktion. Gegenüber liegt der triste Parkplatz eines Diskonters. Wäre da nicht das Logo von Gruner+Jahr, kein Mensch würde glauben, dass ausgerechnet hier, in diesem unscheinbaren Bürohaus außerhalb des Stadtzentrums, das Hochglanzmagazin entsteht. „Neonartig ist ein eigener Begriff geworden“, sagt Klotzek, „Wir haben eine eigene Art der Fotografie, einen identifikatorischen Journalismus, bei dem die Leute nicken und sagen können:, Verstehe ich, das geht mir genauso.‘“
Der Chefredakteur ist 37, also älter als die eigentliche Zielgruppe, und hat bereits Kinder. Er kann aber viel über die klassischen Neon-Leser erzählen: Sie wollen im Leben vorankommen, irgendwann haben sie es satt, auf WG-Partys die Schuhe auszuziehen und Chili con Carne zu essen. „Gleichzeitig fahren sie durch eine Vorstadt, wo diese Doppelhaushälften mit Garage stehen, und denken sich:, Oh Gott, bei mir ist es auch bald so weit, so wollte ich doch niemals enden.‘“
Neon greift Themen auf, die Mittzwanziger beschäftigen. Die gerechte Verteilung zwischen Frauen und Männern beispielsweise. Aber da wird nicht mehr die Abtreibungsdebatte der 70er-Jahre geführt, sondern über den Sexismus 2.0 berichtet. „Im Internet kocht und häkelt die Frau, das große Wort führt der Mann“, schreibt Neon. Und Leserinnen wie Sabine Jenewein nicken. Ja, das stört sie auch.
Freilich bietet Neon einen Mix aus Erklärjournalismus, Unterhaltungselementen, gefälliger Popberichterstattung und politischen Reportagen. Vor allem ist es aber Identifikationsfläche. Bereits beim Cover wird darauf geachtet, dass die hübschen Menschen natürlich aussehen. Bildchef Jakob Feigl setzt nur behutsam Photoshop ein. „Man muss das Gefühl haben, man ist auf Augenhöhe“, meint er. Oft schauen die Fotos aus, als handle es sich um Schnappschüsse von der letzten Party. Tatsächlich engagiert das Magazin renommierte Fotografen, der Großteil der abgedruckten Bilder wird eigens für das Blatt geschossen.
Überraschend ist, dass vor Neon keiner diese Lücke am Medienmarkt besetzte. Im Gegenteil: Neon entstand erst, nachdem sein Vorgängermagazin gescheitert war. Die Süddeutsche stellte 2002 ihre beliebte Jugendbeilage Jetzt ein, auch 8000 Protestunterschriften und eine Demonstration änderten nichts daran. Klotzek und der Großteil des Neon-Gründungsteams arbeiteten damals dort, dann trat die Stern-Chefredaktion, die zu Gruner+Jahr gehört, an sie heran. Sie bekamen die Chance, ein neues Magazin zu entwerfen. 2006 wurden Klotzek und Ebert vom Medium Magazin als „Journalisten des Jahres“ ausgezeichnet.
Über den Medienmarkt sagt dieser Erfolg viel aus. In den letzten Jahren werden Publikationen zunehmend für ein spezielles Publikum maßgeschneidert. Zuletzt brachte Gruner+Jahr gleich drei Lifestyle-Magazine für Männer heraus: Beef legt besonderen Wert auf deftiges Kochen, Gala Men auf Mode, Business Punk auf Wirtschaft.
„Ich glaube, in absehbarer Zeit wird es keine riesigen Zeitschriften mehr geben. Es wird kleiner, spezifischer“, sagt Klotzek. Er selbst hat das Neon-Prinzip nun weiterentwickelt und leitet auch Nido, ein Magazin speziell für junge Eltern. Wieder geht es um Lebensgefühljournalismus: Statt die besten Kinderwägen zu testen, wird laut darüber nachgedacht, ob die eigenen Kinder das Sexleben zerstören.
Natürlich kann man sich über diese Art von Journalismus lustigmachen. Nido, das Magazin für die Restsexualität junger Eltern, Business Punk, die Bravo für BWL-Studenten. Einige Kollegen zeigen offen ihre Häme. „Manche finden, es sei ein Zeitgeistblättchen für eine merkwürdig unpolitische Generation. So wichtig für die Aufklärung des Abendlands wie ein Actimel-Joghurt“, schrieb etwa der Spiegel.
Andere Journalisten verwundert diese Kritik: „Natürlich ist das kein Spiegel für Junge“, sagt Armin Wolf. Der ORF-Moderator analysierte für seine Master-Arbeit die politische Berichterstattung von Neon. „Das sind solide Geschichten, die auch im Stern oder im Profil stehen könnten“, meint er. Für ein Lifestyle-Magazin behandelt Neon überraschend viele Politikthemen, es fliegt seine Journalisten eigens nach Gaza, Pakistan oder New Orleans, wo diese manchmal wochenlang an Reportagen recherchieren. Der Vorwurf, Neon sei unpolitisch, stimmt und ist falsch zugleich. Das Blatt kann in diesem Punkt nicht mit Nachrichtenmagazinen konkurrieren, aber es ist schon etwas förderlicher für die Aufklärung als ein Joghurt-Drink.
Das ist wahrscheinlich auch ein Grund, warum Neon funktioniert. Hier findet kein billiger Schmuddeljournalismus statt wie in vielen anderen Lifestyle-Publikationen. Zwischen Gesichtscremetests und bezahlten Kosmetikinseraten verwischt dort oft die Grenze zwischen unabhängiger Berichterstattung und Werbung. Viele Artikel sind vorhersehbar. Angeblich interessieren sich Frauen im Winter für Keksebacken und im Sommer für die Bikinidiät. Männer hingegen schauen Sport und trainieren den nicht vorhandenen Waschbrettbauch. Oder wie Timm Klotzek das sagt: „Der Frauenmagazinmarkt funktioniert über Psychodruck. Die sagen:, So hat dein Kleiderschrank auszuschauen, so dein Hintern, so dein Sexleben.‘ Die Männerzeitschriften sind hingegen in der Regel so ein bisschen schmierig. Wenn Besuch kommt, der einem wichtig ist, räumen viele das Männermagazin vom Couchtisch.“
Mit solchen Zeitungen kann auch Neon-Leserin Sabine Jenewein nichts anfangen. „Die besten Modetipps für den Sommer? Das hat nichts mit meinem Leben zu tun“, sagt sie. So banal die Lektion klingen mag, so sehr ergibt sie Sinn: Medien sind dann ganz besonders erfolgreich, wenn sie an den Lebensalltag der Menschen andocken. Und wenn einen zwischendurch ein paar sympathische Gesichter anlachen, schadet das auch nicht.
——————-
Neon in Zahlen
——————-
231.136 Stück wurden im Schnitt im ersten Quartal 2010 verkauft
124.940 Exemplare waren es fünf Jahre zuvor, das ist eine Steigerung um 85 Prozent
2003 erschien das Magazin erstmals
34 Mitarbeiter zählt die Redaktion heute
20 bis 35 Jahre alt sind die meisten Leser
2 Chefredakteure gibt es, Timm Klotzek und Michael Ebert
Dieser Artikel ist im Falter 19/10 erschienen. Illustration: Bianca Tschaikner / Cover: Neon
View Comments
If you are going for most excellent contents like I do, just visit this website all the time
as it provides feature contents, thanks
Als Nachtrag ein gutes Beispiel, wie wenig Klarnamen vor Hasskommentaren schützen: http://jungle-world.com/jungleblog/2287/
Danke für den Hinweis!
It's going to be ending of mine day, except before ending I am reading
this great article to improve my knowledge.
Here is my page; real estate (Freddie)
Simply desire to say your article is as surprising.
The clarity in your post is just excellent and i can assume
you are an expert on this subject. Fine with your permission allow
me to grab your feed to keep updated with forthcoming post.
Thanks a million and please keep up the enjoyable work.
Here is my site :: skin care treatment (Rodney)
Excellent blog you've got here.. It's hard to find excellent writing like yours nowadays.
I truly appreciate people like you! Take care!!
Feel free to visit my page ... seo
Kommentarsysteme auf Webseiten sind eine gute Möglichkeit das Ranking der Page zu erhöhen. Mehr Besucher bedeuten im Endeffekt höhere Anzeigenpreise. Es ist einfach nur ein Geschäft. Nicht mehr, nicht weniger.
Indem Sie das hier weiter aufkochen spielen Sie den Verantwortlichen den Ball direkt vor die Füße.
Trotzdem freue ich mich auf Ihr Buch :)
Liebe Grüße
René Meschuh
You should take part in a contest for one of the most useful sites online.
I most certainly will recommend this web site!
Feel free to visit my blog personal trainer (Melba)
Hi! Someone in my Facebook group shared this site with us so I came to take a look.
I'm definitely loving the information. I'm book-marking and will
be tweeting this to my followers! Wonderful blog and
superb style and design.
Also visit my homepage - personal trainer (Fredrick)
Natürlich ist die VDS nicht auf eine Stufe mit den NSA Aktivitäten zu stellen. Aber erstens kommt sie, wie im Artikel ausgeführt, aus der selben gedanklichen Ecke wie das Abhören und zweitens ist sie lediglich der Fuß in der Tür für die anderen Wunsch-Alb-Träume der Behörden wie z.B. INDECT.
Ich würde mir daher von den Medien schon auch kritische Berichterstattung über die VDS wünschen. Aber noch viel mehr das Ansprechen der nächsten Stufen und Technologien die bereits in den Schubladen liegen oder entwickelt werden. Und zwar auch hier in Österreich (mit)entwickelt werden: Das Technikum Wien arbeitet an einer Technologie mit, bei der vom deutschen BKA eine Beteiligung „aufgrund des umfassenden Überwachungsgedankens des Projektes“ abgelehnt wurde. Wenn schon nicht Schlagzeilen, aber einen Bericht wäre das m.M. schon wert.
Danke für den Hinweis! Das würde mich jetzt näher interessieren: Welche Technologie ist denn das genau? Gibt es dazu weitere Infos? Gerne auch per Mail...
Zum Beitrag "Beruhigt Euch!" ein kleiner Hinweis: Wenn ich nach dem lesenswerten Beitrag dem Link unter: Gute Texte im Netz - Patrick Breitenbach "Hintergründe der Empörung im Netz" folge, erscheint eine Werbeseite von 1&1
Mit lieben Gruß und herzlichen Dank für den Artikel
Edda Dietrich
Danke für den Hinweis! Der Link stimmt, nur hat die Webseite der Karlshochschule irgendein Problem. In der Zwischenzeit kann man zumindest diesen früheren Eintrag von Patrick Breitenbach lesen, der auch interessant, aber leider nicht so detailliert ist: http://breitenbach.tumblr.com/post/70670485565/verbannung-und-hyperzivilisierung-im-netz
Nachtrag: Im Google-Cache findet man den langen Beitrag weiterhin, siehe http://webcache.googleusercontent.com/search?q=cache:EJyLw1TUujsJ:blog.karlshochschule.de/2014/01/08/the-day-after-shitstorm-die-zweite-stufe-der-zivilisierung/+&cd=1&hl=de&ct=clnk&gl=at