“Die Konkurrenz heißt Google“
Er will mehr Apps und mehr Geld von der Politik: Generaldirektor Alexander Wrabetz über die Zukunft des ORF.
Eines ist sicher: Den Zeitungsverlegern werden seine Ideen gar nicht gefallen. ORF-Chef Alexander Wrabetz will künftig mehr Handy-Apps auf den Markt bringen. Das ist nur einer von etlichen Streitpunkten zwischen Verlegern und ORF, die wohl zum Thema in den Koalitionsverhandlungen werden – neben manch einer politischen Begehrlichkeit der Regierungsparteien. Im Gespräch erklärt Wrabetz, wie er die Zukunft seines Senders sieht und wie sich der ORF in digitalen Zeiten positionieren muss, um mit Firmen wie Google oder Netflix konkurrieren zu können.
Falter: Herr Wrabetz, wer ist denn der größte Feind des ORF? Sind es die Privatsender, die Ihnen Konkurrenz machen, die Politik, die Ihnen reinfunken will, oder das Internet, wo neue Fernsehangebote entstehen?
Alexander Wrabetz: Feinde haben wir keine, wir sind ja nicht im Krieg! Aktuell sind die größten Herausforderer sicher die Privatsender, speziell jene aus Deutschland, die mit ihren Werbefenstern Geld aus Österreich absaugen. Auf lange Sicht sehe ich aber eine andere große Herausforderung: die globalen, aus dem Internet kommenden Giganten. Wir werden Teil eines globalisierten Marktes, die Konkurrenz heißt in Zukunft Google, Apple, Netflix.
Wirklich? Verändert sich der Medienkonsum bereits?
Wrabetz: Im Moment ist der Fernsehkonsum erstaunlich stabil. Hier findet keine Verdrängung, sondern eine Ergänzung statt: Die Leute schauen nicht nur klassisch linear fern, sondern nutzen online zusätzlich fernsehnahe Internetdienste. Ein Beispiel: Die TVthek ist die größte Videoplattform in Österreich. Einige Wahlkonfrontationen wurden überraschend oft online angeschaut: Bis zu einem Drittel der Zuseher sah sich das nachträglich im Internet an. Da sehen wir, dass sich etwas ändert.
Einige öffentlich-rechtliche Sender gehen online bereits viel weiter. Das ZDF und seine Nischenkanäle bieten Sendungen zum Teil sogar schon vor der Ausstrahlung im Internet an. Wollen Sie das in Zukunft auch tun?
Wrabetz: Wir dürften das gar nicht. Die TVthek ist als On-demand-Angebot nach der Ausstrahlung definiert. Um das zu ändern, müssten wir ein langwieriges Verfahren eingehen. Bei solchen Ideen stoßen wir schnell an die Grenzen des ORF-Gesetzes.
Sie sprechen von “fernsehähnlichen Angeboten“ im Internet, die zur Konkurrenz werden. Der Streamingdienst Netflix expandiert immer weiter in Europa. Wie wollen Sie auf solche Konkurrenten reagieren?
Wrabetz: Unsere Antwort kann sicher nicht sein, dass wir Netflix kopieren und US-Serien gegen Geld zum Download anbieten. Das geht allein rechtlich nicht. Unsere Aufgabe könnte aber sein, österreichische Archivschätze auf einer eigenen Plattform anzubieten. Dort könnte man dann diese Serien oder Filme anbieten. Das prüfen wir gerade.
Wie könnte das funktionieren?
Wrabetz: Nehmen wir an, Ihnen fällt ein alter “Tatort“ ein, den Sie gerne wieder ansehen würden. Dann könnten Sie diesen “Tatort“ in Zukunft online kaufen. Während Netflix amerikanische Serien verkauft, würden wir österreichisches Programm anbieten. Das Problem ist nur: In Deutschland hat das Kartellamt den öffentlich-rechtlichen Sendern kürzlich ein gemeinsames Videoportal verboten – ebenso den Privatsendern RTL und Pro7. Einzig und allein den Internetriesen werden keine Beschränkungen gemacht.
Sie haben bereits mehrfach Internetriesen wie Google genannt. Aber ist Google wirklich der Feind des ORF?
Wrabetz: Nochmal: Feinde haben wir nicht. Es gibt aber Fehlentwicklungen, denen die Politik rechtzeitig gegensteuern soll. Der ORF und die Zeitungsverlage müssen penibel die Werbeabgabe zahlen, bei Google ist das hingegen nicht der Fall. Es ist eine Wettbewerbsverzerrung für heimische Firmen, wenn Firmen wie Google oder auch Amazon viel weniger Steuern zahlen. Da sind sich der ORF und die Zeitungsverleger mittlerweile durchaus einig.
Sie betonen, dass der ORF und die Zeitungsverleger gleiche Interessen hätten. Das ist aber längst nicht überall der Fall. Gerade was das Internet betrifft, möchten die Verleger den ORF in vielen Fällen einschränken.
Wrabetz: Stimmt, im Bereich Social Media haben wir einen Dissens. Unsere Sichtweise ist: Der ORF muss Plattformen wie Facebook oder Twitter nutzen dürfen, um mit dem Publikum zu kommunizieren. Hoffentlich wird der Verfassungsgerichtshof das Facebook-Verbot auch bald endgültig aufheben.
Schwingt bei den Verlegern auch ein gewisser Neid mit, dass der ORF online so mächtig ist, Ö3 so viele Facebook-Fans hat und Armin Wolf zigtausende Twitter-Follower?
Wrabetz: Manche Verleger sitzen einem Trugschluss auf. Die meinen, der ORF habe Twitter und Facebook in Österreich groß gemacht. Bei aller Wertschätzung des ORF: Facebook wäre sicher auch ohne uns erfolgreich gewesen, und ebenso Twitter.
Ist die digitale Zukunft des ORF nun auch Thema bei den Koalitionsverhandlungen? Die ÖVP erklärte unlängst zum Beispiel, es solle Einschränkungen für Twitter geben.
Man kann nicht per Gesetz festlegen, was jemand auf Twitter schreiben darfWrabetz: Nun ja, der damalige Mediensprecher der ÖVP bekleidet nicht mehr dieses Amt. Es geht bei diesem Streit aber um etwas Grundsätzliches: Der ORF muss auf dem sich rasch verändernden Medienmarkt flexibel sein. Man kann zum Beispiel nicht per Gesetz festlegen, was jemand auf Twitter schreiben darf.
Haben Sie Angst, was bei den Koalitionsverhandlungen rauskommt? Besser wird es wohl kaum.
Wrabetz: Uns ist eine Sache extrem wichtig: die Gebührenrefundierung. Dieses Geld brauchen wir für viele wichtige Projekte. Und zweitens brauchen wir auch Bewegungsfreiheit auf dem mobilen Markt.
Die Politik soll Ihnen also erlauben, Handy-Apps anzubieten?
Wrabetz: Genau. Das ORF-Gesetz stammt zwar erst aus dem Jahr 2010, aber seit damals hat sich online extrem viel getan. Wenn wir auf gerichtlichem Weg nicht durchkommen, brauchen wir die Unterstützung der Politik, um auch Apps flexibel programmieren zu dürfen. Ich verstehe, dass das ORF-Gesetz dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk gewisse Grenzen setzt. Aber diese Grenzen können nicht so eng sein, dass unsere Bewegungsmöglichkeiten in der Zukunft eingeschränkt werden.
Wie meinen Sie das?
Wrabetz: Der mobile Markt ist das am rasantesten wachsende Mediensegment. Die sogenannte “Second Screen“-Nutzung wird immer wichtiger: Bei manchen Sendungen verwenden bereits 50 Prozent der Zuseher zeitgleich ein Smartphone oder einen Tablet-Computer. Dafür brauchen wir Angebote, also Apps.
Bei den Koalitionsverhandlungen wird es nicht nur um Technologie, sondern vor allem um Einfluss gehen. Auch eine rot-schwarze Doppelspitze war bereits im Gespräch. Wird der ORF nach den Koalitionsverhandlungen noch durchgehender großkoalitionär gestaltet sein?
Wrabetz: Wir sind keineswegs durchgehend großkoalitionär gestaltet, sonst hätten wir auch nicht diese Debatte. Ich behaupte: Das Ausmaß an journalistischer Unabhängigkeit war in der langen Geschichte noch nie so unbestritten wie jetzt.
Die Idee, der ORF könne eine rot-schwarze Doppelführung bekommen, vermittelt nicht gerade diesen Eindruck.
Wrabetz: Genau diese Doppelspitze wurde ja bereits von der Politik ausgeschlossen, etwa kürzlich vom Vizekanzler selber. Schauen Sie sich um: In den vorbildlichen europäischen Ländern, von Skandinavien bis Deutschland, gibt es ein Intendantenmodell. Dieser Intendant oder – wie wir sagen – Generaldirektor trägt eine besondere Verantwortung und soll auch für die journalistische Unabhängigkeit als Person geradestehen.
Apropos geradestehen: In den letzten Wochen machte Ihre Vorgängerin Monika Lindner Schlagzeilen. Sie soll ihrem Lebensgefährten als ORF-Chefin hohe Werbeaufträge vermittelt haben. Beschmutzt der Fall Lindner das Image des ORF?
Wrabetz: Der Diskussion dienlich war es sicher nicht. Aber zum Glück konzentriert sich diese Debatte ganz auf ihre Person und nicht allgemein auf den ORF.
Es macht allerdings auch keine gute Optik, wenn im ORF so etwas überhaupt möglich ist.
Wrabetz: Ich verteidige das auch nicht. Wir wollen alles offenlegen und haben eine interne Prüfung gestartet. Die Frage ist, ob die erbrachte Leistung den Summen angemessen war. Hoffentlich können wir das bis Mitte Dezember dem Stiftungsrat darlegen. Heute haben wir jedenfalls eine andere Praxis.
Als Generaldirektor ist es auch Ihr Job, eine Vision des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vorzugeben. Derzeit ist der ORF ein Vollprogramm, vom Sport über Casting-Shows bis hin zur Information findet man so ziemlich alles. Sollte man nicht lieber fokussieren?
Ich kann nicht nur für die Ö1-Gemeinschaft Radio machen: Dann spreche ich zehn Prozent der Bevölkerung an und die restlichen 90 Prozent nichtWrabetz: Ich bin felsenfest überzeugt: Unsere Kernkompetenz ist die Vielfalt. Wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk von der Allgemeinheit über Gebühren finanziert wird, muss er auch allen ein Angebot machen. Ich kann nicht nur für die Ö1-Gemeinschaft Radio machen: Dann spreche ich zehn Prozent der Bevölkerung an und die restlichen 90 Prozent nicht. Nur wenn ich allen ein Angebot mache, sind die Gebühren legitimiert. Zusätzlich zu dieser Breite ist aber auch ein klares Profil wichtig. Die Bereiche Information, Kultur und Eigenproduktionen sind für unsere Identität entscheidend.
Auch die Unternehmensberater der Boston Consulting Group kamen zum Schluss, dass eigene Filme und Serien für das ORF-Profil sehr wichtig sind. Warum wird dann ausgerechnet bei den Eigenproduktionen gespart?
Wrabetz: Uns fehlen 30 Millionen Euro aufgrund der Gebührenrefundierung, die wir von der Regierung bisher nicht verlängert bekommen haben. In der Information haben wir das Budget nicht gekürzt, in der Kultur ist es fast unverändert geblieben, in der Unterhaltung sparen wir vor allem bei Showformaten und Dokusoaps – Letztere sehen wir nicht als unsere Kernaufgabe. Die Ausgaben für Filme und Serien blieben hingegen nahezu gleich. Es wird also eine “Braunschlag“-Nachfolge geben, ebenso “Copstories“ und viele andere neue Produktionen. Aber natürlich hätten auch wir gerne mehr.
Serien wie “Braunschlag“ sind extrem wichtig für den ORF, weil sie österreichische Identität vermitteln und Diskussionsfläche bieten. Warum gibt es nicht fünf oder sechs “Braunschlags” im ORF?
Wrabetz: Weil der David Schalko nicht so schnell eine Serie schreiben und entwickeln kann. Aber ganz im Ernst: Das Geld aus der Gebührenrefundierung brauchen wir, um es in die heimische Filmwirtschaft investieren zu können.
Bei der Gebührenrefundierung erhält der ORF jene Summe, die ihm abhandenkommt, weil einige Bürger von den Rundfunkgebühren befreit sind. Wie realistisch ist es in Zeiten der Budgetkrise, diese Gebühren ersetzt zu bekommen?
Wrabetz: Es ist sicher schwierig, aber dieses Geld fließt direkt in die österreichische Wirtschaft. Das ist ein Betrag, den der Staat also wieder zurückbekommt. Vergangene Woche habe ich dem Stiftungsrat das Budget vorgelegt: Auch ohne die Gebührenrefundierung werden wir schwarze Zahlen schreiben, aber jeder Euro, den wir zusätzlich bekommen, fließt in die Filmwirtschaft und Ähnliches.
Alle paar Jahre müssen Sie um die Gebührenrefundierung kämpfen. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass der ORF in Zukunft immer weniger Geld haben wird. Führen Sie nur noch ein Rückzugsgefecht?
Unser Problem ist heute eher, dass alle öffentlich-rechtlich werden wollenWrabetz: Nein. Im Zuge des Neoliberalismus hieß es immer wieder, dass man den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gar nicht braucht, dass der freie Markt das auch ganz allein regeln kann. Ab Mitte der 1980er-Jahre herrschte Druck, dass man den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf Nischen reduzieren sollte. Zum Glück hat sich der ORF da nicht so reindrängen lassen wie andere Sender. Denn jetzt dreht sich die Debatte. Im aktuellen medialen Wandel wird die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks umso größer. Unser Problem ist heutzutage eher, dass alle öffentlich-rechtlich werden wollen. Die Zeitungen geben einen “Public Value“-Bericht heraus, die Privatsender reden von ihrer eigenen gesellschaftlichen Bedeutung und wollen Geld. Ich bin überzeugt, dass in unserer fragmentierten Welt der öffentlich-rechtliche Rundfunk umso unverzichtbarer wird. Das wird sicher auch die europäische und österreichische Politik mittelfristig erkennen.
Dieses Interview erschien im Falter (Ausgabe 48/13), Foto: Heribert Corn
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Wer keine Sorgen hat, der macht sich welche und untermauert sie auch noch wissenschaftlich... 🤣
Eine weitere Ursache könnte sein, dass solche Falschmeldungen aus journalistischer Sicht einfach "origineller" und damit auffälliger sind als die "alltägliche Wahrheit". Journalist/innen wollen, dass ihre Meldungen möglichst gut ankommen. Dafür haben sie vor allem zwei Möglichkeiten:
1.) Sie finden ein Sensation und berichten darüber.
2.) Sie erfinden eine Sensation und berichten darüber.
Nur Qualitätsjournalist/innen haben eine dritte Option:
Sie gehen in die Tiefe und decken Hintergründe sowie Beweggründe von Geschehnissen auf. Damit erreichen sie aber leider meist nicht die Massen.
zu 9: correctiv meldet am Schluss, dass nicht 2,6 sondern 5,3% aller Immigranten als Flüchtlinge anerkannt wurden. Wow, das ändert die Lage ja völlig, Hahaha!! Heißt jetzt, mit "5 von Hundert" wäre die Schlagzeile korrekt, die Aussage der Schlagzeile, dass nur ein verschwindend geringer Anteil der uns immer als "Flüchtlinge" verkauften Menschen tatsächlich Flüchtlingsstatus haben, bleibt also völlig intakt!
Ich empfehle, hierzu den Faktencheck von Correctiv zu lesen: https://correctiv.org/echtjetzt/artikel/2017/05/16/faktencheck-fluechtlinge-italien-prozent/
Zu dieser Thematik fallen mir gleich eine ganze Reihe von Zitaten ein, die belegen, dass die hier behandelten sozialen Wirkungen schon längst bekannt sind und kein wirklich neues Phänomen darstellen.
„Aus Lügen, die wir ständig wiederholen, werden Wahrheiten, die unser tägliches Leben bestimmen.“ Hegel (1770-1831)
„Nicht Tatsachen, sondern Meinungen über Tatsachen, bestimmen das Zusammenleben“ Epiktet (um 50 bis 138 n.Chr.)
Und der größte Unsinn ist der Spruch im Volksmund:
„wer einmal lügt, dem glaubt man nicht“
Richtig ist: „wer ständig lügt, dem glaubt man schließlich“
oder wenn oft genug Falsches gesagt, gedacht, geschrieben wird, wird es richtig!
Siehe dazu auch solch banale Dinge, wie die Falschschreibung(sprechung) des Adjektivs extrovertiert.
Natürlich heißt es extravertiert, aber es wurde die letzten 50 Jahre so oft falsch geschrieben und gesprochen, dass es schließlich in der falschen Form im Duden gelandet ist....
keep groovin´& over the tellerrand thinkin´´
Super Website! Super Artikel. Weiter so
LG Alex
Tja, wenn's nur immer so leicht ginge eine Fake News zu identifizieren. Genau Schritt 3 ist nämlich das Problem - in vielen Fällen lässt sich eben nicht oder erst viel zu spät nachweisen, dass gezielte Irreführung betrieben wird. Und dann ist eine Fake News schon eine gewisse Zeit Fakt News geworden...
Ungefähr jedes Merkmal oder jede Manipulationstechnik, die hier exklusiv "rechts" zugeschrieben wird, ist von allen Akteuren im politischen Spektrum in exakt der angeprangerten Form genutzt worden und wird es weiterhin. Die "AfD-Wut" über irgendwas unterscheidet sich beim Facebook-Emoji nicht von der Wut über Lohnungerechtigkeit oder tote Kinder am Strand unter einem taz-Artikel, die patriotische App unterscheidet sich funktional rein gar nicht von gleichartigen Apps, die zur "Vernetzung von Protest" erstellt wurden und nun ja, "Revolutionsversprechen" sind rechts? ... kicher ... schon mal auf 'ner 1.Mai-Demo gewesen?
Es gibt signifikant messbare Unterschiede zwischen den Parteien - dass die AfD stärker Wut erntet als andere, ist das Ergebnis dieser Untersuchung von Josef Holnburger: http://holnburger.com/Auf_den_Spuren_des_Wutbuergers.pdf Man kann dort auch alle anderen Parteien ansehen und nachlesen, welche Reaktionen diese ernten. Aber natürlich: Wut ist eine universelle Emotion, gesellschaftlicher Wandel wird oft über Wut erreicht, zB weil Menschen einen unfairen Zustand nicht länger hinnehmen wollen. In meinen Augen macht es einen qualitativen Unterschied, in welche Richtung Parteien Wut einsetzen - problematisch wird Wut meines Erachtens, wenn man sie gegen gesellschaftlich schwächer gestellte Menschengruppen einsetzt
Vielleicht nur am Rande (oder auch gar nicht...) interessant, aber hier noch ein kleiner Exkurs zum Thema Technologie und Utopie: Bereits im Zusammenhang mit elektrischer Telegrafie und mit der Verlegung des ersten transatlantischen Unterseekabels in den 1850er/60er Jahren äußerten Zeitgenossen immer wieder die Idee, dass, sobald dieses Kabel verlegt und somit Kommunikation im Minutentakt zwischen Großbritannien und Nordamerika möglich sei, eine Ära immerwährenden Friedens zwischen GB und den USA ihren Anfang nähme. Wer sich minutenschnell austauschen könne, der könne schließlich alle potentiellen Konflikte oder Unstimmigkeiten im Nu aus dem Weg räumen. Bald musste man aber feststellen, dass dem nicht so war, wobei hier unterschiedliche Faktoren ihren Teil dazu beitrugen (hohe Kosten pro Nachricht, weshalb diese stark verkürzt wurden, diplomatisches Prozedere, das mit dieser neuen Form der Kommunikation nur schwer zu vereinbaren war, etc.) - In der britischen Presse der damaligen Zeit wurde diese Entwicklung dann wiederum ausgesprochen reflektiert betrachtet und techniksoziologische Betrachtungen angestellt, die heutigen Ansätzen in nichts nachstehen (ich habe da nur Einblicke in die britische Presse, wie an anderer Stelle darüber geschrieben wurde, weiß ich nicht). Ironischerweise war es dann einige Jahrzehnte später ein Telegramm, mit dem Österreich-Ungarn Serbien den Krieg erklärte...
Aber wie gesagt... das nur am Rande.
Ansonsten - schöner Vortrag! Like! Respect! :)
Das ist total spannend! Sorry für die späte Antwort, aber hatte den Kommentar noch gar nicht gesehen: Das ist eine extrem interessante Anekdote! Ist das vielleicht irgendwo beschrieben, wo ich mehr dazu lesen kann? Ich sammle solche Beispiele auch gerne, weil man weiß nie, wo man solche Beispiele unterbringen kann... Auf jeden Fall: Danke schön für die interessante Rückmeldung!
„Politische Diskussionskultur“ - das ist freilich speziell in Österreich sowieso eine der permanent endangered species.
Bald sind wir so durchgeregelt, dass wir gar keinen Spielraum mehr für Meinungsbildung haben und nur noch das politisch Erwünschte denken. Wünsche aber sind keine Rechte. Sie sind höchstens ein Anzeichen verwöhnten Wohlstands, der Befindlichkeiten zum Nachteil aller anderen hochhält, Menschen gegeneinander ausspielt und Beliebigkeit statt Kritik- und Konfliktfähigkeit kultiviert. Haben wir uns zur modernen Wohlstandsgesellschaft entwickelt, um solche Menschen zu werden?