Die Zahlen sind den Menschen zumutbar
Endlich wird Open Data in Wien zum Thema. Es geht um den Beleg, was der Staat für seine Bürger tut
Wofür gibt der Staat Geld aus? Wohin fließen all die Steuern? Es war noch nie so einfach, eine Antwort auf diese Fragen zu bekommen. Man muss nur die Webseite www.wheredoesmymoneygo.org aufrufen.
Ein alter Mann mit Gehhilfe und eine Frau mit Kind symbolisieren die Sozialausgaben. Ein Kreuz steht für den Gesundheitsbereich, ein Soldat am Gewehr für das Militärbudget. Darunter kann jeder Brite auf den Penny genau nachlesen, wie viel von seinen Steuern in welchen Bereich fließt. Auf anschauliche Weise wird den Bürgern ein komplexes Thema vermittelt: das britische Budget.
“Die Daten haben wir vom Finanzministerium“, sagt Lisa Evans, die WhereDoesMyMoneyGo mitentwickelt hat: “Die Webseite zeigt sehr deutlich, warum es gut ist, wenn der Staat seine Daten offenlegt.“
Evans ist kommende Woche in Wien zu Gast. Am 16. Juni findet die “Open Government Data Konferenz“ statt, an der die Britin teilnehmen wird. Sie arbeitet mittlerweile für die Tageszeitung Guardian und weiß, wie man komplexe Datenmengen verständlich aufbereitet, damit auch normale Bürger die Verbrechensstatistik oder die Sparpläne durchblicken.
Open Data heißt das Schlagwort. In den USA redet Präsident Barack Obama gerne darüber. In Großbritannien legte Premier David Cameron die Kassabücher der Regierung offen.
Die rot-grüne Stadtregierung ist hierzulande ein Vorreiter. Im Mai wurde die Plattform data.wien.gv.at gestartet, und erste Datenkataloge wurden ins Netz gestellt. Es ist eines der Prestigeprojekte der linken Koalition. Der grüne Kultursprecher Klaus-Werner Lobo spricht von der “gläsernen Stadt statt dem gläsernen Bürger“.
Bei Open Data handelt es sich um anonymisierte Daten, die für Maschinen auslesbar sind. So können Wissenschaftler oder Softwareentwickler die Information weiterverwerten. Für Rollstuhlfahrer ist das zum Beispiel praktisch: Derzeit müssen sie sich oft ärgern, weil in den U-Bahn-Stationen Lifte ausfallen, das aber nicht kommuniziert wird. Die Stadt hat versprochen, diese Information bald zugänglich zu machen. Dann können Rollstuhlfahrer auf ihr Smartphone schauen und notfalls eine Station weiterfahren.
Es geht um scheinbar kleine Details wie kaputte U-Bahn-Lifte und um große Zahlen wie das Budget. Vor allem aber bedeutet Open Data ein Umdenken: Information gehört nicht den regierenden Parteien oder einzelnen Beamten, sie gehört der Allgemeinheit. Großbritannien und die USA sind hier schon wesentlich weiter, diese Länder haben aber traditionell einen offeneren Umgang mit Informationsfreiheit.
In Wien steht man am Anfang. Die Stadt hat erst wenige, unspektakuläre Daten veröffentlicht, etwa wo es öffentliche WCs oder Schwimmbäder gibt. Trotzdem sind die Datenjunkies optimistisch. “Wenn das jetzt alles ist, wäre es ein Witz. Aber ich glaube, es geht in die richtige Richtung“, sagt Robert Harm von der Initiative “Open3“, die sich für Transparenz einsetzt.
Letztlich ist Open Data eine Chance für die Parteien. Gerade in Zeiten der Politikverdrossenheit ließe sich so zeigen, wofür “die da oben“ eigentlich zuständig sind.
Dieser Artikel ist in Falter 23/11 erschienen. Screenshot: Where Does My Money Go?
View Comments
Wer keine Sorgen hat, der macht sich welche und untermauert sie auch noch wissenschaftlich... 🤣
Eine weitere Ursache könnte sein, dass solche Falschmeldungen aus journalistischer Sicht einfach "origineller" und damit auffälliger sind als die "alltägliche Wahrheit". Journalist/innen wollen, dass ihre Meldungen möglichst gut ankommen. Dafür haben sie vor allem zwei Möglichkeiten:
1.) Sie finden ein Sensation und berichten darüber.
2.) Sie erfinden eine Sensation und berichten darüber.
Nur Qualitätsjournalist/innen haben eine dritte Option:
Sie gehen in die Tiefe und decken Hintergründe sowie Beweggründe von Geschehnissen auf. Damit erreichen sie aber leider meist nicht die Massen.
zu 9: correctiv meldet am Schluss, dass nicht 2,6 sondern 5,3% aller Immigranten als Flüchtlinge anerkannt wurden. Wow, das ändert die Lage ja völlig, Hahaha!! Heißt jetzt, mit "5 von Hundert" wäre die Schlagzeile korrekt, die Aussage der Schlagzeile, dass nur ein verschwindend geringer Anteil der uns immer als "Flüchtlinge" verkauften Menschen tatsächlich Flüchtlingsstatus haben, bleibt also völlig intakt!
Ich empfehle, hierzu den Faktencheck von Correctiv zu lesen: https://correctiv.org/echtjetzt/artikel/2017/05/16/faktencheck-fluechtlinge-italien-prozent/
Zu dieser Thematik fallen mir gleich eine ganze Reihe von Zitaten ein, die belegen, dass die hier behandelten sozialen Wirkungen schon längst bekannt sind und kein wirklich neues Phänomen darstellen.
„Aus Lügen, die wir ständig wiederholen, werden Wahrheiten, die unser tägliches Leben bestimmen.“ Hegel (1770-1831)
„Nicht Tatsachen, sondern Meinungen über Tatsachen, bestimmen das Zusammenleben“ Epiktet (um 50 bis 138 n.Chr.)
Und der größte Unsinn ist der Spruch im Volksmund:
„wer einmal lügt, dem glaubt man nicht“
Richtig ist: „wer ständig lügt, dem glaubt man schließlich“
oder wenn oft genug Falsches gesagt, gedacht, geschrieben wird, wird es richtig!
Siehe dazu auch solch banale Dinge, wie die Falschschreibung(sprechung) des Adjektivs extrovertiert.
Natürlich heißt es extravertiert, aber es wurde die letzten 50 Jahre so oft falsch geschrieben und gesprochen, dass es schließlich in der falschen Form im Duden gelandet ist....
keep groovin´& over the tellerrand thinkin´´
Super Website! Super Artikel. Weiter so
LG Alex
Tja, wenn's nur immer so leicht ginge eine Fake News zu identifizieren. Genau Schritt 3 ist nämlich das Problem - in vielen Fällen lässt sich eben nicht oder erst viel zu spät nachweisen, dass gezielte Irreführung betrieben wird. Und dann ist eine Fake News schon eine gewisse Zeit Fakt News geworden...
Ungefähr jedes Merkmal oder jede Manipulationstechnik, die hier exklusiv "rechts" zugeschrieben wird, ist von allen Akteuren im politischen Spektrum in exakt der angeprangerten Form genutzt worden und wird es weiterhin. Die "AfD-Wut" über irgendwas unterscheidet sich beim Facebook-Emoji nicht von der Wut über Lohnungerechtigkeit oder tote Kinder am Strand unter einem taz-Artikel, die patriotische App unterscheidet sich funktional rein gar nicht von gleichartigen Apps, die zur "Vernetzung von Protest" erstellt wurden und nun ja, "Revolutionsversprechen" sind rechts? ... kicher ... schon mal auf 'ner 1.Mai-Demo gewesen?
Es gibt signifikant messbare Unterschiede zwischen den Parteien - dass die AfD stärker Wut erntet als andere, ist das Ergebnis dieser Untersuchung von Josef Holnburger: http://holnburger.com/Auf_den_Spuren_des_Wutbuergers.pdf Man kann dort auch alle anderen Parteien ansehen und nachlesen, welche Reaktionen diese ernten. Aber natürlich: Wut ist eine universelle Emotion, gesellschaftlicher Wandel wird oft über Wut erreicht, zB weil Menschen einen unfairen Zustand nicht länger hinnehmen wollen. In meinen Augen macht es einen qualitativen Unterschied, in welche Richtung Parteien Wut einsetzen - problematisch wird Wut meines Erachtens, wenn man sie gegen gesellschaftlich schwächer gestellte Menschengruppen einsetzt
Vielleicht nur am Rande (oder auch gar nicht...) interessant, aber hier noch ein kleiner Exkurs zum Thema Technologie und Utopie: Bereits im Zusammenhang mit elektrischer Telegrafie und mit der Verlegung des ersten transatlantischen Unterseekabels in den 1850er/60er Jahren äußerten Zeitgenossen immer wieder die Idee, dass, sobald dieses Kabel verlegt und somit Kommunikation im Minutentakt zwischen Großbritannien und Nordamerika möglich sei, eine Ära immerwährenden Friedens zwischen GB und den USA ihren Anfang nähme. Wer sich minutenschnell austauschen könne, der könne schließlich alle potentiellen Konflikte oder Unstimmigkeiten im Nu aus dem Weg räumen. Bald musste man aber feststellen, dass dem nicht so war, wobei hier unterschiedliche Faktoren ihren Teil dazu beitrugen (hohe Kosten pro Nachricht, weshalb diese stark verkürzt wurden, diplomatisches Prozedere, das mit dieser neuen Form der Kommunikation nur schwer zu vereinbaren war, etc.) - In der britischen Presse der damaligen Zeit wurde diese Entwicklung dann wiederum ausgesprochen reflektiert betrachtet und techniksoziologische Betrachtungen angestellt, die heutigen Ansätzen in nichts nachstehen (ich habe da nur Einblicke in die britische Presse, wie an anderer Stelle darüber geschrieben wurde, weiß ich nicht). Ironischerweise war es dann einige Jahrzehnte später ein Telegramm, mit dem Österreich-Ungarn Serbien den Krieg erklärte...
Aber wie gesagt... das nur am Rande.
Ansonsten - schöner Vortrag! Like! Respect! :)
Das ist total spannend! Sorry für die späte Antwort, aber hatte den Kommentar noch gar nicht gesehen: Das ist eine extrem interessante Anekdote! Ist das vielleicht irgendwo beschrieben, wo ich mehr dazu lesen kann? Ich sammle solche Beispiele auch gerne, weil man weiß nie, wo man solche Beispiele unterbringen kann... Auf jeden Fall: Danke schön für die interessante Rückmeldung!
„Politische Diskussionskultur“ - das ist freilich speziell in Österreich sowieso eine der permanent endangered species.
Bald sind wir so durchgeregelt, dass wir gar keinen Spielraum mehr für Meinungsbildung haben und nur noch das politisch Erwünschte denken. Wünsche aber sind keine Rechte. Sie sind höchstens ein Anzeichen verwöhnten Wohlstands, der Befindlichkeiten zum Nachteil aller anderen hochhält, Menschen gegeneinander ausspielt und Beliebigkeit statt Kritik- und Konfliktfähigkeit kultiviert. Haben wir uns zur modernen Wohlstandsgesellschaft entwickelt, um solche Menschen zu werden?