Das beschlagnahmte Leben
Ein deutscher Richter beschlagnahmt einen Facebook-Account. Auch in Österreich ist das möglich
800 Millionen Menschen sind schon dort, jetzt folgt auch die Justiz. In den Servern von Facebook schlummern Milliarden privater Nachrichten, mittels derer sich Menschen absprechen, Pläne schmieden und vielleicht auch Straftaten beschließen. Das vermutet zumindest ein deutscher Richter: Er ordnete die Beschlagnahmung eines Facebook-Accountsan und schuf damit einen Präzedenzfall im deutschsprachigen Raum.
Auf den ersten Blick ist der Fall unspektakulär. Am Amtsgericht Reutlingen, einer schwäbischen Provinzstadt, wird einem 20-Jährigen die Mithilfe bei einem Einbruchsdiebstahl vorgeworfen. Er soll das Garagenfenster geöffnet haben, als er eine Bekannte besuchte. Dadurch konnte sein Komplize ins Haus klettern und Bargeld und Schmuck im Wert von 1200 Euro klauen, so der Verdacht. Ein gewöhnlicher Kriminalfall – wäre da nicht Facebook. Richter Sierk Hamann vermutet, dass sich der Angeklagte und seine Komplizen online absprachen. Er will die ganze Facebook-Kommunikation im fraglichen Zeitraum lesen.
Facebook liefert das digitale Spiegelbild einer Person, es ermöglicht Bewegungsprofile, Netzwerkanalysen und zutiefst private Einblicke in das Leben des VerdächtigenFacebook ist der Traum der Ermittler. Bekommen Sie Zugriff, können sie bei einem aktiven User nachvollziehen, wem er nahesteht, welche Nachrichten er austauscht, welche Fotos er hochlädt. Im Vergleich dazu erinnert die Auswertung von Mails eher an das Öffnen von Briefen. Facebook liefert das digitale Spiegelbild einer Person, es ermöglicht Bewegungsprofile, Netzwerkanalysen und zutiefst private Einblicke in das Leben des Verdächtigen und seiner Freunde. All das steht dann in Akten.
So einen Fall gab es wohl noch nie in Deutschland, ebenso wenig in Österreich. Dies ergab eine Anfrage beim Innen- und Justizministerium. Vielleicht ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch hierzulande ein Richter einen Facebook-User durchleuchten lässt. Das Gesetz macht dies bereits möglich.
Paragraf 135 der Strafprozessordnung erlaubt die “Überwachung von Nachrichten“, etwa im Fall von Entführungen oder zur Aufklärung von Straftaten, für die mehr als ein Jahr Haft droht. Ein mögliches Szenario: Ein Liebhaber ermordet den Gatten seiner Geliebten. Sie steht unter Verdacht, ihn zur Tat angestiftet und über Facebook gesagt zu haben, wo sich ihr Mann aufhält. Ein Richter könnte die Nachrichten der beiden anfordern.
Auch verdeckte Ermittlungen sind denkbar. Polizisten könnten gefälschte Facebook-Profile anlegen und sich mit Verdächtigen anfreunden, etwa um sogenannte “kriminelle Verbindungen“ und besonders schwere Straftaten abzuwehren. “Nach dem Sicherheitspolizeigesetz ist das theoretisch möglich“, sagt Manfred Burgstaller, Rechtsschutzbeauftragter des Innenministeriums.
Facebooks Firmensitz liegt in Kalifornien. Auf diese Hürde stößt auch Richter Hamann.In den USA gab es schon Fälle, wo Facebook-Accounts ausgewertet wurden. Für europäische Ermittler ist das aber nicht so leicht. Facebooks Firmensitz liegt in Kalifornien. Auf diese Hürde stößt auch Richter Hamann. In seinen Prozess fließen kalifornisches, europäisches und deutsches Recht ein. Seit Monaten wartet er darauf, dass Facebook die Daten rausrückt. Ein Rechtshilfeersuchen liegt in Irland, wo Facebook seine Europa-Zentrale hat.
Nun nimmt der Prozess eine Wendung. Der 20-jährige Angeklagte will selbst seine Facebook-Daten vorlegen, seine Onlinekommunikation transparent machen.
Dafür muss er bei der Firma darum ansuchen, dass diese alle Daten auf eine CD brennt. Wenn das klappt, will Richter Hamann das als Beweismittel akzeptieren. Egal, ob Facebook die Information offiziell herausgibt oder der Angeklagte diese jetzt weiterreicht. Eines ist klar, die Justiz merkt langsam, auf welche Datenschätze sie zugreifen kann: Das ganze Onlineleben eines Verdächtigen.
Dieser Artikel erschien in Falter 9/12. Illustration: Jochen Schievink für den Falter.
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Wer keine Sorgen hat, der macht sich welche und untermauert sie auch noch wissenschaftlich... 🤣
Eine weitere Ursache könnte sein, dass solche Falschmeldungen aus journalistischer Sicht einfach "origineller" und damit auffälliger sind als die "alltägliche Wahrheit". Journalist/innen wollen, dass ihre Meldungen möglichst gut ankommen. Dafür haben sie vor allem zwei Möglichkeiten:
1.) Sie finden ein Sensation und berichten darüber.
2.) Sie erfinden eine Sensation und berichten darüber.
Nur Qualitätsjournalist/innen haben eine dritte Option:
Sie gehen in die Tiefe und decken Hintergründe sowie Beweggründe von Geschehnissen auf. Damit erreichen sie aber leider meist nicht die Massen.
zu 9: correctiv meldet am Schluss, dass nicht 2,6 sondern 5,3% aller Immigranten als Flüchtlinge anerkannt wurden. Wow, das ändert die Lage ja völlig, Hahaha!! Heißt jetzt, mit "5 von Hundert" wäre die Schlagzeile korrekt, die Aussage der Schlagzeile, dass nur ein verschwindend geringer Anteil der uns immer als "Flüchtlinge" verkauften Menschen tatsächlich Flüchtlingsstatus haben, bleibt also völlig intakt!
Ich empfehle, hierzu den Faktencheck von Correctiv zu lesen: https://correctiv.org/echtjetzt/artikel/2017/05/16/faktencheck-fluechtlinge-italien-prozent/
Zu dieser Thematik fallen mir gleich eine ganze Reihe von Zitaten ein, die belegen, dass die hier behandelten sozialen Wirkungen schon längst bekannt sind und kein wirklich neues Phänomen darstellen.
„Aus Lügen, die wir ständig wiederholen, werden Wahrheiten, die unser tägliches Leben bestimmen.“ Hegel (1770-1831)
„Nicht Tatsachen, sondern Meinungen über Tatsachen, bestimmen das Zusammenleben“ Epiktet (um 50 bis 138 n.Chr.)
Und der größte Unsinn ist der Spruch im Volksmund:
„wer einmal lügt, dem glaubt man nicht“
Richtig ist: „wer ständig lügt, dem glaubt man schließlich“
oder wenn oft genug Falsches gesagt, gedacht, geschrieben wird, wird es richtig!
Siehe dazu auch solch banale Dinge, wie die Falschschreibung(sprechung) des Adjektivs extrovertiert.
Natürlich heißt es extravertiert, aber es wurde die letzten 50 Jahre so oft falsch geschrieben und gesprochen, dass es schließlich in der falschen Form im Duden gelandet ist....
keep groovin´& over the tellerrand thinkin´´
Super Website! Super Artikel. Weiter so
LG Alex
Tja, wenn's nur immer so leicht ginge eine Fake News zu identifizieren. Genau Schritt 3 ist nämlich das Problem - in vielen Fällen lässt sich eben nicht oder erst viel zu spät nachweisen, dass gezielte Irreführung betrieben wird. Und dann ist eine Fake News schon eine gewisse Zeit Fakt News geworden...
Ungefähr jedes Merkmal oder jede Manipulationstechnik, die hier exklusiv "rechts" zugeschrieben wird, ist von allen Akteuren im politischen Spektrum in exakt der angeprangerten Form genutzt worden und wird es weiterhin. Die "AfD-Wut" über irgendwas unterscheidet sich beim Facebook-Emoji nicht von der Wut über Lohnungerechtigkeit oder tote Kinder am Strand unter einem taz-Artikel, die patriotische App unterscheidet sich funktional rein gar nicht von gleichartigen Apps, die zur "Vernetzung von Protest" erstellt wurden und nun ja, "Revolutionsversprechen" sind rechts? ... kicher ... schon mal auf 'ner 1.Mai-Demo gewesen?
Es gibt signifikant messbare Unterschiede zwischen den Parteien - dass die AfD stärker Wut erntet als andere, ist das Ergebnis dieser Untersuchung von Josef Holnburger: http://holnburger.com/Auf_den_Spuren_des_Wutbuergers.pdf Man kann dort auch alle anderen Parteien ansehen und nachlesen, welche Reaktionen diese ernten. Aber natürlich: Wut ist eine universelle Emotion, gesellschaftlicher Wandel wird oft über Wut erreicht, zB weil Menschen einen unfairen Zustand nicht länger hinnehmen wollen. In meinen Augen macht es einen qualitativen Unterschied, in welche Richtung Parteien Wut einsetzen - problematisch wird Wut meines Erachtens, wenn man sie gegen gesellschaftlich schwächer gestellte Menschengruppen einsetzt
Vielleicht nur am Rande (oder auch gar nicht...) interessant, aber hier noch ein kleiner Exkurs zum Thema Technologie und Utopie: Bereits im Zusammenhang mit elektrischer Telegrafie und mit der Verlegung des ersten transatlantischen Unterseekabels in den 1850er/60er Jahren äußerten Zeitgenossen immer wieder die Idee, dass, sobald dieses Kabel verlegt und somit Kommunikation im Minutentakt zwischen Großbritannien und Nordamerika möglich sei, eine Ära immerwährenden Friedens zwischen GB und den USA ihren Anfang nähme. Wer sich minutenschnell austauschen könne, der könne schließlich alle potentiellen Konflikte oder Unstimmigkeiten im Nu aus dem Weg räumen. Bald musste man aber feststellen, dass dem nicht so war, wobei hier unterschiedliche Faktoren ihren Teil dazu beitrugen (hohe Kosten pro Nachricht, weshalb diese stark verkürzt wurden, diplomatisches Prozedere, das mit dieser neuen Form der Kommunikation nur schwer zu vereinbaren war, etc.) - In der britischen Presse der damaligen Zeit wurde diese Entwicklung dann wiederum ausgesprochen reflektiert betrachtet und techniksoziologische Betrachtungen angestellt, die heutigen Ansätzen in nichts nachstehen (ich habe da nur Einblicke in die britische Presse, wie an anderer Stelle darüber geschrieben wurde, weiß ich nicht). Ironischerweise war es dann einige Jahrzehnte später ein Telegramm, mit dem Österreich-Ungarn Serbien den Krieg erklärte...
Aber wie gesagt... das nur am Rande.
Ansonsten - schöner Vortrag! Like! Respect! :)
Das ist total spannend! Sorry für die späte Antwort, aber hatte den Kommentar noch gar nicht gesehen: Das ist eine extrem interessante Anekdote! Ist das vielleicht irgendwo beschrieben, wo ich mehr dazu lesen kann? Ich sammle solche Beispiele auch gerne, weil man weiß nie, wo man solche Beispiele unterbringen kann... Auf jeden Fall: Danke schön für die interessante Rückmeldung!
„Politische Diskussionskultur“ - das ist freilich speziell in Österreich sowieso eine der permanent endangered species.
Bald sind wir so durchgeregelt, dass wir gar keinen Spielraum mehr für Meinungsbildung haben und nur noch das politisch Erwünschte denken. Wünsche aber sind keine Rechte. Sie sind höchstens ein Anzeichen verwöhnten Wohlstands, der Befindlichkeiten zum Nachteil aller anderen hochhält, Menschen gegeneinander ausspielt und Beliebigkeit statt Kritik- und Konfliktfähigkeit kultiviert. Haben wir uns zur modernen Wohlstandsgesellschaft entwickelt, um solche Menschen zu werden?