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Es warat wegen der Gerechtigkeit

Die freien Mitarbeiter des ORF verdienen Hungerlöhne, endlich mucken sie auf

Bericht: Ingrid Brodnig & Benedikt Narodoslawsky

Der ORF-Chef fürchtet sich vor seinen eigenen Mitarbeitern. Zumindest schien es so vergangenen Freitag, als Generaldirektor Alexander Wrabetz zur Sitzung des Stiftungsrats eilte. Schnurstracks vorbei an den freien Mitarbeitern, die für faire Bezahlung protestierten. Sie hatten extra eine Torte und Fähnchen vorbereitet, auf denen stand: “An wen verteilen Sie den Kuchen?“ Doch aus Angst, die Torte könnte in Wrabetz’ Gesicht landen, durfte die Mehlspeise erst gar nicht in die Nähe des Generaldirektors. Eine Tortung – sogar das traut die ORF-Führung ihren freien Mitarbeitern zu. Schon seit Jahren klagen diese über Ausbeutung, der Fall Pelinka lässt sie nun demonstrieren. “Ständig wird uns gesagt: Für nichts sei Geld da. Aber für manche Posten gibt es sehr wohl Geld“, meint etwa Ulla Ebner, eine freie Mitarbeiterin von Ö1 und eine von vielen Betroffenen. Deren Kritik: Sie machen das Programm, sie liefern Qualität und doch gibt es für sie nur eines – Krümel.

Im Radio ist der Unmut besonders groß. Im Vorjahr gingen zwölf von 16 Journalistenpreisen an Freie. Diesen Dienstag erhielt die Ö1-Reihe “Matrix“, die vom Leben in digitalen Zeiten erzählt, den angesehenen Radiopreis der Erwachsenenbildung. Was kaum einer weiß: Die “Matrix“-Beiträge gestalten freie Mitarbeiter, nicht angestellte Redakteure. Ohne Freie gäbe es kein Programm, erklärt Sendungsleiterin Sonja Bettel: “Unsere Freien verdienen durchschnittlich nur 1000 Euro netto im Monat.“ Manche Freie haben sich ihren Stundensatz ausgerechnet. Oft bekommen sie zehn Euro pro Stunde. Für aufwendigere Features: drei Euro brutto.

Drei Euro pro Stunde? Aus Idealismus nehmen die Journalisten dies in Kauf. Viele lieben ihre Sender Ö1 und FM4, weil da noch Platz für Qualität ist.

Es ist ein Mythos, dass nur die jungen Anfänger im Prekariat leben. Selbst die angesehene Journalistin Elisabeth Scharang, die etwa den renommierten Axel-Corti-Preis erhielt, verdient beim Radio durchschnittlich 1200 Euro brutto im Monat. Das Problem seien nicht die fehlenden Aufträge, sondern die miserable Bezahlung. “Da kriegt man den Axel-Corti-Preis für die beständig hohe Qualität meiner Arbeit verliehen und kann gleichzeitig die Miete nicht bezahlen. Das ist schon schade“, sagt Scharang.

Viele freie Mitarbeiter fordern gar keine Anstellung. Das Allerwichtigste wären höhere Honorare. In Deutschland werden diese sehr wohl ausgezahlt. Da erhalten die Radiojournalisten oft das Doppelte. Beim ORF gibt es für einen sechsminütigen Beitrag 109 Euro, bei erhöhtem Aufwand 143 Euro. Das Deutschlandradio zahlt für sechs Minuten mehr als 300 Euro.

Vorerst sei für die Freien nicht mehr Geld drinnen, meinte Wrabetz noch am Tag des Protests. In den kommenden Wochen will die Führung aber mit den Freien reden. “Im Grunde geht es um Gerechtigkeit“, sagt Sonja Bettel, “es geht nicht, dass Menschen für die gleiche Leistung so viel schlechter verdienen. Letztlich kann das dem Betriebsklima nur schaden.“

 

Blog der freien Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen:

http://orffm.wordpress.com/

 

Dieser Bericht wurde von Benedikt Narodoslawsky und mir verfasst, er erschien im Falter 4/12. Bilder: Narodoslawsky / ORF_FM

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  • Wer keine Sorgen hat, der macht sich welche und untermauert sie auch noch wissenschaftlich... 🤣

  • Eine weitere Ursache könnte sein, dass solche Falschmeldungen aus journalistischer Sicht einfach "origineller" und damit auffälliger sind als die "alltägliche Wahrheit". Journalist/innen wollen, dass ihre Meldungen möglichst gut ankommen. Dafür haben sie vor allem zwei Möglichkeiten:
    1.) Sie finden ein Sensation und berichten darüber.
    2.) Sie erfinden eine Sensation und berichten darüber.
    Nur Qualitätsjournalist/innen haben eine dritte Option:
    Sie gehen in die Tiefe und decken Hintergründe sowie Beweggründe von Geschehnissen auf. Damit erreichen sie aber leider meist nicht die Massen.

  • zu 9: correctiv meldet am Schluss, dass nicht 2,6 sondern 5,3% aller Immigranten als Flüchtlinge anerkannt wurden. Wow, das ändert die Lage ja völlig, Hahaha!! Heißt jetzt, mit "5 von Hundert" wäre die Schlagzeile korrekt, die Aussage der Schlagzeile, dass nur ein verschwindend geringer Anteil der uns immer als "Flüchtlinge" verkauften Menschen tatsächlich Flüchtlingsstatus haben, bleibt also völlig intakt!

  • Zu dieser Thematik fallen mir gleich eine ganze Reihe von Zitaten ein, die belegen, dass die hier behandelten sozialen Wirkungen schon längst bekannt sind und kein wirklich neues Phänomen darstellen.
    „Aus Lügen, die wir ständig wiederholen, werden Wahrheiten, die unser tägliches Leben bestimmen.“ Hegel (1770-1831)
    „Nicht Tatsachen, sondern Meinungen über Tatsachen, bestimmen das Zusammenleben“ Epiktet (um 50 bis 138 n.Chr.)
    Und der größte Unsinn ist der Spruch im Volksmund:
    „wer einmal lügt, dem glaubt man nicht“
    Richtig ist: „wer ständig lügt, dem glaubt man schließlich“
    oder wenn oft genug Falsches gesagt, gedacht, geschrieben wird, wird es richtig!
    Siehe dazu auch solch banale Dinge, wie die Falschschreibung(sprechung) des Adjektivs extrovertiert.
    Natürlich heißt es extravertiert, aber es wurde die letzten 50 Jahre so oft falsch geschrieben und gesprochen, dass es schließlich in der falschen Form im Duden gelandet ist....
    keep groovin´& over the tellerrand thinkin´´

  • Tja, wenn's nur immer so leicht ginge eine Fake News zu identifizieren. Genau Schritt 3 ist nämlich das Problem - in vielen Fällen lässt sich eben nicht oder erst viel zu spät nachweisen, dass gezielte Irreführung betrieben wird. Und dann ist eine Fake News schon eine gewisse Zeit Fakt News geworden...

  • Ungefähr jedes Merkmal oder jede Manipulationstechnik, die hier exklusiv "rechts" zugeschrieben wird, ist von allen Akteuren im politischen Spektrum in exakt der angeprangerten Form genutzt worden und wird es weiterhin. Die "AfD-Wut" über irgendwas unterscheidet sich beim Facebook-Emoji nicht von der Wut über Lohnungerechtigkeit oder tote Kinder am Strand unter einem taz-Artikel, die patriotische App unterscheidet sich funktional rein gar nicht von gleichartigen Apps, die zur "Vernetzung von Protest" erstellt wurden und nun ja, "Revolutionsversprechen" sind rechts? ... kicher ... schon mal auf 'ner 1.Mai-Demo gewesen?

    • Es gibt signifikant messbare Unterschiede zwischen den Parteien - dass die AfD stärker Wut erntet als andere, ist das Ergebnis dieser Untersuchung von Josef Holnburger: http://holnburger.com/Auf_den_Spuren_des_Wutbuergers.pdf Man kann dort auch alle anderen Parteien ansehen und nachlesen, welche Reaktionen diese ernten. Aber natürlich: Wut ist eine universelle Emotion, gesellschaftlicher Wandel wird oft über Wut erreicht, zB weil Menschen einen unfairen Zustand nicht länger hinnehmen wollen. In meinen Augen macht es einen qualitativen Unterschied, in welche Richtung Parteien Wut einsetzen - problematisch wird Wut meines Erachtens, wenn man sie gegen gesellschaftlich schwächer gestellte Menschengruppen einsetzt

  • Vielleicht nur am Rande (oder auch gar nicht...) interessant, aber hier noch ein kleiner Exkurs zum Thema Technologie und Utopie: Bereits im Zusammenhang mit elektrischer Telegrafie und mit der Verlegung des ersten transatlantischen Unterseekabels in den 1850er/60er Jahren äußerten Zeitgenossen immer wieder die Idee, dass, sobald dieses Kabel verlegt und somit Kommunikation im Minutentakt zwischen Großbritannien und Nordamerika möglich sei, eine Ära immerwährenden Friedens zwischen GB und den USA ihren Anfang nähme. Wer sich minutenschnell austauschen könne, der könne schließlich alle potentiellen Konflikte oder Unstimmigkeiten im Nu aus dem Weg räumen. Bald musste man aber feststellen, dass dem nicht so war, wobei hier unterschiedliche Faktoren ihren Teil dazu beitrugen (hohe Kosten pro Nachricht, weshalb diese stark verkürzt wurden, diplomatisches Prozedere, das mit dieser neuen Form der Kommunikation nur schwer zu vereinbaren war, etc.) - In der britischen Presse der damaligen Zeit wurde diese Entwicklung dann wiederum ausgesprochen reflektiert betrachtet und techniksoziologische Betrachtungen angestellt, die heutigen Ansätzen in nichts nachstehen (ich habe da nur Einblicke in die britische Presse, wie an anderer Stelle darüber geschrieben wurde, weiß ich nicht). Ironischerweise war es dann einige Jahrzehnte später ein Telegramm, mit dem Österreich-Ungarn Serbien den Krieg erklärte...
    Aber wie gesagt... das nur am Rande.
    Ansonsten - schöner Vortrag! Like! Respect! :)

    • Das ist total spannend! Sorry für die späte Antwort, aber hatte den Kommentar noch gar nicht gesehen: Das ist eine extrem interessante Anekdote! Ist das vielleicht irgendwo beschrieben, wo ich mehr dazu lesen kann? Ich sammle solche Beispiele auch gerne, weil man weiß nie, wo man solche Beispiele unterbringen kann... Auf jeden Fall: Danke schön für die interessante Rückmeldung!

  • „Politische Diskussionskultur“ - das ist freilich speziell in Österreich sowieso eine der permanent endangered species.

  • Bald sind wir so durchgeregelt, dass wir gar keinen Spielraum mehr für Meinungsbildung haben und nur noch das politisch Erwünschte denken. Wünsche aber sind keine Rechte. Sie sind höchstens ein Anzeichen verwöhnten Wohlstands, der Befindlichkeiten zum Nachteil aller anderen hochhält, Menschen gegeneinander ausspielt und Beliebigkeit statt Kritik- und Konfliktfähigkeit kultiviert. Haben wir uns zur modernen Wohlstandsgesellschaft entwickelt, um solche Menschen zu werden?

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