Wie hart soll man gegen Trolle vorgehen?
In Deutschland wird gerade eine spannende Debatte geführt: Wie hart darf man zu Trollen sein? Dürfen sich Communitymanager und Journalisten sogar über sie lustig machen? Eine Antwort und zwei Infografiken dazu
Nicht so beim Journalisten Martin Giesler. Er meint, Zurücktrollen ist keine Option. In seinem Blog schrieb er:
“Mittel- und langfristig sollte es das Ziel einer jeden Redaktion sein, wirklich mit den Usern ins Gespräch zu kommen und etwa Recherche-Wege aufzeigen, zusätzliche Fakten präsentieren, redaktionelle Entscheidungsprozesse transparent machen. (…) Hohn und Spott hilft da nicht weiter. Diese neue Publikumsverdrossenheit seitens der Journalisten, wie es Prof. Bernhard Pörksen nennt, kann nicht lange gut gehen.”
Nun antwortete ihm der Blogger Nico Lumma. Er meint, dass zu viel Gelassenheit gegenüber Trollen keine gute Idee ist, schließlich geht es denen ja darum, die Debatte kaputt zu machen. Hier ein Auszug:
“Es gibt einfach viel zu viele destruktive Idioten da draussen, die kein Interesse an Diskussion oder Erklärung haben, die einfach nur Diskussionen stören oder zerstören wollen. (…) Ich will nicht, dass wir uns diese Errungenschaft des Meinungsaustausches, dieser Möglichkeit zu lernen, dieser Chance zu streiten, einfach so kaputt machen lassen.”
Lumma hat absolut recht – ich empfehle seinen Blogeintrag sehr, weil er darin auch beschreibt, dass er ursprünglich anders dachte und eher gegen harte Kommentarregeln war, er jedoch seine Meinung änderte. Zu diesem Schluss kam auch ich in der Recherche für mein Buch.
Meines Erachtens sind wir in einer entscheidenden Phase des Internets, in der wir lernen, angemessen mit den Rüpeln umzugehen. Ein angemessener Umgang sind in vielen Fällen harte Sanktionen, mehr menschliche Moderation und technische Sicherheitsmechanismen, die es den Rüpeln gar nicht erst so einfach machen, so viel Unruhe zu stiften. Ein paar Tipps, habe ich hier zusammengefasst.
Neu ist an der Debatte nun die Frage: Mit wie viel Sarkasmus und Häme dürfen wir den Trollen antworten? Schaden sich Journalisten langfristig selbst, wenn sie mit Spott reagieren?
Meine Antwort lautet: Entscheidend ist, ob der aufmüpfige User wirklich ein Troll ist oder nur ein aufgebrachter User, der vielleicht doch noch für Argumente erreichbar ist.
Deswegen finde ich es sogar extrem clever, auf Trolle mit Sarkasmus und Häme zu reagieren. Ein echter Troll verdient Spott und Häme. Man zeigt ihm nämlich, dass man ihn nicht mit einer ernsten Antwort belohnen wird und sein eigenes Verhalten dazu führt, dass man nicht mehr ernsthaft mit ihm diskutiert. Zurücktrollen ist vielleicht doch eine Option, zumindest bei richtigen Trollen.
Ein Problem ist aber: Sehr oft wird der Begriff Troll viel zu breit ausgelegt und auch User als Trolle bezeichnet, die sich tolpatschig ausgedrückt haben, die im Affekt posteten oder die einfach eine unliebsame oder gar absurde Meinung haben. Einige Journalisten neigen dazu, zu schnell einen aufmüpfigen User als “Troll” abzutun. Das wird der Sache oft nicht gerecht und langfristig ist es riskant, wenn wir Journalisten einen Teil unseres Publikums verspotten – in diesem Punkt stimme ich Martin Giesler zu.
Was also tun? Im Zweifelsfall lohnt es sich, das Gespräch zu suchen, auf Augenhöhe zu antworten und gelassen zu bleiben – ähnlich wie das Zeit.de-Chefredakteur Jochen Wegner beschrieb. Manch ein ruppiger User wird dann tatsächlicher freundlicher, das erleben Communitymanager Tag für Tag.
Aber nicht immer funktioniert das. Wenn ein User unverbesserlich untergriffig weiterpostet, andere aggressiv angeht und das ganze Diskussionsklima zerstört, dann nutzt es nichts, zuzuschauen. Oder wie Nico Lumma vollkommen richtig schreibt: “Asoziales Verhalten erfordert soziale Ächtung, nicht Verständnis.” Rüffel für Rüpel also.
In den letzten Jahren und Jahrzehnten haben wir gelernt, das Internet für die grenzenlose Kommunikation, die es ermöglicht,zu schätzen. Nun müssen wir meines Erachtens erlernen, dieses Internet vor jenen zu beschützen, die diese Kommunikation einfach nur vergiften wollen.
Die tl;dr-Fassung dieses Blogposts sind die beiden obigen Infografiken. Ich freue mich über Feedback!
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Wer keine Sorgen hat, der macht sich welche und untermauert sie auch noch wissenschaftlich... 🤣
Eine weitere Ursache könnte sein, dass solche Falschmeldungen aus journalistischer Sicht einfach "origineller" und damit auffälliger sind als die "alltägliche Wahrheit". Journalist/innen wollen, dass ihre Meldungen möglichst gut ankommen. Dafür haben sie vor allem zwei Möglichkeiten:
1.) Sie finden ein Sensation und berichten darüber.
2.) Sie erfinden eine Sensation und berichten darüber.
Nur Qualitätsjournalist/innen haben eine dritte Option:
Sie gehen in die Tiefe und decken Hintergründe sowie Beweggründe von Geschehnissen auf. Damit erreichen sie aber leider meist nicht die Massen.
zu 9: correctiv meldet am Schluss, dass nicht 2,6 sondern 5,3% aller Immigranten als Flüchtlinge anerkannt wurden. Wow, das ändert die Lage ja völlig, Hahaha!! Heißt jetzt, mit "5 von Hundert" wäre die Schlagzeile korrekt, die Aussage der Schlagzeile, dass nur ein verschwindend geringer Anteil der uns immer als "Flüchtlinge" verkauften Menschen tatsächlich Flüchtlingsstatus haben, bleibt also völlig intakt!
Ich empfehle, hierzu den Faktencheck von Correctiv zu lesen: https://correctiv.org/echtjetzt/artikel/2017/05/16/faktencheck-fluechtlinge-italien-prozent/
Zu dieser Thematik fallen mir gleich eine ganze Reihe von Zitaten ein, die belegen, dass die hier behandelten sozialen Wirkungen schon längst bekannt sind und kein wirklich neues Phänomen darstellen.
„Aus Lügen, die wir ständig wiederholen, werden Wahrheiten, die unser tägliches Leben bestimmen.“ Hegel (1770-1831)
„Nicht Tatsachen, sondern Meinungen über Tatsachen, bestimmen das Zusammenleben“ Epiktet (um 50 bis 138 n.Chr.)
Und der größte Unsinn ist der Spruch im Volksmund:
„wer einmal lügt, dem glaubt man nicht“
Richtig ist: „wer ständig lügt, dem glaubt man schließlich“
oder wenn oft genug Falsches gesagt, gedacht, geschrieben wird, wird es richtig!
Siehe dazu auch solch banale Dinge, wie die Falschschreibung(sprechung) des Adjektivs extrovertiert.
Natürlich heißt es extravertiert, aber es wurde die letzten 50 Jahre so oft falsch geschrieben und gesprochen, dass es schließlich in der falschen Form im Duden gelandet ist....
keep groovin´& over the tellerrand thinkin´´
Super Website! Super Artikel. Weiter so
LG Alex
Tja, wenn's nur immer so leicht ginge eine Fake News zu identifizieren. Genau Schritt 3 ist nämlich das Problem - in vielen Fällen lässt sich eben nicht oder erst viel zu spät nachweisen, dass gezielte Irreführung betrieben wird. Und dann ist eine Fake News schon eine gewisse Zeit Fakt News geworden...
Ungefähr jedes Merkmal oder jede Manipulationstechnik, die hier exklusiv "rechts" zugeschrieben wird, ist von allen Akteuren im politischen Spektrum in exakt der angeprangerten Form genutzt worden und wird es weiterhin. Die "AfD-Wut" über irgendwas unterscheidet sich beim Facebook-Emoji nicht von der Wut über Lohnungerechtigkeit oder tote Kinder am Strand unter einem taz-Artikel, die patriotische App unterscheidet sich funktional rein gar nicht von gleichartigen Apps, die zur "Vernetzung von Protest" erstellt wurden und nun ja, "Revolutionsversprechen" sind rechts? ... kicher ... schon mal auf 'ner 1.Mai-Demo gewesen?
Es gibt signifikant messbare Unterschiede zwischen den Parteien - dass die AfD stärker Wut erntet als andere, ist das Ergebnis dieser Untersuchung von Josef Holnburger: http://holnburger.com/Auf_den_Spuren_des_Wutbuergers.pdf Man kann dort auch alle anderen Parteien ansehen und nachlesen, welche Reaktionen diese ernten. Aber natürlich: Wut ist eine universelle Emotion, gesellschaftlicher Wandel wird oft über Wut erreicht, zB weil Menschen einen unfairen Zustand nicht länger hinnehmen wollen. In meinen Augen macht es einen qualitativen Unterschied, in welche Richtung Parteien Wut einsetzen - problematisch wird Wut meines Erachtens, wenn man sie gegen gesellschaftlich schwächer gestellte Menschengruppen einsetzt
Vielleicht nur am Rande (oder auch gar nicht...) interessant, aber hier noch ein kleiner Exkurs zum Thema Technologie und Utopie: Bereits im Zusammenhang mit elektrischer Telegrafie und mit der Verlegung des ersten transatlantischen Unterseekabels in den 1850er/60er Jahren äußerten Zeitgenossen immer wieder die Idee, dass, sobald dieses Kabel verlegt und somit Kommunikation im Minutentakt zwischen Großbritannien und Nordamerika möglich sei, eine Ära immerwährenden Friedens zwischen GB und den USA ihren Anfang nähme. Wer sich minutenschnell austauschen könne, der könne schließlich alle potentiellen Konflikte oder Unstimmigkeiten im Nu aus dem Weg räumen. Bald musste man aber feststellen, dass dem nicht so war, wobei hier unterschiedliche Faktoren ihren Teil dazu beitrugen (hohe Kosten pro Nachricht, weshalb diese stark verkürzt wurden, diplomatisches Prozedere, das mit dieser neuen Form der Kommunikation nur schwer zu vereinbaren war, etc.) - In der britischen Presse der damaligen Zeit wurde diese Entwicklung dann wiederum ausgesprochen reflektiert betrachtet und techniksoziologische Betrachtungen angestellt, die heutigen Ansätzen in nichts nachstehen (ich habe da nur Einblicke in die britische Presse, wie an anderer Stelle darüber geschrieben wurde, weiß ich nicht). Ironischerweise war es dann einige Jahrzehnte später ein Telegramm, mit dem Österreich-Ungarn Serbien den Krieg erklärte...
Aber wie gesagt... das nur am Rande.
Ansonsten - schöner Vortrag! Like! Respect! :)
Das ist total spannend! Sorry für die späte Antwort, aber hatte den Kommentar noch gar nicht gesehen: Das ist eine extrem interessante Anekdote! Ist das vielleicht irgendwo beschrieben, wo ich mehr dazu lesen kann? Ich sammle solche Beispiele auch gerne, weil man weiß nie, wo man solche Beispiele unterbringen kann... Auf jeden Fall: Danke schön für die interessante Rückmeldung!
„Politische Diskussionskultur“ - das ist freilich speziell in Österreich sowieso eine der permanent endangered species.
Bald sind wir so durchgeregelt, dass wir gar keinen Spielraum mehr für Meinungsbildung haben und nur noch das politisch Erwünschte denken. Wünsche aber sind keine Rechte. Sie sind höchstens ein Anzeichen verwöhnten Wohlstands, der Befindlichkeiten zum Nachteil aller anderen hochhält, Menschen gegeneinander ausspielt und Beliebigkeit statt Kritik- und Konfliktfähigkeit kultiviert. Haben wir uns zur modernen Wohlstandsgesellschaft entwickelt, um solche Menschen zu werden?